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Holocaustverdrängung und Atomophobie

Ich lese gerade mit atemloser Spannung Bettina Stangneths Buch „Eichmann vor Jerusalem“. (Wer dazu mehr erfahren will, kann in der letzten Ausgabe der WamS ein langes Interview lesen, das ich mit der Autorin geführt habe.)

Das Buch ist auch deshalb so interessant, weil neben der Hauptgestalt auch faszinierende Nebengestalten ausgeleuchtet werden, wie etwa Willem Sassen, der holländische SS-Propagandist und Kriegskamerad Henri Nannens, der in Argentinien mit Adolf Eichmann an dessen Projekt einer apologetischen Autobiographie arbeitete. Und da stößt man auf Folgendes.

1956 schreibt dieser Sassen für das in Buenos Aires herausgegebene Nazi-Blättchen „Der Weg“ einen Artikel, in dem er seiner Betroffenheit beim Lesen des Buchs „Das Dritte Reich und die Juden“ von Léon Poliakov und Josef Wulf Ausdruck verleiht. (Man glaubt es kaum, aber in diesem 1955 in Deutschland veröffentlichten Buch fanden sich zum ersten Mal die wichtigsten Dokumente zur „Endlösung“ versammelt, darunter das Wannsee-Protokoll. Stangneths Buch ist auch deshalb so wertvoll, weil die Autorin vor Augen führt, wie wenig zuverlässiges Material es bis Mitte der 50er Jahre zum Thema Shoah gab, so dass Revisionisten aller Art bei der Verbreitung von Legenden leichtes Spiel hatten.) Sassen schreibt über seine Lektüreerfahrung: „Manchmal würgte es mich dabei und ich wand mich wie unter einem erstickenden Griff, bis ich – wieder ganz naiv – ausrief: ‚Es ist nicht wahr!’ Ich weiß, der Ausruf ist simpel, er entquoll der Hilflosigkeit…“

Der arme Kerl. Aber aus dem „erstickenden Griff“ des Juden Poliakov rettet er sich mit einem interessanten Trick: Als kleines Rädchen in der Vernichtungsmaschinerie (diese Worte benutzt Sassen nicht, die wird  Eichmann in Jerusalem auf sich münzen) sei er „nur ein kümmerlicher Zwerg neben den Nobelpreisträgern und Giganten der wissenschaftlichen Vernichtungstechnik, denen die Menschheit hilflos ausgeliefert ist.“ Gemeint ist die Atomkraft, bekanntlich eine jüdische Erfindung. Ich sage nur: Einstein. Echte Arier spalten keine Atome.

Es mag weit hergeholt und doch nicht zu weit hergeholt sein, die besondere Empfindlichkeit der Deutschen für die Gefahren der Atomtechnologie als kollektive Anwendung jenes Schuldabweisungsmechanismus zu deuten, den Sassen hier vorführt. Immer wieder waren die Nachkriegsdeutschen um Relativierung der von ihnen zu verantwortenden Verbrechen bemüht. Zuerst glaubte man, mit dem Bombenkrieg, den Vertreibungen und der Teilung sei man sozusagen quitt. Dann schob man die Verantwortung für „Gräuel wie in Hiroshima, Dresden und Auschwitz“ (die Reihung war sehr beliebt) auf die moderne arbeitsteilige Bürokratie, die zum Abbau individueller Verantwortung führe. Diese Wendung findet sich etwa bei Hannah Arendts Bericht über Eichmann in Jerusalem, der gerade deshalb von Hans Mommsen bei der Neuausgabe 1986 so gefeiert wurde. In der Totalitarismustheorie (auch sie einer der weniger glücklichen Beiträge Hannah Arendts zur deutschen Vergangenheitsüberwältigung)  fand man zugleich eine Rechtfertigung dafür, besonders antikommunistisch zu sein („gerade wir Deutschen mit unserer Vergangenheit…“). Und in der Beschwörung einer technischen Apokalypse, der Millionen zum Opfer fallen könnten und bei der die Nazi-Verbrecher zu „Zwergen“ mutieren, findet sich weitere Labsal für die geschundene deutsche Seele.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Bewegung gegen die Atomkraft etwa zur gleichen Zeit Fahrt aufnimmt, als mit der Fernsehserie „Holocaust“ die Erkenntnisse Poliakovs, die den SS-Mann Sassen „würgten“, Bestandteil der kollektiven westdeutschen Psyche wurden. Explizit formuliert den Zusammenhang zwischen Holocaust und Atomophobie Caspar Harlan, einer der Söhne des „Jud Süß“-Regisseurs Veit, in Felix Moellers Film über den Umgang der Familie mit dem Erbe. Caspar lebt im Wendland, wo er die dortigen „Kulturtage“ organisiert, die sich explizit als Teil des Kampfs gegen das dort geplante atomare Endlager verstehen. Der Film zeigt ihn, wie er am Gelände des Endlagers vorbeiläuft. (Schon das Wort enthält zwei Teile, die im deutschen Bewusstsein nachklingen müssen: „End“ wie in Endsieg und Endlösung, und „Lager“; und natürlich ist Atommüll „Vergangenheit, die nicht vergehen will“, nicht wahr. Ach ja, und apropos „Atommüll“: Sassens Artikel von 1956 heißt: „Müllkutscher her! Bilanz unserer Atomzeit“.) Mit seinen Mauern und Wachtürmen erinnert das Lager tatsächlich an ein KZ, weshalb man den Bildern nie trauen soll, denn es ist doch etwas anderes, ob man Leute ein- oder aussperren will. „Ich will nicht meinen Töchtern gegenüber sagen, ich hätte nichts gewusst und nichts getan“, sagt Caspar. „Das ist meine Lehre aus dem Leben meines Vaters“. (Ich zitiere aus dem Gedächtis.) Der Kampf gegen die Atomkraft also als nachgeholter Kampf gegen die Nazis. Ich fürchte, allzu viele Atomkraftgegner empfinden das so.

Was nicht heißt, dass dieser Kampf falsch war oder ist. Dazu habe ich mich eindeutig geäßert. Was aber wohl heißt, dass diejenigen, die unverdrossen eine offensichtlich genetisch übertragene „German Angst“ für die Heftigkeit der hiesigen Reaktionen verantwortlich machen, womöglich – wie bei jener anderen „German Angst“, nämlich vor dem Islam – eine dunklere Quelle unsichtbar machen wollen.

 

 

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77 Gedanken zu “Holocaustverdrängung und Atomophobie;”

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    Rita E. Groda schrieb: „@Alan Posener: Genau das ist der Punkt, auf den Sie es exakt gebracht haben:
    “Was aber wohl heißt, dass diejenigen, die unverdrossen eine offensichtlich genetisch übertragene „German Angst““

    Ist Frau Groda jetzt auch Sarrazinistin?

    Ansosnten ist das hier ein gar zu lustig-wirrer Schub an krausen Gedanken. Wenn man nach zwei Havrieen vernünftigerweise die Risiken der Kernkraft in Deutschland (Anschlag nach Vorbild des 9/11 😉 ) überdenkt, erfindet Herr Posener frei nach Sarrazin eine genetisch bedingte German Angst, die er mit einer ebenso erfundenen deutschen Kollektivschuld schuldig geborener Menschen in Verbindung setzt. Begründet wird das u.a. von KJN mit Freud, der seine Weisheit durch das Studium von 150 Patienten erlangt hat, weswegen seine Theorien heute nur noch musealen Wert haben.

    In Sachen genetischer Angst- und Schuldvererbung auf Freudscher Grundlage hat dieser Blog Weltniveau!

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    @Rita E. Groda: Meinen Sie womöglich mich mit Ihrem letzten Statement? Sie haben den Adressaten vergessen anzugeben. Ich habe gar keinen Sohn (wie kommen Sie darauf?), stattdessen zwei reizende Töchter, mit denen ich jetzt, ganz wie Sie es raten, meine Lebenszeit sinnvoller verbringen werde.

    Zum Begriff „Verantwortung“ habe ich oben einiges gesagt: Sie ist im Gegensatz zu Schuld übertragbar. Ich stimme Ihrer These durchaus zu, dass Schuld sich zu Verantwortung weiterentwickeln kann. Aber der Umkehrschluss der Christen stimmt nicht; nicht jede Verantwortung entspringt aus Schuld. Man muss nicht schuldig sein, um verantwortlich handeln zu können. Und jetzt „entschuldigen“ Sie mich; ich muss zur Kita.

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    @Da mir bekannt ist, daß Sie in keinster Weise zu bildungsfernen Schicht zählen, muß ich annehmen, daß Sie mir in irgendeiner Weise ausweichen.

    Ausgehend von Apos Nichtthese, nämlich daß womöglich kein direkter Zusammenhang zu sehen sei, zwischen der „unverarbeiteten Schuld“ und der Anti-Kernkraft-Hysterie, habe ich meine eigene These hierzu. Ich greife ungern, wie usus in unserem Land, nur ausschließlich auf die Weisheiten anderer zurück.

    Wenn“Schuld“ erwachsen wird, wird sie zur Verantwortung.
    Das ist nicht simpel, erfordert große eigene Überwindung und Kraft, sowie ein gehöriges Maß an Intelligenz.
    Folglich, nicht für alle machbar.

    Wenn Sie nach Erklärungen suchen, für politische und gesellschaftliche Entscheidungen, so sind Sie einfach auf immer verloren. Es wird immer einen Druck der Ereignisse, der Verhältnisse usw. geben. Das ist absolut nicht vorhersehbar und immer ergebnisoffen.

    Sie könnten Ihre persönliche Lebenszeit sinnvoller verbringen. Z.B. mit der Bemühung Ihren Sohn über den sinnvollen Umgang mit dem Leben aufzuklären. Das tätigt mehr direkte Ergebnisse, als Philosophieren über menschliche Unwägbarkeiten.
    Das wäre ein Teil der Verantwortung, die ich oben meinte.

    EJ hat freundlicherweise schon den von mir so verehrten Kant zitiert, so muß ich es nicht auch noch.

    Eine Sache um der Sache wegen, nicht um des Nutzens wegen tun. Eine Kernaussage Kants, hier etwas simplifiziert. Womit wir wieder bei meiner“Verantwortung wären.

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    @EJ: Ich versuche wieder, so gut ich kann, auf Ihre Ausführungen zu antworten, kann aber nicht garantieren, lediglich Selbstverständlichkeiten zu präsentieren. (Ich würde meinen, wenn wir [= kollektives „Wir“!] uns über Selbstverständlichkeiten einig und im Klaren sind, wären wir auch politisch schon viel weiter.)

    Ihre Rede vom mechanistischen „Rad im Getriebe“ ist mir verständlicher als die vom Leib Christi, insofern würde ich lieber diese Variante nehmen. Wir können diese Vorstellung „Determinismus“ nennen und von einer alternativen Vorstellung „Indeterminismus“ (oder Willensfreiheit etc.) unterscheiden.

    Wie sieht es in beiden Vorstellungen mit dem Begriff „Schuld“ aus? Beim mechanistischen Bild gibt es entweder überhaupt keine Schuld oder die Schuld ist überall gleichzeitig und verflüchtigt sich dabei im Nirvana. Es ist nicht einzusehen, warum ein bestimmtes „Rädchen im Getriebe“ mehr Schuld haben soll als ein anderes. Betrachtet man also bestimmte Menschen, z.B. die Nazis, als wechselwirkende Molekülhaufen, die ihrerseits in Wechselwirkungen mit anderen Molekülhaufen stehen (um den Begriff „Atom“ mal zu vermeiden), ist nirgendwo irgendwas von Schuld, Unschuld oder Verdienst zu entdecken.

    Im komplementären Bild – dem Bild eines freien Menschen – sehen wir etwas anderes. Hier gibt es den autonomen und großartigen Entscheidungsträger Mensch, also sehen wir Entscheidungsspielräume, Wagnisse, Schuld und dieses ganze Zeug.

    Die Frage, die Sie in Ihrer Theologie zu stellen scheinen, ist: Wie passen beide Bilder zusammen?

    Genügend gute Gründe gibt es für beide Bilder. Die Naturwissenschaften beweisen uns, wie determiniert alles ist. Doch geben sie uns keine Handhabe, wie wir mit moralischen Begriffen wie Schuld umgehen sollen (Hinweise auf bestimmte Hirnregionen, in denen Schuldgefühle verortet sind, helfen hier nicht weiter.)

    Die Frage nach den beiden komplementären Bildern – Vexierbilder? – wird immer wieder gestellt und ist eine ausgesprochen ehrwürdige Frage, die man mit Vorsicht zu beantworten hat. Mein persönlicher Standpunkt: Ich glaube, beide Bilder ergänzen einander. Im Bild der Maschine kommt Schuld nicht vor, aber das bedeutet nicht, dass die Teile dieses Bildes immer unschuldig sind. Denn Unschuld kommt in diesem Bild genauso wenig vor.

    Wenn man wissen will, ob jemand schuldig oder unschuldig ist, muss man ins andere Bild wechseln. Oft muss man beide Bilder gleichermaßen zu Rate ziehen, denn z.B. Fragen, inwieweit jemand bei einer schlimmen Tat alkoholisiert war, erhalten ihre Antwort im deterministischen Bild, werden aber für die Beurteilung der Schuldfrage im anderen Bild gebraucht. (Soweit erstmal mein Ausflug in die Bilderwelt, ich hoffe Sie können damit etwas anfangen.)

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    @ Roland Ziegler
    OK. Wenn Ihnen das nichts sagt, setze ich meinen Ausflug in die politische Theologie nicht fort. (Obwohl ich meine, dass darin ein außerordentlich erhellender analytischer Ansatz liegt. Auch deswegen, weil wir ihr täglich begegnen – um nicht zu sagen: sie uns täglich zu unterwerfen versucht – und sei es in atheistischer Version. Die mechanistische Metapher vom Rädchen im Getriebe ist ja nur eine Variante der organologischen vom Leib (Christi) und seinen Gliedern. (Von der „unsichtbaren Hand“ und ähnlichen Gottesvorstellungen gar nicht erst zu reden.))

    ‚Natürlich‘ bin ich völlig einverstanden mit dem, was Sie sagen. Sie antworten mit der Rationalität, in der auch ich – jetzt wird’s schon wieder zweideutig – sozialisiert worden bin. Das Problem ist nur – „funktionieren“ tut’s tatsächlich oft/ meist (mindestens: auch) anders. ‚Natürlich‘ sind die „Konsequenzen der Gegenthese“ nach allen uns (da is‘ es wieder: das Wir!) … nach allen uns geläufigen Maßstäben lächerlich, weil unvernünftig.

    Sicher: „Wir – die Nachgeborenen – haben weder Verdienste an den Siegen noch Schuld an den Niederlagen.“ Theoretisch gilt das. In der Praxis werden wir aber genau gegenteilig in Anspruch genommen und stellen genau gegenteilige Ansprüche, jedenfalls dann, wenn es nicht mehr um Fußball, sondern um anderes geht: politisches, gesellschaftliches (ökonomisches!), kulturelles „Mannschaftsspiel“.

    ‚Natürlich‘ können Sie diese Praxis „irrationalisieren“ und delegitimieren und in irgendein obskures Als-ob ab- oder verdrängen. Auch das ist übliche Praxis. Nur – was sagt uns das über unsere politische Praxis, die eben genau so ist, wie sie ist? Nichts! Null Aufklärung! Mit Recht fragt deshalb Alt68er nach den uns verborgenen, nach den tiefenpsychologischen Beweggründen unseres politischen Handelns.

    Anders gesagt: So (theoretisch) aufgeklärt unser individuelles Handeln ist, so (theoretisch) unaufgeklärt ist unser kollektives. Kants Kategorischer Imperativ (z.B.) bezieht sich ausschließlich auf individuelles Handeln, auf mein individuelles Handeln, das das individuelle Handeln des/ der anderen zu ermöglichen und nicht zu beschränken hat. Ex negativo ist erkennbar, dass es für Kant auch einen Bereich nicht(!) „selbst verschuldeter Unmündigkeit“ zu gibt. Eben den (in seinen legitimierenden Grenzen) hat er aber nicht aufgeklärt.

    Angesichts der historisch gegebenen Verhältnisse liegen die Gründe für das Primat solcher Subjektphilosophie auf der Hand. Das ändert aber nichts daran, dass uns gerade wegen der Konzentration auf das (individuelle) Subjekt und mit fortschreitender Individualisierung – gleichsam in umgekehrter Richtung – die politischen, gesellschaftlichen (ökonomischen!) und kulturellen Zwänge, denen wir unterworfen sind, immer un(be-)greibarer werden.

    Theoretisch (legitimiert) gibt es solche Zwänge ungleich weniger als unsere Freiheit. Unsere Freiheit füllt Bibliotheken. Faktisch sind wir aber (freiwillig und unfreiwillig) täglich, geradezu minütlich, mehr oder weniger anonymen Zwängen unterworfen. – Ohne dass ich jetzt weiter auf meiner Schuldthese beharren will: Es gibt die Entität „Wir“, synchron (jetzt) und diachron (durch die Geschichte – auch, Ausgangspunkt war APOs Posting!, in die Zukunft hinein), wie auch immer ihre Seinsweise und ihr Handeln denk- und erklärbar sein mag. Vorläufig ist sie in beidem ganz und gar unaufgeklärt. Ihre mögliche (extreme) „Logik“ habe ich mit meinem Exkurs zu Kirche und Leib Christi anzudeuten versucht.

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    @Liebe Rita E. Groda,

    schön, dass Sie wieder im Lande sind. Ich finde es großartig, dass unsere Spezies in der Lage ist, so tief in das Gewebe der Natur Einsicht nehmen zu könnnen. Das ist fast schon wieder Poesie.

    @ EJ, Roland Ziegler

    Ich finde es hochinteressant,EJ, daß Sie die unio mystica der Kirche, ihrer Mitglieder mit dem Leib des Herrn herangezogen haben. Bevor ich das jedoch richtig erfasst habe, neige ich den Anschauungen Roland Zieglers zu. Könnte man denn das übertragen und von einem Leib des Deutschen Volkes sprechen, an dem wir Glieder sind und an dem wir voll und ganz Anteil haben?

    @ Alan Posener

    Ich will doch noch mal Ihre Verdrängungshypothese befragen: Wer sind denn die, die „unverdrossen eine offensichtlich genetisch übertragene „German Angst“ für die Heftigkeit der hiesigen Reaktionen verantwortlich machen“? Soweit ich die Diskussion verfolgt habe, sind das doch Publizisten, die der sog. Achse des Guten oder dem Springer-Verlag nahestehen, und die sollten ein Interesse haben, jene „dunklere Quelle unsichtbar machen wollen.”? – Ich glaube eher, dass diese bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit diese angeblich „dunkle Quelle“ in Anschlag bringen.

    Sicherlich, jede Handlung ist nach Freud überdeterminiert. Eine Verdächtung in der Weise, dass man unterstellt, der tiefere Grund eines Engagements gegen Atom etc. sei bei den „Deutschen“, einem „Volk auf Bewährung“, dass sie sich an ihren Holocaust-Komplex immer noch die Zähne ausbeissen und irgendwie irgendetwas verdunkeln müssen, ist mit Verlaub Küchenpsychologie und eine Vulgarisierung der Freudschen Verdrängungstheorie. Wenn Sie schon damit kommen „Ich seh etwas, was Du nicht siehst bzw. nicht sehen willst“ – bitte, stellen Sie das dar.

    Was ist denn nun Ihrer Ansicht nach verdrängt? Dass immer wieder neue Befunde auftauchen, von denen wir noch nicht gewusst haben und die das vorliegende Bild der Shoa ergänzen, die unterschiedlich interpretiert und kontrovers diskutiert werden, was hat das mit Verdrängung zu tun? Mir scheint es das Wesen der Wissenschaft zu sein.

    Ich sehe auch keine Verdrängung am Werk, wenn es um die Schuldfrage geht. Hier bei „Starke Meinungen“ wurde schon Christian Böhmes steile These „Jeder Opi war ein Nazi. Keine Entlastung nirgends“, dass die Deutschen ein „Tätervolk“, ein einzig Volk von Tätern sind, diskutiert. Wenn ich daran Unbehagen oder gar Ärger verspüre, verdränge ich da was? Müßte ich ganzen Herzens in der Lage sein zu bekennen „Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“?

    Nach Freud wird ein Trieb verdrängt, der nach Lust sucht, weil er in Konflikt mit anderen Trieben bzw. Ansprüchen kommt, die Lust sich dann in Unlust wandelt. Ihr Kollege von der WELT hat mal im Ernst formuliert: „Israel als Corpus delicti oder meine Existenz sind Erinnerer an den Holocaust … das europäische schlechte Gewissen wäre enorm erleichtet, wenn jemand anders den „Job“ des Holocaust II übernehmen würde.“ Ich muß mich ja schon fragen, ob ich meinen Trieb, die Endlösung der Judenfrage endlich zu bewerkstellen, verdränge.

    Bevor ich jedoch weiter spekuliere, was Sie meinen könnten, Ihnen etwas falsches unterstelle, bitte ich Sie, Ihre Arbeitshypothese zu erhellen. Und will schließen: Könnte es sein, dass Sie etwas dunkleres verdrängen?

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    @Rita E. Groda
    Seit wann gehören ausgerechnet Sie zu den”Nicht-ganz-bös-Menschen”
    Schon immer. Besonders bei dem Thema:
    „Ist das Restrisiko der Kernkraft Glaubenssache, oder haben wir es mit wissenschaftlichen Fakten zu tun?
    Das „Restrisiko“ nicht, aber die Entscheidungen, die auf solch statistischer Basis erfolgen. Penetranterweise noch mal das emotional weniger aufgeladene Beispiel near earth objects (NEOs), Asteroiden: Die reale Gefahr des Einschlags, in etwa quantifizierbar, bereits mehrfach geschehen und ein guter Grund für die NASA. Daher bin ich für die Nasa und den Ausstieg aus der Kernkraftnutzung zwecks Stromerzeugung.
    Mein Anliegen ist ein anderes: Die Diskussion kann ja, wenn Statistik im Spiel ist, prinzipiell nicht auf exakter Vorhersage beruhen. Daher ist bei solchen Entscheidungen, wie Kernkraftausstieg, besonders darauf zu achten, daß die Szenarien ergebnisoffen und nicht ideologisch bzw. quasireligiös betrachtet werden. Bischof Marx‘ „Teufelszeug“ zeigt so in etwa den seelischen Zustand hierzulande – verhaftet der Mystik des Mittelalters.
    Und deswegen bleibe ich dabei: Die „besondere Sensibilität“ der Deutschen (und Skandinavier) für Wald, Wiese und Umwelt hat mystische, naturreligiöse Qualität und ist klimabedingt – was ich zunächst überhaupt nicht schlimm oder belächelnswert finde. Allerdings die derzeitige moralische Aufladung hierzulande schon. Unsere gesamte Industrialisierung erfordert erhebliche (Todes)Opfer. (Das Vermeiden von Industrialisierung auch).
    Nach dem Grund für diese besondere moralische Aufladung zu fragen, ist bestimmt kein Zeichen von „Verblödung“.

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    @Rita E. Groda: Ich kann Ihnen nur zustimmen. Klar kann man sich Gedanken darüber machen, was in einem demokratisch sozialisierten Menschen vorgeht, wenn er mit den Schreckensbildern des Holocaustes und des 2. Weltkriges konfrontiert wird und hört, dass dies Grauen im eigenen Land Wirklichkeit war u. von seiner Großelterngeneration verursacht wurde. Man kann auch überlegen, ob er dabei irgendeine Mitschuld empfindet oder gar empfinden sollte. Das Entscheidende ist jedoch: Für die Anworten, die man als Staatsbürger von heute auf die Fragen zum Holocaust oder zur Atomkraft geben sollte, tragen diese Fragen nichts bei.

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    KJN: Ich verstehe Sie wirklich überhaupt nicht mehr!!!!
    Davon spreche ich doch schon seit Jahren.
    Es geht genau nicht nach“Glaubensinhalten“.

    Fakt ist einmal der Holocaust. Da die meisten von uns, vermutlich, nicht der Piusbrüderschaft angehören, brauchen wir das nicht zu glauben. Wir wissen um die Existenz der Konzentrationslager, oder vielleicht doch nicht? Sind Auschwitz und Dachau und Treblinka Potemkinsche Dörfer?

    Anstatt sich daran zu machen, unsere allso sicheren Atommeiler sicherer zu machen, bzw. irgendwann einmal stillzulegen, quatschen wir hier von Projektion und Schuld. Ein wenig Philosophie und die Deutsche Deppenwelt ist wieder o.k.

    Ist das Restrisiko der Kernkraft Glaubenssache, oder haben wir es mit wissenschaftlichen Fakten zu tun?

    Wäre Oppenheimer nicht genau so verblödet, wie manchen Diskutanten hier, bzw. ein Opportunist gewesen, hätte es Hiroshima und Fukushima vermutlich nicht gegeben.
    Wenn Ehrgeit und Moneten locken, dann ist vermutlich jeder Wissenschaftler ein Opportunist.
    Seit wann gehören ausgerechnet Sie zu den“Nicht-ganz-bös-Menschen“, die glauben man wäre in der Position, auf die Handwerker ein Auge zu haben?

    Einige Deutsche scheinen „Angst“ zu haben, mit gesundem Menschenverstand vom Europäischen Blödland verlacht zu werden. Ja und!!!!!
    Als Deutschland den Kat bei Autos einführen wollten – alte Leute wissen noch – hat ganz Europa sich kaputt gelacht. Die, die am lautesten lachten, haben den Kat als Erste serienmäßig in ihre Autos eingebaut.

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    Rita E. Groda sagt: „Noch selten habe ich so einen “projektierten Quatsch” gelesen, wie bei dieser Diskussion hier.“
    Doch, liebe Rita E., genau diese Diskussion ist ausnahmsweise mal sehr wichtig und sollte nicht nur hier geführt werden, denn Glaubensinhalte müssen von derzeit möglichen wissenschaftlichen (wie auch immer) Erkenntnissen abgegerenzt werden, um vernünftige Entscheidungen zu treffen, die auch in 20 Jahren noch Bestand haben. Ich möchte nicht wieder beim nächsten (oder übernächsten, klar..) Regierungswechsel wieder einen Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem.. etc. erleben.
    Chernobyl, Fukushima Ausnahmen? Klimawandel auch bei Einstellung jeglicher zivilisatorischer CO2-Emission unvermeidlich? Das nächste near earth object trifft die Erde? Unsere Wissenschaftler sind schon gut, aber sie sind vor allen Dingen auch Opportunisten (ich zitiere A. Einstein), und deswegen sollten wir, wie bei Handwerkern, ein Auge drauf haben und jegliche Sentimentalitäten und Reflexe bei der Beurteilung der Sachlage als solche identifizieren.

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    @EJ: Danke für die Beispiele, die die sehr aufgeladene Sache ein wenig zu erden helfen. Zum Fußball: Ich kann nur in einem sehr uneigentlichen (metaphorischen) Sinn behaupten, dass ich – als Bestandteil eines deutschen „Wir“ – 1954 Weltmeister geworden bin. Bei z.B. Toni Turek, der damals mitgespielt hat, sieht das schon anders aus; bei ihm bedeutet dieses „Wir“ etwas ganz anderes.

    Er spielte für Deutschland und gewann mit seiner Mannschaft. Also sind alle Deutschen in gewissem Sinn Weltmeister geworden. Leistungsanteile an diesem Sieg haben trotzdem nicht alle, schon gar nicht Leute wie ich, die mangels Existenz gar keinen Einfluss nehmen konnten. Wir – die Nachgeborenen – haben weder Verdienste an den Siegen noch Schuld an den Niederlagen.

    Natürlich gibt es Mannschaftssiege und auch -niederlagen. Insofern gibt es auch kollektive Verdienste und kollektive Schuld. (Hier verstehen Sie mich eindeutig falsch.) Nur: Wer kein Teil der Mannschaft ist, kann hier nicht partizipieren, weder im Guten noch im Schlechten, weder an den Verdiensten noch an der Schuld.

    Stellen Sie sich nur mal die Konsequenzen der Gegenthese vor. Stellen Sie sich vor, ich würde mich hinstellen und posaunen: „WIR sind 1954 Weltmeister geworden und ich habe meinen bescheidenen Verdienst daran!“ – „Welchen Verdienst?“ würde man sofort fragen. Als Antwort bliebe nur: „Den, dass ich Deutscher bin!“ – „Inwiefern ist das ein Verdienst?“ wäre die nächste Frage. Was wollen Sie da antworten?

    Soweit zum Fußball. Was die Kirche und den Papst angeht: Hier fällt es mir schwer, etwas Vernünftiges zu sagen. Das verstehe ich schlicht nicht.

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    @Alan Posener: Genau das ist der Punkt, auf den Sie es exakt gebracht haben:
    „Was aber wohl heißt, dass diejenigen, die unverdrossen eine offensichtlich genetisch übertragene „German Angst“ für die Heftigkeit der hiesigen Reaktionen verantwortlich machen, womöglich – wie bei jener anderen „German Angst“, nämlich vor dem Islam – eine dunklere Quelle unsichtbar machen wollen.“

    Noch selten habe ich so einen „projektierten Quatsch“ gelesen, wie bei dieser Diskussion hier.

    6 Millionen vernichtete Juden lassen sich nicht wegdiskutieren, ebenso wenig wie das Restrisiko der Kernkraft.

    Sollten wir nicht aufhören ein Land der harmoniesüchtigen Dorfdeppen zu sein und endlich Verantwortung übernehmen? Für uns selbst, unser Land und unsere Nachkommen?

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    @ Burkhard Wahle: Sie haben Recht. Trotzdem hilft die Einsicht in bestimmte psychologische Mechanismen gegen Selbstgerechtigkeit und Denkfaulheit. So begreife ich z.B. Götz Alys Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit in „Unser Kampf“.

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    @Burkhard Wahle: Hier gibt es ein Missverständnis logischer Natur. Alan Posener behauptet nicht, dass alle Atomkraftgegner unter „Atomphobie“ leiden würden (Allquantor). Er sagt nur, dass einige davon darunter leiden (Existenzquantor). Nur um diese geht es.

    Auf diese Leute bezogen stellt er die Frage, ob die nicht einen Schuldkomplex, der sich auf den Holocaust bezieht, mit Anti-AKW-Aktionismus lösen. (Wozu ich meinen würde, dass das zwar grundsätzlich möglich ist, aber eine Paranoia aufgrund apokalyptischer Traumas viel passender und wahrscheinlicher ist.)

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    @ Roland Ziegler, @ Alt 68 er

    Ich denke, wir haben Schwierigkeiten mit der Diskrepanz zwischen dem, was Roland mit seinem Einwand formuliert (schuldhaft kann nur die individuelle Tat sein), und ganz offensichtlich sinnvollen und verständlichen Sätzen wie: ‚1954 haben wir die Fußball-Weltmeisterschaft gewonnen.‘ (Selbst der Ausruf ‚Wir sind Papst!‘ ist ja nicht völlig unverständlich.)

    Im Falle des Mannschafts-Siegs würde man sogar beträchtliche Schwierigkeiten bekommen, wollte man ihn im Sinne Rolands ausschließlich individuellen Spielern zurechnen. Auch wenn es bessere und schlechtere individuelle Spieler gegeben haben mag, hat offensichtlich immer mindestens auch die Mannschaft den Sieg errungen.

    Sicher könnte man für Deutschland auf die „verspätete Nation“ zurückgreifen, um unsere Schwierigkeiten zwischen „Ich war’s nicht!“ und „Wir sind alle Judenmörder!“ einigermaßen zu erklären. Wir haben eben nicht erst nach 1945 kein sehr selbstverständliches Verhältnis zur Nation. Es spricht vielmehr viel dafür, dass uns der verspätete Versuch, die fehlende oder nur schwach entwickelte Nation endlich voll zu etablieren, in die Misere geführt hat.

    Bei Lichte besehen liefert die „verspätete Nation“ tatsächlich aber nur eine unspezifische Erklärung. Keineswegs nur wir haben Schuld-Schwierigkeiten. Auch Frankreich, die Nation par excellence, hat sie. Und Polen etwa, lange Nur-Nation (weil ohne Staat), hat sie. Usw., usw.

    Als im Heiligen Jahr 2000 der damalige Papst seine Schuldbekenntnis ablieferte, hatte er exakt dieselben Schwierigkeiten. Ohne Frage gab es Verbrechen der Kirche, große, unverzeihliche. Aber welcher Kirche genau? Waren es Verbrechen nur der Organisation Kirche, dessen Mitglied z.B. ich als Kirchensteuerzahler bin. Oder waren es Verbrechen der Kirche als Leib Christi, dessen Glied ich als Getaufter bin.

    Einige Formulierungen des Papstes legten nahe, dass diejenigen Päpste, Bischöfe, Priester, Gläubige, die Mord, Totschlag und Folter etc. pp. befahlen und begingen, im Augenblick ihrer Tat – durch ihre Tat – nicht mehr zur Kirche gehörten, eigenverantwortliche Individuen waren. Andere Formulierungen aber und vor allem die Tatsache, dass der damalige Papst dennoch auch „seine“ Schuld und die der Kirche bekannte und die Schuld der Kirche in der Eucharistiefeier bekannte, legten nahe, dass nicht etwa nur Mitglieder der Organisation Kirche, sondern Glieder des Leibes Christi, also – undenkbar eigentlich! – der Leib Christi (und auch noch mit seinen zentralen Organen sozusagen) selber schuldig geworden war.

    Theologisch läuft das Schuldbekenntnis des Papstes, und das ist, wenn in aller gläubigen Dramatik vorgestellt, nicht lediglich metaphorische Verschleierung, auf das Eingeständnis der Selbstbeschädigung und Selbstverstümmelung des Leibes Christi mit Hilfe seiner und durch seine Glieder hinaus. – Ich schätze, wenn wir unser nationales Problem ernst nehmen wollen, haben wir in dieser, in den tiefsten Tiefen unserer Geschichte liegenden, ziemlich abgründigen Dimension des Problems nach einer Lösung zu suchen.

    Das Christentum mag uns – qua Gewissen – zum eigenverantwortlichen Individuum schlechthin gemacht haben. Es hat uns unser Gewissen aber auch gemacht. Und insofern sind wir immer auch es. Auch es verantwort unser Tun. Und das (Prinzip) dürfte unser Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft und Gesellschaft, von Gemeinschaft, Gesellschaft und Individuum noch immer bestimmen. Auch wenn die Ontologie des Leibes Christi bzw. von Gemeinschaft und Gesellschaft – das ist im Kern unser Problem! – eher noch ziemlich ungklärt ist.

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    eine offensichtlich genetisch übertragene „German Angst“ Ist Posener jetzt ein Sarrazinist? Und wenn Dinge offensichtlich genetisch übertragen werden, dann kann man sich aufwändige Untersuchungen der Genforschung ersparen. Denn offensichtliche Tatsachen bedürfen keiner komplizierten Nachweise.

    Gemeint ist die Atomkraft, bekanntlich eine jüdische Erfindung. Ich sage nur: Einstein. Echte Arier spalten keine Atome. Die Kernspaltung aht Otto Hahn entdeckt. Dafür hat er den Nobelpreis bekommen:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Hahn

  17. avatar

    einer der Söhne des „Jud Süß“-Regisseurs Veit, in Felix Moellers Film über den Umgang der Familie mit dem Erbe.

    Hab den Film gesehen und direkt danach den Feuchtwanger-Roman Jud Süß gelesen. Der Film hat mich völlig für die Person des Jud Süß vereinnahmt.

    Das hielt ich zunächst für einen Propaganda-Trick der Filmemacher, um die besondere Gemeinheit des Jud Süß nach dem Motto herauszustellen: Seht her, so kann euch der Jude täuschen und vereinahmen. Doch der sympathische Filou Jud Süß scheiterte als tragischer und bemitleidenswerter Held der Geschichte. Genau wie bei Feuchtwanger.

    Antisemitismus in diesen Film hineinzuinterpretieren halte ich für eine der dümmsten und lächerlichsten Klein-Gaunereien des Feuiletons im 20. Jahrhunderts. Der Film bleibt auch allein deswegen verboten, damit diese Gaunerei nicht herauskommt und das Establisment nicht blamiert ist.

    Daß sie das als Hintergrundkulisse benutzen um dumpf-pauschalisierende Schuld-Schwiemelei über die Deutschen zu betreiben, kennzeichnet ihren schlampigen Arbeitsstil.

  18. avatar

    Ich kenne keine großartigen Nationen und an eine glückliche Entwicklung der Menschheit zu glauben, fällt mir bei der medialen Präsenz von Gewalt und Krieg schon schwer. Der Kalte Krieg war auch nie kalt, so erreichten uns stetig Bilder aus Vietnam, Kambodscha, Afrika u.s.w.
    Die Atomkraftbewegung hat vielleicht noch einen anderen Aspekt. Ob ich mein Land durch Atomunfälle, die ja nicht auszuschließen sind, verseuchen lasse oder nicht, ist alleine eine nationale Frage. Hier wirken keine Bündnisverträge. Es ist eine Frage politischen und ökonomischen Wollens. Allerdings ist dies zu kurz gedacht, da Reaktorunglücke dann doch global wirken.

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    Lieber Herr Posener, Ihre Argumentation erinnert mich an einen Topos der 68er Kritik, den von der nachgeholten oder nachholenden, damit kompensatorischen Revolution/Revolte: Die Söhne und Töchter der Täter ziehen ihren moralistisch hochgerüsteten Protest aus der Fiktion, dass sie gegen ein faschistisches „Schweinesystem“ kämpfen. An diesem Argument war und ist sicher manches richtig (zumal mit dem Palestinenser-Tuch antijüdische Affekte der Elterngeneration unbewusst weitergetragen werden konnten), aber all die guten und rationalen Gründe für die Studentenrevolte werden damit auch vom Tisch gefegt. „Atomphobie“ verweist, das hat 68er(!) bereits gesagt, die Ablehnung der Atomenergie ins Pathologische, so, wie die 68er Revolte als bloß nachholende Überreaktion einseitig psychologisiert und entpolitisiert wird.
    Vielleicht ist es so, dass uns, soweit wir Nachgeborene der Nazi-Generationen sind, tatsächlich eine besondere und berechtigte Sensibilität gegenüber allem, was Rassismus, Krieg und Massenvernichtung sowie Führerkult angeht, begleitet. Dass wir (ich z.B. Jg. 65) dagegen nie „richtig“ kämpfen mussten, ist unser Glück und unser blinder Fleck zugleich, unser Protest blieb allzu oft moralisierend und symbolisch. Von daher das begrenzte Recht der Formel vom „Gutmenschen“, deren Nachplappern längst jedem superangepassten und rücksichtslosen Erfolgsmenschen den Anschein intellektueller Überlegenheit verleihen soll. Zur immer wieder selbstquälerisch angeführten „German Angst“ fällt mir noch ein, dass es von Günter Anders bis zu Hans Jonas eine Linie gibt, die die Diffamierung der Angst zurückweist und diese situationsbezogen ins Recht setzt (ja, ich weiß, Angst wird dann zur „Furcht“). Mir scheint es sehr vernünftig, Angst (Furcht) vor den unkalkulierbaren Risiken der Atomenergie zu haben. Also, „Holocaustverdrängung und Atomphobie“, das passt nicht zusammen. – Zu Ihrer These passend und zur Erheiterung könnte man jetzt noch Robert Gernhardts Gedicht „Das Gleichnis“ lesen (aus „Besternte Ernte“).

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    EJ schreibt: Schauen Sie sich doch mal an, was wir für ein historisch stabiles WIR wir gegen muslimische Migranten und überhaupt gegen die muslimische Welt ins Feld führen.

    … nicht nur WIR. Und das ist auch BESSER so!

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    @Kerstin: Ich kann Ihnen nur zustimmen. Es ist die Erfahrung von Horror, die in erster Linie für die phobischen Reaktionen verantwortlich ist. Im Geschichtsunterricht und anderswo wurde der jüngeren Generation ein unvorstellbares Ausmaß von Horror präsentiert. Dieses Ausmaß zermürbte nicht nur die Vorstellung von einer großartigen deutschen Nation, sondern von der glücklichen Entwicklung der Menschheit insgesamt. Auch der Glaube an die Vernunft anderer Nationen geriet ins Wanken, die ihr Horrorpotential zwar noch nicht entfaltet hatten, aber nicht überzeugend garantieren konnten, dass dies nie geschehen würde. Gleichzeitig klopften die von Ihnen genannten Szenarien an die Tür und stellten sich mit ihrem Zukunftspotential vor. Die Schüler zogen hier eine apokalyptische Querverbindung.

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    @Alt 68er: interessanter Begriff: „Schulden“. Leicht zu verwechseln mit „Schuld“. Wahrscheinlich liegt hier der Hund begraben. Aus „Schuld“, insb. aber aus Schuldgefühlen können Bestrafungsphobien sprießen. „Schulden“ dagegen kann man an andere, Jüngere übergeben; dann ist man selber schuldenfrei.

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    Im Jahr 1979 wurde nicht nur der Film >Holocaust< im TV ausgestrahlt. Es war auch das Jahr des Unfalls in Harrisburg, der Ölkrise und des NATO-Doppelbeschlusses. Die Stationierung von Pershing-2 mit nuklearen Gefechtsköpfen sollte in Westdeutschland 1983 beginnen. Gleichzeitig wurde in der DDR der Wehrunterricht eingeführt. Als Schüler wurden wir ausgebildet uns vor ABC-Waffen zu schützen. Wir sahen Bilder und Filme von den Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki. Der Kalte Krieg drohte heiß zu werden.
    Die Berichte über die Folgen von Hiroshima und des Reaktorunglückes in Tschernobyl sind extrem widersprüchlich, das schafft zusätzliche Unsicherheit.
    Erkenntnisgewinn muss für mich nicht mit Schuldzuweisung einhergehen.

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    @EJ (Nachtrag): Wenn wir als Kollektiv historische Rechte in Anspruch nehmen, müssen wir auch historische Pflichten einlösen. Der Komplementärbegriff zu „Recht“ ist also nicht „Schuld“, sondern „Pflicht“. Ich stimme Ihnen deshalb insofern zu, dass die Übernahme von Rechten auch die Übernahme von Verpflichtungen nach sich zieht. Wer eine Erbschaft als Ganzes ablehnen will, darf auch nicht die Rechte in Anspruch nehmen. Weil man als Staatsbürger diese Rechte aber faktisch gar nicht zurückweisen kann – wie sollte das ohne Auswanderung gehen? -, ist man an die Pflichten gebunden.

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    Korrektur. Der letzte Satz heißt natürlich:

    Oft wird von der gleichen Person (ich spreche vom Kollegen), der gerade eben bemängelt hat, die Deutschen würden sich nicht genug mit der Shoa auseinandersetzen, vorgeworfen, dass sie sich übertrieben mit ihr auseinandersetzen, das ist dann „deutscher Sündenstolz“.

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    Nachtrag: Wenn ich sage, die deutsche Islamophobie sei gemäßigt, meine ich das im europäischen Vergleich. Daher Wilders-Skala.

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    @ Alle: Interessante Diskussion. Und darum geht es letztendlich. Ich versuche, einen Grund für die offensichtlich sehr spezifische deutsche Reaktion auf die Atomkraft zu finden. (Die deutsche Islamophobie ist auf der nach oben offenen Wilders-Skala durchaus noch gemäßigt.) Die Projektion eines von bedenkenlosen Bürokraten zu verantwortenden millionenfachen Todes auf die Atomlobby und deren willige Helfer, das Gefühl, stellvertretend für die ganze Menschheit und Mutter Erde sich diesen zum Zivilisationsbruch entschlossenen Kräften entgegenwerfen zu müssen – man braucht nicht viel Fantasie, um zu sehen, welche Entlastung das bringt. Und ich zitiere konkret einen Schuldigen (Sassen) und einen Nichtschuldigen (Harlan), für die diese Vorstellung genau jene Entlastungsfunktion erfüllt. Wie gesagt, damit will ich nicht sagen, dass der Kampf gegen die Atomkraft falsch ist. Es geht um eine spezifische moralische Aufladung. So wie es ja nicht falsch ist, den Islam zu kritisieren. Aber die Vorstellung, damit den neuen Faschismus zu bekämpfen, hat natürlich auch eine Entlastungsfunktion, zumal man dabei hemmungslos rassistisch sein darf. Anderes Thema.

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    Nach dem Wörterbuch der Psychoanalyse ist Verdrängung eine Operation, wodurch das Subjekt versucht, mit einem Trieb zusammenhängende Vorstellungen (Gedanken, Bilder, Erinnerungen) in das Unbewußte zurückzustoßen oder dort festzuhalten. Die Verdrängung geschieht in Fällen, in denen die Befriedigung eines Triebes – der durch sich selbst Lust verschaffen kann – im Hinblick auf andere Forderungen Gefahr läuft, Unlust hervorzurufen.

    Ich würde nun zu gerne von einem tiefenpsychologisch bzw. psychoanalytisch gebildeten bzw. belesenen Publizisten wissen, was denn nun verdrängt wird. Die Beschäftigung mit der Shoa, mit der deutschen Auseinandersetzung mit ihr und der deutschen Schuld ist doch keine Katakomben- und Untergrund Agenda, sondern wird zu Zeit und Unzeit, zu passenden und unpassenden Gelegenheiten am hellichten Tag verhandelt (m.E. ist das ein Vorgang der Verblendung). In Poseners Argumentation sehe ich ein Dispositiv der Verdächtigung und des Verhörs: Nein, nicht das ist dein Antrieb, dahinter steht ein noch zu erhellender dunklerer Antrieb, vielleicht willst Du den Holocaust relativieren? Gestehe!

    @ EJ

    Ich stimme zu, dass wir neben historischen Rechten auch historische Schulden in unsere kollektive, völkische Identität integrieren sollten. Wie könnte das Ihres Erachtens einigermaßen adäquat (nicht neurotisch, sondern „gesund“) gelingen? Oft wird von der gleichen Person (ich spreche vom Kollegen), der gerade eben bemängelt hat, die Deutschen würden sich nicht genug mit der Shoa auseinandersetzen, dass sie sich übertrieben mit ihr auseinandersetzen, das ist dann „deutscher Sündenstolz“.

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    @EJ: Auch auf die Gefahr hin spitzfindig zu sein: So wie ich den Begriff „Schuld“ verstehe, setzt er eine bestimmte zurechenbare Tat voraus. Schuld erwirbt man durch eine schlechte Tat; sie kann weder vererbt noch übernommen noch sonstwie auf jemand anderes transferiert werden. (Eine andere Bedeutung von „Schuld“ ist freilich die religiöse Erbsünde, wo man von vornherein schuldig ist, ohne je etwas Schlimmes getan zu haben. Diese Bedeutung möchte ich ausklammern.)

    Möglicherweise reden wir aneinander vorbei, und Sie meinen mit „Schuld“ in etwa das, was ich „Verantwortung“ nennen würde? Verantwortung kann nämlich durchaus von einr Generation auf die andere übergehen; das erkennt man an der Redewendung: „Ich übernehme die Verantwortung für X“. Oft hört man diese Redewendung von Leuten, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen (z.B. neulich in der Brüderle-Affaire).

    Allerdings setzt „Verantwortung“ eine gewisse Einsicht voraus, so dass sie gegen darauf gründende Phobien geschützt ist. Und: Verantwortung zu übernehmen für etwas, was man nicht getan hat, kann man auch ablehnen. Es lässt sich durchaus, an die Adresse einer „Tätergeneration“ gerichtet, sagen: „Was ihr getan habt, ist eure Sache – ich distanziere mich davon aufs äußerste und lehnne jede Verantwortung dafür ab.“ Natürlich muss das dann auch durch entsprechendes, konsequent distanziertes Handeln belegt werden, d.h. es muss streng darauf geachtet werden, bestimmte Muster, die für die Schuld verantwortlich waren, nicht unbewusst in neuen oder anderen Zusammenhängen zu replizieren. Z.B. indem man rassistisch ist.

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    … ooosps? Blockquote funzt, daher noch einmal:

    EJ: Warum sollte dieses WIR, wenn es Träger aller möglichen historischen Rechte sein kann, nicht auch historische Schuld tragen können?

    … ganz einfach. Weil es Schuld relativiert. Schuld rechtfertigt.
    .
    Oder anders herum. Wer mit Puppen spielt, ist noch lange kein Goethe. Im Übrigen ist neuerdings: christlich-jüdisches Erbe – MSM, sprich Quark.

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    Warum sollte dieses WIR, wenn es Träger aller möglichen historischen Rechte sein kann, nicht auch historische Schuld tragen können?

    … ganz einfach. Weil es Schuld relativiert.
    .
    Oder anders herum. Wer mit Puppen spielt, ist noch lange kein Goethe. Im Übrigen ist neuerdings: christlich-jüdisches Erbe – MSM, sprich Quark.

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    Doch, ich glaube den Zusammenhang zwischen Atomangst und Shoah-Schuldgefühl gibt es. Psychologen beschreiben die Projektion von Gefühlen, wie Hass, Angst etc. auf dritte Personen. Der deutsche Selbsthass, der Hass auf eigene Schwäche und moralisches Versagen ist zu unerträglich und sucht sich woanders sein Ventil, seine Kompensation darin, in Zukunft alles, aber diesmal auch wirklich alles richtig machen zu wollen. Das darf nie wieder passieren.
    Daher: DDR 150% Sozialismus – Westdeutschland 150% Kapitalismus. U.s.w. Wer alles perfekt machen will, begeht bekanntlich die größten Fehler.
    Vielleicht denke ich zu thermodynamisch (keine Wirkung ohne Ursache), mir fehlt die geisteswissenschaftliche Bildung, klügeres zu zitieren. Aber ich glaube, unserer deutschen Seele täte eine gewisser esprit d’improvisation statt dem berüchtigten esprit d’organisation ganz gut, damit nicht das nächste Extrem folgt. „Europa“ könnte therapeutisch wirken.

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    Roland Ziegler Die heute lebenden Deutschen haben keine Schuld auf sich geladen; insofern gibt es auch keinen Grund, sich vor einer Strafe zu fürchten

    Ein mir nicht begreiflicher Standpunkt! – Schauen Sie sich doch mal an, was wir für ein historisch stabiles WIR wir gegen muslimische Migranten und überhaupt gegen die muslimische Welt ins Feld führen. Deutschland ist ein einziges (neuerdings: christlich-jüdisches) WIR.

    Warum sollte dieses WIR, wenn es Träger aller möglichen historischen Rechte sein kann, nicht auch historische Schuld tragen können? – Entweder es gibt solche kollektiven Identitäten oder es gibt sie nicht.

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    Gegen die These spricht natürlich, dass die berühmte „German Angst“ kein post-nationalsozialistisches Phänomen ist (bzw. sein soll) und schon zur Erklärung der Nazis und ihres Rassismus und Antisemitismus dient.

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    @ Alt 6er Oder meinen Sie das gleiche wie Ihr Kollege von der WELT

    Als ich Alan Poseners Posting heute in aller Frühe las, dachte ich: Hoppla, APO, Hausaufgaben nicht gemacht. Den Unvermeidbaren nicht gelesen!

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    Holocaust-Schuld verursacht also „German Angst“. Angst vor Bestrafung, aber wer straft hier eigentlich? Und wer wird bestraft?
    Das führt in die Metaphysik, fließt zusammen mit Romantik, Hilflosigkeit, Pessimismus, Lebensangst usw. und mündet in übersteigerte Angstreaktionen und -phantasien.
    Andererseits: Die heute lebenden Deutschen haben keine Schuld auf sich geladen; insofern gibt es auch keinen Grund, sich vor einer Strafe zu fürchten bzw. eine so begründete Angst auf die Atomkraft zu projizieren. Ich glaube, sie haben kein Schuldgefühl, sondern einen Horror aus der Großelterngenerationen mitgenommen, den sie nicht so leicht wegstecken.

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    Sehr geehrter Herr Posener,

    der Titel ihres Beitrags spielt mit einer falschen Terminologie. Sie können nicht auf der einen Seite behaupten, der Kampf gegen die Atomtechnologie sei richtig und auf der anderen Seite von „Atomphobie“ reden.

    Wenn Sie schreiben:

    „Der Kampf gegen die Atomkraft also als nachgeholter Kampf gegen die Nazis. Ich fürchte, allzu viele Atomkraftgegner empfinden das so.“

    Ist dies auch eine Verkürzung, vielleicht sogar ein Paradoxon. Wenn die nachgeborene Generation versucht ihre Lehren aus dem Holocaust zu ziehen, wird ihnen dies, wenn ich Sie richtig verstanden habe, als Ersatzhandlung für die nicht erfolgte Aufarbeitung der Nazizeit ausgelegt. Wohingegen die „mutigen“ Atombefürworter, die kein Problem damit haben, tausenden Generationen Atommüll zu hinterlassen, ihre Lektionen aus der deutschen Geschichte gelernt haben?

    Die Lektion hieße dann wohl:

    „anything goes!“

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    @ Alan Posener

    Ich verstehe nicht, was Sie mit „Verdrängung“ von „German Schuld“ meinen. Die Beschäftigung mit und die Präsentation von „German Schuld“ ist doch permanent und unübersehbar. Wenn sie denn verdrängt war, haben wir es längst mit einer Wiederkehr des Verdrängten zu tun. Es hat schon Literaten gegeben, die die Dauerpräsenz für unzumutbar hielten. Anders gefragt: Wie müßte denn die Beschäftigung mit der „German Schuld“ sein, dass Sie sie nicht für verdrängt halten? Wohin müßte noch gebohrt werden?

    Oder meinen Sie das gleiche wie Ihr Kollege von der WELT, dass die Deutschen, weil sie nicht ausreichend und adäquat genug bestraft worden wären, sich an Ihren Strafängsten abarbeiten müßten?

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    @ Kerstin: QED.
    @ Derblindehans: Nein, umgekehrt. Das Gerede von der „German Angst“ soll das tiefere Bohren nach deren Ursache in der Verdrängung von „German Schuld“ verhindern.

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    Was mit dem Begriff „German Angst“ genau gemeint ist, weiß ich nicht. Möglicherweise ja genau die Traumatisierung, die Sie anführen? Vielleicht zusammen mit den Traumas aus zwei Weltkriegen? Das sind ja schon sehr apokalyptische Erfahrungen. Jedenfalls würde man mit dem Begriff „German Angst“ nichts verdrängen bzw. unsichtbar machen, sondern zunächst diagnostizieren: Dieser Patient leidet unter multiplen Angstzuständen; im nächsten Schritt müsste man sich dann auf die Suche nach Ursachen und Therapien machen.

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    Letztlich kann man alles in Zusammenhang bringen, muss man aber nicht.

    Als ich 15 Jahre war, fuhr ich auf Klassenfahrt nach Auschwitz. Es war ein Schock, den ich erst heute 30 Jahre später benennen kann. Beschäftigt hat mich Auschwitz und damit auch Israel immer. Überall gab und gibt es Hinweise. Irgendwie versuchte ich es zu begreifen, was eigentlich unbegreiflich ist. Später studierte ich Automatisierungstechnik. Als ich im August 1986 im strahlenden Kiew war, kaufte ich mir das Buch von Robert Merle „Der Tod ist mein Beruf“. Dort begann ich zu verstehen, Auschwitz war ein gigantisches Automatisierungsprojekt, die Industrialisierung des Massenmordes mit entsprechenden Experimenten, einer Logistik, fleißigen Zuarbeitern und Geheimhaltung.

    Vielleicht habe ich auch von dort meine Fortschritts-
    skepsis mitgebracht, mein nicht alles glauben und den Menschen und Regierungen nicht trauen können.
    Das ich 1986 nach Kiew fuhr, war meine Dummheit und war auch der Informationspolitik der DDR geschuldet.

    Der Glaube an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt ist auch eine Art Religion. Risiken werden da gerne verschwiegen und verdrängt, solange es nur bequem und billig ist.

  42. avatar

    Apo schreibt: … – wie bei jener anderen „German Angst“, nämlich vor dem Islam – eine dunklere Quelle unsichtbar machen wollen.
    .
    Im Kontext Ihrer Meinung unterstellen Sie, das der Holocaust, die Shoa, Folge einer wie auch immer gearteten ‚German Angst‘ war? Ich gebe zu, so eine Begründung habe ich noch nie gelesen.

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