avatar

Ein Gespräch über Böhmermann

In der Causa Böhmermann gibt es meines Erachtens vier mögliche Betrachtungsweisen.
Entweder das Gedicht war eine Beleidigung (1.), oder es war keine Beleidigung (2.).
Wenn es keine Beleidigung war, dann deshalb, weil es eine Belehrung (1.1.) oder eine Satire (1.2.) war. Wenn es eine Beleidigung war, dann hat Erdogan sie entweder verdient (2.1.), oder er hat sie nicht verdient (2.2.), in welchem Falle Böhmermann eine Strafe verdient hätte.


1..1. Die einfachste und primitivste Entschuldigung für das Gedicht lautet: Damit wollte Böhmermann zeigen, wie ein wirkliches Schmähgedicht aussieht, im Gegensatz zum Song in der Sendung „Extra-3“, an dem Erdogan zunächst Anstoß genommen hat. Das Zitieren eines echten Schmähgedichts wäre dann so wenig strafbar wie etwa das Zitieren der Posener Rede Heinrich Himmlers, um die nationalsozialistische Moral – Juden töten und dabei anständig bleiben – zu illustrieren. Das freilich wäre keine Satire, sondern Didaktik. Die Verwechslung von Satire und Didaktik ist zwar eine Krankheit der deutschen Kabarett-Szene, die würde ich aber einem Böhmermann nicht unterstellen.

1.2. Wenn das Gedicht nicht im Rahmen einer volksdidaktischen TV-Unterrichtsstunde vorgetragen wurde, sondern satirisch wirken wollte, dann bleibt die Frage: Wer oder was ist Gegenstand der Satire? 1. Das Schmähgedicht selbst? Die darin zutage tretenden Männlichkeitsvorstellungen und Vorurteile, die sich bei türkischen und deutschen Halbstarken auffällig ähneln? 2. Die Tatsache, dass Erdogan nicht zwischen politischer und persönlicher Kritik unterscheiden kann? 3. Die Tatsache, dass es in Deutschland strafbar ist, solche Beleidigungen öffentlich vorzutragen? Der Artikel 1 Grundgesetz, der festhält, dass die Würde des Menschen unantastbar ist – genauer: die Vorstellung, dass zu dieser Würde auch die Ehre gehört, und dass diese Ehre verletzt wird, wenn mir bestimmt Sexualpraktiken unterstellt werden?

Wenn es darum ging, die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland anzuklagen (3.): Wäre es da nicht sinnvoller gewesen, etwa Horst Seehofer der Ziegenfickerei, Schafleckerei, Mädchenschänderei – und das alles mit stinkendem und kurzem „Gelöt“ – zu bezichtigen und abzuwarten, was passiert?

Was nun Erdogans Empfindlichkeit (2.) angeht: Was ist satirisch dadurch gewonnen, dass ich der beleidigten Leberwurst nachträglich Grund zum Beleidigtsein liefere? Auch hier wäre satirisch allenfalls etwas gewonnen, wenn das Gedicht gleichzeitig etwa  auf die Kanzlerin oder den Bundespräsidenten gemünzt gewesen und die es mit einem Lächeln quittiert hätten: Sehnse, Erdogan, so gehen reife Menschen mit Schmähung um.

Es war also eine Schmähung, eine Beleidigung; aber Erdogan hat sie verdient (2.1,). Das ist die Position meines Freundes und Kollegen Henryk M. Broder: Erdogan hat die Schmähung verdient, weil er selbst gegen die Pressefreiheit vorgeht und auch sonst keine angenehme Gestalt ist. Henryk verstieg sich im Interview mit N24 sogar zur Aussage, er wüsste nicht, wer eine solche Beleidigung mehr verdient hätte. Nun, ich hätte da ein paar Kandidaten aus der unmittelbaren Nähe, zum Beispiel die Herren Assad und Khamenei; aber darauf kommt es nicht an. Worauf es ankommt, ist dies: Wenn dem so ist, wenn Erdogan die Beleidigung verdient hat, weil er ein Arschloch ist (satirisch gesprochen, versteht sich), dann ist die Beleidigung aber auch keine Satire, sondern eben nur eine Beleidigung.

Verdiente Erdogan also diese Beleidigung? Es gibt eine Reihe durchaus ehrenrühriger Vokabeln, über die man im Zusammenhang mit dem türkischen Präsidenten nachdenken könnte, von beleidigter Leberwurst über korrupten Autokraten bis hin zu Terrorunterstützer und Kindermörder. Ich persönlich halte das gegenwärtig von links- und rechtsaußen betriebene Türkei- und Erdogan-Bashing für eine ziemlich widerliche Strategie, die ablenken soll von der Rolle Putins beim Anzetteln von Konflikten in der gesamten Region, zuletzt in Aserbaidschan. Aber ich werde mich deshalb nicht dazu hinreißen lassen, Erdogan als Lichtgestalt zu verteidigen oder die politische Kritik an ihm für illegitim oder gar strafbar hinzustellen. Ich bin aber der Meinung, dass Kritik und gegebenenfalls Beleidigung in einem erkennbaren Zusammenhang stehen sollte mit dem, was der Beleidigte ist oder getan hat. Ich halte Wladimir Putin für einen gefährlichen Autokraten, der über Leichen geht, aber ich würde es dennoch nicht für zulässig erachten, ihn ohne irgendwelche Beweise oder Belege einen impotenten Schwanzlutscher zu nennen, bloß weil ihn das vermutlich schwer treffen würde.

Ob es einem passt oder nicht: Auch Putins Menschenwürde ist zu achten. Auch Erdogans Menschenwürde ist zu achten. Die Freiheit der Presse, der Kunst usw. steht nicht über der Menschenwürde. Dass sie bei uns geschützt wird, gehört zu jenen Werten, auf deren Verteidigung wir zu Recht stolz sind.

Die letzte Verteidigungslinie der Böhmermann-Versteher lautet: gut, dass wir darüber gesprochen haben. Daran allein sehe man schon, wie gelungen die Aktion war. Doch, um Bertolt Brecht zu paraphrasieren: Ein Gespräch über Böhmermann ist fast ein Verbrechen, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt. Schon allein dafür gehört er bestraft. Milde, versteht sich.

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

83 Gedanken zu “Ein Gespräch über Böhmermann;”

  1. avatar

    Nochmal zu „was ja – auch – den Sinn hat, die diplomatischen Beziehungen frei von solchem Quatsch zu halten, den gerade Böhmermann losgetreten hat.“

    Der Quatsch beginnt doch erst mit diesem Gesetz. Niemand hätte etwas dagegen einwenden können, wenn Herr Erdogan einfach nur wegen Beleidigung klagt. Das kann er natürlich, wie jeder andere auch. Zumindest das, was ich hier als Quatsch empfinde, entspringt ausschließlich diesem Gesetz, das erst angewandt und dann abgeschafft wird.

  2. avatar

    Bernd Luckes Kritik ist gerechtfertigt!

    Ich kann Bernd Lucke nur in besonderer Weise beipflichten. Das wahrlich „primitive“ Gedicht von Jan Böhmermann hat mit Satire wirklich überhaupt nichts mehr zu tun. Böhmermann verwechselt offensichtlich hier Satire mit persönlichen Beleidigungen! Das braucht Herr Erdogan, der vor allem wirtschaftlich in der Türkei große Erfolge nachweisen kann, sich nicht bieten zu lassen. Bernd Lucke spricht klare Worte, die man gut nachvollziehen kann. Auch in einer Demokratie bestehen Grenzen, die ethisch definiert sind. Eine freiheitlich demokratische Grundordnung hat die Würde eines jeden Menschen zu achten. Das ist Herrn Böhmermann offensichtlich nicht bewusst. Ich empfehle ihm, einen Nachhilfekurs in Ethik zu besuchen! Vielleicht werden dann so eklatante Fehler vermieden!
    Dr. Dr. Joachim Seeger, Recklinghausen-Nord

  3. avatar

    … ich meine, da nach Art. 3,1 GG vor Gesetz alle Menschen gleich sind, dürfte der 103 StGB nicht gelten. Anders, der 103 StGB ist seit 1949 GG-widrig.

    Bliebe dem Erdolf der 185er StGB. Damit hat die Ex, im Fall B., nix zu tun. Sie stellt ihre Richtlinienkompetenz über das GG. Die Ex gehört gefeuert. Sofort.

  4. avatar

    …ich habs mir grad selber erklären können:

    㤠104a
    Voraussetzungen der Strafverfolgung

    Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war“

    Sie beziehen sich sicherlich auf diesen Paragrafen. Vermutlich könnte in der Türkei entsprechend geklagt werden, wenn eine deutsche „Majestät“ von einem türkischen Staatsbürger beleidigt wird. Ich denke, auf dieses Recht sollten wir verzichten können (die Regierung scheint ähnlicher Ansicht zu sein).

  5. avatar

    Isolierende Betrachtung: …..“Nun können Sie sagen, man dürfe das Gedicht nicht für sich nehmen. Aber da Böhmermann mit einer Rezeption gerechnet haben muss wie jene Broders, ……“(Alan Posner)

    ja und? Fahrlässige Beleidigung gibt es nicht.
    Mit Fehlrezeptionen muss man nicht rechnen. Isoliert hätte das Gedicht eben nicht publiziert, geteilt…. werden sollen, wurde es aber. …Was folgt daraus? Praktisch nichts. Der Beleidigte könnte massenhaft auf Unterlassung der Isolierenden Wiederholung klagen. …. Da hätte er viel zu tun.
    Tja: so ist das mit solchen Klagen. Sie vertiefen, was der Beleidigte verhindern wollte. Was also will der Anwalt vom Kläger? Einschüchtern.
    Keine Sorge. So dumm sind Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht!

    1. avatar

      Aber abgesehen von der Schreibweise meines Nachnamens, liebe Monika Frommel: Da Deutschlands wichtigster Verleger, Mathias Döpfner, und Deutschlands einziger Satiriker von Rang, Heryk M. Broder, das Gedicht falsch verstanden haben, indem beide nämlich darauf verwiesen haben, wie sehr Erdogan diese Beleidigung verdiene, gehe ich davon aus, dass der Kontext nicht ausreichend klar stellte, dass eine Beleidigung Erdogans auf keinen Fall intendiert war. Wohl mit Absicht, da der Kontext der Ärger des Senders und Böhmermanns über eine in der Tat überzogene Reaktion des Präsidenten auf eine zulässige Satire war.

  6. avatar

    ..und vielleicht können Sie mir erklären, inwiefern dieses Gesetz den deutschen Staatspräsidenten oder deutsche Botschaftsleute schützt, wie Sie behaupten? Was bedeutet bei diesem Gesetz „auf Gegenseitigkeit beruhen“?

    Wenn wir ein Gesetz haben zur „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“, dann folgt daraus in dem Fall, dass im Ausland deutsche „Organe und Vertreter“ beleidigt werden – gar nichts.

  7. avatar

    @Alan Posener: Die Regierung hat sich genau das doch gerade gefragt! Warum es ein solches Gesetz gibt. Ob dieses Gesetz deutschen Interessen dient. Und sie ist zu dem Schluss gekommen, dass es das nicht tut und es keine Daseinsberechtigung gibt für dieses Gesetz. Weshalb sie es nun abschaffen will.

    Warum wird dann jemand aufgrund dieses Gesetzes, dessen Anwendung im Ermessen der Regierung steht (! auch ein anachronsitisches Unding) überhaupt noch angeklagt?

    Damit sagt die Regierung doch: „Das Gesetz, aufgrund dessen wir klagen, ist falsch, aber wir klagen trotzdem.“

    Nicht etwa aus einer Zwangslage heraus, dass man sich nicht über das Gesetz stellen will o.ä., wie vernebelnd gesagt wird. In diesem Fall steht die Regierung ja über dem Gesetz, insofern dass sie die Anwendung genehmigen kann oder auch nicht. Und auch wenn man an die Beleidigung persönlich glaubt: Es bestehen begründete Zweifel daran, dass jenes Oberhaupt im Sinne des Gesetzes beleidigt wurde. Und: es wird sich auf dem Weg der Privatklage sowieso klären.

    Da kommt shcon allerhand zusammen. Ich weiß nicht, wieviel es braucht, damit Sie etwas beknackt finden, was eine Regierung tut. Aber ich finde so etwas beknackt.

  8. avatar

    Ich schließe mich den vorstehenden Kommentaren von Alan Posener an und verweise auf diesen sehr aufschlussreichen Artikel aus der „Legal Tribune Online“ zum Schutzzweck von § 103 StGB:

    “ 103 StGB soll Ehrverletzungen ausländischer Staatsoberhäupter abwenden. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass das Staatsoberhaupt seinen Staat verkörpert. Die Strafnorm soll also ausländische Staaten vor Beeinträchtigungen ihrer Handlungsfähigkeit schützen. Der in den vergangenen Tagen allgemein bevorzugten Lesart, der Paragraph sei ein Relikt der Majestätsbeleidigung, zieht das übrigens wohl eher den Zahn. Auch die Behauptung, dass bei Abschaffung des § 103 StGB keine Schutzlücke entstünde, da der Ehrschutz ja über § 185 StGB gewährleistet sei, ignoriert dieses Rechtsgut der Norm.

    Als weiteres Rechtsgut soll diese auch das Interesse Deutschlands an einem Mindestbestand funktionierender Beziehungen zu ausländischen Staaten schützen. Es ist Bedingung der Strafbarkeit, dass die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen zu dem betroffenen Staat unterhält.“

    http://www.lto.de/recht/hinter.....schutzgut/

  9. avatar

    Zu Reichow:
    Satire ist nicht dazu da, um irgendwelche Lösungen zu ermöglichen und schon gar nicht dazu, Politik zu unterstützen. Pädagogische Satire ist langweilig, Betroffenheitssatire (Hagen Reter) peinlich und Reichow ist ein Staatskomiker.
    Beleidigung ist eine Beleidigung und keine Satire und 500000 Euro dafür finde ich aber trotzdem zuviel – obwohl Ihre Idee (@Alan Posener) mit dem crowdfunding und den eingeschüchterten, getretenen türkischen Journalisten als Nutznießer der Strafe hat einen diskreten aber überzeugenden Charme. Bei näherem Hinsehen könnte man diesen auch bei Merkel entdecken: Die Klage wird zugelassen und das diese Zulassung begründende Gesetz wird abgeschafft.
    Ich brauche manchmal etwas länger.

  10. avatar

    @ Alan Posener
    „Einhaltung der Gesetze“

    Auf das Kernargument von dem von mir erwähnten Kollegen T.K. sind Sie nicht eingegangen. Es gibt noch einen Paragraphen, und Erdogan hatte den schon wie einen roten Teppich ausgerollt.
    Das Tragische an der Sache ist doch, dass sie bei Erdogan, der sie ohnehin nicht sonderlich zu respektieren scheint, noch mehr an Respekt einbüßt, indem sie darauf nicht eingegangen ist.
    Darüber hinausgehend wischt er D noch einen aus, wenn er den Anwalt nimmt, der David Irving vertreten hat. Das ist höhnisch und gibt möglicherweise Antisemitismus in türkischen Milieus neuen Auftrieb. Wie kann das Frau M. entgehen? Wie kann sie das unter einen Hut bringen mit ihren Bekenntnissen für Israel, wo sie vor der Knesset reden durfte? Oder sind das Lippenbekenntnisse?
    Israel reagiert ganz anders auf türkische Anmaßung: Z.B. setzen sie dann schon mal den Botschafter der Türkei auf einen winzigen Stuhl. Wir lassen uns zu viel gefallen, bzw. die Kanzlerin. Sie ist Sklavin ihrer Idee und des Euros. Der Respekt aller übrigen Staatschefs scheint ebfs. auf ein Minimum gesunken. Was soll Mr. Hollande sagen zu der Ungarnöffnung mit nachfolgendem Mammutdesaster?
    Putin hatte nie irgendeinen Funken Respekt vor ihr, was er letztlich mit der Dobermann-Szene verewigt hat.
    Apropos Lawine: Da sieht man eine ungeschickte Skifahrerin, die Schneebretter lostritt und selbst von ihnen mitgezogen wird.
    Die Entscheidung war unnötig und schadet ihr. Nur 22 Prozent der Deutschen haben nach einer Umfrage (w-on) Verständnis dafür.
    Es ist jetzt nicht so, dass wir gleich untergehen, schließlich haben wir Bundesländer, und BW, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen funktionieren einigermaßen. Bayern muss die Hauptlast von diesem Flüchtlingschaos tragen und ächzt unter der Last, funktioniert aber dennoch. In Bln, wo die große Einladung stattfand, sieht man wenig davon und reichlich prekäre Verhältnisse schon vor der Krise.
    Man muss das abgehoben nennen, wenn man weder auf andere Staatschefs, noch auf sein eigenes Volk hört, darunter durchaus auch kritische Zuwanderer.
    Der Anwalt:
    http://www.achgut.com/artikel/.....nsam_haben

    Und ein lesenswerter Vergleich mit Pirincci von Maxeiner:
    http://www.achgut.com/artikel/.....n_gruenden

    Und besser kann man es nicht sagen:
    Zu Merkel fällt mir nichts ein, von HMB
    http://achgut.com/artikel/zu_m.....nichts_ein

    Ob ich in den nächsten Tagen noch mal antworten kann, weiß ich nicht, schwer erkältet.

  11. avatar

    „Einhaltung der Gesetze“: Das Problem ist, dass das Gesetz, das hier eingehalten werden soll, im gleichen Atemzug abgeschafft wird! Das ist doch kaum zu fassen. Auch das hätte Herrn Gödel amüsiert. Es geht hier um die „Majestätsbeleidigungsparagrafen“ – beim normalen Beleidigungsparagrafen ist Merkel sowieso nicht zuständig. Aber hier muss sie genehmigen.

    Stellen Sie sich also vor, Sie werden für ein beknacktes Gesetz angeklagt, von dem jeder weiß, sogar die Regierung, dass es beknackt ist. Sagen wir: Weil Sie einen sträflichen Haarschnitt tragen. Es istr eigenltich egal, um was es sich handelt. Die Regierung muss die Anklage genehmigen, damit es zu einem Verfahren kommen kann. Sie kann sie aber auch ablehnen, wenn es Gründe gibt. Sie genehmigt erst, und dann schafft sie das Gesetz ab.

    Gründe, es abzulehnen, gibt es vier: 1. Das Gesetz ist unsinnig, 2. Es ist fraglich, ob Sie überhaupt einen sträflichen Haarschnitt tragen (es gibt entgegenlautende Expertisen angesehender Friseure) 3. Das Gesetz wird ohnehin abgeschafft. 4. Der Kläger, der sich von Ihrer Frisur abgestoßen fühlt, klagt sowieso zusätzlich auf privatrechtlichem Weg. Die Frage wird alsoin jedem Fall geklärt werden.

    Wenn Sie jetzt verurteilt werden würden aufgrund dieses Gesetzes – als Letzter in der Geschichte, denn das Gesetz wurde ja gleich im Anschluss kassiert – würden Sie dann sagen: „Danke, euer Ehren, dass hier noch einmal Recht gesprochen wurde“? – Schiller und Voltaire würden das jedenfalls für ausgesprochenen Blödsinn halten. Hinzu kommt, dass die Regierung ihre Staatsbürger schützen soll, nicht die Majestäten anderer Länder.

    1. avatar

      Lieber Roland Ziegler, es überrascht mich, wie schnell Sie zum Urteil kommen, ein Gesetz sei „beknackt“, ohne dass Sie sich in den vergangenen weißichwievielen Jahren darüber aufgeregt haben. Vielleicht fragt man sich einmal, auch in der Regierung, warum es ein solches Gesetz gibt, und ob es deutschen Interessen dient. Mag sein, man kommt dann zum Ergebnis, das Gesetz sei verzichtbar. Aber ich wäre mir da nicht so sicher; es beruht ja auf Gegenseitigkeit, das heißt schützt auch unsere Diplomaten im Ausland und unseren Staatspräsidenten vor Verunglimpfung, was ja – auch – den Sinn hat, die diplomatischen Beziehungen frei von solchem Quatsch zu halten, den gerade Böhmermann losgetreten hat.

  12. avatar

    „In der Causa Böhmermann gibt es meines Erachtens vier mögliche Betrachtungsweisen.

    Entweder das Gedicht war eine Beleidigung (1.), oder es war keine Beleidigung (2.).“

    Thema verfehlt, setzen, sechs.

    Es geht ausschließlich um die Interpretation des berühmten Paragraphen 103.

    Sinngemäß sagt der Paragraph aus, eine Strafverfolgung findet nur statt, wenn die Bundesregierung die Gründe billigt und letztendlich Strafantrag stellt, denn in einer Gewaltenteilung, kann sie natürlich Ermittlungen nicht genehmigen, sondern nur beantragen.

    Genau dies hat Merkel getan und genau darum ist sie in einer Demokratie wie unserer nicht mehr tragbar. Sie hat für einen Despoten sinngemäß Strafantrag gestellt und unterscheidet sich deshalb nicht von einem Diktator, der in seinem Land Presse- und Meinungsfreiheit unterdrücken lässt.

    1. avatar

      Lieber Herr Fritz, Ihr „Setzen, sechs“, zeigt, wes Geistes Kind Sie sind. Hoffentlich sind Sie nicht auch noch Lehrer. Der Paragraf 103 StGB sagt überhaupt nichts „sinngemäßes“ aus, wie Sie behaupten. Er sagt Folgendes aus:

      § 103
      Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten

      (1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

      (2) Ist die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen, so ist § 200 anzuwenden. Den Antrag auf Bekanntgabe der Verurteilung kann auch der Staatsanwalt stellen.“

      Frau Merkel, zu deren beständigsten Kritikern ich gehöre, hat auch nicht „sinngemäß für einen Despoten Strafantrag gestellt“ und hat auch nicht „die Gründe gebilligt“, was auch immer Sie damit sagen wollten.
      Übrigens:
      http://openjur.de/u/882545.html

  13. avatar

    Lieber Herr Posener,
    ich glaube nach wie vor, dass Sie Böhmermanns Beitrag missverstehen, wenn Sie diesen als Beleidigung Erdoğans bezeichnen. Meines Erachtens hat Ihr Kollege Deniz Yücel vollkommen Recht, wenn er das Ganze als „eine Parodie auf Satire“ bezeichnet (http://www.welt.de/politik/aus.....rmann.html). Wie sehr es Böhmermann darum geht, sich an anderen deutschen Satirikern abzuarbeiten, wird auch aus seinem jüngsten Facebook-Posting deutlich. Darin begründet er seine Fernsehpause u. a. damit, dass es „oberste Priorität haben“ müsse, einen weiteren Song von Didi Hallervorden zu verhindern (http://www.spiegel.de/kultur/t.....87591.html). Aber wie dem auch sei: Es macht vermutlich keinen Sinn, sich darüber noch länger zu streiten. Der Drops ist ja sowieso gelutscht und jetzt haben die Gerichte über alles Weitere zu entscheiden. Allerdings wird der Fall vermutlich so lange durch alle Instanzen verhandelt, dass der Paragraph 103 StGB noch vor Verkündung des letzten Urteils abgeschafft ist. Aus meiner Sicht kann dann keine Verurteilung erfolgen.

    1. avatar

      Lieber LF, wenn ich Böhmermanns Gedicht falsch verstanden habe, dann haben das ja auch Henryk Broder, Mathias Döpfner und andere von mir bewunderte Publizisten getan, die verdeutlicht haben, wie sehr Erdogan es verdient habe, beleidigt zu werden. Sie können ja auch viele Kommentare hier lesen, die in die gleiche Richtung gehen.
      Auch das Verwaltungsgericht Berlin scheint zu glauben, das Gedicht sei, für sich genommen, beleidigend:
      http://openjur.de/u/882545.html
      Nun können Sie sagen, man dürfe das Gedicht nicht für sich nehmen. Aber da Böhmermann mit einer Rezeption gerechnet habenmuss wie jene Broders, Döpfners oder der Demonstranten vor der türkischen Botschaft, muss er dafür auch geradestehen. Sein anliegen, weitere Songs von Didi Hallervordern zu verhindern, unterstütze ich voll und ganz. Aber auch damit hätte er rechnen müssen.

  14. avatar

    Aus Spon:
    „Es gibt einen Unterschied zwischen Politikern und Sachbearbeitern. Ein Sachbearbeiter hat sich an die Normen zu halten und Sachverhalte entsprechend zu subsumieren. Da wird dann eben die Strafverfolgung ermöglicht, wenn es einen Antrag gibt.

    Politik aber hat den Anspruch, zu gestalten! Manche Politiker wollen sogar die Welt verändern, auch wenn das vielleicht ein etwas zu hohes Ziel ist. Unsere Bundesregierung verwaltet, was um sie herum geschieht. Von Gestalten, Einstehen für Werte keine Spur. Das ist gefährlich, wenn der Eindruck entsteht, Freiheit sei schwach.

    Es ist ja auch nicht so, dass das Verhalten der Bundesregierung in der Causa Böhmermann ein Ausrutscher wäre. Erschreckend war auch das Verhalten im Falle Raif Badawi. Der saudi-arabische Blogger wurde wegen freier Meinungsäußerung zu 1000 Peitschenhieben verurteilt und sitzt seit seiner ersten öffentlichen Auspeitschung im Januar 2015 im saudischen Knast zum Teil in Isolationshaft. Für die Bundesregierung war der Fall lästig, weil auch hierzulande sich viele für Badawi eingesetzt haben, sie aber vor allem gute Geschäfte mit den Ölscheichs machen wollte.

    Wenn jetzt Kanzlerin und Union in jedem Halbsatz betonen, sie stehen zu den Grundrechten in Deutschland, ist das nur lächerlich: Das ist doch wohl das Mindeste! Wenn man so eine Selbstverständlichkeit überhaupt aussprechen muss, wird klar: Hier läuft was schief.“
    http://www.spiegel.de/politik/.....87573.html

  15. avatar

    @ Alan Posener
    Anzeige weswegen? Das ist nicht Broders Ding, es sei denn, es ginge um Antisemitismus.
    Ansonsten ist er geschmacklich doch breiter (und toleranter) angelegt. Dass er sich beschwerte, hat mit politischem Kapital zu tun.
    Wer schlägt jetzt aus dieser Sache Kapital? Die Türkei nicht. Merkel nicht. Vielleicht die Satire.
    Ihr Kollege Krauel schrieb, Merkel hätte so nicht handeln müssen, denn Erdogan habe ihr vorher eine „Brücke gebaut“ mit der frühzeitigen Privatklage.
    Die Satire wird kaum schwinden. Sie wird feiner, genauer, hinterhältiger werden, hoffe ich. So war sie in Zeiten, als man für Satire und Majestätsbeleidigung verbannt werden konnte. Schiller war bekanntlich kurz vor dem Kerker und floh nach Mannheim.
    Sind Sie jetzt für Schiller oder den damaligen prassenden Adel, der machte, was er wollte, von Baden-Württemberg?
    Sind Sie für Voltaire oder für die korrupte Connection zwischen König und Kirche, die Voltaire zeitweise in die Bastille brachte?
    Sie können eigentlich nicht für Voltaire und Schiller sein, gleichzeitig aber gegen Böhmermann. Stil darf hier keine Rolle spielen. Auch damals waren die Regenten beleidigt, selbst wenn sich die Attacken oberhalb der Wäsche abspielten.
    Da, wie Krauel schreibt, eine Brücke gebaut wurde, ist Merkels Entscheidung falsch: Der deutsche Staat gegen einen Komiker. Dahin sind wir gekommen. Und alle Lippenbekenntnisse, kuschelnd an Hollande, für Charlie Hebdo, sind damit Makulatur. So Makulatur wie einstige Entscheidungen für Atomkraft, die, weil es gerade so passt, umgeworfen werden. Alles Makulatur für Machterhalt um jeden Preis und um nicht zugeben zu müssen, dass man/frau Fehler gemacht hat.

    1. avatar

      Lieber Oleander, weil ich für Voltaire und Schiller bin, und, was wichtiger ist, für Salman Rushdie, bin ich gegen Böhmermann. Und dass wer für die Einhaltung der Gesetze plädiert, plötzlich auf der Seite der Mörder der Charlie-Hebdo-Redaktion stehen soll, das ist wohl ein schlechter Witz.

  16. avatar

    -„Das Machwerk des Herrn B. ist eine plumpe, widerliche, absichtsvolle Beleidigung des Staatsoberhauptes eines befreundeten Landes. Für vorsätzliche Beleidigung kann nicht der Schutz der Meinungsfreiheit beansprucht werden. Die Bundesregierung hat richtig entschieden, es den unabhängigen deutschen Gerichten zu überlassen, welche rechtlichen Konsequenzen auf Grund dieses Vorganges zu ziehen sind.“-

    Das sagt Otto Schily zum Fall Böhmermann.
    Jetzt hoffe ich, dass jemand den linken „Satiriker“ Lars Reichow anzeigt, weil er den polnischen Präsidenten auf ebenso widerliche Weise beleidigt hat. Im Publikum saß übrigens der ZDF-Chef Bellut und hat sich darüber kaputtgelacht. Herr Posener, Sie sind doch ein Mann mit Einfluß, kontaktieren Sie doch mal den polnischen Botschafter.

    1. avatar

      Lieber Herr Weller, Schily hat Recht. Und Broder hatte Recht, als er sich über Reichow damals beschwerte. Er hätte Anzeige erstatten sollen.

  17. avatar

    … tja, Freunde, die EX kartätscht das eigene Volk darnieder. Jetze dürfte sich selbst Abu Bakr al-Baghdadi ermutigt fühlen, die ‚BRD‘ mit Klagen zu bombardieren.

    Es fällt ihr nicht leicht: ‚Die Bundesregierung wird die Ermächtigung erteilen‘. Wat für eine jämmerliche Figur – die Ex.

    Ich glaub‘ mein Hamster bohnert.

  18. avatar

    Nochmal Posener/Stein:

    Beim Sexualbereich, der Intimsphäre, hört der Spaß auf und endet auch die Freiheit des Satirikers und Karikaturisten. Ist die Sexualität betroffen, hat das Gericht, das gegenüber der Meinungsfreiheit sonst so großzügig und verständnisvoll ist, kein Verständnis mehr für Satiriker und Karikaturisten. Und sexuell ist Böhmermanns Gedicht allemal, es ist vor allem sexuell. Also ist das Gedicht aus diesem Grund rechtlich durchaus problematisch. Wenigstens hierzulande.

    -Wir sollten von den Vereinigten Staaten lernen-

    Unproblematisch wäre es demgegenüber in den Vereinigten Staaten. Der Supreme Court gibt hier dem First Amendment, das die Meinungsfreiheit gewährleistet, Vorrang vor dem Ehrenschutz. Im Fall Jerry Falwell gegen Larry Flint ging es um eine sexuelle Parodie im „Hustler“-Magazin über den Fernsehprediger Falwell. Flynt lässt Falwell fiktiv „sein erstes Mal“ in einem inzestuösen Stelldichein mit seiner Mutter in einem outdoor-house schildern. Falwell habe diese an Geschmacklosigkeit kaum zu überbietende inzestuöse Anspielung als „public figure“ hinzunehmen, denn die Meinungsfreiheit brauche „breathing space“, urteilte das Gericht. Hier offenbart sich ein weit großzügigeres Verständnis der Meinungsfreiheit, das ihr noch größere Freiräume im Bereich von politischer Karikatur und Satire belässt.
    http://www.faz.net/aktuell/pol.....79877.html

  19. avatar

    Posener/Stein

    Hier ist der Punkt, und nebenbei, solche Debatten gibt es fast nur auf amerikanischem Boden, hier Canada:

    I think that was the moment those of the audience who did change their minds got it… A civilized culture, which takes centuries of painstaking collaborative work to create, can be easily destroyed, and quickly. This is a reality conservatives understand, but liberals, consumed by guilt for past collective sins, and morally disarmed before the Other, choose to ignore. The Munk debate illuminated this important distinction, and for a change, realism won.
    ……
    „Mark commanded our area the moment he shamed the libs over chuckling about the ongoing rape situation in Europe. From that exchange on, the libs in our pod listened and listened hard. It is almost irrelevant if they changed their vote, or voted at all, because their eyes said it all. They no longer clapped quite as loudly and stopped making cracks about what Mark and Nigel were saying.“
    http://www.steynonline.com/750.....truck-back

    Die andere Seite, hier auf amerikanischem Boden:
    As for Erdogan, you might expect such a long-serving leader to have a thicker skin. Surely he can find some corner of his thousand-room, $350m palace to cry in? (Of course, once you start to live like a caliph, you start to expect to be treated like one everywhere you go. Erdogan’s bodyguards roughed up protesters and journalists in Washington, D.C. during his visit last month.)http://www.the-american-interest.com/2016/04/08/germany-bows-to-the-caliph/

    Obama fand deutliche Worte dazu.
    In den US kann man faktisch mehr sagen. Deswegen lebt Steyn dort, der in „liberal“ Canada einen Prozess hatte. „Liberal“ – schade – riecht heute nach Biedermann.
    Anderer Punkt: Wenn einer was sagt, und dann wird gleich er wie seine gesamte Familie bedroht, hat man einen Hinweis darauf, warum in der islamischen Welt ständig Zoff ist. Das Verbale, auch Satire, ist wichtig zum Verhandeln von Positionen. Hier in D nehmen sich mal welche die Stangen aus den Bettgestellen und schlagen aufeinander los. DAS ist Unkultur. Der verbale Auseinandersetzungsprozess muss gelernt werden, inklusive Satire. Andernfalls besteht Gefahr, dass eines hässlichen Tages Heine oder Voltaire verboten werden. In Nahost ging das so lange, bis man Bücher nur noch in Israel finden konnte.

  20. avatar

    From a logical point of view, Herr Posener: Sie haben das Gedicht in Ihrem vorherigen Beitrag ja selber wiederaufgeführt! Verbotenerweise, wie Sie sagen. Sie haben es nicht ausschnittsweise, sondern komplett zitiert und sogar die Rahmenbedingungen erläutert.

    Es wird zwar aus dem Kontext ersichtlich, dass Sie Erdogan nicht beleidigen wollten. Aber eben NUR aus dem Kontext.

    Wir Böhmermannversteher verstehen Böhmermann so, dass auch er das Gedicht innerhalb eines Kontextes zitiert. Wieso dürfen Sie, was er nicht darf? Oder dürfen Sie auch nicht und sollten belangt werden?

    Und ist der Zweck der Böhmermann-Performance wirklich und ausschließlich der, Erdogan zu beleidigen? Glauben Sie das wirklich?

    Wenn Sie da nicht ganz sicher sind, sollten Sie erkennen können, dass Ihre Argumentation in desto ärgere Schwierigkeiten kommt, je stärker Ihre Zweifel werden. Nicht am Beleidigungszweck, sondern an der Ausschließlichkeit dieses Zwecks. Denn wenn die Beleidigung zu einem höheren Zweck erfolgte, ist sie nicht strafbar.

  21. avatar

    @Alan Posener

    Gerne doch.

    http://m.youtube.com/watch?v=IFJot4tiwcg

    @Frau Frommel, Alan Posener

    Was hat „Konkret“ mit „Titanic“ oder „Charlie Hebdo“ zu tun? Haben Sie in den letzten 20 Jahren mal ein Heft in der Hand gehabt? Gesellschaftskritik von „ganz links“, ja. Vielfach fragwürdig, ja. Aber ein „Sudelblatt“?

  22. avatar

    Es geht um Macht.
    Man kann es drehen und wenden, eine Beleidigung war es so oder so.
    Nur, schon komisch, ich will ja gedanklich nicht größenwahnsinnig werden, aber als Erdogan hätte ich mich nicht angesprochen gefühlt. Ein kleiner Satiretrottel schreibt ein Gedicht, kümmert wen?
    Erdogan hat Ehre? Hier: http://www.wirtschaftswurm.net.....rdogan.jpg Nur eine kleine deutsche Fahne auf dem Tisch? Und dieser Kameltreiber fühlt sich beleidigt?
    Wieso fehlt die große deutsche Fahne hinter Merkels Halbmondstuhl?
    Erdogan hat die Justiz eingeschaltet, damit allerdings auch etwas bewiesen. So groß ist der Kerl nicht. Er möchte es nur sein…

  23. avatar

    Wenn wir das Leben von Flüchtlingen verbessern könnten, unsere Kommunen entlasten könnten, eine europäische Ordnung wiederherstellen könnten und dafür nur zulassen müssten, dass Erdogans Anwälte sich auf Juristendeutsch ein „pisst euch nicht an“ abholen, dann wäre ich von der deutschen Regierung furchtbar enttäuscht, wenn sie das verhindert. Erdogan legt Wert auf seine Ehre, wir legen Wert auf Ergebnisse. Deswegen haben wir einen funktionierenden Rechtsstaat und er Journalisten im Knast. Da besteht ein Zusammenhang. Für Fragen der Ehre haben wir Didi Hallervorden und Broder, die machen das schon ganz gut. Von der Regierung erwarte ich Menschenleben zu retten und wenn sie dafür „Şıkıdım“ mit Mercedes-Schlüsseln klimpern muss, naja, inşallah, hätten sie halt Publizisten werden sollen. Wir verlangen von Merkel nicht die Verteidigung der Redefreiheit, wir verlangen, dass sie Flüchtlinge in Ägäis absaufen lässt. Um es einem Typen zu zeigen, dem schon hunderte toter Landsleute scheißegal sind. Ist das Westen, sind wir so?

  24. avatar

    …dort könnte man es gut für eine Bebilderung des Kontextualismus von Quine herhalten, scheint mir. Wie dem auch so: Man sieht, das Potential dieses Gedichts ist hoch, weit höher, als es eine zu bestrafende Beleidigung je sein könnte. Sprechen wir Böhmermann also frei.

  25. avatar

    Man könnte über viele Sachen gerichtlich entscheiden, das meiste ignorieren wir einfach. Und auch diesen Fall hier hätten wir bestimmt ignoriert, selbst das Schäumen aus Ankara wäre eine Fußnote geblieben. Aber der „Fall Böhmermann“ soll als Einleitung für den Fall Merkels dienen, Christoph Giesa hat ja eine schöne Argumentationskette aufgebaut. Dazu gehört auch die Meinung, man würde sich durch Verträge mit der Türkei abhängig machen. Kein Thema, die Abkommen mit sämtlichen Diktatoren des Morgenlandes in den letzten 50Jahren, kein Thema über das Abkommen mit Gaddafi, die Energielieferungen mit Russland, dem Konsumgüterimport mit China, dem Öl der Saudis, alles Wurst. Jeder Vertrag, der auf gegenseitigen Erwartungen beruht, bedeutet Abhängigkeit. Sparkasse lässt grüßen. Aber gerade jetzt sollen Abhängigkeiten zum Tragen kommen und nicht auszuhalten sein, quel malheur. Das ist doch durchschaubar: Diejenigen, die Merkel ablehnen oder die wegen der Flüchtlinge die Hosen voll haben und das Merkel nicht verzeihen können, springen auf den fahrenden Empörungszug auf und machen ihrem Unbehagen Luft. Flüchtlinge ja, aber nicht so viele, zumindest ohne Handy. Mit den anderen Europäern, die wenn, sie nicht wollen, im Namen der Solidarität sanktioniert werden. Natürlich ohne Türkei, weil Muselgrusel, aber mit Verhandlungen mit Assad, weil seine Frau kein Kopftuch trägt. Wallah! Dagegen wirkt Mutti diesmal wirklich erwachsen.
    Vielleicht sollten wir Böhmermann mal das machen lassen, was er gut kann: den Fernsehkasper. Und wenn Erdogan klagen will, soll er doch. Who the fuck ist Erdogan? Und zum Klagen sind Gerichte ja da. Es gibt wohl einen hohen Bedarf an Tritratrullala in den deutschen Medien, kann ich verstehen, der ganze Existenzstress mit Google, sinkende Auflagen, präkeres Journalistenleben. Und immer ernst sein, ist ja auch nix, so verstehe ich auch Dieckmann, warum nicht mal journalistischen Karneval und witzisch war es ja auch.
    Aber wir sollten, wenn wir bisschen mündige Bürger sein wollen, aus dem Stuss keine Politik ableiten

  26. avatar

    „Wenn Erdogan nicht zahlen will, würde ich das ganze wegen geringer Schuld nach § 153 StPO einstellen.“

    Nun, das wäre allerdings die gleiche Rechtsbeugung, wie die Böhmermann aus Staatsraison besonders hart zu bestrafen. Das ist dann kein Rechtsstaat mehr.
    Und:
    500000 Euro für eine Beleidigung hier – Fußtritte für bereits am Boden liegende Demonstranten in der Türkei.
    Solche ‚Imperien‘ lassen sich allerdings – hier wie dort – nur durch Gewalt, drastische Strafen und hohe Mauern erhalten. Europa schützt sich bis zur Unkenntlichkeit.

  27. avatar

    und wir reden über Kunstfreiheit.
    Ob uns das, was sich als Kunst ausgibt, gefällt, spielt keine Rolle. Selbst ob wir es dafür halten, ist egal. Es gilt seit Jahrzehnten ein formaler Kunstbegriff. Und der türkische Präsident E. hat nun einmal die Presse- und Kunstfreiheit als erster zum Thema gemacht, und zwar in seinem Machtinteresse!. Also muss er sich gefallen lassen, dass auf dieser Bühne scharf geantwortet wird.
    Da muss sich dann auch die Politik, der das natürlich nicht gefällt, heraus halten. Der jeweils zuständige Justizminister (es sind ja zwei Verfahren) darf in dieser Frage die StA nicht anweisen, dies oder jenes zu tun.
    Das ist eine grundlegende Frage, die nicht verhandelbar ist.
    Dafür müssen wir eintreten. Die Geschmacksfragen sind völlig sekundär!

  28. avatar

    Außerdem hoffe ich, dass das Gedicht Eingang in die Logikbücher findet und dort regelmäßig zitiert wird. Das wäre endlich die fällige Renovierung jenes ollen Kreters, der immer nur sagt, alle Kreter würden lügen, was ich übrigens sehr beleidigend finde.

  29. avatar

    @Alan Posener: Wenn man die Frage exakt so versteht, wie sie formuliert wurde – ob man das Gedicht aufsagen darf – haben Sie recht, dann lautet die Antwort „Nein“. Dieses Gedicht darf man nicht aufsagen. Darauf weist Böhhmermann uns und Erdogan ja ausdrücklich hin.

    Versteht man das „Gedicht“ aber als Teil eines ganzen Komplexes, den man wiederaufführen will, wird es interessant. Darf man diesen Komplex mit dem Gedicht als Bestandteil unverändert wiederholen?

    Eigentlich hat man, nachdem es einmal aufgeführt worden ist, eine Lösung für Erdogans Problem: was es heißt, Erdogan zu beleidigen. Erdogan wusste das vorher nicht, wie er unter Beweis gestellt hat. Nun aber müsste er es wissen.

    D.h. nun haben sich die Rahmenbedingungen geändert, nun ist dieser Grund – das Erdogan keinen Schimmer davon hat, was eine Beleidigung Erdogans ist – nicht mehr gegeben. Zumindest nicht unverändert. Dass er eine Beleidigungsklage eingereicht hat, zeigt, dass er zumindest kapiert hat, dass er durch dieses Gedicht beleidigt wurde. Da sist zumindest was. Es fehlt allerdings noch die Einsicht, dass er durch andere Statements, für die er andere im Knast sitzen lässt, NICHT beleidigt wird.

    Man könnte es auch so verstehen, dass Erdogan durch seine Beleidigungsklage zeigt, dass er es nicht verstanden hat. Dann müsste man nachlegen und wahrscheinlich das Beispiel verändern, ggf. zu anderen Formen echter Beleidigung greifen und Kontraste zu den Beleidigungen schaffen, für die seine Kritiker einsitzen.

    Dieses Beispiel hat wohl nicht zum gewünschten Erfolg – einem besseren Verständnis Erdogans, was Beleidigungen Erdogans wirklich sind – geführt. Ich neige deshalb ebenfalls zu der Ansicht, dass man auch den Gesamtkomplex nicht unverändert noch einmal aufführen darf. Zumal man ja bei Bedarf nun einfach darauf verweisen („referenzieren“) kann, was vorher nicht möglich war.

    Insofern hätte Böhmermann besser die Unterlassungserklärung abgegeben. Allerdings – solange er das nicht noch einmal „performt“, müsste trotzdem alles in Butter sein.

    Hoffe ich.

  30. avatar

    „Ob es einem passt oder nicht: Auch Putins Menschenwürde ist zu achten. Auch Erdogans Menschenwürde ist zu achten. Die Freiheit der Presse, der Kunst usw. steht nicht über der Menschenwürde. Dass sie bei uns geschützt wird, gehört zu jenen Werten, auf deren Verteidigung wir zu Recht stolz sind.“
    —–
    Gegenrede: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe von Gerichten sei, die Würde von Menschen zu achten. Die Aufgabe von Gerichten ist es, das Eigentum, das Recht auf Leben und das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu verteidigen. Um ihre Würde müssen die Leute sich selber kümmern, ohne den Beistand der Behörden. Bei Euch, also in Deutschland, redet das Grundgesetz von der Menschenwürde. Bei uns — dh in den Vereinigten Staaten — ist weder in der Unabhängigkeitserklärung noch in der Verfassung von Würde die Rede. (Dabei wäre eine entsprechende Formulierung durchaus denkbar: „life, liberty and dignity“ statt „life, liberty and the pursuit of happiness“.) Das First Amendment stellt klar, dass der Kongress keine Gesetze beschliessen darf, die die Redefreiheit einschränken. Dieser erste Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung ist seit fünfzig Jahren immer weiter ausgelegt worden — siehe „Brandenburg v. Ohio“, siehe „New York Times v. Sullivan“. Darum gibt es bei uns keine „hate speech laws“, die etwa Rassismus verbieten würden: sie wären verfassungswidrig. (Universitäten können intro muros Regelungen gegen „hate speech“ verabschieden, d.h. sie können Studenten relegieren, die gegen diese Sprachregelungen verstossen; juristische Konsequenzen hat das nicht.) Es handelt sich hier um einen amerikanischen Sonderweg: Die Briten etwa haben sehr strikte „libel laws“. Wir Amerikaner aber sind auf unsere spezielle Freiheitstradition sehr stolz. Sollten wir es Deiner Meinung nach nicht sein? Ist die amerikanische Verfassung weniger wert als das Grundgesetz, weil bei uns die Menschenwürde nicht vorkommt?

  31. avatar

    Hieran hätte übrigens selbst Kurt Gödel seine Freude:

    „Im Zentrum steht dabei die paradox wirkende Frage, ob Böhmermanns Erklärung, sein nachfolgendes Gedicht sei Schmähkritik und dürfe nicht öffentlich vorgetragen werden, dazu führt, dass es gerade deshalb doch keine Schmähkritik ist und öffentlich vorgetragen werden darf.“

    http://www.zeit.de/gesellschaf.....ng/seite-2

  32. avatar

    Ich bin für die Einstellung des Verfahrens gegen eine Zahlung in Höhe von 5.000,– Euro an Reporter ohne Grenzen, unter der Bedingung, dass Erdogan aus seiner eigenen Tasche das 100-fache jeweils an Amnesty und Reporter ohne Grenzen zahlt.

    Wenn Erdogan nicht zahlen will, würde ich das ganze wegen geringer Schuld nach § 153 StPO einstellen.

  33. avatar

    @Alan Posener

    Einspruch! Es gibt gutes, intelligentes deutsches Kabarett: Kennen Sie Schramm oder Pispers? Das hat mit Haltung zu tun. Böhmermann unterstelle ich, ähnlich wie LF, die Absicht, nur irgendwie „im Gespräch“ zu sein.

    1. avatar

      Lieber Stefan Trute, danke für die Hinweise auf gutes Kabarett. Haben Sie auch Links, ode rmuss ich hingehen?

  34. avatar

    Naja, es gibt einen Unterschied zwischen Böhmermann kritisieren und 500000 Euro Strafe. Schlecht kann man das selbstverständlich finden. Die Gründe dafür liegen direkt auf der Hand, die hat der Herr Böhmermann einem direkt und bewusst draufgelegt.

    Aber eine Strafe, auch noch in dieser Höhe, könnte ärmere Künstler, die das nicht mal eben auftreiben können, einschüchtern. Das sollte aber nicht sein. Im Zweifel also für die Kunstfreiheit und gegen die Beleidigung. Die anhaltende Diskussion zeigt doch, dass zumindest begründete Zweifel angebracht sind, ob das wirklich als gewöhnliche Beleidigung gemeint war oder nicht vielleicht doch einen höhreren Zweck verfolgt hat. Auch wenn man denn nicht gleich erkennen kann oder erkennen will. Und die Nena-Parodie ist im Vergleich total langweilig und unlustig (und der ausgelaugte Song wird durch den neuen Text auch nicht besser).

  35. avatar

    Zu Posner:
    dieses Dilemma, lieber Alan Posener, ist selbstverschuldet. Charlie-Hebdo hatte in etwa das Niveau von B.’s Scherzen. Die Rechtsfragen sind dieselben und auch politisch kann ich nicht verstehen, wieso es schwer fällt, sich mit der Freiheit der Satire zu solidarisieren? Auch Konkret war nie besser, von Titanic ganz zu schweigen. Satire ist oft geschmacklos, scheint dazu zu gehören! Wieso also ausgerechnet darauf reagieren?

    1. avatar

      Liebe Monika Frommel: Ich mochte Charlie Hebdo nie. Deshalb war ich doch nicht dafür, die Leute zu töten. Konkret war immer schon ein Sudelblatt. Titanic – ich mag die „Briefe an unsere Leser“. Aber wir reden hier nicht über Geschmack. Wir reden über Beleidigung.

  36. avatar

    Wie immer streiten sich Juristen, sonst würde E. ja auch keinen Anwalt finden, der ihn vertritt. Wie ich votiert der Kollege aus Göttingen:
    http://verfassungsblog.de/erla.....ehmermann/
    Die Gegenansicht hat Zweifel und muss sich am Ende auf ein Urteil aus dem Jahre 1985 in einer causa F J Strauß stützen (ebenfalls ein sehr schwieriger Fall).

    Wir alle lernen also dazu und entwickeln uns weiter – wie schön!

  37. avatar

    Sehr geehrter Herr Posener,
    ich sehe Sie keineswegs als Spießer und gucke gelegentlich selbst extra 3 (auch wenn mir das Publikum in seinen Reaktionen meist ziemlich unsympathisch ist und ich dann oft in Zweifel gerate, ob ich denn auch dazugehöre ;-)). Die Musikparodien sind gar nicht mein Ding, da ich die zugrundeliegenden Songs meist ausgelutscht finde, aber das ist natürlich Geschmacksache. Was ich sagen wollte, war nicht: Böhmermann ist cool; Christian Ehring und Co. sind altes Eisen. Sondern: Böhmermann hat eine andere Zielgruppe (hauptsächlich junge Hipster), bei der er versucht, durch möglichst provokative, peppige Beiträge zu landen, um ihr das Gefühl zu geben, hipper als alle anderen zu sein (und weg sind meine Selbstzweifel ;-)). Das ist reine Aufmerksamkeitsökonomie und hat nicht das Geringste damit zu tun, politische Inhalte rüberbringen zu wollen. Unterhaltsam ist das Ganze aber trotzdem (oder gerade deswegen). Auf Dauer gehen mir das immergleiche Schema und der belehrende Grundton von ‚Politsatire‘-Sendungen wie extra 3 und der heute show nämlich ziemlich auf den Keks. Zumal sich die Macher dieser Sendungen oft selbst genug Mist leisten, über den man nörgeln könnte (man denke etwa an diesen gräuslich rassistischen Beitrag über Philipp Rösler: https://www.youtube.com/watch?v=ix5tXOTQ3pw).
    Böhmermann leistet sich mindestens genauso viele grenzwertige Kommentare, kommt aber wenigstens ohne diesen platten, moralinsauren Beigeschmack aus. Er ist bei so ziemlich allem was er macht wesentlich frischer, subtiler und schwerer zu durchschauen. Das macht seine Sendung einfach spannend und dadurch sticht er andere Formate in ihrem Unterhaltungswert aus. Nichts anderes will der Mann meines Erachtens bezwecken (GERADE mit diesem Beitrag). Dass ihm jetzt ausgerechnet solch ausrangierte Politsatire-Witzbolde wie Didi Israelhasser (https://www.youtube.com/watch?v=emS66UBx7bs) – entschuldigung: Hallervorden – zur Seite springen, zeigt nur, wie krass das Ganze missverstanden wurde und wird. Sowohl die ‚Satire‘ hochhaltenden Böhmermann-Verteidiger als auch seine ‚Menschenwürde‘ respektierenden Gegner blähen den Beitrag dermaßen unverhältnismäßig auf, dass niemand mehr glauben kann, dass das Ganze einfach nur ein ‚dummer Witz‘ war.

    1. avatar

      Ja, LF, so ähnlich sehe ich das auch. Ich kann das deutsche Kabarett auch nicht leiden und habe mal auch einen Beitrag in der WamS darüber geschrieben, recherchiert unter grausigen Bedingungen (nämlich in der Distel, den Wühlmäusen usw.). Ja, man ist hip und cool, weil man den Gestus von „Not the Nine O’Clock News“ getroffen zu haben meint – trifft aber für gewöhnlich allenfalls den schenkelklopfenden Ton der Altvorderen. Tragisch.

  38. avatar

    Die ‚westliche‘ Gesellschaftsform sieht sich also aufgefordert, zu demonstrieren, wie sie ihre Moral definiert bzw. durchsetzt und damit den Einzelnen zu schützen weiß. Ein öffentlicher Klärungsprozess. Nichts dramatisches eigentlich.
    Böhmermann soll 50 € an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen.

    1. avatar

      Lieber Klaus J. Nick, angesichts der infrage stehenden Einkommensverhältnisse hielte ich 50,000 oder 500.000 Euro für angebrachter. Die kann Böhmermann per Crowdfunding in 5 Minuten einnehmen. Zu zahlen an Amnesty International zum Beispiel für die Betreuung politischer Gefangener in der Türkei. Um klarzustellen, dass die Freiheit, andere Leute öffentlich als Kinderschänder und Tierficker zu bezeichnen, eben nicht zu den Werten gehört, die wir gegen den Islam verteidigen; und dass bei uns alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, auch Politiker, gegen die gerade eine Hasskampagne läuft.

  39. avatar

    Bei der Rezeption von Böhmermanns sexuellen Orientphantasien liege ich wohl mentalitätsmäßig eher bei LF – auch ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Die Nena-Parodie ist aber didaktisch und satirisch (‚erhellend‘) eindeutig von besserer Qualität.
    Nun denn: Warum das so intensiv diskutiert wird (@Roland Ziegler), kann ich mir nur so erklären: Die Unsicherheit bei der moralischen Beurteilung solcher Beleidigungen wird greifbar und Erdogan nutzt diese (unsere) Unsicherheit, indem er den Schutz des (schwachen) Einzelnen durch einen intakten religiös-moralischen Konsens genüsslich als Vorteil der illiberalen ‚östlichen‘ Gesellschaftsform zelebriert. Wie Putin.
    Bei dem Spiel verlieren wir.

  40. avatar

    Als Satire war das ganze richtig lustig, ich habe herzlich gelacht. Nur: Wir erleben eine Polarisierung der politischen Öffentlichkeit, bis zur Sprachlosigkeit. Zu Recht regen wir uns über die Hetze von Links und Rechts auf, die Rechten kopieren die Schweinesystem-Sprache der 70er, es wird diffamiert und beleidigt. So lange, bis man gar keine Lust mehr hat, der anderen Seite, wo sie auch immer sei, überhaupt zuzuhören. Man redet nicht mehr miteinander, man beleidigt sich am liebsten. Wie viele haben hier geschäumt, als sie sich von Dunkeldeutschland diffamiert fühlten? Wie viele fühlen sich von Begriff Gutmensch beleidigt, wie viele fühlen sich von Broders Packsprache nur noch angeekelt, wie viele haben keine Lust mehr, sich am Satzanfang schon als Ewiggestrige bezeichnen zu lassen? Und jetzt noch ein Limbo, wie tief kann eine Debatte absinken, was muss ich technisch tun, um jemanden als Ziegenficker bezeichnen zu dürfen? Galgen auf Demos, Bildmontagen, Kampfbegriffe? Hauptsache es kommt neunmalklug daher, dann ist es OK?
    Keine Ahnung. Es mag ja sein, dass Satire alles darf, dass es Kunst war und dass es keine rechtlichen Folgen hat. Sollte der Beitrag aber irgendwie politisch sein, was ja Satire in der Regel sein soll, dann war er Müll. Und daran wird kein schnaubender Erdogan und keine türkische Diktatur etwas ändern. Was wurde eigentlich mit dem Pappe-Panzer von Karneval oder den Asylanten-Heuschrecken Kostümen? Lasst uns doch weiterreden, wenn der nächste Wutbürger, der nicht so smart rüberkommt, wegen Volksverhetzung vor Gericht steht.

  41. avatar

    Die Römer machten bekanntlich jede Menge Satire, aber wenn ich mich recht entsinne, hatte die Satire jeweils einen politischen Grund. So machte sich auch Seneca über den verstorbenen Kaiser Claudius lustig, der ihn auf eine Insel verbannt hatte.
    Nun gab es hier auch einen Grund, nämlich den Stein des Anstoßes.
    Was mir aber nicht erinnerlich ist, wären römische Ausflüge unter die Wäsche. Das scheint der entglttene Stil von heute zu sein und entsprechend primitiv.
    Ein Lehrer würde vielleicht sagen: Der Schüler (hier Jan B.) ist hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben, wie Sie, Alan Posener im letzten Absatz andeuten.
    Bei unser aller Chefin allerdings fragt man sich, ob sie auch hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt oder nicht mehr zur Verfügung hat. Und das wäre das eigentlich Schlimme.
    Churchill jedenfalls hatte ein Faß voller eigener Satire, aus dem er sich bedienen konnte.
    Dieses verschwörerische Lächeln mit Davatoglu, das die Photographen treffsicher einfangen, würde wohl bei Churchill Entsetzen auslösen.
    Hier bei dieser Chefin kommt anscheinend eine Frauenkrankheit zum Vorschein: Harmoniebedürfnis. Das geht Erdogan zum Beispiel vollkommen ab. Ich finde ihn übrigens durchaus schlimmer als den Vorkriegsassad insofern, als wohl Assad nicht angefangen hat, sondern sein aufgeheizter Plebs. In der Türkei scheint mir das, wenn ich an die Kurden denke oder gewisse Demos, eher umgekehrt zu sein, und das rasche Beispringen an die Adresse von Aserbeidschan lässt Ungemach für die Armenier befürchten. Soweit ich weiß, lebten Christen unter Assad recht bequem wie auch Christen und Juden im Iran. In der Türkei ist das seit Jahren nicht gegeben.
    Der „Schüler“ Jan hätte also genug Stoff, auch den Riesenpalast und solche Preziosen.
    Wenn Broder sagt, „E.“ hätte das „verdient“, meint er etwas anderes und will nicht sehen, dass es besser geht.
    Inzwischen muss man allerdings J.B. stringent verteidigen, denn seine family wird offensichtlich bedroht, was nun wirklich schlimm ist. Sippenhaft geht in ihrer Primitivität noch weit über Analwitze hinaus. Man muss J.B. verteidigen, weil es eine Frage der Zeit für den Vorhang zum zweiten Akt ist: Der/die deutsche ApologetIn tritt auf, nach dem Motto: Hätte van Gogh/Westergaard/Rushdie das nicht gemacht, wäre die Antwort ausgeblieben. Der zweite Akt wird interessant, denn dann tritt auf x wahrex Feinx der Meinungsfreiheit: x relativistex Germanix. Und Merkel mag sich dann erinnern, dass sie noch was in petto hat: Nicht hilfreich. Das verdoofte Republix. Kein schöner Lanx in Europax.

    1. avatar

      Oleander, das ist klar, dass es nichts gibt, was Bedrohungen gegen B. und seine Familie rechtfertigen könnte. So wie es nichts gab, was die Morde an den Charlie-Hebdo-Machern rechtfertigen könnte. Man steht in der schwierigen Situation, Böhmermann zu kritisieren und sich gleichzeitig mit ihm gegen fanatische türkische Nationalisten und Islamisten solidarisieren zu müssen. Er musste gewusst haben, dass das kommen würde. ist das auch Teil der Show?

  42. avatar

    …übrigens staune ich, wieviel Leute kluge Gedanken zu dieser Sache äußern! Das meine ich wirklich so; es gibt viele gute, intensive Überlegungen dazu, die man beim Herumsurfen findet. Fast alle äußern sich dazu. Wenn dieses Phänomen nicht, wie Sie meinen, Folge einer Didaktik sein sollte, so ist es jedenfalls eine erstaunliche Wirkung.

  43. avatar

    Lieber Herr Posener,
    aus meiner Sicht trifft keiner der von Ihnen genannten Interpretationen zu. Das Ganze war weder eine Belehrung, noch eine an Erdoğan gerichtete Beleidigung. Es war schlicht und einfach ein unterhaltsamer und (wie ich finde) äußerst lustiger Beitrag in einer mal mehr und mal weniger ‚politischen‘ Unterhaltungssendung. Einer Sendung, die sich von vergleichbaren Formaten (v. a. der heute show und extra 3) abzugrenzen versucht, indem sich ihr Moderator als spritziger, frecher und weniger seriös präsentiert. Der Inhalt und der Wortlaut des Gedichts sind in keiner Weise ernst zu nehmen. Wenn überhaupt, dann war das Gedicht an das durch die extra 3-Macher und ihre Nena-Parodie repräsentierte Spießbürgertum gerichtet (hier noch mal die ganze Sendung, um diesen Sinnzusammenhang zu verdeutlichen: https://vimeo.com/161245256).
    Aus meiner Sicht wollte Böhmermann lediglich zum Ausdruck bringen, wie wenig er dem extra 3-Song und seinen prominenten Verteidiger*innen (allen voran Frau von Storch) abgewinnen kann. Er wollte sagen: ‚So einen platten Mist können wir auch produzieren‘. Dementsprechend hat er eine ‚türkisch‘ anmutende Version eines Nena-Song abspielen lassen (siehe seine Einleitung) und einen Haufen sinnloser Beleidigungen mit ein paar politischen Fakten zusammengepanscht (also einfach das Prinzip des extra 3-Beitrags auf die Spitze getrieben: https://www.youtube.com/watch?v=R2e2yHjc_mc).
    Wenn Sie meinen, dass letztendlich alle Beleidigungen nicht wörtlich zu verstehen seien und dass mit solch einer Argumentation ja jeder kommen könne, verkennen Sie aus meiner Sicht abermals die Intelligenz unserer Justiz, die (so hoffe ich) ohne große Probleme zwischen einem absolut nicht ernst gemeinten Beitrag und einer verklausulierten, als Satire verpackten, aber ernst gemeinten Beleidigung unterscheiden kann. Das Stammpublikum von Böhmermanns Show kann das allemal. Der Moderator hat nur einfach unterschätzt, wie viel Aufmerksamkeit der Beitrag erregen wird und dass er dann von Menschen eingeordnet wird, die mit dem Humor der Sendung nicht vertraut sind.

    1. avatar

      Auf die Gefahr hin, in Ihren Augen als Spießer zu gelten, LF: ich fand die Nena-Parodie gelungen, auch wenn ich Erdogan bei aller Kritik positiver sehe als die Autoren.

  44. avatar

    Zu Variante 1):
    Das Gedicht für sich gesehen ist sicher eine Beleidigung.
    Als Beleidigung ist das „Gedicht“ aber so absurd und überzogen, das es deutlich als nicht ernst gemeint erkennbar ist.
    Dennoch belegt es wohl den türkischen Präsidenten. Aber es kommt auf den Gesamtzusammenhang an. Das Schmäh-gedicht ist kunstvoll eingebettet in eine Satiresendung, die bereits für sich gesehen in „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ (§ 193 StGB) aus der Perspektive des angegriffenen B. auf Vorwürfe geantwortet hat. Es gab ja schon eine erste Beschwerden aus Ankara in deutlicher Zensurabsicht. Allerdings bestand bei diesem Anlass kein Grund zur Kritik. Die Grundlosigkeit der Kritik aus Ankara zeigt nun B. durch die Montage. Denn dieses Gedicht könnte – für sich genommen – strafbar sein. Dann könnte er sich beschweren. Da aber die zweite Sendung, in die diese Montage eingebaut ist, die formalen Kriterien einer Satire erfüllt, ist es eine Satire. Kein staatliches Organ und auch kein Gericht darf bestimmen, was eine Satire ist und was nicht. Das Gedicht ist mehr als nur ein Vor-spann. Es ist unverzichtbarer Teil einer insgesamt erkennbaren satirischen Darstellung, die außerdem im Stil der Sendungen von B. bleibt und – unabhängig davon, ob man sie gut findet – unter Abwägung aller Umstände sicher von der Kunstfreiheit geschützt wird. Da außerdem die „deutschfeindliche Satire“ mit dem Titel „be deutsch“ nicht minder unverschämt ist, richten sich alle Satiren von B. gegen jedermann, er ist also nicht wählerisch, insbesondere nicht rassistisch oder gar hetzerisch gegen Türken, sondern immer eine Spur zu schrill, was er aber darf. Insbesondere das Gedicht übertreibt derart, dass kein Zuhörer in ihm eine abwertende Kennzeichnung von Türken ganz allgemein sehen kann.
    Ergebnis: Kunstfreiheit.
    Zum Prozessverlauf:
    Wenn die StA einstellt, dann hat der Anwalt von E. keine weiteren wirksamen Rechtsbehelfe (er kann ein wenig herum hampeln, das war’s). Die Sache ist dann prozessual tot. Er kann kein gerichtliches Verfahren erzwingen. Das ist ein interessanter Nebenaspekt. Strafrecht „schützt“ nicht Menschen, die meinen „Opfer“ zu sein, es sanktioniert Beschuldigte, Angeklagte, Verurteilte. Aber sich als „Opfer“ deklarierende Personen haben – das begrüße ich übrigens – ein sehr schwache Position. Deshalb läuft der Ehrenschutz in der Praxis auch nicht strafrechtlich, sondern ausschließlich zivilrechtlich ab, was man anhand der gängigen Verfahren auch sehen kann.
    Die anderen Varianten spielen somit rechtlich keine Rolle.
    Aber die Debatte ist sehr erhellend und muss insbesondere Frau Merkel nicht ärgern. Sie kann integrierend tätig sein und Herrn E. freundlich bedauern. Die Deutschen haben es halt eine schwer. Sie haben eine unverdauliche Öffentlichkeit.

  45. avatar

    Herr Broder betrachtet den Fall von der moralischen Seite. Und eine Beleidigung Erdogans wurde ja definitiv formuliert. Nicht nur missverständlich, schillernd und grenzwertig, sondern zu 110%; das möchte als Beleidigung anerkannt werden.

    Soweit sind wir alle hier einig, glaube ich: In diesem „Gedicht“ wurde eine unverschämte Beleidigung gegen Erdogan formuliert. Herrn Broder ist der Rest egal, er bewertet die Beleidigung. Und auch Sie ziehen hier einen Schlussstrich und sagen, verboten, illegal.

    Gibt es wirklich keinen anderen Zweck, dem die Beleidigung dienen soll? Erdogan beleidigen könnte man auch einfacher und primitiver. Mit zweideutigen Formulierungen, vergiftete Komplimenten usw.

    Wenn die Satire dadurch didaktisch wird, na und? Satire will immer didaktisch sein, da sist doch der Unterschied zu Comedy. Und Logik will immer einfach und primitiv sein. Ich setze deshalb weiterhin auf die einfachste und primitivste Erklärung und halte das für ein Böhmermann-Lehrstück mit satirischer Didaktik.

  46. avatar

    Demnächst laden Sie wahrscheinlich noch Herrn Elsässer als Gastkommentator ein. Was ist das denn für eine Verschwörungstheorie?

    Ich persönlich halte das gegenwärtig von links- und rechtsaußen betriebene Türkei- und Erdogan-Bashing für eine ziemlich widerliche Strategie, die ablenken soll von der Rolle Putins beim Anzetteln von Konflikten in der gesamten Region; aber ich werde mich deshalb nicht dazu hinreißen lassen, Erdogan als Lichtgestalt zu verteidigen oder die politische Kritik an ihm für illegitim oder gar strafbar hinzustellen.

    Wie kommen Sie dadrauf? Curveball war in Ihren Augen wahrscheinlich ein Agent Putins. Und Mubarak ein Doppelagent? Hoffentlich glauben Sie Ihre Propaganda nicht selber.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top