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Osterbotschaft von den Börsen: Nach der Krise ist vor der Krise

Auferstehung allerorten. Das von unserem Staatsoberhaupt an den Kapitalmärkten ausgemachte Monster hat seinen Schwarzen Freitag hinter sich gebracht. Kaum sind vom Eise befreit Strom und Bäche, sprießen sie wieder, die Boni.

Im Frühling der Banker lassen sich die Geldhäuser nicht lumpen. Der Chef des Schweizer Bankhauses Credit Suisse darf ein Jahreseinkommen von 89 Millionen Schweizerfranken sein eigen nennen. Die weltgrößte Investment Bank Goldman Sachs schüttet ein Topf von 16 Milliarden Dollar aus, gemildert durch eine Ablasszahlung von 500 Millionen Dollar an karitative Zwecke. Fassungslose Wut bemächtigt sich der politischen Klasse.

US-Präsident Obama bekräftigt, „tough on bonuses“ zu bleiben. In Großbritannien erklärt Lord Mandelson den Chef des Investment Bankings bei Barclays zur Unperson („unacceptable face“), weil dieser ein Salär von 63 Millionen Pfund Sterling nach Hause bringt. Im braven Vaterland bleibt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank unter 10 Millionen Euro, ein Zeichen der Bescheidenheit, wohlverdient, weil die Deutsche nicht den Haushalt plünderte, um sich aus der Krise zu winden.

Wenn also die Belohnungen für Wucherer in der Londoner City, in Zürich und an der Wall Street wieder sprießen, muss die internationale Finanzkrise überwunden sein. Zeit, darüber nachzudenken, wie sie begann. Und warum. Am Anfang stand ein Landwirtschaftshelfer aus Mexico, der aus dem Pflücken von Erdbeeren ein Jahreseinkommen von 14.000 Dollar erzielte.

Obwohl er kein Wort Englisch sprach und das Erdbeerenpflücken niemanden ein ganzes Jahr ernähren kann, ereilte unseren Freund, nennen wir ihn José Feliciano, das schwäbische Gelüst, ein Häusle zu bauen. Der Immobilienerwerb wurde durch einen Kredit ermöglicht, in Höhe von 750.000 Dollar. Selbst wenn der Kredit zinslos vergeben worden wäre, wäre die Hypothek nicht in 100 Jahren zu tilgen gewesen. Strawberry-Jo scheiterte schon an der nächsten Rate.

Das System gebar hierfür den Euphemismus „sub-prime“, zu deutsch „nicht-ganz-so-klasse“. Aus den faulen Verträgen wurden in Fonds Türme gebaut, mit den „nicht-so-richtig-faulen“ Verträgen oben und den „ganz-bestimmt-oberfaulen“ unten. Rating-Gesellschaften, die vermeintlichen Hirne der Gierigen, bewerteten die Stabilität des ganzen Turmes nach der Inneneinrichtung der obersten Etage, also als hervorragend.

Wenn man wissen will, wie so was geht, interessiere man sich für das Berliner Luxushotel Adlon, dessen Inneneinrichtung und die Rendite der entsprechenden Fonds. Aber das ist, wie Kipling sagt, eine andere Geschichte. Zurück zum amerikanischen Wolkenkratzer, in dessen Erdgeschoss der Kreditvertrag von José Feliciano schlummerte. Oben gab es für die Zeichner des Turm-Fonds geringe Risiken und dementsprechend magere Zinsen. Unten winkten Anlegern dicke Rendite (mit entsprechenden Risiken, versteht sich).

Und was haben die deutschen Landesbanken gekauft? Na klar, das Souterrain von Strawberry-Joe. Da war ja mehr zu holen. Eine eigenartige Logik für Banken in öffentlicher Hand. Das eben kennzeichnet die Ablösung der Finanzwirtschaft von dem realen Wirtschaften, wie es der Stahlbaron oder Schuster kennt.

Der Kapitalmarkt ist ein Casino, in dem völlig ruchlos auf alles und jedes gewettet wird, und zwar so lange, bis die Kartenhäuser zusammenfallen. Dann verdient niemand mehr außer jenen, die gewettet haben, dass die Kartenhäuser zusammenfallen. Da gibt es dann noch mal richtig Geld. Aber auch die „credit-default swaps“ sind, wie Michael Lewis („The Big Short“) jüngst brillant beschreibt, eine andere Geschichte. Denn nicht José Feliciano, der arme Tropf mit der unbezahlbaren Hypothek, stand am Anfang der Krise, sondern ein Investmentbanker bei einem privaten Bankhaus, das wir hier mal King David Bros. nennen wollen.

Dieser John Goodfella gestaltete die achtziger Jahre an der Wall Street, wurde ihr König genannt, weil er eine wirkliche Trendwende einleitete. Goodfella behagte nicht, dass er ständig mit eigenem Geld und zu eigenem Risiko unterwegs war. King David Bros. war eine Partnerschaft von persönlich haftenden Bankern. Der Ausbruch aus dieser Verantwortung hieß „going public“. Mit diesem Schlachtruf wurden die Investmenthäuser in Aktiengesellschaften gewandelt.

Die Verantwortung für undurchschaubarste Geschäfte wechselte zu den neuen Eignern, den Investoren. Investoren aber sind, alter Börsenspruch, in mehrfacher Hinsicht Idioten; sachlicher formuliert, Junkies, die auf den nächsten Druck warten. Solange diese Koksnasen mit strammen Dividenden und steigenden Kursen bedient wurden, wuchsen die Bäume in den Himmel. Schneeballsysteme wie die des betrügerischen Bernie Welloff waren nur die Spitze des Eisbergs.

Der Wandel vom Inhaber zum Vorstandsvorsitzenden einer AG war ein Wandel in ein undurchschaubareres System, der Eintritt in ein großes Casino, ein Spiel mit dem Geld anderer Leute. Dass Aufsichtsräte und Bankenaufsicht versagten, mag korrigierbar sein, vielleicht gehört es aber auch zum System. Bernie Welloff hat sein Spiel auf beiden Feldern gespielt. Niemand ist für nichts mehr zur Verantwortung zu ziehen und niemand zieht zur Verantwortung, solange die eigene Kasse stimmt.

Also begann unsere Krise nicht 2008 bei dem glücklichen José, sondern vor dreißig Jahren bei den Goodfellas der Wall Street. Des Pudels Kern ist einfach zu beschreiben: Kollektivierung von Verantwortung und Verlust & Individualisierung, sprich Privatisierung, des Gewinns. Alles gewinnen können, nichts verlieren müssen, welch ein Las Vegas-Traum.

Das System steuert sich intern über Incentives in exorbitanter Höhe, den Boni, die jene erhalten, die die Geschwindigkeit der sich drehenden Spirale immer noch mehr zu erhöhen wissen. Und die höchste Form der Kollektivierung ist erreicht, wenn der Schaden für den Kollaps des ganzen Systems dem Steuerzahler in Rechnung gestellt wird. Staatshaftung.

Unvorstellbare Mengen an Mitteln haben die Regierungen in das Bankenloch geworfen, Schulden unserer Kinder und Kindeskinder. Das Ganze ist freilich nicht unvorhersehbar geschehen. Die Krise vorausgesehen wurde bereits vor 100 Jahren. In Zürich, Spiegelgasse 14, las 1916 ein junger Forscher 148 Bücher und 232 Beiträge aus 49 Periodika und widmete sich kritisch dem Finanzkapital und der sich verselbständigenden Finanzoligarchie.

Ich krame den verblichenen roten Band aus meiner Studentenbibliothek, lese nach 35 Jahre wieder und bin verblüfft. Das fast einhundert Jahre alte Buch mit dem Titel „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ ist erhellend, was aber doch nicht sein kann, es stammt von einem Wise Guy namens Wladimir Iljitsch Uljanow.

Nach dem glücklichen José und den Goodfellas der Wall Street ist dies endlich mal ein Klarname in diesem Kommentar. Wir reden über Lenin. Es mutet schon grotesk an, dass die Kapitalmärkte der kruden Geschichtslogik des Marxismus-Leninismus Recht geben wollen.

Wollte man dem im Wege stehen, würde man das Grundgesetz der Börsen von „Kollektivierung der Verantwortung & Privatisierung der Profite“ durchbrechen müssen. Eine historisch einmalige Chance dazu hatte die Politik, als die Banken um Staatsknete anstanden. Das historische Fenster stand in der Sekunde auf, als die Wall Street nach 700 Milliarden Dollar griff. Vielleicht noch mal, als es um die Nachschläge ging. Jetzt, da die Staatsknete überwiesen ist und die Boni wieder sprießen, ist sie vertan. Warten wir also auf den nächsten Schwarzen Freitag. Der nächste Winter kommt bestimmt.

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5 Gedanken zu “Osterbotschaft von den Börsen: Nach der Krise ist vor der Krise;”

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    Da verweist jemand auf die Theorie der verselbständigten Finanzoligarchie bei Lenin. Und man verortet ihn neo-liberal. Hallo, jemand zuhause?

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    Egal ob Marxismus-Leninismus oder Kapitalismus, immer wenn es Verlierer gibt, müssen auf der anderen Seite Gewinner stehen, ergo muß es bei der aktuellen Finanzkrise mit ihrem gestopften 700 Milliarden Dollar-Loch auch Gewinner geben, die sich dieses Geld „unter den Nagel gerissen haben“ und daher die Ausbeuter der Gesellschaft bzw. des Steuerzahlers sind.
    Diese „Finanzkrisengewinner“ gilt es auszumachen, gnadenlos zur Kasse zu bitte, was heißt die enormen Beträge zurückzufordern und diesen riskanten Casino- oder besser Wettspielen an den Börsen endlich WELTWEIT ein Ende zu bereiten.
    Man muß diese gnadenlosen „Geldhaie“ mit ihren eigenen Waffen schlagen, sonst treiben sie uns in den Abgrund (vielleicht sind wir auch schon dort?), weil die Gier wie eine Sucht wirkt und bekanntlich nie genug bekommen kann.
    Wir ALLE sind gefordert!

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    Das ist ja mal ein „blog“!

    Nun pestet Herr Kocks also homophoben nonsense („Westerwelle und sein ‚micky'“) und halbgare Bankerschelte bunt durcheinander.

    Bei letzterer verkennt er natürlich beflissentlich, dass seine eigene Ideologie (Ego-Hurra-Gesellschaft, Wachstumsfetischismus, Effizienzdenken, Sozialstaatschelte) den Weg bereitet hat für eine verunsicherte Staatsdoktrin, in der sich Staaten nicht mehr getrauen, sich gegen den „Überstaat“ des internationalen Finanzmarktkapitalismus zu wehren.

    Substantielles Nach-Denken über tiefere Ursachen dieser Krise: Fehlanzeige. Hauptsache, es klingt gut.

    Oh, my goodness!

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    Die Boerse, Aktienkurse, die „Finanzinstrumente“ – alles dieses Theater hat nur begrenzt etwas mit der wirklichen Wirtschaft, und haeufig auch nicht mit der Wirtschaftlage, zu tun: „It’s the politics, stupid!“ Also, einer welcher „politisch“ aufmerksam war, (und das Handbuch von Kuusinen richtig verstanden hatte ), der wusste das 1978 die grosse „Wende“ anfgefangen hat: Der polnische Pabst war das Signal fuer den kommenden Zusammenbruch der Sowjets und damit deren Einfluss auf die „politische Situation“ – im „Westen“. Wieso und warum ? Seit dem „New Deal“ von 1933 wurden in USA „politische Vorbeugung“ gegen die „Rote Welle“ notwendig: Man begann vollkommen „unamerican socialist“ Programme wie „Social Security“ – Alters- und Invalidenrente, und man erlaubte mehr Bewegungsfreiheit fuer die Gewerkschaften. Solange die weltweite Kommunistenbewegung die Sozialleistungen fuer die „Massen“ empfiehlte, musste man weiter in USA mit sozialen Massnahmen, „politisch“ die Kapitalbesitzer zu Verstaendnis fuer soziale Massnahmen ueberzeugen und der Regierung entsprechende Programme erlauben. („Great Society“ 1967). Zu dieser Zeit bemerkten die Sowjets das ihr System der Planwirtschaft nicht konkurrenzfaehig ist. In Moskau dachte man schon ueber eine wirtschaftliche „Perestroika“. Doch dann kam der Palestinakrieg 1967, mit dem arabischen Oilboycott: Nun schwemmten riesige Geldmengen fuer Oil nach Moskau – und man fuehlte keine Eile fuer „Perestroika“ – die lustige Jahren mit Leonid brachten schoene gemuetliche Bourgeoise-Lebenslust. Auch in Osteuropa wurde es zu gemuetlich – die alten „Stalinisten“ in CP-USA murmelten ueber die Notwendigkeit einer „Reinigung“ wie damals… Jetzt wissen wir (Nuzzi „Vatikan AG) das die „Allierten“ ( USA, Vatikan, Mafia, England) schon tuechtig in Osteuropa an der „Wende“ arbeiteten. Nach 1978 began dann das letzte Kapitel, welches Reagan dann ein paar Jahre danach „activated“. Der „Gorby“ wollte dann doch nocht alles retten mit der verspaeteten (20 Jahre zu spaet)“Perestroika“ welcher er ausserdem noch mit dummerweise mit „Glasnost“ verbinden wollte ( welches 20 Jahre zu frueh war). Dann hatte er noch einen schweren Fehler gemacht mit seinem „Anti-Alkohol“ Program 1985 – wie ein Russe kuerzlich schrieb: „Besoffene machen keine Revolution“. Das hatte „man“ in USA schon in den 1960izger Jahren entdeckt: Eine Jugend im Narkotikrausch wird nicht politisch aktiv! Reagan war der Faehnrich zum Endsturm gegen die Kommunisten, die Sowjets – und natuerlich mit diesen „Gegnern“ beseitig war Reagan auch der Hebel in der USA-Politik zum Vollgang fuer den „laissez-faire“ Wechsel weg von der sozialen Vorbeugung. Milton Freedmans „Free Market“ und Reagans und George Bush‘ „Deregulation“ – und die irrsinnigen Zinsen von Alan Greenspan: Alles politische Massnahmen welche wenig oder nichts mit der wirklichen Wirtschaft zu tun hatten – sondern die Macht vollstaendig fuer die grossen Kapitalbesitzer sicherte. Wir sind alle nur „road kill“ in dieser Geschichte. („road kill“ – Tiere welche auf der Landstrasse von einen Fahrzeug breitgefahren werden.)

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