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Alle Blöden bloggen: das Internet als Medium infantiler Idioten

Jeder Berufsstand hat seine eigenen Idioten. In der Philharmonie ist es die Bratsche, die als Dummbüttel gilt. In der Gerichtsbarkeit denkt man niedrig vom Dorfrichter Adam, dem Amtsrichter in Kleinkleckersdorf. Im klassischen Journalismus war es der Gerichtsreporter, dem man jede Niedertracht zutraute. Das Internet erweist sich als der große Gleichmacher. Hier versagen auch die Edelsten und zeigen sich als die letzten Deppen.

Zu reden ist von dem PR-Chef eines renommierten Verlagshauses, zugleich Sohn des Verlegers selbst, der sich aus seinem publizistischen Olymp in die allgemeine Lächerlichkeit gestürzt hat. Eine Karriere ist vernichtet, wahrscheinlich auch ein großes Erbe. Wir werden Zeugen eines Königsdramas, einer göttliche Tragödie, die uns Sterblichen zeigt, was die Blogosphäre aus den charakterlich Schwachen machen kann.

Eigentlich ist es einfach. Jeder darf seine Meinung sagen. Jeder soll seine Meinung sagen. Dann streitet man um die höhere Wahrheit und am Schluss steht der Konsens. Man reicht sich die Hand und hält nach der nächsten Diskussion Ausschau. Kinder lernen an guten Schulen mannhaft und frauhaft für sich und ihre Person einzustehen. Nur Feiglinge schreiben anonyme Briefe. Nur Infantile beschriften von innen die Toilettentür. Und die Weltbürger unter uns wissen, dass nur Spießer der Rechthaberei frönen.

Man kann auch Meinungen bloß zitieren und die Diskussion zum Spiel machen. So reden Philosophen. Das alles geschieht in einem freien Land unter freien Menschen mit offenem Visier und in Ansehung der Person. Heckschützen genießen in einer demokratischen Leitkultur geringes Ansehen. Unser Vorbild des Streites ist Martin Luther: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ Unser Vorbild ist nicht der anonyme Informant, der feige Stasi-Spitzel.

Es gilt ein Vermummungsverbot, vordergründig für Burkaträger und Bankräuber, hintergründig für jedermann. Die öffentliche Debatte, der bürgerliche Diskurs und der Widerstreit konträrer Meinungen um Deutungsmacht und Einfluss – das ist konstituierendes Merkmal einer modernen demokratischen Gesellschaft. Dieses Selbstverständnis muss sich im Internetzeitalter noch verschärfen, da die Partizipationsschwelle merklich gesunken ist; die Mittel, sich Gehör zu verschaffen, sind für jedermann erschwinglich geworden, kein professionelles oder soziales Privileg mehr.

Auch in Sachen Bequemlichkeit ist eine Wende zu verzeichnen, niemand muss sich heute mehr im Speaker’s Corner auf einer Seifenkiste Wind und Wetter aussetzen, wenn er seine Meinung sagen will. Die Internetnutzung findet in trügerischer Intimität statt, nicht mit dem Gefühl der Marktplätze oder großer Oratorien, gleichwohl spricht man unauslöschlich für immer zur ganzen Welt: eine gewaltige Paradoxie. Onlinedebatten lassen sich auch im Morgenmantel aus der heimischen Couchecke heraus bestreiten. Und stockbetrunken in der Unterhose. Auch mit Koks in der Nase nach dem notorischen Ausflug ins Kölner Nachtleben.

Wovon genau ist zu berichten? Die Fama geht so: Ein mächtiger Mann im bundesdeutschen Medienbetrieb, Erbe eines Imperiums mittlerer und großer Printmedien und PR-Chef des Hauses, fühlte sich von einem Blogger ungerecht behandelt. Er begehrte unter Klarnamen Eintritt in dessen Debattierarena und erhielt diesen auch. Der mediale Goliath setzte sich nun mit dem vermeintlichen David auseinander. Bald jedoch muss er erkennen, dass die Rollenverteilung in der digitalen Welt eine andere ist.

Da gewinnt nicht jeder, dessen Papa irgendwo das Sagen hat. Das Söhnchen soll nun geflüchtet sein – nicht aus der Arena, sondern in die Anonymität.

In der Folgezeit beginnt der Kommentarbereich des Blogs des Medienjournalisten Stefan Niggemeier, des Davids, der Goliaths Aufmerksamkeit erregt hatte, sich eigenartig zu bevölkern. Unter den verschiedensten Pseudonymen, von ‚Ordensschwester’ bis hin zu ‚Schwarzwälder Kirsch’, werden die wildesten Anschuldigungen und Verschwörungstheorien gepostet, von der geplanten Zerstörung der Frankfurter Rundschau durch die FAZ ist da die Rede und es wird immer wieder auf die weitsichtigen Beiträge eines Verlegersohnes verwiesen.

Nachtigall, ick hör Dir trapsen, sagt da der Berliner. Dem erfahrenen Medienjournalisten kommt dies komisch vor, er stellt Nachforschungen an und landet immer wieder bei derselben Quelle: dem Computer von Konstantin Neven DuMont, so heißt unser Verlegersöhnchen. Der streitet zunächst alles ab, verweist dann auf zwei klandestine Benutzer seines Computers, gibt dem Konkurrenzblatt BILD schwachsinnige Interviews und zieht sich schließlich aus dem operativen Verlagsgeschäft zurück. Brancheninsider schütteln fassungslos den Kopf.

Die Geschichte wäre schon tragisch genug, würde es sich dabei um einen Einzelfall handeln, doch leider hat dieser Wahnsinn Methode. Der Reiz der Anonymität (nickname im Blog) und die intime Kommunikationssituation am heimischen Rechner, der sich, anders als das geliebte Tagebuch pubertierender Mädchen, eben historisch und  global öffnet,  zerreißen bei vielen aktiven Kommunikatoren jegliche zivilisatorische Decke. Ein Festival der Heckenschützen, eine Orgie der Denunzianten, die sich in Selbstbespiegelungen und Fremdbezichtigungen suhlen. Rasende Rechthaber, üble Hetzer und schwachsinnige Querulanten: Sie alle haben im Schutz der Anonymität das Wort.

Ein halbstündiges Stöbern in den einschlägigen Onlineforen und Kommentarbereichen großer Zeitungen (insbesondere bei Triggerthemen wie Managergehältern, Rauchverboten, Sportwagen und dem Nahostkonflikt) ist geeignet, auch den braven Mann zum Gegner des allgemeinen Wahlrechts mutieren zu lassen. Der Brechreiz bleibt. Unter munterem Identitätswechsel werden da Lynchaufrufe herausposaunt und Pranger gefordert, jeder geht mit seiner vermeintlichen Bildung und Lebenserfahrung hausieren und spätestens auf der vierten Seite kommt der erste NS-Vergleich – es ist schauderhaft.

Die Verantwortlichen in den Onlineredaktionen, die passim keine Horte journalistischer Exzellenz sind, schauen dem munteren Treiben zumeist tatenlos zu. Die hier versammelten Redakteure begreifen das muntere Treiben der geifernden Anonymen als Ausdruck äußerster Responsivität und moderner Debattierkultur, dabei lassen sie das Umfeld, in dem die Beiträge ihrer Kollegen elektronisch publiziert werden, immer weiter verludern. Beim Anblick der Kommentarbereiche von Tageszeitungen aus dem Imperium des inkriminierten Verlegers mit Söhnchen wähnt man sich in einer geschlossenen Anstalt für Politspinner – es ist ein Trauerspiel.

Der Autor dieser Zeilen war einst Kolumnist bei der Frankfurter Rundschau, bis man ihn dort online-seitig als unpassend empfand. Ich habe damals ein Experiment gemacht und unter nickname meine Online-Redaktion bloggend kritisiert, weil sie einen Mordaufruf gegen den Chef der Deutschen Bank im Netz stehen ließ. Meine Kritik wurde gelöscht und der Mordaufruf blieb stehen. Tiefer kann man publizistisch nicht fallen als diese Internetler in einem Frankfurter Straßenbahndepot.

Was ist zu tun? So sehr der Datenschutz im Internet in den Zeiten von Facebook in aller Munde ist, hier hat Anonymität nichts verloren. Konstitutiver Bestandteil der demokratischen Funktion einer Zeitung ist ihr Impressum. Der Leser erfährt, wer ihm berichtet, wer für ihn kommentiert. Es geht eben nicht um den elektronischen Seelenstriptease, sondern um die in einer Demokratie gefahrlose Übernahme von Verantwortung für die eigene Position in einer Debatte, um das Kämpfen mit offenem Visier. Das persönliche Einstehen für Überzeugungen zeugt von Courage, anonyme Schmierereien sind feige und infantil.

Schon in der Schule gab es Menschen, die den Lehrkörper offen kritisierten und herausforderten – und überangepasste Schleimer, die heimlich eine Bemerkung zum Hinterteil der Biologielehrerin auf die Klotür schmierten. Das Schicksal hat mich damals zum Redakteur der Schülerzeitung gemacht. Und der Spruch an der Toilettentür stammte nicht von mir. Zuzulassen, dass die Denunzianten die unangefochtenen Protagonisten der Onlinedebatten  werden, wäre schändlich; es verschenkt die Chancen, die ein neues Medium an sich bieten würde. Die Blogosphäre bedarf der Selbstregulierung. Solange sich die denunziatorischen Zustände aber nicht ändern, solange gilt der Erste Hauptsatz der Blogosphäre, nach dem alle Blöden boggen: Nicht jeder im Internet ist ein Idiot, aber alle infantilen Idioten sind im Internet.

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24 Gedanken zu “Alle Blöden bloggen: das Internet als Medium infantiler Idioten;”

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    Mal ganz im Ernst. Anonymität ist das Recht der Privatperson gegenüber der Öffentlichkeit. Wenn jemand öffentlich auftritt, dann hat er sich dazu zu bekennen – aber eben nicht der kleine Blocker. Wenn der ein Impressum schreiben muss und dem Kollegen auf der Arbeit der Satzbau nicht gefällt, dann wird der zum ärgsten Feind. Sowas nennt man Repressalien. Sich davor zu schützen ist das einzig vernünftige. Deshalb sollten Privatpersonen keine Impressumspflicht haben und wenn Ihnen irgendwas an einem Beitrag nicht gefällt dann können Sie von mir aus ein Buch darüber schreiben.

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    Dass die scheinbare (!) Anonymität manch einen dazu verleitet, sich in Diskussionsforen Dinge zu trauen, die sie sich sonst verkneifen würden und dass dies in vielen Foren sehr unerfreuliche Auswüchse annimmt, muss wohl kaum näher diskutiert werden. Problematisch ist allerdings die Schlussfolgerung, anonyme Schreiberlinge pauschal als Feiglinge, infantile Idioten oder was auch immer zu bezeichnen:

    Vielmehr habe ich den Eindruck, dass die Qualität der Beiträge anonymer Schreiberlinge das komplette Spektrum von Sondermüll bis Sonderklasse abdeckt!

    Nur: Das Gleiche könnte ich allerdings auch über (offenbar) nicht anonyme Personen und (ebenfalls nicht anonyme) Leserbriefschreiber sagen, d.h.: Ein Realname alleine garantiert noch keinen gelungenen Beitrag. Es erfordert übrigens kaum mehr Phantasie, einen Realnamen anstelle eines Pseudonyms zu erfinden und ob ein Realname, wenn er hundertfach im Telefonbuch vorkommt, mehr Informationsgehalt bietet als ein Pseudonym, sei mal dahingestellt. Aber das nur am Rande.

    Ein anderer Punkt: Der Vergleich mit Leserbriefen (bei denen die Adresse bekannt sein muss) und öffentlichen Debatten liegt nahe, verkennt aber einen entscheidenden Unterschied, nämlich: die räumliche und zeitliche Begrenzung: Eine Zeitung verschwindet irgendwann im Papierkorb und Beiträge in öffentlichen Veranstaltungen sind in der Regel früher oder später vergessen, zumindest, wenn der Betreffende keinen Prominentenstatus genießt.

    Einen Beitrag im Internet kann dagegen im Extremfall letztlich jeder, der eine Suchmaschine zu bedienen weiß, über einen nahezu unbegrenzten Zeitraum abrufen. Und wenn diese Aussicht jemandem nicht behagt, hat dies nicht zwangsläufig etwas mit Feigheit zu tun, sondern vielmehr mit dem Wissen, dass sich im Internet eben nicht nur debattierfreudige Demokraten tummeln. Was sich daraus ergeben kann, hat u.a. Susannah Winter geschildert. Insofern gilt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. .

    Wenn ein namhafter Berufsjournalist keine Einwände hat, im Zusammenhang mit seinen Beiträgen auch seinen realen Namen zu nennen (oder dies gar im Sinne einer Referenz ausdrücklich wünscht), ist dies seine freie Entscheidung.

    Da sich „Starke Meinungen“ allerdings nicht nur an einen auserwählten Journalistenkreis, sondern letztlich an alle, die an hochkarätigen Diskussionen interessiert sind, sollte auch akzeptiert werden, wenn verschiedene Schreiberinnen und Schreiber die Anonymität vorziehen unter der Voraussetzung, dass sie die in der realen Welt gültigen Anstandsregeln auch in der virtuellen Welt beherzigen.

    Und vergessen wir bitte nicht:
    Der Titel dieses Internetangebots lautet: „Starke MEINUNGEN“ und nicht: „Starke Realnamen“!

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    Ich befürchte, dass das Ideal „Gesicht zeigen“ begleitet wäre von einer Political Correctness. „Anstössiges“, was nicht passt, würde entweder nicht geäußert oder möglicherweise, da man die Aussage einer Person zurechnet, die man als fit bzw. misfit einordnet, in Schubladen gesteckt oder zensiert.
    Ich habe heute morgen in diesem Kommentarbereich einen Kommentar „Fallbeispiel“ gesehen, der auf eine Post verlinkte „Apropos starke meinungen“. Ich finde ihn jetzt nicht mehr, offenbar wurde er gelöscht. Ich finde das sehr bedauerlich, dass ich hier auf „Starke Meinungen“ einen eher defensiven bis tabuisierenden als ein offenen, offensiven Umgang mit Kritik an der Blogmoderation wahrnehme. So schwach, sich auch mit heftiger, unliebsamer Kritik auseinander zu setzen, sind doch die „Starken Meinungen“ nicht?

  4. avatar

    Nein, die Blogger sind nur teilweise blöde.

    Die echten Hetzer und Idioten kommentieren ausschließlich.

    Und die wirklich dämlichen Leute sitzen oben in den Verlagen. Nein, nicht als Kommentatoren – das ist hier eher die Ausnahme mit dem guten Konstatin. Die meisten Verlagsleute und Chefredakteure lassen ja selbst E-Mails von der Sekretärin schreiben und Kommentare von de Rechtsabteilung. Aber sie lesen den digitalen Sondermüll in den Leserforen ihrer Objekte, genießen, wie da Versager und reiche Papisöhnchen Tag und vor allem Nacht ihre Mitarbeiter rund machen und scheißen diese wegen jedes Unsinns sofort zusammen, der dort auftaucht.

    Warum es bei vielen Verlagen nur noch schlechte Online-Redakteure gibt? Weil sich das ein halbwegs normaler Mensch nicht lange antut, falls er nicht ohnehin aufgrund von verleumdenden Kommentaren rausgeworfen wird.

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    Ich gebe Ihnen gerne Recht, dass durch die Anonymität im Netz der Umgang miteinander aus dem Ruder gelaufen ist. Menschen, denen der höfliche Umgang schon im Alltagsleben schwerfällt, lassen anonym „die Sau raus“. Ich bin online schon unzählige Male aufs Übelste beleidigt worden. Wobei der Vorwurf der Infantilität unverschämt ist, denn es gibt durchaus Erwachsene, die sich im Netz wie Schweine benehmen, wie es Kinder und Jugendliche gibt, die an Höflichkeit alle Älteren übertreffen. Dummheit und Jugend gleichzusetzen war schon immer eine der Überheblichkeiten und Kurzsichtigkeiten des Alters. Zu Ihrer Forderung aber, Klarnamen zu nutzen möchte ich Folgendes sagen: Ich bin auf vielen Seiten unterwegs, die sich gegen Rassismus stellen und auch gegen Antisemitismus. Und da Sie und natürlich auch Herr Posener wissen sollten, welche Art von Kommentaren und auch Bedrohungspotential dort schlummert, sollte Ihnen klar sein, dass es ein Leichtes wäre, durch den realen Namen auf „Abschusslisten“ zu geraten. Das Pseudonym im Netz ist Schutz für Idioten aller Art, aber eben auch Schutz vor Idioten aller Art.

  6. avatar

    Alan Posener schrieb:

    „Früher galt der Grundsatz: anonyme Leserbriefe werden nicht abgedruckt, allenfalls mit dem Zusatz: Name und Anschrift des Schreibers sind der Redaktion bekannt. Heute sind anonyme Postings die Regel – mit den von Ihnen geschilderten Folgen.“

    So sieht’s aus.

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    Klaus Kocks: gilt der Erste Hauptsatz der Blogosphäre, nach dem alle Blöden boggen: Nicht jeder im Internet ist ein Idiot, aber alle infantilen Idioten sind im Internet.

    Die Gleichsetzung von Internet mit Blogsphäre führt völlig in die Irre, wie die Gleichsetzung der Leserkommentatoren im Bereich der Online-Presse mit Bloggern völlig in die Irre führt. Aber es ist schon klar: Mit der polemischen Gleichsetzung des einen mit dem anderen beklagen Sie den Positions-Verlust der (klassischen) professionellen Zeitungs-Autoren und der klassischen Presse überhaupt.

    Blogs und Blogger – wie z.B. der von Ihnen erwähnte Stefan Niggemeier – sind gerade diejenigen, die eine inhaltlich-thematisch und formal-thematisch [sic!(*)] konzentrierte Community um sich versammeln können. Genau das können die Online-Versionen der klassischen Presse/ Medien und ihre professionellen Autoren nicht. Und die Online-Presse und ihre angestellten Autoren können das nicht, könnte man zugespitzt sagen, weil sie (aus diversen Gründen) nicht bloggen (können). Umgekehrt argumentiert: Schauen Sie sich die Blogs von Stefan Hebel (fr-online.de) und Jörg Lau (zeit.de) an. Da läuft’s in einer Weise, von der die jeweils zugehörigen konventionellen Medien nur träumen können.

    Wer das Internet lediglich in den Leser-Kommentaren der Online-Presse sieht, ist nicht sehr weit in’s Internet vorgestoßen. Anders gesagt: Die Online-Presse ist nicht sehr weit in’s Internet vorgestoßen. Das Internet ist, gegen den oberflächlichen Eindruck und gegen alle Unkenrufe, ein (soziales) Intensitätsphänomen. Die Leserforen der Online-Presse gehören allenfalls zur a-sozialen Peripherie des Internets, wie die Online-Presse selber a-sozial ist: Zwischen Autoren und Lesern besteht (wie zwischen Lesern und Lesern) keine – diskursive – Beziehung.

    In den inneren Bezirken des Internets finden sich demgegenüber komplexe Assoziationsgeflechte. Zu denen muss man sich freilich – diskursiv – vorarbeiten. „Bürgerlich“ erlangte, „gegebene“ Positionen spielen dabei keine Rolle, wie (jenseits strafrechtlich relevanter Äußerungen und Assoziationen) der bürgerliche Name im Internet die starke Tendenz zu Schall und Rauch hat. Internet-Identität kann nur permanent inhaltlich- und formal-thematisch bewiesen werden. Und wie sehr inzwischen die -“ echte, wahre“ – Internet-Identität einer Person deren – „falsche, verfehlte, angemaßte“ – bürgerliche Identität outen (und gegebenenfalls zerstören) kann, schildern Sie am Beispiel des „Verlegersöhnchens“ eindrücklich.

    Das Jammern über das Internet hilft wenig. Es ist eine soziale Realität. Aus der man sich nur unter entsprechenden Verlusten ausklinken kann.

    (*) „formal-thematisch“ – noch vor dem Inhalt spielt Kommunikation bzw. Kommunikations-Stil im Internet die zentrale identifikatorische Rolle.

  8. avatar

    Malte Schmidt schrieb: Die Aussage, dass Kinderschänder auf Imprints der Webseiten Opfer suchen, ist einfach nur dumm und zeigt, dass sie den Artikel weder gelesen noch verstanden haben.

    Es ist schon eine Tatsache, daß pädophile und sonstige Gewalttäter Opfer über das Internet suchen. Im Hamburger Abendblatt liest man dazu: Daher warnen Experten immer wieder, Chat- oder Internetbekanntschaften nicht unvorbereitet zu treffen. Anlaß is der Mord an Melanie :

    http://www.abendblatt.de/vermi.....u-aus.html

    Wenn es nach ihnen geht, dann finden Gewalttäter ihre Opfer per Impressum ganz unvorbereitet ;).

    Ich denke da, daß man ja auch nicht beim Einkaufsbummel oder bei öffentlichen Veranstaltungen seinen Namen samt Adresse auf einem grossen, gut lesbaren Schild mit sich herumträgt. Warum sollte man das dann im Internet tun?

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    Mir scheint, – vor allem „Ältere Semester“ haben ein Problem mit Anonymität im Netz. An meinen Kindern sehe ich, daß sie sich ihre eigene „Identität“ im Netz – anonym verschaffen. Sie haben eine andere Grundauffassung von diesem Medium. Für sie dient es nicht der Selbstdarstellung, sondern um sich Freiräume, Bekanntschaften, neues Wissen, Refelktionen zu verschaffen, auf die sie sonst verzichten müssten. Sie schützen sich mit der Anonymität vor „Idioten“, die glauben, Andere mit ihrer Meinung an der Wand festzunageln. Sie bauen ihre Kreativität dadurch aus, daß sie – in der Anonymität – gelernt haben, auch falsches sagen zu dürfen. Sie verbinden ihre Aussagen nicht damit, „wo sie herkommen“, oder „wie sie heißen“, sondern erfahren Rückkopplung von Teilnehmern, die sich genauso verhalten und dadurch in der Lage sind, ihre Meinung direkt „ins Gesicht“ zu sagen. Sie erleben, daß es dadurch viel weniger Heuchelei und Schleimerei gibt. Es hat sich ein Grundsatz herausgebildet: – Nicht „wer“ etwas sagt, ist wichtig, sondern „was“ gesagt wird, ist entscheidend. Dies zu bewerten ist Sache des „Schwarms“, nicht eines „exponierten Namens“. So sortiert sich recht schnell die Meinung von „Idioten“ von der, der „Wert“ beigemessen wird. Herr Kocks, und ich staune: Das geschieht ganz ohne Lehrmeister und Lehrplan. Ein – Ding – , das sich selbst entwickelt und fördert. – Was uns „Älteren Semestern“ zu raten wäre: Wir sollten die Entwicklungen genau beobachten, – dies können wir am besten, wenn wir nah dran sind an unserem Nachwuchs und uns unvoreingenommen mit diesen Entwicklungen beschäftigen. Ich muß gestehen, ich komme mir dabei manchmal vor, wie ein „Idiot“, weil ich tagtäglich von neuem überrascht werde. Wir haben viel zu lernen, das gelingt dann am besten, wenn wir bereit sind, „Sicher-Geglaubtes“ in Frage zu stellen und uns nicht selber im Weg zu stehen.

    Ein weiterführender Link, über neue Spielregeln – auch die Politik scheint „betroffen“.

    http://www.ftd.de/politik/deut.....88467.html

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    Also ich finde die Debatte zu dem Thema sehr gelungen. Nur es geht nicht um die großen Presseportale mit ihren spezifischen Problemen wie bei welt.de, sondern um blogs, die wie wir logischerweise nur in Nischen unterwegs sein können. Dort ist es keineswegs bisher notwendig gewesen mit Klarnamen zu kommentieren, solange die Qualität der Argumente im Vordergrund steht. Die wird auch sehr schnell klar. Das Kalkül bzgl. der Reichweite spielt dabei keine Rolle. Alle großen Presseportale hätten schon längst ihre Kommentarfunktion für anonyme Postings sperren können. Warum haben sie das zumeist nicht getan? Weil dort nur infantile Idioten anzutreffen sind? Oder weil es der Reichweite völlig gleichgültig ist, ob der Nutzer infantil ist oder erwachsen, ob der Nutzer blöd oder hochintelligent ist? Und die Reduzierung auf hochintelligente Nutzer die Reichweite beinträchtigen könnten? Die Reichweite könnte übrigens bei der Auswahl der Themen bei den großen kommerziellen Portalen auch eine Rolle spielen, das aber nur nebenbei. Zum Thema Anonym oder nicht, ist bei Carta alles gesagt.

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    Das ist der Kult der Amateure. Weil sie sich eines Themas weder mit professioneller Haltung noch professioneller Rolle annehmen können, müssen sie sich in der Anonymität verstecken. Auch, weil Sie zu Recht annehmen müssen, dass ihre private Meinung mit ihrer professionellen Rolle inkompatibel ist. Natürlich könnte, wer sich dieser Erwartungserwartung nicht stellen mag, einfach schweigen – wäre er oder sie nicht zu eitel.

  12. avatar

    Der Aufruf, man solle mit seinem guten Namen posten, ist schon wiederholt gemacht worden. Wenn man wie ich damit kein Problem hat, kommt man dem auch gerne nach. Wenn aber nicht, nennt man sich im Zweifelsfall eben „Thomas C. Miller, M.A.“, oder „Clara Bruns“.

    Ansonsten glaube auch ich, dass diese Diskussionsforen alle üblen Spinner anlocken. Auch ich fühle mich angelockt, manchmal.

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    Klaus Kocks schrieb: Da gewinnt nicht jeder, dessen Papa irgendwo das Sagen hat.

    Genau! Erst das Internet macht echte Demokratie in der öffentlichen Kommunikation möglich. Zum Recht auf Freiheit gehört es auch, anonym zu bleiben, solange man sich an die Gesetze hält. Und nur Idioten lesen idiotische Posts beziehungeweise Blogs im Internet ;).

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    @feigling

    Was ist das denn für ein schwachsinniges und dummes Statement? Sie sind weder erwachsen noch haben sie in ihrem Leben noch irgendwas gelernt.
    Die Aussage, dass Kinderschänder auf Imprints der Webseiten Opfer suchen, ist einfach nur dumm und zeigt, dass sie den Artikel weder gelesen noch verstanden haben.

    Gruß

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    Lieber Kollege, Sie haben 100 Prozent Recht. Die sogenannten Moderatoren, die – soweit ich weiß – alle seriösen Medien beschäftigen, um die Kommentarspalten ihrer Internet-Auftritte zu überwachen, sind hoffnungslos überfordert. Immer wieder sehen Sie etwa bei „Welt online“ die Meldung: Wir haben die Kommentarfunktion für diesen Artikel ausgeschaltet. Dann wissen Sie, was los war. Früher galt der Grundsatz: anonyme Leserbriefe werden nicht abgedruckt, allenfalls mit dem Zusatz: Name und Anschrift des Schreibers sind der Redaktion bekannt. Heute sind anonyme Postings die Regel – mit den von Ihnen geschilderten Folgen. Auch hier bei „Starke Meinungen“ sollten die Kommentierer den Mut haben, sich mit vollem Namen zu Wort zu melden, wie es ja wir Autoren auch tun.

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    herr kocks, wenn sie noch eine rechnung offen haben mit der fr, dann ist das eine sache. wenn sie aber ihre persönliche sache mit der von knd vermischen, dann ist das journalistisch ebensowenig sauber wie das, was sie der fr vorwerfen. denn man darf wohl getrost davon ausgehen, dass es nicht knd war, der die online-redakteure der fr einen „mordaufruf“ stehen und ihre kritik löschen ließ.

  17. avatar

    Was zeigen uns die Blogger?
    Den Durchschnitt der Bevölkerung?
    Da sie anonym sind,
    dürfen wir auch in ihre Gedanken blicken.
    Wir alle dürfen Hobbypsychologen spielen.
    Früher war dieses Privileg nur für Journalisten.
    Nicht jeder Journalist ist ein moralisch hochwertiger Mensch.
    Können dürfen oder müßen wir den Blogger mit einem Journalisten gleichstellen,oder gleich bewerten?
    Es gibt gute Blogger und schlechte Blogger.
    Es gibt gute Journalisten und schlechte Journalisten.
    Hat also nichts mit dem Beruf zu tun,
    sondern alleine mit der Charakterbíldung.

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    Hier schreiben Sie so etwas.
    http://starke-meinungen.de/blo.....eschutzen/
    Wir kennen keine Sklaven mehr, die Sachbesitz ihrer Herren sind, und wir kennen keine Untertanen mehr, die hoheitlich geführt werden müssen. Der moderne Bürger, der Citoyen, hat eine Eigenverantwortung und ein entsprechendes Selbstbestimmungsrecht.

    Und jetzt sollen nur noch finanziell unabhängige frei ihre Meinung kund tun.

    Das ist ein Widerspruch aber in Wirklichkeit soll sich der Kleine Mann vergiften lassen und den Mund halten.
    Sie sind ein böser Mann.

  19. avatar

    Auch „infantile Idioten“ gehören nun einmal zu einer demokratischen Gesellschaft und es ist mir lieber, er läßt im Internet „Dampf ab“ unter schärfster Zurück- bzw. Zurechtweisung der übrigen Teilnehmer oder auch bis hin zur Löschung durch den Betreiber bei grob fahrlässigen Verletzungen sowie Gesetzesverstößen.
    Aber da wissen die Übrigen wenigstens, was in diesen Menschen vorgeht und man kann sich mit ihnen auseinandersetzen, als er findet womöglich ein schlimmeres Ventil für seine aufgestauten Emotionen außerhalb seines elektronischen Auftrittes.
    So gesehen erfüllt das Internet auch eine wichtige soziale Funktion, die man nur richtig bewerten und kanalisieren muß. Schon einmal darüber nachgedacht?

  20. avatar

    Denken Sie doch an die kleinen bloggenden Kinder !!
    Mit Impressum werden sie ein leichtes Opfer von wildfremden Kinderschändern und nicht nur von ihrem Vater !

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