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Was im „Cicero“ gesagt werden darf: „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“

Sollten sich Historiker dereinst fragen, wo sich die immer rasanter verlaufende Rechtsdrift im Bürgertum besonders deutlich manifestierte, werden sie gewiss früher als später auf den „Cicero“ stoßen. Inzwischen wird dort sogar die These vom „Kriegs- und Auschwitzkomplex“ der Deutschen propagiert.

Das 2004 von Wolfram Weimer gegründete Magazin „Cicero“ genoss lange einen tadellosen Ruf, galt in liberal-konservativen Kreisen als eine Art Pflichtlektüre, stieß Debatten an und wurde ob seiner Qualität auch in eher linksliberalen Milieus geschätzt. Kurz: es war ein seriöses Blatt.

Christoph Schwennicke, vormals Redakteur beim SPIEGEL, allerdings ohne Ressortleitungsfunktion, hatte also beste Chancen, in den Kreis der allseits respektierten Blattmacher aufzusteigen, als er 2012 Chefredakteur des „Cicero“ wurde. Damals hatte er den Ruf eines klugen und differenziert argumentierenden Journalisten, mit Empathie für soziale Fragen. Mit an Bord als neuer Vizechef kam Alexander Marguier, der deutlich konservativer und bis dato als Leiter des Buchs „Gesellschaft“ der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bekannt war.

Außerdem, und das ist für die weitere Entwicklung des „Cicero“ wohl das entscheidende Faktum, hievte Schwennicke im März 2013 den damals schon nicht unumstrittenen, betont katholischen Alexander Kissler, der vormals bei der „Süddeutschen Zeitung“ und beim „Focus“ tätig war, in den Rang des Kulturchefs des Blatts. Wer wollte, konnte schon zu jener Zeit dezidiert rechtes Gedankengut bei Kissler erkennen. Wer wohlwollender war, sah hingegen durchaus sein Potential, sich zu einem zwar harten, aber diesseits des rechten Denkens verankerten Konservativen mit leicht reaktionärem Touch zu entwickeln. Beim „Cicero“ heißt das Feuilleton übrigens „Salon“, was dem Ausdruck des „Salonfähigmachens“ des rechten Denkens eine besondere Note gibt.

Drei Männer aus unterschiedlichen Richtungen, aus unterschiedlichen Milieus fanden also zusammen und schlugen verblüffend schnell einen Weg ein, der ganz offenbar immer stärker von dem seinerseits immer manifester werdenden (neu)rechten Denken Kisslers dominiert wird, welches sich in seinen Texten, vor allem aber auf seinem Twitter-Account zeigt. Dort schüttelt er bürgerliche Tugenden von Maßhaltung und Anstand mehr und mehr von sich ab, teilt Tweets von Redakteuren der „Jungen Freiheit“ und häuft in seiner „Favoritenliste“ u.a. ein Sammelsurium stramm rechter Statements von Accounts wie „FräuleinGermanAngst“ an. Kissler dürfte, was sein Abgleiten in das rechte Denken angeht, inzwischen ein hoffnungsloser Fall sein, zumal Kritik an ihm, wie sie etwa Aram Lintzel in der „taz“ und Michael Angele im „Freitag“ äußerten, zu keinerlei Mäßigung geführt hat.

„Gleisdreieck“- wie Schwennicke, Marguier und Kissler ihr Magazin auf eine neue rechte Spur brachten

Viel erschütternder ist, dass jemand wie Christoph Schwennicke all das mitträgt und, mehr noch, sein Blatt zu einer, wie Lintzel es treffend nennt, „Plattform für neurechte Ideologiebildung“ gemacht hat, auch wenn es ab und an noch Kritik an der Neuen Rechten gibt. Gemessen an der Gesamtausrichtung des Blatts wirkt Letztere inzwischen feigenblatthaft. Fast wie ein Sinnbild für das Zusammenwirken von Schwennicke, Marguier und Kissler erscheint die neue „Location“ des „Cicero“. Die Büroräume befinden sich nun am Berliner „Gleisdreieck“, nachdem der schweizerische Ringier-Verlag das Magazin in Form eines „Management Buy-Outs“ an Schwennicke und Marguier inklusive Anschubfinanzierung abgestoßen hat. Ein Sprecher Ringiers sagte, die Einstellung wäre günstiger gewesen.

Vielleicht ist es ökonomischer Druck, vielleicht sehen Schwennicke und Marguier wie proper sich die Auflagenzahlen rechter Blätter wie der „Jungen Freiheit“ oder Jürgen Elsässers „Compact-Magazin“ entgegen dem Branchentrend entwickeln, vielleicht haben sie mitbekommen, dass der neurechte Vordenker und Autor der „Jungen Freiheit“, Karlheinz Weißmann, eine neue Zeitschrift plant, vielleicht also sind sie tatsächlich so skrupellos, dass sie das Tor in das neurechte Lager sehr bewusst immer weiter aufstoßen. Fakt jedenfalls ist, dass der „Cicero“ ein Tabu nach dem anderen bricht. Und mittlerweile auch die Grenze zwischen dem „bloßen“ Rechtspopulismus und dem Rechtsradikalismus überschritten hat. Und zwar bereits zwei Mal.

Kisslers „Cicero“-Text zur „Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands“

Die erste Grenzüberschreitung nahm Kissler selbst vor, als er in einem im Februar 2016 erschienenen Beitrag das Gerede des in rechten Kreisen beliebten Staatsrechtlers Dieter Murswiek von der „Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands“ affirmativ wiedergab. Klingt vornehmer, meint aber nichts anderes als den neurechten und damit rechtsradikalen Topos vom „Bevölkerungsaustausch“ oder der „Umvolkung“. Aram Lintzel kommentierte treffend, dass Kissler so klinge, als „verbringe er jedes freie Wochenende auf dem Rittergut von Götz Kubitschek“.

Kubitschek ist bekanntlich der Vordenker der Neuen Rechten und enger Weggefährte des AfD-Politikers Björn Höcke. Wer nun meint, Kissler habe mit so jemandem doch gewiss nichts zu tun, irrt. Bereits 2011 trat er im Münchner „Gasteig“ zusammen mit Kubitschek bei einem Podium zum Thema „Sarrazin lesen“ auf. Das Ganze war mitnichten ein Streitgespräch auf neutralem Grund, sondern eine Veranstaltung von Kubitscheks Zeitschrift „Sezession“. Das rechtslibertäre Magazin „eigentümlich frei“ schrieb anschließend, dass bei Kissler und Kubitschek die „Gemeinsamkeiten (überwogen)“. Und weiter: „Beide sind sich bewusst darüber, was Deutschland zunächst braucht. Kissler nannte es eine ‚Ausweitung der Formulierungszone‘.“

An einer solchen „Ausweitung der Formulierungszone“ arbeitet Kissler seither fraglos fleißig. Und vermutlich war spätestens seit seinem Text zur „Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands“ absehbar, dass unter seiner Ägide der „Cicero“ keine Berührungsängste gegenüber weiteren Topoi der radikalen Rechten haben wird. Im Juli-Heft ist es nun zu einer weiteren solchen Grenzüberschreitung im Ressort „Salon“ gekommen.

Oskar Roehler in der Juli-Ausgabe: „Gutmenschenhysterie“ und „seltsame Nächstenliebe für Muslime aller Länder“

Bevor der Leser beim Durchblättern der aktuellen Ausgabe des „Cicero“ im „Salon“ angekommen ist, hat er bereits im Innenpolitikteil, der „Berliner Republik“ heißt, eine ordentliche Portion Rechtspopulismus abbekommen. Der Film-Regisseur Oskar Roehler darf sich dort in seiner „Wutrede eines Enttäuschten“ „mehr Seehofer, weniger Merkel“ wünschen. Das kennt man vom „Cicero“. „Merkel muss weg“-Texte gehören schon länger zum Grundsound des Magazins. Rechtspopulistisches Vokabular ebenso. Roehlers Text ist voll davon. Man findet darin Sprüche wie: „Eine wahre Gutmenschenhysterie brach aus.“ Horst Seehofer wird als Mann dargestellt, „für den die politische Vernunft das Ethos für den Politiker ist und nicht diese seltsame Nächstenliebe für Muslime aller Länder“, während Merkel für Roehler „ein Kind Brüssels“ ist. Er „sehe nicht, wo ihre Wurzeln im eigenen Land sind“. Außerdem müsse er bei ihr „an Filme wie ‚Space Aliens‘ denken oder ‚Invasion vom Mars‘ oder an die ’sprechende Erbse‘ oder ‚Die Frau mit den zwei Gesichtern‘ denken.“ Wie gesagt, das ist nur der übliche Rechtspopulismus, der sich schon länger beim „Cicero“ eingeschlichen hat.

Markus Zieners Grenzüberschreitung in das radikal rechte Denken: „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“

Mehr als bloßer Rechtspopulismus ist jedoch das, was Markus Ziener, Dozent der „Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft“ im Juli in Kisslers „Salon“ von sich geben darf. „Flucht nach Europa“ ist der Essay übertitelt. Der Teaser lautet: „Jerusalem, Brüssel, Minneapolis: Der moralische Imperialismus der Deutschen sorgt für Kopfschütteln. Ist es an der Zeit, nicht länger allein die Vergangenheit zum Kompass für das eigene Handeln zu machen?“

Der „Cicero“-Führungsriege hat Zieners Text offenbar so gut gefallen, dass sie ein Zitat daraus gleich dem ganzen „Salon“-Teil im Blatt vorangestellt hat. Ganzseitig steht dort in weißer Schrift auf rotem Grund: „Kein anderes Land, kein anderes Volk hat sich so wie die Deutschen nach Europa geflüchtet. Weg von seiner Geschichte, weg von sich selbst.“ Das ist, man muss es leider so sagen, radikaler Tobak.

Behauptungen dieser Art findet man zuhauf in der rechten Szene. Üblicherweise werden sie mit dem sogenannten „Schuldkult“ begründet, den Deutschland angeblich als Reaktion auf den Nationalsozialismus und insbesondere den Holocaust pflegt. Wer das Zitat aus Zieners zweiseitigem Text zu Beginn des „Salon“-Teils liest, ist also vorgewarnt. Und tatsächlich: Genau darum geht es dem Autor. Die entsprechende These ist sogar so zentral für den Beitrag, dass der „Cicero“ diese als Zwischenteaser eigens in großer Schrift hervorgehoben hat: „Wir werden unseren Kriegs- und Auschwitz-Komplex nicht lösen, indem wir unsere Lehren daraus europäisieren.“ Ja, das steht dort wirklich. Ziener spricht vom „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“.

„Weil wir nicht unseren Auschwitz-Komplex lösen werden, indem wir unsere Lehren daraus europäisieren“

18 Jahre nach Martin Walsers Rede in der Frankfurter Paulskirche, in der dieser gegen die „Präsentation unserer Schande“ wetterte und von „Moralkeule“ sprach, meint Ziener also, in dieselbe Kerbe hauen zu müssen. Die auf Walsers Rede folgende Empörung, die ausführlichen Debatten dazu in den Feuilletons müssen an Ziener irgendwie vorbeigerauscht sein. Jedenfalls findet sich nichts dazu in seinem „Cicero“-Text. Stattdessen: Behauptungen über Behauptungen. Etwa die über den angeblichen Zusammenhang zwischen „Auschwitz, Realpolitik, Moral und Prinzipien“. „70 Jahre nach Kriegsende“ sei „dieses Deutschsein noch immer etwas zutiefst Singuläres“, „das wir Deutsche gerne europäisch überhöhen“. „Die Deutschen in Brüssel, egal welcher politischer Couleur“ würden „die europäische Idee schlechtreden“, die Rückkehr der „Egoismen der Nationalstaaten“ beklagen und eine Stimmung verbreiten, derzufolge „der Untergang der Europäischen Union unmittelbar (bevorsteht)“ und glauben, zusammen mit „ein paar Getreuen auch noch das europäische Projekt retten (zu müssen).“ Was an der Sorge um die Zukunft der nun einmal tatsächlich immer stärker angefeindeten EU grundsätzlich falsch sein soll, erläutert Ziener nicht. Stattdessen schließt er eine „Begründung“ für das von ihm behauptete übertriebene Verhalten der Deutschen an, die so hanebüchen ist, dass man sie in Gänze zitieren muss:

Warum aber ausgerechnet wir? Weil wir die besseren Europäer sind? Die Wahrheit ist: Kein anderes Land, kein anderes Volk hat sich so wie die Deutschen nach Europa geflüchtet. Weg von seiner Geschichte, weg von seinen Untaten, weg von Auschwitz, weg von sich selbst. Stattdessen: Aufgehen in Europa, eins werden mit Europa, lieber einen europäischen Pass haben als einen Deutschen. Und dabei ganz en passant: Europa deutsch machen. Damit die Flucht nicht so schwer fällt. Damit man sich als Deutscher in Europa schnell zu Hause fühlt.“ Und weiter: „Wir Deutschen sollten damit aufhören, den anderen zu sagen, was zu tun ist, was richtig ist und was falsch. Weil das dann genau jener moralische Imperialismus ist, der uns verhasst sein lässt. Weil wir nicht unseren Auschwitz-Komplex lösen werden, indem wir unsere Lehren daraus europäisieren.“

Diffamierung historischer Verantwortung als „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“

Ziener redet hier einen Antagonismus herbei, den es gar nicht gibt. Die Europäische Union ist das Ergebnis des europäischen Einigungsprojekts, das nach dem Zweiten Weltkrieg gestartet wurde, um sicherzustellen, dass der Nationalismus nie wieder seine hässliche Fratze zeigen und den Frieden gefährden kann. Deutschland trägt hierbei infolge der Greueltaten der Nazis selbstverständlich eine besondere Verantwortung und ist sich dieser auch bewusst. Wer diese Haltung als „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“ bezeichnet, denunziert diejenigen, die sich der deutschen Verantwortung stellen. Es stimmt schlichtweg nicht, dass Deutschland auf der Flucht vor sich selbst ist, wie nicht zuletzt die seit Jahren immer wieder aufkommende Debatte um die „Leitkultur“ zeigt. Überdies pflegen Bund und Länder mit hohem finanziellen Aufwand deutsche Kultur, man denke nur an die selbst in der Provinz nahezu flächendeckende deutsche Museumslandschaft, vor allem an die vielen Heimatmuseen oder an den Denkmalschutz, an Einrichtungen wie die Goethe-Institute oder die „Deutsche Welle“.

Ebenso wenig gibt es einen „deutschen Moralimperialismus“. Diese sprachliche Keule ist nichts anderes als ein plumper Versuch, Haltungen zu diffamieren, die einem selbst nicht passen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte fraglos die europäischen Partner für ihre Flüchtlingspolitik gewinnen, so wie umgekehrt die übrigen Staaten, vor allem die osteuropäischen, ihren restriktiven Ansatz durchsetzen wollten. Am Ende hat Merkel Letztere nicht für ihre Idee gewinnen können. Ein ganz normaler Vorgang. Was bitte soll an Merkels ursprünglichem Überzeugungsversuch „moralisch imperialistisch“ gewesen sein? Den gleichen Vorwurf könnte Ziener Victor Orbán machen, der in der Flüchtlingsfrage ebenfalls auf seiner Vorstellung beharrt und die Ablehnung vor allem muslimischer Flüchtlinge ja nun auch moralisch, nämlich damit begründet, er wolle „ungarische Interessen und die Bevölkerung schützen“. Das wird Ziener aber sicher nicht machen, denn der „Moral“-Vorwurf wird in rechten Texten immer nur gegenüber Haltungen erhoben, die nicht der eigenen entsprechen.

Der „jüdische Freund“ als alibihafte Reinwaschung radikal rechten Denkens

Schlimm genug, dass der „Cicero“ sich für die Verbreitung der radikal rechten These vom „Kriegs- und Auschwitz“-Komplex hergibt. Noch erschütternder ist jedoch, dass dafür ausgerechnet zwei Juden herhalten müssen. Ja, er kommt wirklich in Zieners Text vor, der „jüdische Freund“, auf den man sich im rechten Denkmilieu so gerne alibihaft beruft. Bei Ziener ist es „Josh aus Minneapolis“, „Publizist, Historiker, Buchautor.“ Über diesen weiß der Autor zu berichten: „Jedes Mal, wenn wir miteinander sprechen, redet er mir ins Gewissen. ‚Lasst die Vergangenheit mal ruhen. Vergesst sie nicht, aber macht sie nicht zu eurem alleinigen Kompass. Seid stolz darauf, was Ihr als Deutsche alles erreicht habt“.

Ziener ist beeindruckt: „Ein amerikanischer Jude sagt, wir Deutsche sollten stolz auf uns sein. Und nicht immer an die Vergangenheit denken“. Hat Ziener weitere Juden dazu befragt, ob sie das auch so sehen? Ob sie es gar richtig finden, vom „Kriegs- und Auschwitz“-Komplex zu sprechen? Hat er zum Beispiel den „Zentralrat der Juden in Deutschland“ um eine Stellungnahme gebeten? Im Text jedenfalls genügt, was „Josh aus Minneapolis“ sagt.

Seltsamer Abwehrreflex gegenüber dem Bewusstsein für die historische Schuld der Deutschen

Dieser seltsame Abwehrreflex gegenüber dem Bewusstsein für die historische Schuld der Deutschen ist gewissermaßen die Grund-DNA der Rechten. Dementsprechend reden Leute wie der AfD-Rechtsausleger Björn Höcke verharmlosend von „den zwölf Jahren“. Neuerdings äußert er zudem Folgendes: „Über 70 Jahre haben die Deutschen Mahnmale gebaut. Es ist an der Zeit, endlich wieder Denkmäler zu errichten.“ Die AfD wiederum fordert in ihrem Grundsatzprogramm, „die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“ Der „Cicero“ befindet sich mit Zieners Text also in eindeutiger geistiger Gesellschaft, wobei nicht einmal die AfD so weit geht, vom „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“ der Deutschen zu sprechen.

Pauschale Stimmungsmache gegen Muslime

Mit der Klage über den angeblichen „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“ geht in der rechten Szene regelmäßig die Stimmungsmache gegenüber einer anderen religiösen Minderheit, nämlich den Muslimen einher, getreu dem Motto „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“. Dazu muss bei Ziener, was dem Fass nun wirklich den Boden ausschlägt, ein weiterer Jude herhalten, und zwar ein Pendler, den Ziener in einem Bus in Tel Aviv kennengelernt hat. Diese Zufallsbekanntschaft dient als Instanz, um pauschal gegen Muslime Stimmung zu machen und auch diese Passage muss man in Gänze zitieren, um zu sehen, wie perfide dieses Herauspicken von Statements einzelner Leute ist, um damit die These vom „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“ der Deutschen und dem daraus resultierenden „moralischen Imperialismus“ der Deutschen zu untermauern:

„Dann sagt mein Nachbar, der Avi heißt: ‚Ihr habt viele Flüchtlinge‘. Er schaut nicht unfreundlich. Er schaut interessiert. Ich nicke. ‚Moslems‘ sagt Avi weiter, aber es ist jetzt keine Frage, sondern eine Feststellung. Wieder nicke ich. ‚Ihr werdet keine Freude mit Ihnen haben. Sie werden sich nie integrieren. Schlimmer: Sie wollen, das ihr werdet wie sie.“ Am Ende der Busfahrt sagt Avi dann noch: „Ihr werdet untergehen, nicht schnell, aber langsam.“

„Kriegs- und Auschwitzkomplex“, Instrumentalisierung einzelner Juden zur Relativierung der historischen deutschen Schuld, garniert mit ressentimentgeladener Stimmungsmache gegen Muslime. Mit diesem Gebräu hat der „Cicero“ die Grenze in das radikal rechte Denken nun erneut überschritten. Wer die oft in Talkshowformaten präsenten „Cicero“-Herren Christoph Schwennicke und Alexander Kissler künftig einlädt, sollte sich darüber bewusst sein, dass er sich zwei Journalisten ins Haus holt, die es für nötig hielten, im Zuge der ohnehin rasant fortschreitenden Radikalisierung der bürgerlichen Mitte einen weiteren Tabubruch zu begehen und die These vom „Kriegs- und Auschwitzkomplex“ der Deutschen im Kulturteil ihres Magazins im wahrsten Sinne des Wortes „salon“fähig zu machen.

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19 Gedanken zu “Was im „Cicero“ gesagt werden darf: „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“;”

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    Hallo Frau Bednarz,

    sicherlich macht der Cicero keinen Hehl daraus, dass Merkel abtreten oder nicht mehr wiedergewählt werden sollte. Darf diese Meinung denn noch vertreten werden?

    Wer hat in der Endphase Helmut Kohls, der nur noch als „Birne“ und „der Dicke“ verlacht wurde, gemutmaßt, hier würde eine linkspopulistische Verschwörung im Gange sein?
    Ist Angela Merkel schon derart zur Ikone geworden, dass der – auch hämisch vorgebrachte – Wunsch nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft geradezu als Abkehr vom demokratischen Grundkonsens, ja als Verstoß gegen die Staatsräson gewertet wird? Hat es damit zu tun, dass sie eine Frau ist und dann gouvernantenhaft mehr Anstand gegenüber einer Dame beanspruchen darf?

    Bei dem Mann Helmut Kohl war schlicht die Luft raus. Er hatte viele seiner Wähler und Parteigenossen nicht mehr erreicht und seine politischen Gegner auf die Barikaden getrieben. Sind die deutschen Intellektuellen, also gefühlt mindestens die Hälfte der Bevölkerung, denn nicht zu dem Gedanken fähig, dass es sich bei Merkel ebenso verhält?

    Sie ist ein reiner Sprechapparat geworden, dazu noch ein schlechter. Sie trifft Entscheidungen im Elfenbeinturm der Moral. Sie erklärt öffentlich und mehrfach, keinen Einfluss zu haben auf gravierende Umwälzungen, die sie selbst als epochal und in ihren Dimensionen bedeutsamer als die deutsche Einheit einstuft. Dann schließt sie auf einmal wieder zweifelhafte Abkommen mit einer zur Diktatur mutierenden Türkei, um die Grausamkeiten der Eindämmung des Flüchtlingsstroms nicht selbst begehen zu müssen. Sie maßregelt andere europäische Staaten und lässt gleichwohl die Flüchtlinge auch nicht etwa von der Bundesmarine abholen, damit sie erst gar nicht in die Gummiboote steigen müssen.

    Sie drückt sich in Wahrheit um die Verantwortung. Und viele spüren das.

    Geradezu grotesk hilflos und komisch naiv ist ihr neuerlicher Vorschlag, wir sollten in den Nahen Osten reisen, um die Menschen, die von dort zu uns strömen, besser zu verstehen. Wohin denn dort ganz genau? Marokko wäre noch vertretbar, wenngleich unter Beachtung der regional sehr differenzierten Reisewarnungen auf der Seite des Auswärtigen Amtes. Und sonst? Ins wahabitische Saudi-Arabien? Wenn ja, besser mit oder ohne Frau? In die Retorten-Welt Dubai? In den Nicht-Staat Libyen? In die sich abschottende Türkei? In die abgeschirmten Urlaubsreservate Tunesiens oder Ägyptens? Oder besser gleich nach Syrien oder den Irak?

    Wie kann eine Kanzlerin derartigen Unsinn heraushauen? Wie kann es sein, dass eine gesamte Medienwelt derartige Schlichtheiten und Fehlleistungen einer seit Jahren überschätzten Person durchgehen lässt und sie auch noch darin bestärkt?

    Merkel hätte mit Ihrer einsamen Entscheidung im letzten Sommer in keinem anderen europäischen Land auch nur eine Woche politisch überlebt. Erst recht nicht, nachdem sie sich weigerte, diese zu revidieren.

    Es tut gut, dass es noch eine veröffentlichte Meinung wie den Cicero gibt. Wenn das schon als Rechtspopulismus bezeichnet wird, setzen wir uns immer weiter von unseren europäischen Freunden ab, denen wir zunehmend unheimlich erscheinen. Es sind gerade unsere Nachbarn, deren Länder wir vor 70 Jahren überfallen haben, die uns mahnen endlich diese Komplexe abzulegen. Das hat mit Bagatellisierung der Grauen der deutschen Verbrechen nichts zu tun, auch nicht mit angeblicher Relativierung, die Sie dem Cicero wohl unterstellen. Diese Fakten und unser Bewusstsein für diese Taten können aber nicht Leitlinie einer Politik werden, die sich zunehmend von den europäischen Nachbarn entfernt und den Boden vernünftiger machbarer Politik verlässt. Dann ist es in der Tat erlaubt von einem Komplex zu sprechen.

    Mit freundlichen Grüßen

    René Strucken

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      Mit dem vorhergehenden Kommentar von „AfD-Wähler“, der vom „rechten Widerstand“
      faselt, will ich übrigens nicht in Verbindung gebracht werden. Die (Selbst-) Einteilung von Debattenbeiträgen in das mittlerweile schon paranoide Links-Rechts-Schema lähmt schon seit Jahren den erforderlichen Diskurs in unserem Land.

      René Strucken

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    Ja, Frau Bednarz, da staunen Sie! Rechter Widerstand macht sich breit im Land. Warten Sie mal auf die nächsten Wahlen.

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    Nicht „besessen“, Herr Schweighäuser, die Durchführung des Hooton-Plans ist doch bereits augenfällig im Gange. Sie sind der einzige, der es noch nicht verstanden hat. Ach so, Sie sind ein Linker, dann haben Sie eine Erklärung.

    Die Angelsachsen-Machteliten wollen nunmehr, 72 Jahre nach dem Ende des Zweiten Dreißigjährigen Krieges gegen Deutschland, dessen Zerstörung und Aussaugung, die letzten Reste kassieren – nachdem sie die eigenen Völker schon komplett in den Dutt gewirtschaftet haben 🙂

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    Man sieht nur eines mal wieder: rechts ist richtig, links ist falsch. Ein Blick in die Linguistik macht dies klar, noch bevor man Lyle Rossiter gelesen hat.

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    Sehr geehrte Frau Bednarz, in Ihrem Beitrag suche ich vergeblich nach stichhaltigen Argumenten, statt dessen finde ich nur das krampfhafte Bemühen, dem „Cicero“ das Etikett „rechts“, „neurechts“,“rassistisch“aufzukleben, um – so vermute ich – die Zeitschrift damit politisch hinzurichten. Das ist journalistisch langweilig, moralisch schäbig und politisch gefährlich. Ich bin naturgemäß nicht mit jedem Text und jedem Autor im „Cicero“ einverstanden, aber dieser Zeitschrift gebührt das Verdienst, sich mit Problemen der globalisierten Welt zu stellen, denen sich die Neue (saturierte und herrschaftstragende) Linke verschließt. Die Misere dieser Linken ist doch, dass sie die Probleme der modernen Gesellschaft im ständigen Rückspiegelblick auf Hitler zu lösen versucht und dabei in den rassistischen und völkischen Denkstrukturen verbleibt, die sie ihren Gegnern vorwirft. Diese Linke betreibt im Sinne ihrer eigenen Herrschaftssicherung nolens volens den Aufstieg der extremen Rechten. Man kann ihr dabei auch nicht zugute halten, sie wüsste nicht, was sie tut. Es hat genug gut gemeinte Hinweise und Ratschläge von aufrechten Demokraten gegeben, die dann postwendend wahlweise oder im Verdikt aufsteigend als „Wutbürger“, „Rechte“, „Ja-aber-Nazis“ oder „Nazis“ diffamiert wurden.

  6. avatar

    Sehr geehrte Frau Bednarz,

    meiner Meinung nach haben Sie mit der inhaltlich engagierten Intensität und der puren Quantität Ihres Textes ungewollt und paradoxerweise einen Beleg für die Existenz des Phänomens: „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“ geliefert. Ich werte dies, übrigens, NICHT negativ. Denn natürlich sind „wir“ in weiten Teilen noch immer ein, durch die grauenhafte Schuld unserer Vorfahren, traumatisiertes Volk. Besonders in den Gesellschaftsschichten von Nomenklatura und Intelligenz ist dies zu diagnostizieren. Da sind ein paar diesbezügliche Komplexe mehr als natürlich und nachvollziehbar. Ich habe sie (mit Ihnen zusammen, Frau Bednarz!)doch auch. Wir sollten nur versuchen einen ehrlichen Zugang zu unseren Komplexen und Neurosen zu haben. Erst dann hören sie auf uns in unserem Leben, in unseren politischen Argumenten und Handlungen, zu blockieren. Die Instrumentalisierung des „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“ gegen die sogenannte „Gutmenschen“ bleibt natürlich verwerflich. Auch wenn der Eine oder Andere mit offensichtlichem Helfersyndrom schon dabei ist… sei´s drum… wenn´s für eine Gute Sache ist…

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    Klingt nach einem guten Magazin, das mir bisher irgendwie entgangen ist. Ich vermisse schon seit langem so etwas wie einen deutschen „Spectator“.

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    @Roland Ziegler
    Sie interpretieren den Begriff „Gutmensch“ etwas anders, als es das Volk tut. „Gutmensch“ bedeutet: Naiver Trottel, oder aber, verlogener Heuchler, der seine Kinder auf Privatschulen schickt, weil er zwar lauthals Multi-Kulti propagiert, aber in Wirklichkeit nur in homöopathischen Dosen konsumiert.

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    @ Liane Bednarz

    Eine Ausgabe des „Cicero“ hatte ich zum letzten mal vor neun oder zehn Jahren in der Hand. Einiges Interessante war darin, aber auch vieles, was mich schlicht nicht interessiert, wie z.B. ein Text über Bilder und Gemälde, die „Persönlichkeiten“ aus Politik, Wirtschaft und Kultur bei sich zu Hause hängen haben. Aber ist ja alles Geschmacksache. Umso erstaunter bin ich, dass AfD – und Pegida – Positionen (auf höherer intellektueller Ebene, versteht sich) nun auch in diesem Blatt eine Plattform haben. Ich finde das ok, nur sollten die „Dissidenten“ langsam mal aufhören, von „Mainstreampresse“, „linkem Zeitgeist“ usw. zu faseln. Das hat niemals die Wirklichkeit in der Bundesrepublik getroffen. Und jetzt schon gar nicht mehr.

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    Wer war denn alles zur Cicero party eingeladen und
    liess sich da mal gern wieder als Hauptstadt Promi
    Journalisten und Medien und Politikszene ablichten,
    da waren wenige rechte Politiker zu sehen.
    Frau Bednarz ist scharf und gut in ihren Analysen, Nur sollten sie und andere, die überall nur noch Rechte lesen und sehen, bei der Obergrenzen und Islam und Flüchtlingsdebatte in einer
    pluralen Demokratie mindestens auch anständige Konservative zulassen und zu verstehen versuchen und
    diese genauer von Rechtsradikalen abgrenzen.Zumindest der HInweis auf die mangelnde Religionskritik in der SPD bezogen auf den ISlam im letzten Cicero heft finde ich leider berechtigt,denn
    die liberalen Muslime in Deutchland und Europa haben sich leider schlecht organisiert oder gar nicht und
    viele mischen sich in die Fragen von Koranintepretation und theologische und religionspädagogische Ausbildung von Muslimen hier zu wenig ein, oder werden von talkshows zu wenig eingeladen.Eine offene Gesellschaft braucht Religionskritik gegenüber allen Religionen, die in ihr leben,nicht nur die gegenüber dem Christentum.
    Da hat die linksliberale Kultur und Medienelite einiges versäumt und die frühen Warner vor den Salafisten und dem islamistisch motivierten Terror allein gelassen.Die Kritik an einem reaktionären und gewaltbereiten ISlam sollte man so wenig den Rechen überlassen wie die Konzepte für ein sozialeres Europa

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    @Martin Dammann: Wenn man vom Krieg bedrohten Flüchtlingen ausnahmsweise mal helfen will, nimmt man man „eine im internationalem Vgl. linksradikale Position ein“ und fühlt sich dabei irgendwie „großartig“?

    Vielleicht überlegen Sie einfach noch einmal, es gibt immer eine Chance.

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    @ Roland Ziegler:

    Vielleicht studieren Sie mal die fehlerhaften und lügendurchsetzten Argumente, die Merkel-Fans und Migrationsfanatiker ins Feld geführt haben – dann sollte sich Ihnen eigentlich erschließen, wer hier „fürchterlich ideen- und geistlos“ ist. Alleine schon Ihre gefühlte Großartigkeit in vermeintlich „ethischer“ Hinsicht ist nicht mehr als ein Witz, wenn man mit etwas international-politischem Wissen an die Sache herangeht.

    Sie nehmen eine im internationalem Vgl. linksradikale Position ein und diffamieren jeden, der seinen Verstand einschaltet und aus staatspolitischer und ethischer Vernunft nicht mitmacht, als rechtes „Arschloch“. Das ist wirklich „armselig“.

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    Der Kissler ist ein kluger Kopf und hat Humor. Das kann man von Linken nicht behaupten, die sind immer mit versteinert glotzender Miene auf der Suche nach den „bösen Rechten“.

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