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Wie man Politik mit Prognosen macht

Ach, wenn wir Kreuth nicht hätten: Wie langweilig wäre der Beginn eines jeden Jahres, wenn wir auf das Spektakel von Kreuth verzichten müssten! Auch dieses Jahr bot die CSU wieder prächtige Unterhaltung.

Kaum hatte Allensbach-Chefin Renate Köcher dort mit ihrer Präsentation begonnen, drangen auch schon die ersten empörten Botschaften aus dem Saal: Nur 41 Prozent der Stimmen könnten die Christsozialen momentan erwarten, sagte ihnen die Demoskopin voraus.

Niemals könne das sein, schrien die Anwesenden. Ihre eigenen Zahlen seien weit höher, die erneute Alleinregierung der CSU bei den Landtagswahlen im Herbst in Griffnähe! Der Disput um die Prognose schaffte es in alle Medien, bei manchen sogar auf die Titelseiten.
In Niedersachsen spielen sich ähnliche Dramen um Prognosen ab: Nur noch zwei Prozent sagte eine der FDP voraus. Das aber wäre so desaströs schlecht, dass jede Leihstimmen-Kampagne der CDU von vorneherein zum Scheitern verurteilt wäre. Prompt lesen wir inzwischen von neuen Umfragen, die die Liberalen „kurz vor der Fünf-Prozent-Schwelle“ sehen – mithin also als die eine oder andere Leihstimme die entscheidende für das Weiterregieren von CDU-Ministerpräsident David Mc Allister in Niedersachsen sein könnte.

Beide Beispiele zeigen aufs schönste, wie mit Prognosen Politik gemacht werden kann. Und sie zeigen auch, wie volatil Umfragen inzwischen geworden sind. Das hat damit zu tun, dass sich immer mehr Wähler und Wählerinnen immer später – viele tatsächlich oft erst in der Wahlkabine – entscheiden. Aber es hat auch mit strukturellen Veränderungen zu tun: Früher basierten die meisten Umfragen auf Telefon-Interviews. Heute aber gibt es immer mehr Menschen, die gar keinen Festnetzanschluss mehr haben.

Zwar bemühen sich die traditionellen Umfrageinstitute, diese geänderte Mediennutzung zu berücksichtigen. Doch wie viele Wahlen der letzten Jahre zeigen, werden die Prognosen tatsächlich immer ungenauer.

Bei den US-Präsidentschaftswahlen im vergangenen November hat nun der Journalist und Datenspezialist Nate Silver gezeigt, dass wir womöglich ganz neue Prognosemodelle brauchen. Kein Institut hat die Ergebnisse in den einzelnen Bundesstaaten so präzise vorhergesagt wie Silver.

Der 34-jährige Blogger hält Umfragen für wenig aussagekräftig und Spezialisten für überbewertet: Er glaubt allein an die Kraft der Zahlen – und sieht sich für seine Prognosen Zahlenreihen an, die teilweise Jahrzehnte zurückgehen können. Mit seinen Mathematik-, Statistik- und IT-Kenntnissen ist es Silver gelungen, die Ergebnisse in allen 50 US-Bundesstaaten korrekt vorherzusagen (nachdem er bei der vorhergegangenen Wahl 49 von 50 Wahlgewinner korrekt prognostiziert hat).

In Deutschland haben Silver´s Methoden bislang kaum Interesse hervorgerufen. Während sein Erklär-Buch „The Signal and the Noise“ in den USA über Nacht zum Bestseller wurde, verkauft es sich in Deutschland kaum. Tatsächlich ist es ziemlich sperrig zu lesen.

Doch auch ohne Grundkenntnisse der Statistik wird bei der Lektüre schnell klar, dass wir so genannten Experten weit kritischer gegenüber stehen sollten als wir das momentan noch tun: Ob bei der Wettervorhersage, im Sport, in der Wirtschaft oder auch in der Politik – was Experten zu wissen glauben, tritt oft nur sehr selten ein.

Wir realisieren das nur deshalb nicht, weil sich kaum jemand die Mühe macht, den Prognosegehalt von Expertenmeinungen nach zu recherchieren. Die Medien werden uns diesen Gefallen kaum tun: Sie leben selbst davon, zur Anreicherung ihrer Artikel bzw. zum Füllen ihrer Talkshow-Sessel immer wieder auf „Experten“ aller Art zurückgreifen zu können.

Auch in Deutschland gäbe es deshalb jede Menge Arbeit für Datenspezialisten in der Politik. Als jemand, der selbst ab und an als „Expertin für“ vorgestellt wird, wäre ich auf diese Analysen sehr gespannt. Sie würden die Diskussion sehr bereichern.

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3 Gedanken zu “Wie man Politik mit Prognosen macht;”

  1. avatar

    Ich war gestern eingeladen, einen Vortrag zu halten, es ging darin um Statistik und u.a. um „multivariate Datenanalyse“, also letztlich Mustererkennung, wie bei der Biometrie (z.B. maschinelle Erkennung von Gesichtern). Da kommt bei mir der Gedanke auf, daß man Umfragen vielleicht anders auswerten muss. So ähnlich, wie im Marketing, wo auch danach gefragt wird, was kauft einer typischerweise noch, wenn er schon etwas anderes gekauft hat.

  2. avatar

    Liebe Frau Heckel!
    Schön, dass Sie mal wieder schreiben.
    Nate Silver machte das wie ein Nerd, völlig sachlich.
    Ansonsten bekommt man regelmäßig das Gefühl, dass viel Manipulation dabei ist.
    Aber einen anderen Punkt haben Sie auch angeschnitten: Die Umfragen, die Staat für Staat gemacht wurden, waren die besseren.
    Wenn man z.B. eine Umfrage in Berlin macht und rechnet die auf die BRD hoch, kann das nicht hinhauen.
    Die 41 Prozent in Bayern sind unglaubwürdig.
    Der Einfluss auf die Wähler ist nur eine Seite der Madaille. Unsinnig finde ich, dass die Politiker sich danach richten. Wenn die Politiker diese Zahlen ignorieren und Politik nach ihrem Gewissen machen würden und ihrer Vernunft, würden sie vielleicht sogar eher gewählt.
    Was auch erhebliches Kopfzerbrechen bereitet inzwischen, sind Ratingagenturen+eine zu schnelle, ja, volatile Börse.

  3. avatar

    Besonders auffällig sind diese hohlen Prognosen auf dem Gebiet der Volkswirtschaft. Regelmäßige Vorhersagen werden genauso regelmäßig drei Monate später im Lichte der Realität korrigiert. In den sogenannten Qualitätsmedien tauchen diese „Experten“ dann als Wirtschaftsweise auf. Einfach nur grotesk.

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