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Revolution oder Versklavung

Von Alexander Görlach: 

Nun ist der Hyperlink dran: die Politik in Europa bedroht unsere Freiheit. Es wird Zeit, dagegen aufzustehen!

Wenige Tage ist es her, seit der für die Digital-Wirtschaft zuständige EU-Kommissar Guenther Oettinger die Netzneutralität beendete und somit die großen Telekommunikations-Riesen zu den Türstehern des bis dahin freien Internets machte. Von diesem Teil-Erfolg beflügelt geht es weiter: der Hyperlink als zentraler Baustein des Internets soll unter das Kuratel staatlicher Regulierung genommen werden. Damit würde der Freiheitsraum des Internets, fünfundzwanzig Jahre nach seiner Entstehung, geschlossen.

Perry Barlow schrieb am Beginn der digitalen Ära in seinem Internet-Manifest, dass die Politik aus diesem neu geschaffenen Raum, dem Cyber-Space, ausgeschlossen sei, dass sich hier nun eine neue Öffentlichkeit formiere, die sich selbst, nach neuen Metriken organisiere. Die klassische Politik hat dem Internet nie verziehen, dass es existiert.

Denn in der Tat: Modelle wie die deliberative Demokratie des Stanford-Professors James Fishkin zeigen, dass es zu für die Gemeinschaft guten Ergebnissen kommen kann, wenn die parlamentarische Vertretung durch andere, echte Repräsentationsformen abgelöst oder erweitert würde. Im Deutschen Bundestag sitzen nämlich keine Farbigen, HIV-Infizierten, allein erziehenden Mütter und Langzeitarbeitslose, sondern ein Haufen Lehrer und Juristen, die die Lebenswirklichkeit derer, die sie vertreten möchten, nicht vollumfänglich kennt oder nachvollziehen kann.

Eine ähnliche Bestandsaufnahme gilt auch für klassische Verlage: die vierte Gewalt waren Medien nur insoweit, als sie die Öffentlichkeit herstellten, die für demokratische Prozesse unerlässlich sind. Heute sind Plattformen wie Facebook diese Öffentlichkeit, die Medien nur ein Teil davon, also eine Teilöffentlichkeit. Und so gilt auch hier: die Verleger haben dem Internet nie verziehen, dass es es gibt.

Das Internet am Baum aufknüpfen

Nur so erklärt sich, warum und wieso die Politik und die Verlage gemeinsam mit aller Macht an dem Strick ziehen, der das Internet an einem Baum ihrer Wahl aufknüpft. Das führt zu dem Eindruck, der sich immer mehr und mehr verfestigt: das Internet soll nicht nach den Regeln der Demokratie gestaltet, sondern mit den Mitteln der Despotie ausgeschaltet werden.

In der Konsequenz bedeutet das, dass im Moment von Brüssel nichts weniger als unsere gesamte liberale, aufgeklärte Gesellschaft einkassiert werden soll. In einer Zeit, in der die Welt nach Syrien oder in die Ukraine schaut, und in einem Umfeld, in dem das Internet und seine Freiheit ohnehin für viele von sekundärer Wichtigkeit zu sein scheint, hat dieser Coup alle Chancen, durchzugehen. Denn, so sieht es der Westen am Beispiel der Türkei, was passiert denn, wenn man einer Gesellschaft, die vor zehn Jahren als Hoffnung für eine demokratische Gesellschaft gesehen wurde, das Internet abstellt? Nichts passiert.

Also nun der Hyperlink. Um was geht es? Das Netz ist das Gewebe von Inhalten. Jeder Inhalt hat einen Link. Dieses Netz aus Links wird jeden Tag weiter gesponnen durch neue Inhalte und Nutzer, die Inhalte miteinander verknüpfen in einer für sie sinnvollen Weise. Das betrifft Inhalte zu Mode, Haustieren, Feminismus, Politik, Religion, zu allem, was man sich vorstellen kann. Die Vernetzung der Inhalte bewirkt die Infrastruktur des Netzes. Bisher galt diese Praxis, die philosophisch-ontologisch gesehen das Wesen und Sein des Internets beschreibt, rechtlich als zulässig – was für die Politik bislang die Anerkennung der Macht des Faktischen bedeutete, denn ein Verbot dieser Links, üblicherweise mit dem Hinweis versehen, dass der Verlinkte dem Verlinken nicht aktiv zugestimmt hat – hätte das Ende des Internet bedeutet.

Denn das Netz ist nichts anderes als das: das Verknüpfen von Inhalten. Wer einen Inhalt ins Netz stellt, stimmt zu, dass er verlinkt werden kann, denn sonst hätte er den Inhalt auf ein Papier geschrieben und das Papier abgeheftet, ohne es vorher jemand zu zeigen oder kopiert oder sonst was analoges damit gemacht.

Die Werte der Aufklärung verteidigen

Vor zehn Jahren kam mit dem so genannten Web 2.0 ein entscheidendes Novum hinzu: die Befähigung, diese Links zu kommentieren, mit anderen Nutzern der Inhalte zu korrespondieren. Die sozialen Netzwerke haben neben das rein technische Element des Verlinken ein soziales gestellt: Inhalte werden nicht nur dargereicht, sondern besprochen, kritisiert. Erst ab diesem Zeitpunkt hatte das Internet das Potenzial zu einer neuen Form einer globalen Öffentlichkeit zu werden. Und zu einer echten Waffe, sollten die Werte der Freiheit und der Aufklärung mit Füssen getreten werden.

Es ist vollkommen klar, dass das Internet, wie jede technologische Errungenschaft zum Guten wie zum Bösen verwendet werden kann, dass Helden und Schurken von seinen Möglichkeiten profitieren. Die Vielfalt der Verwendungen spiegelt die Eigenarten ihres menschlichen Schöpfers. Vint Cerf, einer der Erfinder des Internet, berichtet im Interview, dass das Netz an einem Weihnachtstag live gegangen ist. Christus ist der neue Adam, der die Fehler des ersten Menschen richten muss. Die Polarität von gut und böse prägt nicht nur die biblische Geschichte. Die Mythen der Völker drehen sich um das Gute, wie man es erlangt, die Versuchung und das Böse. Die Geschichte des Internet – die Gründungsworte von Barlow stehen an Wortgewalt den großen Erzählungen an den Schwellen der Menschheitsgeschichte in nichts nach – macht da keine Ausnahme. Jetzt beginnt der Kampf um dieses Internet, das ist sicher. Die Politik in Europa hat ihm den Krieg erklärt. Ob man fernen Generationen vom freien Internet in der Vergangenheitsform erzählen muss oder nicht, entscheidet sich jetzt.

Das Internet zu verbieten bedeutet in der Konsequenz nichts anderes, nicht weniger, als dem Menschen zu verbieten, Mensch zu sein. Wer den Hyperlink abschaffen will, hat am Ende auch keine Skrupel frei denkende Menschen abzuschaffen. Wehret den Anfängen: Revolution oder Versklavung. Das ist wie alles im Internet: binär. Es gibt nur das eine oder das andere.

 

zuerst erschienen auf www.theeuropean.de

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Ein Gedanke zu “Revolution oder Versklavung

  1. avatar

    Nun mal langsam, Alex. Es geht darum, „paid content“ zu retten. Es geht nicht darum, das Verlinken auf Facebook usw. zu verbieten, sondern so genannte „News-Aggregatoren“ zu zwingen, die Verlag dafür zu entlohnen, dass es überhaupt News gibt.
    Apple News macht das. Blendle macht das. Upday wird das machen. Aber Google zum Beispiel macht das nicht und ist so mächtig, dass es den Verlegern sagen konnte: Wenn ihr verlangt, dass wir die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland (die das ja verlangen) einhalten, dann verlinken wir euch eben nicht.“
    Nun, was bedroht die Demokratie (das Gesumms von Adam und Christus und den Menschen schlechthin vergessen wir besser ganz schnell)? Das Fehlen von gut recherchierter Nachricht, also von Redaktionen, die sich Recherche leisten können, oder der Zwang für Google, Apple und andere, für das Verwenden dieser Nachrichten zu zahlen?
    „The European“ ist ein reines Kommentarvehikel, wie „Starke Meinungen“ auch. Aber wir sind für unsere Kommentare auf Fakten angewiesen, also auf Redaktionen; und wenn diese nicht von Regierungen oder Oligarchen bezahlt werden sollen, dann müssen sie auch verdienen können. Sonst gibt es auch nichts zum Verlinken.

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