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Bekenntnisse eines ehemaligen Neocon

Der typische Neokonservative, sagte Irving Kristol einmal, ist ein Linker, den die Realität hinterrücks überfallen hat. Was aber wird aus einem Neocon, den die Realität abermals überfallen hat?

Kristols Bemerkung war durchaus treffend. Die Neocons waren – zumindest in der Gründergeneration – größtenteils ehemalige Linke, insbesondere Trotzkisten. Also Renegaten. Und wie viele Renegaten – man denke etwa an das Personal der „Achse des Guten“ – wurden sie nach ihrer unangenehmen Begegnung mit der Realität nicht einfach stinknormale Konservative, sondern oft besonders penetrante Reaktionäre.

Ein solcher Neocon war ich nicht, obwohl auch ich Renegat bin. Die soziale Agenda der Neocons fand und finde ich größtenteils unvereinbar mit meinen liberalen Überzeugungen. Mich hat freilich ihre außenpolitische Agenda stark angezogen. Sie hat ihre ideologischen Wurzeln in der Politik Woodrow Wilsons, Franklin D. Roosevelts und in der Rhetorik John F. Kennedys; sie ist, wie viele Konservative anmerkten, überhaupt nicht konservativ, sondern im Kern revolutionär. Als „liberaler Falke“ – ein Liberaler in der Innenpolitik, aber ein Falke in der Außenpolitik – zog und zieht mich die Vorstellung an, die USA oder der „Westen“ – die USA mit der Anglosphäre und der Europäischen Union – könnten und müssten sich im wohlverstandenen Eigeninteresse überall auf die Seite derjenigen stellen, die für die Demokratie und gegen die Tyrannei kämpften; davon ausgehend, jenseits aller moralischen Erwägungen, dass Kants „ewiger Friede“ den weltweiten Sieg der Demokratie als Staatsform voraussetzt.

Freilich täuschten sich die Neocons, wenn sie glaubten, ihre außenpolitischen Vorstellungen seien Produkt eines „Überfalls durch die Realität“. Im Grunde haftete ihnen – worauf die echten Konservativen, die sich in den USA „Realisten“ nennen, immer hinwiesen – etwas von der trotzkistischen Vorstellung einer „permanenten Revolution“ an, wobei das Endziel – das „Ende der Geschichte“ – eben nicht mehr der Kommunismus, sondern Kants „Weltbund demokratischer Staaten“ wäre. Anstelle des Hegelianers Karl Marx trat der Hegelianer Francis Fukuyama, der theoretisch einen – wenn auch schwachen – geschichtlichen Determinismus ausmachte, der in diese gewünschte Richtung floss. Die Versuchung lag nahe, diesem Determinismus nachzuhelfen; und so wurde in Afghanistan und dem Irak aus der Not eine Tugend gemacht: Man ging rein, um Al Qaida beziehungsweise Massenvernichtungswaffen zu finden, man blieb, um die Demokratie aufzubauen. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Ich selbst entwickelte aus den Dilemmata der neokonservativen Außenpolitik die Vorstellung eines progressiven Imperialismus, als dessen Hauptkraft ich nicht die USA, sondern die EU ausmachte. Die USA, so argumentiere ich in meinem Buch „Imperium der Zukunft“, sind strukturell, habituell und politisch nicht in der Lage, jene nachhaltige Strategie zu entwickeln, die nötig ist, um die Demokratie erfolgreich zu exportieren, wie es die EU vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in den ehedem faschistischen Ländern Spanien, Portugal und Griechenland und nach 1989 in den ehemals kommunistischen Ländern des Ostblocks vorgemacht hat. Mittels der Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik sei die EU, so meine Argumentation, in der Lage, Druck in Richtung auf die Entwicklung einer liberalen Demokratie und einer funktionierenden Marktwirtschaft auszuüben. Die nächsten Kandidaten seien der westliche Balkan, die Türkei und die Ukraine. Doch auch im Mittelmeer habe die EU eine mission civilatrice – die Aufgabe, auf Reformen in den Anrainerstaaten zu drängen.

Nun, im Augenblick sieht es damit nicht gut aus. Die Ukraine wird von der russischen Aggression zermürbt, deren Nahziel darin besteht, die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU zu verunmöglichen, und deren mittelfristiges Ziel die Spaltung Europas ist, so dass die EU außenpolitisch handlungsunfähig wird. Die Türkei hat unter Recep Tayyip Erdogan nach einer anfänglichen Phase der Hinwendung zur EU und der Demokratisierung eine neo-osmanische Politik verfolgt, die mit einem Abbau der Demokratie einhergeht. Der „arabische Frühling“, der 2011 die Träume der Neocons zu bestätigen schien, ist in allen Ländern außer Tunesien gescheitert. Westliche Intervention zugunsten der Opposition hat in Libyen einen failed state hinterlassen; westliche Nichtintervention hat dem von Russland gestützten Diktator Assad ermöglicht, sein Land in ein Totenhaus zu verwandeln. Wir Neocons – oder Sympathisanten der Neocons – sind von der Realität überfallen worden und müssen, wenn wir überhaupt etwas von unserer Glaubwürdigkeit behalten wollen, uns fragen, welche Lehren wir daraus ziehen.

Die erste und wichtigste Lehre scheint mir zu sein, dass die Staatlichkeit ein hohes Gut ist. Ein autoritärer Staat ist besser als gar kein Staat; undemokratische Strukturen sind besser als das Chaos; eine Armee ist besser als die Herrschaft von Milizen. Die Demokratie, wie immer man sie definiert, ist eine Funktionsweise des Staates und setzt einen funktionierenden Staat voraus. Es war vergleichsweise einfach, den Staat Francos oder Honeckers zu demokratisieren; es ist fast unmöglich, in Libyen eine Demokratie zu errichten, weil es dort fast keinen Staat gibt. Einer der großen Fehler der USA im Irak war die Auflösung der Armee, des wichtigsten Ordnungsfaktors im Land. Kurz und gut: Law and Order sind wichtiger als Freiheit und Demokratie.

Zweitens, und das hängt mit der ersten Lehre zusammen, ist Demokratie ohne Liberalismus nichts wert. Das heißt, wird die Demokratie missverstanden als die absolute Herrschaft der Mehrheit oder als die Legitimierung illiberaler Herrschaft durch Wahlen, ist sie nicht besser als die Despotie. So kam die Hamas durch demokratische Wahlen in Gaza an die Macht, denkt aber nicht daran, diese Macht mit irgendjemandem zu teilen; so glaubte Mohammed Mursi, durch seine demokratische Wahl zum Staatspräsidenten ein Mandat erhalten zu haben, Ägypten in einen Gottesstaat zu verwandeln. Liberalismus bedeutet erstens die Herrschaft des Rechts, also den Rechtsstaat. Liberalismus bedeutet zweitens den Schutz von Minderheiten und die Wertschätzung der Opposition. Liberalismus bedeutet drittens die Existenz einer staatsfernen oder besser regierungsunabhängigen Zivilgesellschaft, insbesondere von Gewerkschaften und Verbänden, Kirchen und anderen religiösen Institutionen, sowie eines vor Willkür geschützten Beamten- und Behördenapparats und einer freien Presse. Man könnte sogar sagen, dass ein Staat, in dem wenigsten ein Teil dieser Bedingungen gegeben ist – wie etwa China – besser ist als ein Staat, in dem es demokratische Wahlen gibt, wo aber die Justiz von der Politik abhängig, die Beamtenschaft korrupt, die Zivilgesellschaft schwach und die Presse gegängelt wird, wie zurzeit – und seit langem – in Ägypten.

Das sind keine neuen, schon gar nicht sind es originelle Gedanken; auch die Neocons waren und sind nicht so naiv, dass ihnen diese Überlegungen völlig fremd wären. Aber als ich jetzt in Ägypten war, kamen sie mir noch einmal mit der Wucht jenes Überfalls durch die Realität in den Sinn.

Man stelle sich ein Land vor, das seit Menschengedenken (die Hälfte der Bevölkerung ist 15 Jahre alt oder darunter) von einer ausufernden Bürokratie regiert und gegängelt wird: „Al Hakouma“ – die Regierung – ist das generische Wort, das Polizei und Behörden, Gerichte und überhaupt die da oben umfasst. Die Korruption ist endemisch; auch das Selbstverständliche wird nur erledigt, wenn Geld von Hand zu Hand geht. Und doch – oder deshalb – scheint es das höchste Ziel der meisten Menschen zu sein, einen Posten bei Al Hakouma zu ergattern, der lebenslange Sicherheit bei wenig Arbeit garantiert, und einem die Möglichkeit gibt, nebenbei etwas hinzuzuverdienen (wenn man seinen Chef schmiert).

Man stelle sich ein Land vor, in dem man zwar der Regierung nicht traut, dem Markt aber noch weniger. Adam Smith meinte, man solle sich nicht auf die Moral des Bäckers verlassen, wohl aber auf sein Eigeninteresse; denn kein Bäcker werde auf dem freien Markt lange bestehen, wenn er nicht zuverlässig und in zuverlässiger Qualität Brot liefere. In Ägypten scheint man der Ansicht zu sein, jeder Händler wolle einen betrügen, wenn es nur möglich ist. Kauft man nicht in bestimmten – oft staatlichen – Läden ein, müsse man damit rechnen, dass bei importierten Autos, Waschmaschinen oder Handys wertvolle Teile ausgebaut und durch billige Imitate ersetz worden seien. Bei heimischen Produkten müsse man ohnehin annehmen, dass im Shampoo Wasser und im Hemd unreine Baumwolle verwendet wurde. Ich kenne Ägypter, Bürger eines Baumwolle produzierenden Landes, die nach Deutschland fahren, um bei H&M Textilwaren einzukaufen und sich bei Lidl mit Seifenprodukten eindecken, obwohl der Umtauschkurs für das ägyptische Pfund nicht günstig ist.

Man stelle sich ein Land vor, in dem es selbstverständlich ist, dass die Presse von Parteien kontrolliert und von der Regierung zensiert wird – und die dennoch eifrig gelesen wird, jedenfalls von denen, die lesen können, denn 30 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten.

Man stelle sich ein Land vor, in dem Brot und Benzin dauersubventioniert werden, obwohl die Straßen verstopft sind und allgemein bekannt ist, dass manche Menschen ihre Brotrationen horten und an das Vieh verfuttern.

Man stelle sich ein Land vor, in dem den Menschen die Eigeninitiative systematisch abtrainiert worden ist, vom Hotelangestellten, der untätig herumsteht, bis ihn irgendjemand anschnauzt, bis zum Presseattaché der Botschaft in Berlin, der ohne grünes Licht seiner Vorgesetzten in Kairo nicht in der Lage war, mir seinerseits eine Empfehlung für ein Journalistenvisum auszustellen. (Dies ist kein bloßes ägyptisches Phänomen. Ich erinnere mich an die europäische Managerin eines Hotels in Jordanien, die mir sagte, sie stelle ungern einen Araber in leitender Position ein, weil er sich sofort in sein Büro einschließe und nur herauskomme, um sie zu bitten, eine weitere Stelle für seinen Cousin zu finden.)

Man stelle sich ein Land vor, in dem es immer noch wie unter den Pharaonen und Kalifen heißt, dieses oder jenes Gebäude sei „von Nasser“ oder „von Mubarak“ erbaut worden: Wie etwa der Assuan-Staudamm, jenes monströse Bauwerk, das zwar die Nilfluten regelt, aber den natürlichen Reichtum des Nils, den Schlamm, zurückhält, so dass die Felder im Niltal mit Kunstdünger bearbeitet werden müssen, was erstens teuer ist und zweitens den Fluss vergiftet. Man stelle sich ein Land vor, das größtenteils aus Wüste besteht, aber kaum angefangen hat, die Sonnenenergie auszubeuten; in dem ein Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeitet, die aber nur 14 Prozent des BIP erwirtschaftet… Ein Land mithin, dem die Probleme wie die Bevölkerung über den Kopf wachsen. Dagegen ist Griechenland ein Musterstaat.

Ob nun „arabischer Sozialismus“ unter Nasser oder arabischer Kapitalismus unter Mubarak: geändert hat sich herzlich wenig. Selbst wenn man unterstellt, dass ein Mubarak oder jetzt ein as-Sisi nur das Beste für ihr Land wollen – wo fängt man an? Natürlich müsste man die Justiz reformieren, korrupte Richter entlassen und mit ihnen die Hälfte der Beamtenschaft, die Subventionen einstellen, den Mittelstand und das unternehmerische Denken fördern, dabei aber gleichzeitig Kartelle und Betrüger verfolgen, die Schulpflicht durchsetzen und die Ausbildungsstandards anheben, schließlich die Kontrolle und Subventionierung der Presse und der Medien unterbinden – um nur die wichtigsten Maßnahmen zu nennen. Aber jede dieser Maßnahmen wird den Widerstand der Betroffenen Institutionen und Individuen hervorrufen. Man sagt, dass Mursi faktisch machtlos war, weil sich die Bürokratie, die Polizei und die Armee weigerten, ihm zu gehorchen. So ginge es jedem, der es wagte, ihre Privilegien anzurühren; und in einem durch und durch korrumpierten Land hat fast jeder ein Privileg zu verlieren.

Unter diesen Bedingungen ist es nachvollziehbar, dass einige Leute auf die Idee kommen könnten, nur eine moralische Revolution könne das Land retten. Würden islamische Werte – Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Arbeit und Almosen – die Gesellschaft durchdringen, könne sie vielleicht die Kraft finden, die zerstörten Institutionen in neuem Geist aufzubauen. Nicht zufällig stehen nicht nur die Landbevölkerung, sondern auch viele Händler hinter den Muslimbrüdern. Ähnlich war es ja bei der Reformation, die ja religiös gesehen eine fundamentalistische Wende rückwärts war, moralisch und gesellschaftlich jedoch, wie Max Weber nachwies, den Weg zur modernen Leistungsgesellschaft bahnte. Die Forderung nach einer „islamischen Reformation“ ist also Unsinn; sie ist ja da, und die Muslimbrüder sind ihre Vertreter.

Um es gleich zu sagen: Weder wünsche ich einen Sieg dieser Reformation (die europäische war blutig genug), noch halte ich einen solchen Sieg für möglich. Dort, wo solche Regimes an die Macht kamen, ob in Teheran oder Gaza, verfielen sie sehr bald ihrerseits der Korruption und konzentrierten sich hauptsächlich auf den Ausbau ihrer Tugenddiktatur und die Machtprojektion nach außen. Ich sage nur, dass ich den Gedanken nachvollziehen kann, anders als durch eine völlige Veränderung des Bewusstseins der Menschen wäre das Sein nicht zu ändern.

Heißt das also, dass diejenigen Recht hatten, die – wie etwa Peter Scholl-Latour – aus dem Scheitern des westlichen Kolonialismus und des aufgeklärten Neokolonialismus den Schluss gezogen haben, kulturell sei die Demokratie schlicht und einfach unvereinbar mit der Wirklichkeit außerhalb Europas? Heißt das also, dass die Realisten wie Helmut Schmidt Recht haben, die vor „Nation-building“ und ähnlichen gutgemeinten Projekten warnen, die Frage der demokratischen Legitimierung anderer Regierungen für unwesentlich erklären und dem Westen raten, eine Außenpolitik zu betreiben die strikt vom Eigeninteresse – Stabilität, Sicherheit, Handel – geprägt ist?

Ich glaube nicht. Die Demonstrationen vom Tahrir-Platz haben gezeigt, dass sich ein nicht unwesentlicher Teil der jungen Ägypter nach Freiheit sehnen, auch wenn sie nur unvollkommene Vorstellungen davon haben, was Demokratie bedeutet. Ähnlich war es vor einigem Jahren in Teheran. Und übrigens Istanbul. Und in Moskau, von Kiew ganz zu schweigen. Es liegt in unserem Eigeninteresse, diese Bewegungen zu fördern, und es liegt auch in unserem Eigeninteresse, wenn sich ein Land auf einen Reformweg begibt. Revolutionäre Ungeduld aber, so verständlich sie sein mag, wird wenig erreichen. Wer auch immer Ägypten nach vorne bringen will – und Länder wie Ägypten, von denen es sehr viele gibt: Er oder sie ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden. Und verdient unsere Unterstützung.

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89 Gedanken zu “Bekenntnisse eines ehemaligen Neocon;”

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    Nicht die Frage staatlich oder privat, sondern Rechtssysteme (mit entsprechendem Anreiz sie durchzusetzen) die es erschweren, am besten unmöglich machen Unschuldige zu verurteilen sind wichtig.

    Die beiden können nichts dafür, dass andere weniger „Sitzfleisch“ hatten, sie spielten einfach taktisch und strategisch verantwortungsvoller.

    Mal schauen wer hinsichtlich Griechenland am besten pokern wird, Spielkind Varoufakis oder seine Gegner.

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    Lex mercatoria und entsprechende Schiedsgerichtsbarkeit wurde von Händlern selbst aufgestellt, und ist heute noch üblich. Wie soll das auch anders gehen, letztlich ist Staatlichkeit immer national, weshalb vernünftigerweise internationale Handelsschiedsgerichte entstehen, die auftretende Streitigkeiten im Sinne der Betroffenen beilegen.
    Möglichen moral hazard kann Bitcoin aber vielleicht eindämmen helfen.
    Abgesehen davon, dass genauso gut <a href="„>Cryptocurrencies von Zentralbanken herausgegeben werden könnten, ist die eigentliche Innovation nicht die Währung, sondern die Blockchain (da wird auch die Funktionsweise etwas erklärt), die zusammengefasst Standardisierung und Infrastruktur ist und Sicherheit und Justiz einbaut, also typische Staatsaufgaben übernimmt. Für entwickelte Länder kann das größere Effizienz, für Entwicklungsländer kann es, Internetverbindung vorausgesetzt, ein zum ersten Mal funktionierendes Rechtssystem bedeuten. Die Einführungs- und Betriebskosten könnten geringer sein.
    Und das hier dürfte doch für sie interessant sein: „Ein Nutzer könnte die Software zum Beispiel automatisch Mini-Beträge an besuchte Seiten auszahlen lassen, um diese zu unterstützen.“
    Passend dazu:
    https://www.youtube.com/watch?v=JXqmm5swuLM
    https://www.youtube.com/watch?v=4CFlA8TdWmk
    http://cyber.law.harvard.edu/e...../difilippi

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    Ups, ich dachte ich hätte das mit reingeschrieben, dass sie – angeheiratet – mit ihm verwandt sind. Ich hatte den Text bei der Recherche gefunden, und teile seine Meinung sogar teilweise, aber eben nur teilweise. Seine Klarheit ist letztlich, wie gesagt, doch Unklarheit.

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    Der Staat sorgt für einheitliche Standardisierung, Infrastruktur, Sicherheit und Justiz?

    Ja, wie kann dann bloß sowas wie Bitcoins (Standardisierung, Infrastruktur, gewissermaßen Sicherheit), Linux (Standardisierung, Infrastruktur), Microsoft Office, DIN und ISO (privat, aber staatlich anerkannt), OpenPGP (Sicherheit), Email (Infrastruktur), Bauers Privatweg und Schiedsgerichtsbarkeit ohne Staat funktionieren?

    Wie machen das bloß Diamantenhändler? Auch im Kunsthandel wird Betrug teils ohne den Staat geahndet.
    Falls sie als Kind in der Schule anderen mal Geld für den Kiosk geliehen haben, werden sie wissen wie das funktioniert: sie haben jemandem Geld fürn Snickers geliehen, sie leihen selbst bei demjenigen Geld fürn Snickers, kaufen aber keinen, fertig, also Schuldeneintreibung unter dem Vorwand sich selbst verschulden zu wollen, wo der andere nichts gegen haben kann, schließlich spielt er das selbe Spiel; Wenn aber jemand zwanghaft und nötigend nicht mitspielt, also kein Geld verleiht („warum soll ich denn?!“), ist es doch nur recht und billig genauso zwanghaft und nötigend die Kosten für denjenigen zu erhöhen, also weiteren Verleih einzustellen, rumzunerven und wenn es besonders schlimm ist Antiwerbung zu machen, wobei dies auch nach hinten losgehen kann: „ich geb/er gibt dir’s schon zurück, leih mir/ihm doch noch was“, „öhh, reg dich ab, geht doch nur um 3€“.

    Alles Fachleute und Entscheider, die EJ wohl verachtet(?). Wer stellt die Legitimation fest? Dadurch dass es niemand in Frage stellt, die permanente vorwärts orientierte Revolution, das Bessere ist (langfristig) der Feind des Guten, Selbstevidenz (so wie die heutige Demokratie, oder stellt jemand gewalttätig-politisierend das Wahlergebnis in Frage?), so wie es halt vernünftig (geworden) ist, dass ein kg, wie ein kg definiert wird. Rechtliche Regelungen können eben doch universell ohne Law of the Jungle zu sein, Ergebnis höchster Zivilisation, größter Emanzipation sein ohne Tradition zu verleugnen.
    Das Kilogrammprototype war früher ein anderes als heute, trotzdem blieb es nahezu ein kg und wurde nur genauer definiert, wobei die Definition einmal revolutionär durchgesetzt werden musste und konnte, weil sie und überhaupt die Tatsache dass die in der Französischen Nationalversammlung versammelten Abgeordneten diese Initiative, diesen Versuch zur Definition ergriffen vernünftig ist, schließlich hat es sich durchgesetzt, Versuch gelungen. Oder hat jemand eine bessere Erklärung? Jaja, die Französische Nationalversammlung war z.B. mächtig, aber warum war sie das? Dass sie einfach nur laut gebrüllt hat, und Dekrete verabschiedet hat, kanns nicht gewesen sein, wenn ich das mach passiert nichts 😀
    Wer garantiert heute, dass es keine Wahlfälschungen gibt? Wer garantiert denn das ein kg im Supermarkt ein kg ist? Na, genau, Wahlprüfer und Eichprüfer. Heute wird letzteres gesetzlich geregelt, und von Eichämtern geprüft, könnte es nicht auch anders wie bei Francis Galtons Ochsen-Experiment funktionieren?: http://www.tagesspiegel.de/mei.....28880.html

    Rothbard trennt so wenig wie Marx zwischen Staat und Markt. Der eine impliziert, was der andere sagt. Rothbards „people’s statistical bureau“ impliziert doch Marx „Staat als die Institutionen die von der herrschenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft genutzt werden“, was wiederum Rothbards „der Staat muss nicht Staat heißen, um einer zu sein“, er kann Institution xy heißen, impliziert.

    Franz Oppenheimer, auf den sich Rothbard beruft, macht aber letztlich den Fehler, dass er nicht erkennt, dass Sklaverei eben doch eine ökonomische Kategorie ist, da politische Verhältnisse letztlich der Überbau der ökonomischen sind, durch die Änderung der ökonomischen also eine Änderung der politischen bewirkt bzw. unausweichlich werden kann, siehe amerikanischer Bürgerkrieg; Entfaltung der Produktivkräfte in der Sowjetunion, ökonomische Einwirkung auf Russland. Im wohlverstandenen Eigeninteresse, zur Vervollkommenung der zur eigenen Reproduktion nötigen ökonomischen Verhältnisse musste das Bürgertum die Sklaverei im Süden bekämpfen, die ökonomischen Kräfte (und nur oberflächlich politischer Zwang im Krieg) wirkten gegen eine Rückkehr zur Sklaverei, sie wurde ökonomisch unmöglich, die Kosten zu hoch die Verhältnisse wieder umzukehren, die Reaktion einfach zu teuer, einfach ökonomisch unvernünftig, irrational.
    Ich kann es nicht nachweisen, aber ich glaube, dass sich an dieser wichtigen Stelle Rothbard und David D. Friedman unterscheiden.

    „sich in informellen Treffen absprachen, um die “basisdemokratischen” Vollversammlungen zu manipulieren“
    Naja, gehören Leitungsgremien mit noch mehr Sitzfleisch und Koalitionierung nicht zur Demokratie? Zudem gibt es charakterliche Überschneidungen die zu sozusagen charakterlicher Gleichschaltung oder Verschwörung führen können. Die beiden, Fischer und Cohn-Bendit, müssen sich gar nicht immer absprechen (haben sie vermutlich trotzdem), sie wissen, dass sie, weil sie sich ähnlich sind (ähnliches erlebt, ähnliche Herkunft, ähnliche Ansichten, Stallgeruch, filter bubble), sowieso dasselbe machen werden.
    Ohne das bei den Gidagagas dasselbe dransteht ist erkennbar, dass ihr Charakter ähnlich und (teilweise) dasselbe drin ist, weshalb ein Stempel wie Gidagagas entstehen kann.

    Der neokonservative Fukuyama hat aber schon ganz recht, der Transhumanismus oder weniger ideologisierend die fortschreitende beschleunigte Entwicklung der Produktivkräfte hin zu Robotern die sich als Menschen mit unterschiedlichen Ansichten ausgeben und sich nach der Wahl (von bösen Experten) gleichschalten (lassen) könn(t)en, gefährdet die Demokratie.

    Vielleicht ist das jetzt aber auch alles nur wirres unausgegorenes Zeug. 😀

    Dialectic of the Wills, die Rice und der Powell fühlen sich heute in Tsinghua wohl.

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      Interessant, lieber Lucas, dass Sie Franz Oppenheimer nennen. Er war in erster Ehe mit meiner Großtante verheiratet und schon davor mit meinem Großvater sehr befreundet. Nur kurz zu Bitcoins: eigentlich beweisen die neuesten Skandale rune um diese Währung, dass ich recht habe. Am Ende funktioniert keine Währung ohne „Lender of last resort“, also eine Staatsbank, und kein Rechtssystem ohne Richterhierarchie bis hin zum Obersten (staatlichen) Gericht; und kein Richter ohne Polizei.

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    Err.: Ich habe aber nicht das Gefühl, daß mich da mein ‘Bauchgefühl’ (letztlich auch was Angelerntes) weiterbringt.

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    @68er
    Ich weiß es nicht, was ich zum Datenabgriff denken soll. Einerseits, ja: Die Möglichkeit zu Überwachung in falschen Händen.., aber gerät sie nicht gerade dann in falsche Hände, wenn sie (die Datenauswertung) nicht stattlicherseits, also zumindest mit dem Willen zu einer demokratischen Legitimation, stattfindet? Haben nicht die Nazis zuerst den Rundfunk für ihre Zwecke genutzt, wie heute Islamisten das Internet um Soziopathen für ihre Zwecke abzugreifen? Niemand, lieber 68er, kann Ihre/meine Emails alle lesen aber sicher wird die eine oder andere Email oder Postings hier mal von den ‚Beamten‘ gelesen worden sein, weil ein Algorithmus ausschlug. Das ist wie die vielleicht unangenehme Gepäckkontrolle am Flughafen: das kleinere Übel. Aber ich stimme Ihnen zu: Wir sollten zumindest versuchen wachsam zu sein, das bisschen Freiheit, was wir haben, zu schützen. Was mich betrifft schlagen meine ‚Algorithmen‘ eher bei allzu festem Gleichschritt der Meinungen (z.B. über PEGIDA, TTIP, Klimawandel, was auch immer) an, als bei der Ausschöpfung von sicherheitstechnischen Möglichkeiten im öffentlichen Raum. Ich habe nicht daß Gefühl, daß mich da mein ‚Bauchgefühl‘ (letztlich auch was Angelerntes) weiterbringt. Daher lese (und kommentiere) ich gerne abweichende Meinungen. (Ich hatte das mit dem BND vor allem erwähnt, weil ich die Entrüstung über die NSA-Aktivitäten.. naja, etwas merkwürdig fand.)

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    Sehr geehrter Herr Posener,

    vielen Dank für Ihre Ausführungen, denen ich zustimme. Erlauben Sie mir einige Anmerkungen.

    Begrifflich fand ich den Neokonservatismus über seine ganze politische Prominenz hinweg (etwa von 2000 – 2010) problematisch. An ihm war wenig neu, und konservativ an ihm war eigentlich nur die politische Sozialisation derjenigen, die ihn ausführten, ohne ein tatsächliches Interesse an politischer Theorie zu Amte zu bringen (Bush, Cheney, Rumsfeld etc.). Die Ideologen und Metahistoriker waren eher diejenigen in der zweiten Reihe (Wolfowitz, Perle etc.). Persönlich würde auch ich den N. als eine trotzkistisch aufgeladene Variante des Wilsonianismus bezeichnen.

    Die Stärke des N. lag darin, dass er zunächst eine breite Palette an idealistischen Vorstellungen unter den außenpolitischen Eliten der USA unter günstigen historischen Umständen bedienen konnte. Freier Handel und globale Demokratisierung unter Wahrung der Naturrechte, die Proliferation von Telekommunikationstechnik, sodass wir alle voneinander lernen werden, und das alles unter einem ad infinitum verlängerten amerikanischen Führungsanspruch! Wer als idealistische gesellschaftliche Führungspersönlichkeit hätte einer solcher politischen Verführung widerstehen können?

    Letztendlich gelang es dem trotzkistischen, also revolutionären Elements des N. jedoch nicht, eine fundamentale Schwäche aller liberalen Theorien zu umgehen, nämlich, dass der Liberalismus letztendlich die Entpolitisierung der Menschheit anstrebt, um sie der Emanzipation näherzubringen. Angesichts der religiösen (vor allem der jüdischen und reformatorischen) Wurzeln des Liberalismus ist diese Neigung auch wenig verwunderlich.

    Hier hätten die Neokonservativen allerdings gut daran getan, dem dritten großen Hegelianer neben Marx und Fukuyama zuzuhören, nämlich Clausewitz, denn Krieg ist eben ein Akt, um dem Gegner seinen eigenen politischen Willen aufzwingen. (Ob er ihn dann internalisiert, wäre eher eine Frage von Gramsci). „The enemy gets a vote“, heißt es oft dazu. Als die USA per Fiat die irakischen Streitkräfte, und damit faktisch den irakischen Staat für aufgelöst erklärten, war aus politisch-soziologischer Perspektive völlig vorhersehbar, dass die davon betroffenen Individuen eine neue dialektische Antwort auf die USA konstruieren würden (wie auch der politische Islam in der gesamten Region, der eigentlich nur eine kulturell lokalisierte Fassung des Antiimperialismus darstellt, die arabischen Nationalismen abgelöst hat). Die Gelegenheit , die ba’athistische Führungsriege offiziell kapitulieren lassen, konnte nur eine liberal verblendete Regierung wie das Kabinett Bush verstreichen lassen.

    Die Verachtung des N. für politisch limitierende Faktoren wie Geographie und institutionelle Beschaffenheit war ein weiteres schweres intellektuelles Versäumnis. Politik bedarf der Ausdauer, und die emanzipatorische Ungeduld der Bush-Jahre hat die strategischen Instrumenten der amerikanischen Außenpolitik eher geschmälert denn gestärkt. Die iranische Hand wurde gestärkt, das Militär gegen die eigenen Prioritäten eingesetzt und überdehnt, die Geheimdienste politisiert und viele Bündnisse contra Castlereagh und de Gaulle ideologisiert. Der War on Terror verschaffte China die ideale Deckung für seinen Aufstieg, und die Verlagerung des sicherheitspolitischen Fokus in den Pazifik verzögerte sich um wertvolle Jahre. Durch die Verleumdung der Realisten und Geopolitiker, vor allem in Verteidigungs- und Geheimdienstkreisen, als Isolationisten, blendeten sich die Neokonservativen selbst, denn die meisten jener sind nicht desinteressiert, sondern vor allem selektiv. Sie halten es oft eher mit T. Roosevelt, indem sie in entscheidenden Momenten die Gelegenheit ergreifen, das Richtige zu tun, siehe Taiwan und Südkorea, selbst wenn die Politik diese Regime zuvor gestützt hat. Colin Powells Rücktritt verdeutlichte auch, dass die völlig willkürliche kooptierende Exegese von Liberalismus und Konservatismus zu einem Strang auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten war, und warum sich die Kalte Kriegerin Condoleezza Rice sich an dem Projekt beteiligte, ist mir bis heute schleierhaft. Vielleicht glaubten sie eher, man könne mit ungedienten oder unerfahrenen außenpolitischen Revolutionären zusammenarbeiten, auch wenn ihre Strategien oft denen seines eigenen genialen Werkes, der Powell-Doktrin, völlig zuwiderliefen. Persönlich hoffe ich auf eine Wiederbelebung dieser Doktrin, denn sie ist als einzige in der Lage, die entpolitisierenden Tendenzen des Liberalismus zu mäßigen und auf zielführende Weise strategisch zu kanalisieren. Als Ordnungsnarrativ war der Global War on Terror jedenfalls wenig überzeugend.

    Kurzum, ein wenig mehr Måßigung und weniger Hemdsärmeligkeit hätte den Neokonservativen viel Ärger mit ihren Interventionen und im Umgang mit globalen Öffentlichkeiten erspart, und sie wären eher als liberale Pragmatiker in die Geschichte eingegangen, so wie Reagan und Clinton (in Bezug auf deren Handeln, nicht auf deren politische Herkunft oder Ideen). Die offen demonstrierte Nähe zu Öl-, Rüstungs- und Sicherheitsfirmen, die ja eigentlich eine Stärke der amerikanischen Verteidigungspolitik ist, zusammen mit der Weigerung, die nackte Angst vor dem Terror zu überwinden (Überwachung, Folter, Einschränkung oder diskursive Anfechtung der Ausübung der Meinungsfreiheit), verlieh der Ära einen verdächtigen korporatistischen Anstrich (ob berechtigt oder nicht). Ich habe für die Entwicklungen nach dem 11 September 2001 großes Verständnis, aber es ist schlichtweg bedauerlich, dass Billionen Dollar, Blut und politisches Kapital für Dinge aufgewandt wurden, die mit ein wenig britischer und israelischer Expertise und größerem Vertrauen in die Diplomatie mehr erzielt und weniger als ein Zehntel gekostet hätten. Der Glaubwürdigkeitsverlust durch Katrina, Wirtschaftskrise und mangelnder Abschreckung gegenüber staatlichen Rivalen ist jedenfalls enorm. Tatendrang und die Vermittlung von Stärke allein können nicht die alleinige Maxime einer gewählten Exekutive sein.

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    @ lucas: ist die Demokratie wirklich “eine Funktionsweise des Staates und setzt einen funktionierenden Staat voraus”?

    Na, wer garantiert Ihnen denn z.B. die Gleichwertigkeit der Stimme (One man, one vote) und z.B. wen wollen Sie – ohne Staat – denn so alles demokratisch mit abstimmen lassen? Gleich die ganze Welt? Aber selbst wenn Sie – ohne Staat – auf’s Volk, die Ethnie oder auf sonst irgendeine Legitimation zurückgreifen wollen – wer stellt die fest?

    @ Alan Posener: Weshalb die Staatsverachtung der rechten Anarchisten, die einen Gegensatz zwischen Staat und “freiem” Markt konstruieren, so dégoutant ist.

    Schon richtig. Aber die Perspektive ist viel zu eng. Sicher spielt die binnen-staatliche Öffentlichkeit noch immer eine große Rolle. Dazu kommen aber noch ganz andere Kräfte, die den Staat klein machen wollen und klein machen und bereits klein gemacht haben. Man schaue sich an, was jenseits der klassischen politischen Öffentlichkeit „Fachleute“ und „Entscheider“ unter dem Label „(global) Governance“ diskutieren, analysieren, kritisieren oder legitimieren und – (längst) tun.

    Die „Staatsverachtung der rechten Anarchisten“ ist keine Geschmacksfrage. Sie ist eine Machtfrage! Welcher Macht liefert uns die rapide zunehmende Staats- und Demokratieverachtung der rechten und linken Anarchisten aus? Wem spielt sie in die Hände? Hinter Staats- und Demokratieverachtung verbirgt sich eine längst stattfindende Machtverlagerung. Das ist der Punkt!

    (Ein Grund für den Vorwurf „Lügenpresse“ einerseits und für das Ins-Kraut-Schießen der Verschwörungstheorien andererseits liegt in der Unfähigkeit unserer konventionellen politischen Öffentlichkeit, diese Zusammenhänge zunächst zu sehen, zu erklären und, bitte (man traut sich kaum, es zu sagen), dann auch zu kontrollieren. Es geht um Globalisierung! (Wir aber kommen über den ewigen Streit um Amerikanismus und Anti-Amerikanismus und neuerdings – spiegelverkehrt – Anti-Putinismus und Putinismus nicht hinaus.))

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      Lieber Lucas, historisch stimmt meine Beobachtung auf jeden Fall. So wie auch der freie Markt den Staat voraussetzt, der für einheitliche Maße und Gewichte sorgt, Straßen und Häfen baut, Piraten und Wegelagerer bekämpft, das Vertragsrecht festlegt und Streit schlichtet, Betrüger bestraft und so weiter. Weshalb die Staatsverachtung der rechten Anarchisten, die einen Gegensatz zwischen Staat und „freiem“ Markt konstruieren, so dégoutant ist.
      In der linken Bewegung mach 68 haben wir die Erfahrung gemacht, dass in den angeblich „spontaneistischen“ und „basisdemokratischen“ Organisationen wie etwa dem Frankfurter „Revolutionären Kampf“ Großmäuler wie Fischer und Cohn-Bendit den Ton angaben, zumal sie geduldigeres Sitzfleisch als andere besaßen und sich in informellen Treffen absprachen, um die „basisdemokratischen“ Vollversammlungen zu manipulieren. Die von den Spontis verachtete Ordnung – zum Beispiel gewählte Leitungsgremien, die in regelmäßigen Abständen sich verantworten müssen und in geheimer Wahl bestätigt oder abgelehnt werden – ist nicht das Gegenstück zur Demokratie, sondern deren Voraussetzung.
      Das Chaos mag die Kreativität fördern, obwohl ich auch da meine Zweifel habe, aber es ist selten förderlich für die Demokratie.

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    In einem alten Witz aus der verflossenen DDR wird einem Mann Arbeit in Sibirien zugewiesen. Das er weiß, dass jeder Brief durch die Zensur muss, sagt er seinem Freund „Wir vereinbaren einen Kode: Bekommst Du von mir einen Brief in blauer Tinte, so ist er wahr; schreibe ich aber mit roter Tinte, ist er erlogen.“ Einen Monat später erreicht der erste Brief den Freund, in blauer Tinte: „Alles ist hier wunderbar: die Läden sind gefüllt, Essen gibt es im Überfluss, die Wohnungen sind geräumig und gut geheizt, in den Kinos zeigt man Filme aus dem dem Westen, eine Menge hübscher Mädchen wartet auf eine Affäre – das Einzige, was man kriegen kann, ist rote Tinte.“
    Und ist es nicht heute noch genau so? Wir haben alle erdenklichen Freiheiten, die man sich nur wünschen kann – das Einzige, was fehlt, ist „rote Tinte“: Wir „fühlen uns frei“, weil uns allein schon die Sprache fehlt, unsere Unfreiheit auszudrücken. Das Fehlen der rote Tinte bedeutet heute, dass alle zentralen Begriffe, mit denen wir den gegenwärtigen Konflikt bezeichnen – „Krieg gegen den Terror“, „Demokratie und Freiheit“, „Menschenrechte“, „Westen“, „freie Welt“ und so fort – irreführende Begriffe sind, die unsere Wahrnehmung der Situation mystifizieren, statt uns zu erlauben, sie zu durchdenken. Unsere Aufgabe besteht darin, den Protestierenden rote Tinte zu geben.

    So Slavoj Zizek (Willkommen in der Wüste des Realen, Wien 2004, S. 11 f). Sie sind noch nicht angekommen; Sie können von Ihren Fata Morganas nicht lassen.

    P.S. Zu Ihrer persönlichen Anmerkung. Red Orb, auf gut Deutsch rote Kugel, oder wenn Sie wollen, Reichsapfel; von hinten gelesen „Broder“, so what? Ich habe gegenüber ihm keine negative Obesession. Im Gegensatz zu Ihnen scheint er anarchistisch und anti-autoritär, scheint auch in vielen Dingen über einen gesünderen Menschenverstand zu verfügen, z.B. http://ps.welt.de/2015/01/31/d.....er-pegida/

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    Dear Apo,

    regarding F.D.R. und left und liberal…

    Diese Erklaerung ist etwas aelter:

    Why do left and right mean liberal and conservative?

    http://blog.dictionary.com/leftright/

    „The King sat in front of the assembly. To his right sat the conservative Feuillants who backed the king and believed in a constitutional monarchy. To his left sat the liberal Girondists and radical Jacobins who wanted to install a completely democratic government.“

    cocorico

    🙂

    1. avatar

      Lieber Jean-Luc, in meiner erstmals vor 16 Jahren erschienenen Rowohlt-Monographie über FDR, die, wie ich erfreut höre, nun nachgedruckt wird, also in jeder guten Buchhandlung erhältlich sein muss, widme ich mich ausführlich der Umdeutung des Worts „liberal“ durch diesen großen Präsidenten.

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    Dear Apo,

    Ist diese Definition nicht kurz genug… auch nach den Maßstaeben von Ockham?

    The main characteristics of neo-conservatism are:

    a tendency to see the world in binary

    good/evil terms
    low tolerance for diplomacy
    readiness to use military force
    emphasis on US unilateral action
    disdain for multilateral organisations
    focus on the Middle East

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    @ KJN

    „Was geht, wird auch gemacht.“

    Deshalb ist es notwendig, Mechanismen zu schaffen, die z.B. die aus den Fugen geratene Datensammelwut zu stoppen. Keine Totalüberwachung des Internets, Schleifung der Autobahnmautbrücken, Abbau der Überwachung des öffentlichen Raumes etc. pp.

    Wenn ich mir vorstelle, das System kippt und irgendwo auf der Welt kommt einer wie Adolf Hitler an die Macht, der das System für einen zweiten Holocaust nutzt…

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