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Imperium der Zukunft? Wirklich?

Es hat angesichts der nunmehr seit mindestens fünf Jahren sich hinziehenden Krise Europas nicht an höhnischen Stimmen gefehlt, die mich fragen, ob ich immer noch dazu stehe, Europa als „Imperium der Zukunft“ zu bezeichnen, wie ich es in einem 2007 erschienenen Buch tat.

Imperium? Auf alle Fälle. Das beweisen die Krisen in Griechenland, der Ukraine und dem Mittelmeer wohl zur Genüge.
Zukunft? Nun, da wird’s schwieriger.

Beginnen wir mit der Analyse der Krise in Griechenland. Ganz gleich, wie man das Agieren des Zentrums – Deutschland, Ecofin, EZB, Kommission – beurteilt: Hier haben wir es mit einer klassischen imperialen Konstellation zu tun, wie ich es in meinem Buch beschrieben habe. Das Zentrum drückt seine Bedingungen einen Land der Peripherie auf, dem nur noch die Alternative „take it or leave it“ geboten wird. Das Votum der Griechen gegen die Austeritätspolitik – die Wahl der Syriza-Regierung – wurde nicht zur Kenntnis genommen. Der neugewählten Regierung wurde klar gemacht, dass auch sie die Bedingungen des Zentrums zu erfüllen habe.
Noch einmal: Über die Richtigkeit der von der „Troika“ den Griechen diktierten Maßnahmen will ich hier nicht diskutieren. Ich halte es für Wahnsinn, in eine Rezession hinein zu sparen, von den menschlichen und politischen Kosten einer solchen Brüning’schen Politik einmal abgesehen. Darüber habe ich auch hier geschrieben. Aber ich kann mich irren.

Der entscheidende Punkt ist aber, dass die „Institutionen“ des Imperiums – EZB und Kommission – zu Vollzugsorganen einer Wirtschaftsdiktatur wurden, bei der das griechische Parlament ausgeschaltet wurde. Nun kann man sagen, dass Griechenland beim Eintritt in den Euro bestimmte Verpflichtungen eingegangen ist, die das Land nicht eingehalten hat; deshalb muss es nun die Folgen tragen. Andererseits sind auch die meisten ostdeutschen und manche westdeutschen Länder ohne Dauersubventionen durch die reichen Länder und den Bund nicht lebensfähig. Aber die 7,5 Millionen Einwohner von Berlin, Brandenburg und Meck-Pomm werden auf hohem Niveau durchgefüttert, weil sie zur führenden Macht des Imperiums gehören, die 11 Millionen Griechen aber nicht.
Es heißt ja, die Griechen könnten ja gehen, wenn ihnen der Euro nicht gefällt. Jedoch legt das Protokoll des Maastricht-Vertrages von 1992 die „Unumkehrbarkeit“ des Wegs zur Wirtschafts- und Währungsunion fest. Im Vertrag von Lissabon von 2007 heißt es in Artikel 3: „Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist.“ Damit sind alle EU-Staaten an die Einführung gebunden. Nur für Großbritannien und Dänemark wurden Ausnahmen gemacht. Ein Austritt aus dieser Union ist nicht vorgesehen. Für Griechenland, das seit 1981 Mitglied der EU ist und 2001 dem Euro-Raum beitrat, hätte es außerdem unabsehbare rechtliche Folgen, wenn die Regierung aus dem Währungsraum austreten sollte. Denn damit verstoße Athen auch gegen die EU-Verordnung 974/98 vom 02. Mai 1998 über die Einführung des Euros, sagt Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg. „Dann könnte jeder in- und außerhalb Griechenlands, der eine Forderung in Euro hat und die in der neuen Währung bezahlt werden soll, die Zahlung in Euro einklagen.“ Denn für jeden Staatsbediensteten oder Rentner wäre es wohl ein immenses Verlustgeschäft, wenn er in einer neuen griechischen Währung und nicht in Euro ausgezahlt würde.
Die ökonomischen, rechtlichen und politischen Folgen eines Austritts – Währungsverfall, jahrelange Rechtsunsicherheit, Massenauswanderung, Destabilisierung, möglicherweise mit der Folge eines Militärputsches und dem Ausschluss aus der EU, womit dem Land wohl nichts anderes übrig bliebe als ein Anschluss an den russischen Block – wären von den Griechen allein zu tragen. Gleichzeitig sind das die einzigen Karten, die Griechenland im Poker mit dem Zentrum auf der Hand hat: Destabilisiert uns, und ihr schadet dem Imperium.

Nun die Ukraine. Es scheint vielen Kommentatoren einzuleuchten, dass Russland als Imperium Anspruch hat auf ein Glacis an seiner Westgrenze, einen Pufferstaat, der ihm nicht feindlich gesonnen ist. Dass auch die EU als Imperium einen solchen Anspruch hat, scheint weniger einzuleuchten. Warum aber? Warum sollte die EU an ihrer Ostgrenze dulden, dass ein Land mit 45 Millionen Einwohnern von dem potenziellen Gegner Russland destabilisiert wird? Warum sollte die EU dulden, dass ein Teil dieses Staates – die Krim – einfach annektiert wird?
Natürlich hat der Ukraine-Konflikt viele Aspekte, und der wichtigste ist der Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Ukrainer, Teil der Europäischen Union zu werden. Jedoch kann wohl niemand übersehen, dass von Russland aus diese Frage in imperialen Kategorien betrachtet wird: Russland sieht die EU als Imperium, das sich eine Einflusssphäre sichert; dass sich viele EU-Bürger weigern, in solchen Kategorien zu denken, heißt ja nicht, dass die Kategorien falsch wären.

Schließlich die Flüchtlings- und Zuwandererkrise im Mittelmeer. Es mag rechtlich von entscheidender Bedeutung sein, ob jemand vor der Hölle des Bürgerkriegs in Syrien flüchtet oder vor der Aussichtslosigkeit eines Lebens in Burkina Faso. Faktisch macht es wenig Unterschied. Entscheidend ist der Sog des Imperiums. Ähnlich war es im vierten und fünften nachchristlichen Jahrhundert, als unter dem Druck der Hunnen einerseits, andererseits angezogen vom Reichtum und von der Sicherheit des römischen Imperiums ganze germanische Stämme um die Aufnahme ins Reichsgebiet nachsuchten oder gegen die Wälle anrannten, die Rom gegen die „Barbaren“ errichtet hatte. Allein zwischen 376 und 411 wanderten eine Million Germanen legal ins Imperium ein.
Apokalyptiker behaupten, diese Zuwanderung heidnischer Völker habe den Zusammenbruch Westroms bewirkt. Freilich war dieses Westrom ein christliches Sklavenhalterimperium, das längst an Geburtenrückgang, überbordendem Egoismus, dem Überhandnehmen des Mönchtums und dem Schwinden des Interesses an Naturwissenschaften litt. Man kann nämlich auch sagen, dass die einwandernden Germanen die Verwandlung Roms aus einem Sklavenstaat in eine feudale Ordnung, den Übergang von der Zivilisation der Spätantike in jene des frühen Mittelalters beförderten, in der mit Karl dem Großen das Reich neu entstand. Wie dem auch sei: die Sogtendenz des Imperiums ist offenkundig, und die Frage des Verhältnisses von Integration der Zuwanderer und Akkomodation des Imperiums entscheidend für die Zukunft.
Zukunft. Was sagen uns diese drei Krisen über die Zukunft des Imperiums?
1. Mit der griechischen Krise, ganz gleich, wie sie sich weiterentwickelt, hat sich die Ideologie von der „immer engeren Union“ erledigt. Die Europäer wollen diese immer engere Union nicht. Die Solidarität endet an den nationalen Grenzen. Ganz gleich, ob die europäischen Verträge formal verändert werden oder nicht, und eine Änderung wäre die sauberste Lösung: die von Joschka Fischer vor fünfzehn Jahren in seiner Rede zur „Finalität der Europäischen Union“ in der Humboldt-Universität entwickelte Vision eines Europäischen Bundesstaats nach dem Muster der Bundesrepublik Deutschland hat sich als Irrweg erwiesen. Die EU hat keine „Finalität“. Sie ist, wie jedes liberale Imperium, ein „Work in progress“. Mehr Europa, das Mantra der Anhänger eines Bundesstaats, hat zu weniger Europa geführt, die Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion und die Osterweiterung der EU – beides unter der rot-grünen Regierung Schröder-Fischer – haben – Ironie der Geschichte – Fischers Vorstellungen ins Reich des Fantastischen verwiesen.
2. Solidarität ist ein Grundbegriff des Nationalstaats. Sie begründet die progressive Einkommensteuer, die Sozialgesetzgebung und die im Grundgesetz festgeschriebene „Angleichung der Lebensverhältnisse“ im Land. Selbst innerhalb der Nationalstaaten wird diese Solidarität brüchig, man denke an Bayerns Widerstand gegen den Länderfinanzausgleich und die Loslösungsbewegungen reicher Provinzen wie „Padania“ in Norditalien, Katalonien in Spanien oder der Flamen in Belgien, die keine Lust haben, ihre armen Landsleute zu unterstützen. Auch Schottlands Unabhängigkeitsbewegung speiste sich aus der (irrigen) Vorstellung, das Ölreichtum der Nordsee zur Finanzierung eines Musterwohlfahrtsstaats verwenden zu können. Innerhalb Europas ist diese Solidarität schlicht und einfach nicht vorhanden.
3. Das sieht man nicht nur an Griechenland, das mit Eurobonds oder einer gesamteuropäischen Bad Bank ohne weiteres zu retten gewesen wäre, sondern auch an der empörenden Reaktion von Resteuropa auf die Flüchtlingsbelastung der Mittelmeeranrainerstaaten Italien und Griechenland. Deutschland, Österreich und einige skandinavische Länder nehme ich hier mal aus, die mehr leisten, als sie leisten müssten, wenn es eine europäische Quotenregelung gäbe; aber die Reaktion der osteuropäischen Länder und Großbritanniens lautete: nicht unser Problem; und die Kommission erwies sich – entgegen der Behauptung einiger Anti-Europäer, es gebe eine Brüsseler Diktatur, die EU sei eine Art „Sowjetunion light“ – als völlig machtlos.
4. In der Ukraine-Frage hat sich die EU – trotz einiger Querschüsse als Budapest und Athen und der Putin-Affinität der europäischen Rechts- und Linkspopulisten – als bemerkenswert fest erwiesen. Das Sanktionsregime hält. Die Arbeit an einem europäischen Energienetzwerk und dem Ausbau nichtfossiler Energieträger geht ebenso voran wie die Assoziierung mit der Ukraine. Die Zusammenarbeit mit den USA im Rahmen der Nato funktioniert. Die Ostukraine könnte sich zu Putins Afghanistan entwickeln.
Europa ist dort erfolgreich, wo es sich – wie in der Ukraine-Krise – auf seine imperialen Interessen besinnt und ein faktisches Direktorium der wichtigsten Mächte die Führung übernimmt. Europa versagt, wo – wie in Griechenland – die „immer engere Union“ imperial durchgesetzt werden soll. Die Zukunftsfrage Zuwanderung ist noch ungelöst und wird keine „griechische“ Lösung finden, weil das vermutlich die Union sprengen würde.
Anders ausgedrückt: die „Vertiefung“ der Union hat ihren Endpunkt erreicht; niemand will auf absehbare Zeit in Richtung Vereinigte Staaten von Europa weitergehen. Das Konzept sollte abgewickelt werden: zuerst in den Köpfen, dann aber auch in den Verträgen. Wenn die EU Zukunft hat, und daran möchte ich glauben, weil die Alternativen nicht attraktiv sind, dann eben als „demokratisches Imperium“, wie es der stets unterschätzte José Manuel Barroso ausdrückte.

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62 Gedanken zu “Imperium der Zukunft? Wirklich?;”

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    Ein bisschen Reform, siehe griechisch-orthodoxe Kirche und Grundbuchamt wäre noch möglich. Bisher soll ja niemand so genau wissen, was da überhaupt wem gehört.

    Moritz Berger,
    gibt es dann bald Zigarren aus Lafontaine und Sahras privater Kubacommunity?

    Und ich will garkein Auto mehr sondern Taxi für alle (aka autonome Sharingkarren).
    Sie werden zurecht fragen, was dann die ganzen VW-Arbeiter machen könnten.
    68er perfektioniert einfach seine Pläne noch etwas und spielt dann mit denen Aufstand im Schlaraffenland. 🙂

    und Ökonomie ist eigentlich eine Untermenge der Biologie, sagt Charles Konia, und spätestens damit doch zweifellos eine Wissenschaft. 😉

    68er,
    ich glaube nicht mal das Kammenos mit Herzblut Transatlantiker ist

    völlig ot
    (blonder hans,)
    wenn Alan Poseners Gesundheit mit anderen oder einfacher von Lehman gebündelte Hauskredite an der Börse gehandelt werden, ist das schon gefürchteter Kollektivismus?

  2. avatar

    APo. ‚… haben das irgendwann aufgegeben. Was Sie gegen den “Kongress für kulturelle Freiheit” haben, ist mir rätselhaft, aber ich stimme Ihnen zu: Ich würde gern hier (neben meinen eigenen) weitere dezidiert linke Stücke lesen. Ich kann sie aber nicht erzwingen.‘

    … ‚links‘ hat da 20. Jahrhundert ermordet. Nun hat ‚links‘ fertig … und das ist auch gut so!

  3. avatar

    Lieber Herr Posener,

    ein paar Ressentiments müssen Sie mir schon lassen.

    Die Zeit war mal pluralistischer, seit Roger de Wecks Zeiten lese ich die aber auch nicht mehr regelmäßig. Die FAZ war unter Schirrmacher besser und die SZ, na ja, da haben Sie leider recht, die bleibt – abgesehen von Prantl – meistens eher lau. Sowohl links wie in der Mitte. Bei der Welt kann man tatsächlich öfters eine (wenn auch mitunter krude) Meinung lesen.

    Jetzt ist aber erst einmal Sommerzeit und der Computer bleibt öfters aus!

    Gruß

    Ihr 68er

  4. avatar

    @KJN
    Nur auf die Schnelle:
    Tourismus geht, Agrar geht schlecht.
    Ein Bauer mit 20Schweinen kann nicht gegen die niederländischen Schweinefabriken in Niedersachsen antreten. Ich habe nicht die neuesten Zahlen, aber das Agrarland Griechenland hat Lebensmittel importiert, weil es schlicht billiger ist.
    Sollte das Knowhow im Land sein, um im Agrarsektor industriell mithalten zu können, dann sind auch andere Dinge möglich.
    Das wäre der Charme der Drachme, Importe würden sehr teuer und die Eigenversorgung würde sich rentieren. Klingt nach einer guten Idee, bedeutet aber den Abschied aus der ersten Welt. Das kann den Griechen niemand wünschen.

  5. avatar

    Lieber Herr Posener,

    kurz neben der Sache, warum schreibt eigentlich Herr Burchhardt nicht mehr bei „uns“? Er würde mal wieder eine andere Sicht der Dinge einbringen. Derzeit klingen fast alle Beiträge als seien sie vom „Kongress für kulturelle Freiheit“ inspiriert worden.

    Selbst bei Ihrem Arbeitgeber ist man da erheblich pluralistischer.

    Mit besten Grüßen

    Ihr 68er

    1. avatar

      Lieber 68er, ich finde das „Selbst Ihr Arbeitgeber“ ziemlich bescheuert. Welches andere Medienhaus ist pluralistischer? Die taz etwa, die Christian Füller davongejagt hat? Die süddeutsche? Aber, um Ihre Frage zu beantworten: Faulheit, nehme ich an. Es ist nicht leicht, Woche für Woche etwas zu schreiben, und viele der Autoren der ersten Stunde – alle außer mir, um es genau zu sagen – haben das irgendwann aufgegeben. Was Sie gegen den „Kongress für kulturelle Freiheit“ haben, ist mir rätselhaft, aber ich stimme Ihnen zu: Ich würde gern hier (neben meinen eigenen) weitere dezidiert linke Stücke lesen. Ich kann sie aber nicht erzwingen.

  6. avatar

    Letztlich geht es bei dem Referendum um die Frage, ob Griechenland seinen eigenen Weg finden will oder darf oder ob es unbedingt nach den Regeln der ‚Institutionen‘ funktionieren muss. Es geht auch um die Liberalität einer EU. Für Deutschland und die EU eine Frage der Staatsraison und für Griechenland eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Mir stellt sich die Frage, warum ein Agrar- und Tourismusstaat nicht einfach ein Agrar- und Tourismusstaat sein darf. Jedenfalls für den Übergang. Alternative: Steueroase, wie Zypern.

  7. avatar

    @ KJN

    An der Griechenland-Misere ist tatsächlich nicht die USA schuld. Habe ich auch nie behauptet. Meine „Wutrede“ war ein wenig off-topic, das gebe ich gerne zu. Ich bin mir aber sicher, dass die USA es nicht hinnehmen werden, wenn Griechenland als wichtiger Angelpunkt in der NATO-Statik sich aus der EU verabschiedet und tatsächlich ins Chaos gleitet. Hier haben Tsipras und Varoufakis nach meiner Meinung die strategisch größten Zugeständnisse an die normative Kraft des Faktischen gemacht, indem sie über den rechtskonservativen Verteidigungsminister Kammenos eindeutige Signale an Washington sandten, und darum baten, einen neuen NATO-Stützpunkt in der Ägäis aufzubauen und einen anderen zu verstärken. Ich glaube persönlich zwar nicht, dass Tsipras und Varoufakis mit Herzblut Transatlantiker sind, aber in der jetzigen Situation konzentrieren sie sich auf die aktuellen Probleme und das sind nun einmal die Finanzen.

    @ Stevanovic

    Dass Griechenland nur mit einem Schuldenschnitt, wie Sie ihn verstehen, gerettet wäre, daran habe ich auch nie geglaubt und Varoufakis wahrscheinlich auch nicht. Was nötig gewesen wäre, und das schon vor JAHREN, war ein Teil-Schuldenerlass, als allerdings noch die wirklich korrupten Politiker in Griechenland an der Macht waren. Und da sind nicht ein paar Prozentpunkte gemeint sondern mindestens 30 Prozent der Schulden bei den Banken. Die Banken hatten damals, als sie griechische Staatsanleihen mit Zinszusagen von mehr als 10 Prozent kauften, eine Wette auf die Zukunft abgeschlossen, bei der sie leider richtig lagen. Sie wetteten nicht etwa darauf, dass Griechenland irgendwann das Geld aus eigener Kraft mit Zinsen zurückzahlen würde sondern darauf, dass unsere dämlichen Politiker bei einer drohenden Staatspleite die fehlenden Milliarden aus unseren Steuermitteln bereitstellen würden. In einer funktionierenden kapitalistischen Gesellschaft hätten damals aber die Banken die Verluste realisieren müssen. Das wollte hier aber keiner. Um die EU in ihrer jetzigen Form zu retten, bliebe nur ein deutlicher Schuldenerlass und eine kräftiges Konjunkturprogramm nicht nur für Griechenland sondern für alle derzeit schwächelnden Gebiete.

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    @Stevanovic
    „Ein Schuldenschnitt würde an der Situation Griechenlands nichts ändern. Griechenland braucht Geld für Investitionen und das hat es nicht.“
    Punkt 1 sehe ich auch so. Es geht aber um den modus operandi. Die EU hat jahreang zugesehen, wie eine Regierung nach der anderen korrupt gehandelt hat – auch weil Investoren aus EU-Ländern das dicke Geld verdienen wollten. Jene Investoren, die in der Krise dann als ’systemrelevant‘ eingestuft wurden und mit Hilfe der ‚Rettungsprogramme für Griechenland‘ dann gerettet wurden. Den Griechen ist klar geworden, daß die Gelder nicht bei ihnen ankommen und ihnen ist der Kragen geplatzt: Es hätte auch die ‚Morgenröte‘ sein können, sie haben aber Tsipras gewählt. Das was Sie als Alltag richtig beschreiben gilt für Athen, Thessaloniki. Auf dem Land weiß man sich – gerade wenn Touristen kommen, auch und gerade aus dem eigenen Land, die noch Geld haben – zu helfen. Einer Regierung Tsipras lässt man keinen Handlungsspielraum, weil sie unbotmäßig ist. Sie ist von Anfang an von Apparatschiks wie Schäuble oder Martin Schulz – nunja – gemobbt worden.
    Punkt 2 sehe ich nicht so: Jahzehntelange Investitionen haben in GR genauso wenig gebracht, wie in Ostdeutschland. Was auch Tsipras so sieht.

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    Errata:
    – So ähnlich meine Reflexe beim Thema Griechenland sind
    – Aurokanzler und Spinage lass ich jetzt mal so stehen, vielleicht gibt’s ja sowas

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    @68er
    So ähnlich meine Reflexe beim Griechenland sind, aber es steckt doch nicht hinter allem die USA. Die ermahnen doch eher, sich zu einigen:
    „Sie können Länder, die sich mitten in einer Depression befinden, nicht immer weiter ausquetschen“ .
    Und wären die neuen US Firmen ein Ergebnis von Wirtschaftsspionage, bräuchten wir uns um die Innovationsfähigkeit unserer hochgeförderten, aber brav linear denkenden Technologen keine Sorgen machen. Dem ist aber leider nicht so. Was die Spinage betrifft: Alle machen in der Spionage, was sie draufhaben. Die USA hatten zusätzlich Snowden, da kommt’s dann ‚raus. Schon die Horchereien vom BND vergessen? Was meinen Sie: So anders? Und was meinen Sie, wie starkdie verflechtung hiesiger Industrie mit der jeweiligen Regierung ist- auch wenn wir mal keinen ‚Aurokanzler‘ haben. Nein, lieber 68er, es sind meistens die eigenen Eliten, die im eigenen Land den Mist bauen: In USA, hier und in Griechenland. Wenn Sie das Gefühl haben „schizophren“ zu werden, vielleicht liegt’s an einem zu großen Schluck (z.B. von diesem
    compacten ) Verschwörungstrunk 😉 , soll Nebenwirkungen haben.

    @Moritz Berger
    Sie wissen doch schon, daß Sie bei mir beim Thema ‚Afrika‘ offene Türen aufstoßen. Deswegen sollten wir uns aber hier auch weiterentwickeln. Eben auch in der Organisation der Staaten. Wie nötig das ist, zeigt das, was wir hier eigentlich diskutieren.

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    @68er & KJN

    In einer Fakalekai-Gesellschaft, in der es kaum Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen, ohne Geld da zu stehen, ist eine Katastrophe. Es ist ja nicht so, dass man einfach zum Arzt gehen kann, Medikamente bekommt, die Krankenkasse zahlt. Die staatlichen Dienstleistungen sind nicht nur in einem fürchterlichen Zustand, man muss für das gewisse extra zusätzliches Geld aufbringen. Wenn die Jungen keine Arbeit haben, die Eltern die Arbeit verlieren oder schlicht nicht bezahlt werden, ist Omas Rente eine feste Größe – und selbst die wurde ja massiv gekürzt. Ja, noch wird Geld über ELA ausgezahlt. Nur, wer Geld vom Sparbuch für eine OP oder Medikamente braucht, also durchaus Leute aus der Mittelschicht, der hat jetzt Pech gehabt. Und das auch nur so lange, wie ELA noch läuft und wie lange das noch gehen wird, ist nun die Frage.

    Wenn ich das richtig Verstanden habe, zahlte Griechenland im Jahre 2014 ca 3,5% vom BiP an Zinsen. Nicht wenig, aber auch kein exorbitanter Wert. Das Angebot der Eurogruppe war, einen Teil dieser Zinsen an Griechenland zurückzuzahlen, wodurch die Zinsbelastung auf 2,5% gefallen wäre. Nach einem Schuldenschnitt (wobei der Rest der Schulden echt sein sollte), wäre die Zinsbelastung vielleicht um 0,5% gefallen. Auch nicht wenig, aber in der Gesamtkomposition Griechenland ein Tropfen auf den heißen Stein. D.h. der reale Schuldendienst Griechenlands, die auf das Land drückt, ist gar nicht so exorbitant, wie die griechische Regierung behauptet. Von Tilgen redet doch schon lange keiner mehr.

    Ein Schuldenschnitt würde an der Situation Griechenlands nichts ändern. Griechenland braucht Geld für Investitionen und das hat es nicht. Da es die Schulden ohnehin nicht real bedient, müsste das Geld auch in einem autarken griechischen Haushalt eingespart werden. Greece unchained, der Neustart, die Stunde 0, ist leider ein Märchen.

  12. avatar

    Lieber KJN,

    seit wann sind die Wirtschaftswissenschaften eine “ Wissenschaft „.

    Wenn Sie einmal in alten Folianten blättern, dann werden Sie feststellen, dass z.B. ein Urahn der Betriebswirtschaft, immer von einer Hilfswirtschaft sprach.

    Und was das Totalversagen betrifft.

    Dass gab es doch bereits 1929 !!!

    Die Frage die wir m.E. stärker diskutieren sollten, wollen wir weiter quantitaives Wachstum anstreben.

    Das Drittauto für den Sonntag, den Roboter in der Küche.

    Leider werden solche Gespräche erst nach 22:00 beim dritten Glas Petrus geführt.

    Dann dann müßte man als Manager sich doch in Frage stellen:-)

    Um es mit Bruce Chatwin zu formulieren:

    What I am doing here.

    Aber es gibt ja noch Wachstumspotential. Und wenn die Deutschen mittlerweile 4 handys haben, warum sollten die Ghanaer nicht auch Horizon 2020 4 handys haben.

    Ich werde in den nächsten Tagen nach Äthiopien fahren.

    Einem der „Boomländer“ in Ostafrika.

    Wachstumsrate > 10%

    http://www.afdb.org/en/countri.....c-outlook/

    Und wenn Sie sich die Hauptstadt anschauen:

    http://www.urbanafrica.net/urb.....dis-ababa/

    dann können Sie heute schon sehen wohin der “ Trend “ geht.

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    Lieber Alan Posener,

    bei uns auf dem Festland sind es immer noch Billionen:

    Das Interessante am Länderfinanzausgleich – und erst recht am “Aufbau Ost”, in den mehrere Trillionen versenkt wurden, ohne dass Brandenburg, Meck-Pomm oder Berlin lebensfähige Gebilde geworden wären –

    Wir sind immer noch nicht bei Dagobert Duck, auch wenn ich mehr und mehr:

    http://www.duckduckgo.com

    nutze.

    🙂

    Was was den europäischen Weg betrifft:

    Die USA ist auch nicht in sieben Tagen erbaut worden.

    Vielleicht werden wir zukünftig mehr dezentrale “ communities “ bekommen.

    Wenn ich mir z.B. anschaue, wie derzeit die4 Energieunternehmen “ zerlegt “ werden, warum sollte diese Welle nicht auch in den politischen Bereich überschwappen.

    Dies ist vielleicht “ sehr visionär „, aber die technischen Möglichkeiten bestehen bereits heute.

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    Ein Problem ist derzeit wohl auch, dass es – und da werde ich ein wenig schizophren – derzeit wohl keine grauen Eminenzen in der deutschen Wirtschaft gibt, die den Kopf dafür frei haben, sich um das Thema Griechenland und EU zu kümmern. Einzig Joe Kaeser von Siemens hat bei den EU-Russland-Sanktionen (Oder sollte man besser Konjunkturprogramm für die US-Wirtschaft in Russland sagen?) mal den Mund aufgemacht. Aber Fitschen und Co. haben ja derzeit anderes um die Ohren.

    Was sich derzeit Merkel, Gabriel und Schäuble leisten ist piefigste Provinzposse. Völliges Versagen bei den Griechenland-Verhandlungen, peinliches Betretensein in Hinblick auf die Wirtschaftsspionage von NSA und GCHQ und totale Hilflosigkeit bei der Offenlegung unseres Vasallenstatus gegenüber USA und GB.

    Wenn ich Gabriel heute im MoMa höre (und sehen muss), der sinngemäß sagt, es könnte ruhig jeder mithören, was man in seinem Ministerium am Telefon sagt, frage ich mich, wieso werden dann die TTIP Verhandlungen geheim geführt? Wenn jeder Kloputzer bei der NSA offensichtlich an die geheimsten Dokumente gelangt, wieso macht man dann so ein TamTam mit dem Sonderermittler für die Selektorenliste?

    Früher wäre bei so einem „Abgrund an Geheimnisverrat“ durch die eigene Regierung, bei so einer Selbstentmachtung unserer höchsten Staatsorgane eine schwere Staatskriese die Folge gewesen. Heute fragt die Dame beim MoMa nur mit einem Halbsatz nach und macht weiter mit dem nächsten Versagenspunkt, den Stillegeprämien für Kohlekraftwerke. Ich halt das langsam nicht mehr aus. Das sind doch keine Journalisten, die wirken auf mich wie Zombies! Was kippen die den Leuten denn beim MoMa in den Kaffee? 😉

    Irgenwo habe ich den treffenden Vergleich gelesen, die Bundesregierung verhalte sich bei in der NSA/GCHQ-Affäre so wie der gemobbte Schüler auf dem Schulhof, der zuerst verprügelt wird und dann seinen Peinigern noch freiwillig sein Pausenbot anbietet, weil er glaubt, so vielleicht doch noch irgendwann von der Peer-Group aufgenommen zu werden. Einen Dreck werden die machen, die lachen sich über uns schlapp und essen dabei genüsslich noch unser Pausenbrot.

    Und da wundern wir uns, dass so viele neue „erfolgreiche“ Geschäfte in den USA entstehen und nicht in der EU. Klar, wir machen erstens wohl die schlechtere Wirtschaftsspionage und zweitens sind wir offensichtlich zu blöd und lassen uns auch bei dieser Frage den Bären aufbinden, das liege an der in den USA so hochgehaltenen freien Marktwirtschaft. Egal welche großen Internet-Konzerne Sie sich anschauen, bei fast jedem ist bei den Finanziers irgendwo eine staatliche, meist geheimdienstliche, Stelle beteiligt.

    Und wenn Heckler & Koch sich über das Verteidigungsministerium beim MAD beschwert, dass die bösen Journaliten unser gutes Sturmgewehr G36 schlechtschreiben und dahinter ausländische Mächte vermutet, schaut der deutsche Geheimdienstchef brav (und wie ich finde korrekt) ins Gesetz und sagt, das dürfe er nicht.

    https://netzpolitik.org/2015/militaerischer-abschirmdienst-wir-veroeffentlichen-wie-der-militaergeheimdienst-gegen-journalisten-vorgehen-sollte/

    Ich hab mir überlegt, ob man nicht ein paar Leute findet, vielleicht einige Mutige, die damals die Stasizentrale gestürmt haben und erst einmal zwei drei Tage vor dem Bundeskanzleramt demonstriert, bis die die Selektorenliste freiwillig herausgeben. Den Laden stürmen darf man ja nicht. Aber Lust hätte ich schon.

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    Nachtrag @Stevanovic:
    Warten Sie dochmal ab. GR steht mit dem Rücken zur Wand, finanziell. Die EU aber auch, geopolitisch. Nochmal: Die Lage hat nicht Syriza zu verantworten, sondern die vorherigen Regierungen. Syriza bringt alles auf den Punkt, verhandelt hart und hat das Referendum nochmal in die Waagschale geworfen, wo damals Venizelos einknickte. Dafür wurden sie gewählt. Daß das den Verhandlungspartnern nicht gefällt merkt man an ihrer Hysterie. Alles wird gut.

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    @Stevanovic
    „Aber wäre ein Gebilde ohne diese Verflechtung und Verkomplizierung wirklich besser?“
    Das ist so’n bisschen wie die Ehe: Zum Paartherapeuten geht man mit Problemen, die man allein gar nicht hatte.
    Will sagen: Natürlich ist eine EU besser. Wer das in Frage stellt, hat tatsächlich nicht mehr alle Lichter brennen. Aber muss man in einer solchen ‚Ehe‘ unbedingt Partnerlook tragen?

  17. avatar

    Bei Währungsunion (1991) und „Aufbau Ost“ gibt’s noch mehr Parallelen:
    ‚Man‘ (Ökonomen) wunderte(n) sich auch damals ernsthaft darüber, daß so viele Firmen und Geschäfte im Osten pleite gingen und Angestellte von heute auf morgen ‚freigesetzt‘ wurden. Der einzige, der damals vernehmlich auf zu erwartende Probleme hinwies, hieß Oskar Lafontaine. Dann wurde die Infrastruktur erneuert (Straßen, Straßen, Straßen, vergoldete Haltestellen für OPNV). Wer etwas rumreiste konnte in GR etwa ab 2000 das selbe beobachten.
    Merke (diesmal wenigstens): Infrastruktur erzeugt keine Wirtschaft.
    (Das wird der Oskar auch seiner Sarah erzählt haben.)

    Ich denke, wir können hier ein zweites Mal das Totalversagen einer Wissenschaft beobachten. Nebst obligatorischem Faulheits-Ressentiments: Damals die ‚Ossis‘, jetzt ‚die Griechen‘.

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    Will sich jemand eine solche Wirtschaftskrise in Europa ohne die EU vorstellen? Was wäre, wenn es diese Krisensitzungen und Konferenzen nicht gäbe? Wenn es von den nationalen Regierungen abhängen würde, ob überhaupt miteinander geredet wird? Ja, es sieht nicht gut aus und nein, die Geschichte ist nicht die beste Werbung für die EU/Eurozone.

    Aber wäre ein Gebilde ohne diese Verflechtung und Verkomplizierung wirklich besser? Wenn souveräne Populisten das unter sich ausmachen? Wer denkt, Griechenland würde es außerhalb der EU besser gehen, hat sie nicht alle auf dem Christbaum. Wer wären denn die ersten Opfer in einem staatlichem Darwinismus in Europa – doch bestimmt nicht Frankreich und Deutschland.

    1. avatar

      Lieber Stevanovic, ich stimme Ihnen wieder einmal voll zu. Der Grad der Verflechtung und Konsultation innerhalb der EU und der Eurozone ist ein zivilisatorischer Fortschritt; übrigens halte ich auch liberale Imperien gegenüber Nationalstaaten für fortschrittlich, man muss nur Indien unter den Briten vergleichen mit dem atombewaffneten Gegenüber von Pakistan und Indien.
      Deshalb ist es unsinnig, einen Weg fortzuführen, an dessen Ende eine Art „Nationalstaat Europa“ stehen soll. Das wird auf absehbare Zeit nicht klappen, schon gar nicht, indem so verfahren wird wie mit Griechenland. Die „5 Präsidenten“ wollen nun eine Wirtschaftsregierung der Eurozone mit noch mehr Vollmachten gegenüber den Einzelstaaten und den Bürgern dieser Staaten. Das widerspricht aber dem europäischen Gebot der Subsidiarität.

  19. avatar

    @KJN+68er

    Natürlich wird kein MadMax Szenario ausbrechen, aber wenn den kleinen Leuten das Geld ausgeht, wird das Leben unerträglich. Ich verstehe den Schuldenschnitt und ich verstehe auch den Sinn von Investitionen. Und ich verstehe auch, dass Griechenland sich nicht in paar Jahren neu erfinden kann. Das selbstgefällige Gerede von Strukturreformen reicht mir auch langsam. Man wollte nicht Geld in ein undichtes Fass schütten, vollkommen zu Recht. Aber es ist ja nicht so, dass nichts passiert wäre. Portugal hat brutale Reformen durchgezogen. Irland war ohne Erbarmen und selbst in Griechenland ist viel passiert. Nach 5 Jahren kann man mit gutem Gewissen sagen, dass das Fass nicht mehr dichter wird, d.h. wenn jetzt nicht ein Anschub auf europäischer Ebene kommt, können wir die EU echt lassen. Und damit meine ich nicht dieses Witzprogramm von 30Milliarden, von dem Juncker erzählt.

    Mich schockiert aber, was die griechische Regierung hier eiskalt durchzieht. Alles wäre besser gewesen, als das, was jetzt kommt. Und nein, meine Stimme bekommt niemand, der meint, die Griechen müssten das jetzt halt ausbaden. Rentner, die sich keine Medikamente leisten können – ihr habt gewonnen. Ich weiß nicht, woran die Verhandlungen letztlich gescheitert sind, aber keine Einsparung, kein Schuldenschnitt und keine Strukturreform rechtfertigt diese Situation. Die griechische Regierung ist verantwortlich für die Griechen und niemand kann mir erzählen, dass die Bedingungen für Griechenland so unannehmbar waren, dass das hier bessere Alternative wäre. Mir geht nur eine Frage durch den Kopf: War es das wert? Klares nein. Schade, dass Syriza das anders sieht.

    Und da sind wir wieder bei der Frage, was diese Regierung antreibt. Es ist eben nicht nur ein Neuanfang, das reden wir uns hier nur ein. Es geht um eine Systemumstellung, weg von der Globalisierung und Internationalisierung, wieder mehr zu etatistischen Lösungen mit starken nationalem Akzent. Vollkommen OK. Aber die Rentner sind nicht Opfer einer bösen Troika, sie sind Märtyrer einer Bewegung, sie sind die Späne beim Hobeln, das Opfer, das gebracht werden muss.

    Ich persönlich bin zu so einem Opfer nicht bereit. Europa sollte nachgeben, weil wir so nun mal nicht sind. Wenn das aber passiert, müssen wir über längerfristige Konsequenzen reden.

  20. avatar

    @ Alan Posener

    „Geschenke“ ist vielleicht das unpassende Wort. Es geht doch eigentlich wirtschaftlich gesehen um Märkte und Potentiale. Die Hoffnung ist doch – auch bei TTIP und CETA – dass ein gemeinchaftlicher Wirtschaftsraum insgesamt zu einer höheren Wirtschaftskraft führen. Dabei kann es natürlch vorkommen, dass strukturbedingt einige Regionen immer wieder hinter anderen zurückbleiben. Nach dem Krieg war es Bayern, nach der Wende „der Osten“, in der EU die Länder an der Pereferie. Auch in der BRD die „Zonenrandförderung“.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Zonenrandgebiet

    Es sind also keine „Geschenke“ sondern Umverteilungen des gesamtwirtschaftlichen Zuwachses an strukturschwache Gebiete, um „gleichwertige Lebensverhältnisse“ zu schaffen (Art. 72 GG), die erhebliche Vorteile für alle mit sich bringen sollen. Das hat hier in der BRD recht gut funktioniert und auch in der EU als sich dies sich noch in einer gesunden Geschwindigkeit erweitert hat.

    Man muss sich daher entscheiden, entweder es gibt die Transferunion oder die EU wird sich auf eine Rumpf-EU reduzieren mit assoziierten Wirtschafträumen., die vielleicht an den Euro-gekoppelte Währungen haben und den Euro als zweites oder gar erstes Zahlungsmittel daneben akzeptieren.

    1. avatar

      Ja, sehe ich auch so, oder ähnlich, lieber 68er. Das Problem ist: die Deutschen werden die Transferunion nicht schlucken, und die Länder an der Peripherie haben nun genug von der mit Hilfsprogrammen verbundenen aufgezwungenen Reform, die teilweise brutal und kontraproduktiv war: Kürzung der griechischen Renten um 45% zum Beispiel. Da gilt es, sich auf die Subsidiarität zu besinnen und innerhlab der Währungsunion sowohl eine Steuer- und Lohnkonkurrenz zulassen wie auch Möglichkeiten des Staatsbankrotts einzubauen, ohne dass dies mit einem Austritt aus der Währungsunion verbunden wäre. Das hat man mit Zypern ja auch schon gemacht. Staatsbankrott bedeutet: auch der Gläubiger trägt ein Risiko. Die Vorstellung, nur der Schuldner sei schuld, wenn er nicht zurückzahlen kann, ist absurd. Der Gläubiger, der in einen Staat investiert, muss genauso mit Verlusten rechnen wie derjenige, der in gold, Öl oder Winterweizen investiert.

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    Das Interessante am Länderfinanzausgleich – und erst recht am „Aufbau Ost“, in den mehrere Trillionen versenkt wurden, ohne dass Brandenburg, Meck-Pomm oder Berlin lebensfähige Gebilde geworden wären – ist, dass es sich hierbei nicht um Kredite handelt, wie bei Griechenland, sondern um Geschenke.

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    …irgendwas stimmt mit der Ergebnissen der Bayernpartei, so wie ich sie dargestellt habe, nicht, das ist aber wurscht. Jedenfalls sind die komplett bedeutungslos.

  23. avatar

    @KJN: die Bayern zahlen aktuell 4,85 Milliarden Euro an die Preußen – die größte Summe aller Geberländer.
    Beruht dies auf Solidarität?

    Gegen den Länderfinanzausgleich arbeitet in Bayern die Bayernpartei, die ihr Ergebnis um sagenhafte 112 % steigern konnte (von 1,1 auf 2,1 %). Dieser tolle Erfolg ist das Ergebnis der Logik, nach der es keine Tranasfers in Europa geben könne, solange es keine entsprechende Solidarität gäbe.

    „Die Preißn soll man bescheißen…“ Vielleicht gibt es doch auch andere Gründe, warum die Bayern den LFA bezahlen. Vielleicht weil es so für sie am besten ist? Dann könnte es aber auch sein, dass auch das bärenstarke Deutschland merkt, dass es besser ist, weiterhin Transfers zu zahlen statt sich durch eine zu starke Währung abzuwürgen. Ganz ohne Solidarität.

  24. avatar

    @Roland Ziegler

    …stattdessen habe ich das Gefühl, in einen zweiten kalten Krieg hereinzuschliddern. Beim letzten Mal hatten wir mächtig Glück gehabt

    Dem ist nichts hinzu zufügen!!!

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    @Stefanovics

    PS: Die Ukraine-Politik funktioniert deswegen, weil die USA eine rote Linie gezogen haben. Wäre die EU alleine, würden wir nicht über die Krim, sondern über Zollprobleme an rusisch/deutschen Grenze sprechen.

    Gab es 1990 nicht US Politiker die für ein Verbleiben der Ukraine in Rußland (UdSSR) plädiert haben?

    Und was generell das Thema betrifft:

    Zur Erinnerung dieses Interview in der taz:

    http://www.taz.de/!5033743/

    Und:

    Wie entstand die Kubakrise:

    Jupiterraketewn in der Türkei waren auf Moskau gerichtet.

    Was macht ein Imperium wie die UDSSR wenn es sich bedroht fühlt.

    Versucht zu kontern… daher der Versuch Raketen auf Kuba zu installieren!!!

    Und was macht Kennedy nahe der Kubakrise (der vermeintlichen Sieg) einige Monate später werden die Atomraketen, die auf Moskau gerichtet sind abgebaut…

  26. avatar

    @Roland Ziegler
    Bayern war jahrzehntelang Empfänger des Länder-Finanzausgleichs, NRW z.B. jahrzehntelang Nettozahler.
    @68er
    Ich teile ihre Befürchtungen hier voll und ganz.
    Ich habe noch gestern ‚dorthin‘ telefoniert und mein Eindruck ist, daß es sich bei der jetzigen ‚Panik‘ eher um deutsche Befindlichkeiten handelt.

  27. avatar

    Sehr geehrter Herr Posener,
    Sie haben Recht, dass es unter den Unionsbürger*innen sehr an Zustimmung zu einem europäischen Bundesstaat mangelt. Meines Erachtens stehen wir aber trotzdem vor der Wahl, entweder gemeinsame Entscheidungsmodi in den wichtigen wirtschafts-, finanz-, arbeits- und sozialpolitischen Fragen einzurichten, oder das europäische Einigungsprojekt vollständig vor die Wand fahren zu lassen. Findet keine zentralere Koordination statt, wird die BRD einfach weiterhin alle anderen Mitgliedsstaaten durch ihre aggressive Wettberwerbspolitik ausbooten und dann können sich die südeuropäischen Staaten noch so sehr um ein nachhaltiges Wachstumsmodell bemühen… Sie werden keines hinbekommen, da jede Art von Wachstum in diesen Ländern nur im Inland generiert werden kann (d. h. über kreditfinanzierte Nachfragesteigerungen), solange die BRD den EU-Außenhandel dermaßen dominiert.
    Auch aus demokratietheoretischer Sicht führen nur die Optionen ‚ganz‘ oder ‚gar nicht‘ zu passablen Lösungen. Der derzeitige (intergouvernementale) Entscheidungsmodus ist höchst undemokratisch, da sich die nationalen Exekutiven auf EU-Ebene (im Ministerrat) als zentrale gesetzgebende Gewalt aufspielen und damit die Entscheidungsbefugnisse der gewählten Parlamente massiv einzuschränken vermögen. Das ist genau so, als ob der Bundesrat in der BRD das zentrale Gesetzgebungsorgan wäre (nicht von ungefähr gilt Letzterer ja nicht als ‚Parlament‘).
    Egal wie man die gegenwärtige Situation betrachtet: Entweder wir kehren zurück zur ‚Souveränität‘ der Nationalstaaten und wirtschaften Südeuropa damit in Grund und Boden, oder wir bauen die EU zu einem demokratischen Bundesstaat um, in dem gemeinsame wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen getroffen werden und in dem das EP das zentrale Legislativorgan ist.
    Zum jetzigen Zeitpunkt sollten wir doch wirklich erkennen, dass es ein ‚Weiter so‘ nicht mehr geben kann! Vor lauter Diskussionen über ’nationale‘ und persönliche (!) Befindlichkeiten ist das große Ganze für meine Begriffe viel zu sehr aus dem Blickfeld geraten. Dabei gibt es durchaus vielversprechende Lösungsansätze. Viele gute Vorschläge sind z. B. in dem folgenden Bericht enthalten:

    Arthuis, Jean. 2012. Avenir de la zone euro: l’integration politique ou le chaos (Rapport).
    Verfügbar unter: http://www.ladocumentationfran.....000129.pdf

  28. avatar

    Stimme inhaltlich voll zu. Aber die Begriffe gefallen mir nicht. Sie sind gefährlich, wenn sie von den falschen Leuten für deren durchsichtige Umdeutung instrumentalisiert werden. – „Imperium“ ist ein sehr negativ besetztes Wort das auch Sarah Wagenknecht und die Putinverstehe gebrauchen, wenn sie mal wieder Amerika die Schuld am gesamten Übel der Welt anlasten.

  29. avatar

    „Europa ist dort erfolgreich, wo es sich – wie in der Ukraine-Krise – auf seine imperialen Interessen besinnt und ein faktisches Direktorium der wichtigsten Mächte die Führung übernimmt.“
    Aus SPON vor 12 Jahren:
    Nach dem Brüsseler EU-Gipfel hat Jacques Chirac den Beitrittskandidaten aus Osteuropa für ihre pro-amerikanische Haltung im Irak-Konflikt die Leviten gelesen. „Sie haben eine großartige Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten“, sagte Frankreichs Staatschef.

    Weniger Europa wird viel mehr davon sein. Und dann stellt sich doch erst recht die Frage: wer braucht so ein Europa?

    „Das Zentrum drückt seine Bedingungen einen Land der Peripherie auf, dem nur noch die Alternative „take it or leave it“ geboten wird.“
    Das Zentrum, die Eurozone, besteht aus 19 Ländern. Aus wie vielen würde wohl das faktische Direktorium bestehen? Sie waren auf dem Balkan und haben die Ergebnisse der Außenpolitik des F/D/UK Direktoriums aus den 90ern gesehen. Binnenmarkt geht auch mit China. Ich kann nur nochmal Fragen: wer braucht so ein Europa?
    Das „mehr“ an Europa verhindert es, dass USA, Russland und China auf der Europakarte Risiko spielen, zumindest schränkt es das etwas ein. Was nützt ein Europa, dass das nicht Sicherstellen kann?
    Was passiert, wenn Rumänien auch einen Orban hat und es keine übergeordneten Institutionen gibt, die nicht durch eine Mehrheit der Europäer legitimiert sind? Die britische Idee eines Balance of Power funktioniert in einem Europa der paar und 30 Staaten nicht. Außer wir akzeptieren die USA als übergeordnete Institution (oder Russland?), was die atlantische Freundschaft doch ärger strapazieren würde, als es ohnehin der Fall ist. Die Britten spielen eine Sonderrolle, das sollen sie auch, aber das funktioniert eben nur als Sonderrolle, nicht als Regel. Warum weniger Europa den Britten nützen würde, leuchtet mir ein, was aber die Slowaken davon hätten, verstehe ich nicht so ganz.

    „Anders ausgedrückt: die „Vertiefung“ der Union hat ihren Endpunkt erreicht.“
    Weil Britten und Griechen gerade keinen Bock haben und alle wirtschaftliche Probleme und Angst haben? Lasst uns doch mal abwarten, ob es nicht doch eine Flüchtlingsquote geben wird, wenn erst genug Menschen ersoffen sind.

  30. avatar

    Es wird häufig gesagt, innerhalb Deutschlands gäbe es eine Solidarität, die zum Länderfinanzausgleich führt; innerhalb Europas gäbe es die aber nicht, weshalb ein europäisches Pendant nicht funktionieren würde. Stimmt denn davon wenigstens der erste Teil, basiert der Länderfinanzausgleich auf einem Solidaritätsgefühl, das die Bayern für ihre Landsleute in Preußen hegen?

    Ich glaube das nicht. Mir ist eine solche herzliche Zuwendung noch nicht untergekommen. Es basiert darauf, dass es den Bayern trotz des Länderfinanfausgleichs gut geht, so dass sie Anlass haben zu bezweifeln, dass es ihnen als Nationalstaat Bayern genauso gut oder gar besser ginge.

  31. avatar

    Was sie eigentlich wollen, ist ein Neuanfang, wie er auch den Deutschen nach dem 2. Weltkrieg zuerkannt wurde und der auch von vielen Ökonomen als einziger Ausweg gesehen wird. Das mit einem Sparkassenvertreter á la Schäuble zu verhandeln, ist allerdings sehr schwierig.

    Am irrsten finde ich die Argumentation, von Schäuble & Co, man dürfe die schlechte Politik der Griechen der vergangenen Jahre nicht auch noch belohnen. Wie wahr wäre dieses Argument damals gewesen, als man den noch hinter den Ohren braunen deutschen mit dem Marshall Plan unter die Arme griff (der rechte zuckte noch) und 1953 in London die Hälfte ihrer Schulden erließ.

    http://www.welt.de/wirtschaft/.....etenz.html

    Varoufakis und Tsipras leben gefährlich. Sie zeigen mit chirurgischer präzision die juristischen Bruchkanten der EU und des EU-Währungsraums auf. Wenn ich es richtig verstanden habe, führt die Nichtzahlung der Raten beim IWF, ähnlich wie bei Privatleuten nur zu einem Mahnverfahren. Auch die Nichtzahlung gegenüber der EZB hat keinerlei grundlegende Konsequenzen. Das haben die beiden recht gut erkannt und versuchen in dieser Situation für ihr Land das beste herauszuholen. Dafür wurden sie gewählt. Aus dem Euro kann man sie nicht rausschmeißen, aus der EU auch nicht. Also führt nur eine Auflösung der gesamten EU oder eine grundlegende Reform der EU zum Ziel. Da aber beides weder von den „führenden“ Ländern und Politikern geleiste werden kann oder will, wird man überlegen, wie man den gordischen Knoten durchschlägt. Früher hätte man einen Militärputsch lanciert, heute wird man versuchen, es wohl über innere Unruhen versuchen. Lustig dabei, dass gestern alle auf das Chaos an den Börsen und in den Straßen Griechenlands gewartet haben und als das erhoffte Szenario ausblieb, berichteten unsere verdutzten Reporten von der „gespenstischen Ruhe“

    Irgendwie lustig das ganze Kasperletheater, wenn es nicht so ernst wäre.

  32. avatar

    @Stevanovic
    Ich denke, Sie verwechseln hier Ursache und Wirkung. Das ‚Nationalkonservative‘ ist in GR nicht Ursache, sondern Folge einer (für dieses Land) verfehlten Politik. Auch ist das bei Syriza nicht Programm, sondern hier und da Rhetorik. Programm ist das bei der ‚Goldenen Morgenröte‘. Und die wurde nicht gewählt. Mit dem harten Kleber, den Sie als identitätsstiftend für die EU beschreiben, zerbricht die EU schneller, als sie damals gegründet wurde. Imperien haben immer subsidiäre Lösungen zugelassen und sich auf wenige Identitätsmerkmale beschränkt. Die EU macht (u.a. mit dem EURO) das Gegenteil.

    Ich finde die einseitige Darstellung in den Funkmedien derzeit erschreckend.

  33. avatar

    …stattdessen habe ich das Gefühl, in einen zweiten kalten Krieg hereinzuschliddern. Beim letzten Mal hatten wir mächtig Glück gehabt. Das wird uns jetzt als Erfolgsrezept verkauft. Sollten wir wieder unser Glück strapazieren? Oder gilt das Motto: „Operation gelungen – Patient tot“? Härte zeigen – immer zurückrempeln? Wenn der eine aufrüstet, muss auch der andere aufrüsten. Wenn de reine „übt“, muss auch der andere „üben. Dieses Spielchen führt dann am Ende zum Erfolg? – Hier fehlt mir mal wieder der Glaube.

  34. avatar

    @Stevanovic/Alan Posener: Die Ukrainepolitik funktioniert? Solange der Krieg weitergeht, scheint mir da gar nichts zu funktionieren. Aber es schießen immer nur die einen, und die anderen verteidigen lediglich ihr Vaterland.

    @KJN: Endlich kann ich Ihnen mal restlos zustimmen und ergreife gerne diese Gelegenheit.

  35. avatar

    Wer gegen die Austeritätspolitik ist, wie Kruegman, hat natürlich Sympathien für Syriza, in der irrigen Annahme, es würde um eine andere Wirtschaftspolitik gehen. Selbst die US-Regierung hat das geglaubt. Und ja, ich auch. Aber hier geht es um mehr. Das erzählt Syriza die ganze Zeit, die Nationalkonservativen sowieso. Nur wir wollten es nicht hören.
    Eine Union, die einer Syriza oder Fidesz Bewegungsfreiheit gibt, ist keine.

  36. avatar

    @Roland Ziegler
    wg. vertiefter EU: Die Türkei hat man nicht reingelassen, weil sie zu muslimisch sind, die Griechen mobbt man raus, weil sie zuwenig deutsch sind und der Rest wird z.B. wg. matter Glühbirnen gemaßregelt. Das ist nicht imperial, sondern spießig-arrogant. So wird das nix mit ‚Imperium‘.
    @Don Geraldo
    Ihr Geld werden Sie eh‘ los. Entweder für humanitäre Hilfe für ein heruntergewirtschaftetes Hellas, dem durch Merkels Austeritätspolitik noch der Todesstoß versetzt wurde oder für hohe Verteidigungs- und Grenzsicherungs-Aufwändungen an einer Balkan-Südgrenze.
    @die griechische Regierung
    Sagt nicht immer so penetrant die Wahrheit und zieht euch mal was Ordentliches an: Der deutsche Michel möchte schließlich beschissen werden – und zwar von seriös gekleideten Damen und Herren, wie gestern bei Günter Jauch.

  37. avatar

    Deswegen geht es nicht nur um eine Reform der EU. Die europäische Idee steht als solche zur Disposition. Nur als Binnenmarkt brauchen wir die EU nicht – das können wir mit den US, Russland und China sinnvoller bilateral aushandeln. Dafür müssen Deutschland, Frankreich und UK nicht mit Slowenien und Estland diskutieren. Und siehe da, genau die Strategie hat Syriza verfolgt. Von den 27EU-Mitgliedern, wollte man eigentlich nur mit den mächtigsten reden. Verbündete unter den kleinen? Uninteressant. Ein halbes Jahr wollte man dies als unpolitischen Poker sehen oder im CSU-Jargon: als Gier nach deutschen Steuergeldern. Obwohl Varoufakis immer wieder betonte, dass er dieses Geld gar nicht wolle. Es geht um das Prinzip. Und deswegen war es vollkommen egal, was die Institutionen angeboten haben, ob das wirklich so hart war und was man draufgelegt hat.

  38. avatar

    …wobei ich hier auch schon für die Rückkehr zur Drachme argumentiert habe und aktuell nicht sicher bin, was für die Griechen die bessere Wahl wäre. Die Konsequenzen eines Austritts lassen sich nicht überblicken. Diese Verhandlungspokerrunden voller Drohungen, Anfeindungen und Ultimaten sind jedenfalls auch in einem lockeren Staatenbund großer Mist und sollten durch Regelungen ersetzt werden.

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    Es liegt nun mal in der Natur der Sache, dass Projekte, die über mehrere Legislaturperioden gehen, nur verbindlich betrieben werden können. Wenn eine griechische Regierung Verträge unterschreibt, mit denen sie ihre Nachfolger bindet, dies vom griechischen Gesetz gedeckt ist, dann verstehe ich den Zusatz „Diktatur“ nicht so richtig.
    Einverstanden: lassen wir mal Sinn und Unsinn einer Haushaltsdisziplin oder Austerität beiseite. Schenken wir uns die Diskussion, was Strukturreformen sind, ob Länder neue Geschäftsmodelle brauchen oder ob es sich bei der Wirtschaftskrise tatsächlich nur um ein fiskalisches Phänomen handelt. Alles Wurst und Ansichtssache.
    Aber eines ist für mich keine Ansichtssache: Es ist keine Folklore, wenn Syriza von Ehre und Souveränität des griechischen Volkes spricht. Es geht nicht um „die Wähler“, denen man nach dem Mund redet. Die griechischen Regierungen, die Verpflichtungen eingegangen sind, waren demokratisch gewählt, ihre Entscheidungen demokratisch legitimiert. Es mag politisch ungeschickt sein, aber auf diese Verträge zu verweisen, ist strikt demokratisch. Die Entscheidungen demokratisch gewählter Regierungen als Diktat zu bezeichnen ist ein Kennzeichen von Revolutionen. Es regiert ja nicht nur Syriza, es regieren auch Nationalkonservative. In Athen sitzt eine Koalition aus Wagenknecht-Linkspartei und Pegida an der Regierung. Was ist das einigende Band zwischen denen? Es ist der Begriff der Souveränität. Und das in einer Definition, dass es jedem Neo-Montagsdemo Demonstranten und Reichsbürger warm ums Herz wird. Diese angebliche Souveränität steht der nordkoreanischen Juche-Ideologie nahe und untergräbt alle Absprachen, die Staaten miteinander machen. Mit diesem Konzept lässt sich nicht nur keine Eurozone machen, alles, was auf internationalem Parket abgesprochen wird, lässt sich mit dem Verweis auf Souveränität (Ehre und Würde) wieder einpacken. Dahinter steht ein politisches Konzept, das Internationalisierung grundsätzlich als Diktatur betrachtet. Orban denkt genauso.
    Es geht also nicht um 1% mehr oder weniger irgendeiner Steuer. Syriza redet sich seit einem halben Jahr den Mund fusselig, dass die Frage eine politische ist und nur auf Chef-Ebene behandelt werden kann. Nur der Rest Europas wollte es nicht wahrhaben. Europa wollte glauben, dass es um die Schulden geht. Aber um die geht es nicht. Syriza und die Nationalkonservativen wollen wie Orban aus der Globalisierung aussteigen. Bei aller Liebe, damit ist nicht nur kein Euro, es ist auch kein Binnenmarkt zu machen.

    PS: Die Ukraine-Politik funktioniert deswegen, weil die USA eine rote Linie gezogen haben. Wäre die EU alleine, würden wir nicht über die Krim, sondern über Zollprobleme an rusisch/deutschen Grenze sprechen.
    PPS: Griechenland war schon mal Diktatur und keiner hat es mitbekommen. Sollte Griechenland die russische Karte spielen, wird es ähnlich erblühen, wie alle europäischen Länder, die diese Karte gespielt haben. Und ähnlich wie bei diesen, wird es Europa am Allerwertesten vorbei gehen. Die Blockade der EU ist der einzige Trumpf, den Griechenland hat.

  40. avatar

    @Don Geraldo: Ein Staat ist keine Privatsache und funktioniert nicht auf Spenden-, sondern auf Steuerbasis. Deswegen bin ich für eine europäische Steuer. Alternativ kann man das auch aus dem vorhandenen Steueraufkommen bezahlen.
    Wenn Sie dagegen sind, würden Sie eben anders als ich abstimmen, wnen Sie denn abstimmen könnten. Damit hätte ich keine Probleme. Wenn Ihr Standpunkt dann die Mehrheit bekäme, wäre es mir eine demokratische Selbstverständlichkeit, mich dem aus meiner Sicht falschen Votum zu fügen. Das ist für mich eine bekannte Erfahrung aus vielen Wahlen in der Vergangenheit. Umgekehrt setze ich das auch bei Ihnen und allen anderen voraus. Und da bin ich mir nicht so sicher, ob auch das Verlieren gut gelernt wurde, bei so vielen Gewinnern überall.
    Jedenfalls: sicherheitshalber GARNICHT abzustimmen und einfach machen zu lassen, damit man dann „auf die da oben“ schimpfen kann, ist wohl auch nicht das Wahre in der Demokratie, sondern eigentlich ihr Gift. Zumal Sie Ihr Geld, das als Transfer nach Griechenland fließen würde, so oder so nicht behalten werden. Oder glauben Sie, dass die Drachme das Ende unserer Zahlungen nach Griechenland bedeuten würde? – Ich glaube das jedenfalls nicht.

  41. avatar

    Lieber Alan Posener,

    mit Ihrer Analyse haben Sie zwar recht, Ihre Zukunftsvision wird sich jedoch (leider) nicht realisieren lassen.

    Helmut Schmidt sagte mal, wer Visionen habe solle zum Arzt gehen. Leider wurde danach von „Visionären“ wie Helmut Kohl und Joschka Fischer Politik gestaltet unter großzügiger Ausblendung der Fakten. Die Vertiefung der EU und das ganze Euro-Projekt stehen dafür exemplarisch.

    Die Epigonen der Vorgenannten, von Merkel bis Juncker, werden den Teufel tun diese Politik endlich zu beenden, sie müßten sonst ihre Lebenslügen eingestehen.

    @ Roland Ziegler
    Ich würde auch gerne über alles mögliche abstimmen. Allerdings würde ich mein Geld gerne behalten statt nach Griechenland zu schicken. Wenn Sie das anders sehen, Sie können auch jetzt schon Geld überweisen, Tsipras wird Ihre Spende bestimmt nicht ablehnen.

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    @Alan Posener: Entschuldigung, selbstverständlich adressiert sich mein Geschimpfe nicht an Sie. Es mag sein, dass sich das gerade etwas missverständlich angehört hat. Es ist nur so, dass mir diese griechische Katastrophe in Permanz (ein allerallerletzes Ultimatum folgt jeweils aufs allerletzte…) etwas auf die Nerven fällt. Außerdem bin ich gerade müde.

    Selbstverständlich würde ich akzeptieren, wenn sich die deutschen Wähler gegen einen Automatismus entscheiden. Noch haben sie das aber nicht getan. Außerdem hat das nichts damit zu tun, wie ich (als einzelner Wähler) die Sache sehe und entscheide. Es ist gut möglich, dass ich die Lage anders als die Mehrheit beurteile. Das wäre nicht das erste Mal. Aber eben das ist noch nicht entschieden und noch offen. Gegen das, was die Deutschen machen, bin ich nicht aus Prinzip. Das wäre auch deshalb merkwürdig, weil ich selber ein Deutscher bin.

    Wenn ich also überlegen soll, wofür ich bin, dann bin ich dafür, einen vernünftigen Automatismus zu entwerfen und darüber abstimmen zu lassen. Das wäre dann mehr Demokratie, mehr Automatismus und gegen das, was die Deutschen gerade machen, wenn auch nicht aus Prinzip (d.h. wie beim Überraschungsei: drei Wünsche auf einmal).

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    Und zur europäischen Solidarität: Sie behaupten, die gäbe es nicht, und hätten wahrscheinlich irgendwelche Umfrageergebnisse präsentiert, wenn Sie eine Begründung überhaupt für nötig erachten würden. Derzeit handeln irgendwelche Personen, die kein Mensch gewählt hat (mit Ausnahme der griechischen Regierung, die noch am besten legitimiert ist) im Namen aller. Von deren Handlungen darf man aber nicht auf den Willen des Wahlvolks schließen.

    Ich würde gern darüber abstimmen, ob die Greichenlandhilfen jetzt weiter fließen sollen oder nicht. Ich würde mit „ja“ stimmen. Es müsste idealerweise ein Automatismus installiert werden, so dass diese nervtötende Verhandlungen sich erübrigen, sondern einfach Transfers in strukturschwache Gegenden fließen.

    Leider aber kann ich darüber nicht abstimmen. Nicht mal die Griechen lässt man abstimmen, die sich möglicherweise inzwischen auch lieber helfen lassen würden als der Drachme zu vertrauen. Das ist undemokratischer, aber „imperialer“ Mist.

    1. avatar

      Lieber Roland Ziegler, schimpfen Sie nicht auf den Boten. Erstens. Und zweitens: „Es müsste idealerweise ein Automatismus installiert werden, so dass diese nervtötende Verhandlungen sich erübrigen, sondern einfach Transfers in strukturschwache Gegenden fließen.“ Ein Automatismus ist demokratischer als Verhandlungen zwischen gewählten Regierungschefs? I don’t think so. Und wenn sich die deutschen Wähler gegen den Automatismus aussprechen würden, und dafür, ihr Geld lieber Hungeropfern in Afrika zu schicken oder für die Verbesserung des hiesigen Schulsystems aufzubringen, würden Sie das akzeptieren? Überlegen Sie also genau, wofür sie sind: mehr Demokratie oder mehr Automatismus. oder einfach nur gegen das, was die Deutschen machen, und zwar aus Prinzip.

  44. avatar

    Lieber Alan Posener,

    mit dem Kaffeesatzlesen ist dass so eine Sache:-)

    „Das Konzept sollte abgewickelt werden: zuerst in den Köpfen, dann aber auch in den Verträgen.“

    Die technischen Innovationszyklen werden in der Regel immer kürzer.

    Da wir oftmals den “ Fortschritt “ im polirischen Bereich“ von der Entwicklung der Technologie ableiten, sollten wir nicht vielmehr uns mit Geduld wappnen??

    Statt gleich wieder Konzepte zu verwerfen??

    Und:

    Auch im Bereich der technischen Innovation kommt es zu statischen Perioden, z.B. seit nahezu 30 Jahre ist kein neues Antibiotika entwickelt worden.

    Um wieder einmal Konfuzius aus dem Bücherschrank hervorzuholen:

    Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern.

  45. avatar

    Die Union, die derzeit handelt, ist jedenfalls nicht vertieft, soviel wissen wir. Das kann man jeden Tag sehen. Inwieweit dieser Zustand eine Werbrung für eine „nicht-vertiefte Union“ sein soll, bleibt mir ein Rätsel. Wir haben jetzt eine nicht-vertiefte Union. Oder sehen Sie das anders?

    So wie es ist, geht es aber nicht. Deshalb muss man entweder vor (= Vertiefung) oder zurück (= Auflösung in Nationalstaaten). Wie eine „vertiefte Union“ handeln würde, ist momentan eine Spekulation. Ich vermute aber, sie hätte Griechenland „gerettet“. Derzeit sieht es eher danach aus, als würde Griechenland in eine arge Katastrophe schliddern. Das ist das reale Ergebnis einer realen nicht-vertieften Union.

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