Eine Schere geht auf zwischen den politischen Bürgerrechten und der fürsorglichen Entmündigung von Verbrauchern. Als Bürger dürfen die Bürger wählen, wen sie wollen, aber nicht essen, was sie mögen. Geraucht wird ja ohnehin schon auf der Straße.
Ich rauche nicht, aber schon das stinkt mir. Auf den Lebensmitteln tauchen die ersten Ampeln auf, die mir sagen, ob und wieviel ich davon verzehren sollte. Ich starre im Schnellrestaurant am Autobahnrand auf die Belehrung und stelle entsetzt fest, Thilo Bode war schon da: food watch is watching me.
Jetzt sind sie schon bis hier vorgedrungen, die Oberlehrer gesunder Ernährung und einer, so heißt der Quatsch, nachhaltigen Lebensführung. Die Verbraucherschützer helfen mir bei Essen und Trinken, weil sie annehmen, dass ich damit überfordert bin.
Mit dieser Hypothese habe ich Frau Aigner aus dem Bundeskabinett am Hals, die staatlich alimentierten Verbraucherschützer und die vollends Selbsternannten aus der Müsli-Fraktion. Sie wissen, dass ich der Werbung völlig schutzlos ausgeliefert bin und alles tue, was die food mafia von mir verlangt. Sie kennen mich als überfordert.
Diese Fragestellung nach Unter- und Überforderung der Verbraucher ist pädagogischer Natur. Sie ist der Ausdruck einer Lehrerrolle in einem Schüler-Lehrer-Verhältnis. Ob die Menschen lesen und schreiben können, belegt unser Staat mit einem hoheitlichen Vorbehalt, der Schulpflicht. Und das ist ja auch gut so.
Aber, muss man einwenden dürfen, dieser Schulpflicht ist man doch irgendwann entronnen, aller spätestens mit der Volljährigkeit. Das gilt für das Lesen und Schreiben, ob das auch für Essen und Trinken gilt, daran sind mittlerweile Zweifel erlaubt. Wenn ich aber schon in eine Schülerrolle gezwungen werde, werde ich nach der Legitimität der Lehrer fragen dürfen. Was gibt jemandem das Recht, mich einer Schulpflicht zu unterwerfen, wo diese rechtlich nicht besteht?
Diese Frage kommt dann zu einer höheren Bedeutung, wenn die Belehrung quasi hoheitlich daherkommt und/oder durch Steuermittel finanziert wird. Denn Schüler sein zu müssen und Belehrung ertragen zu dürfen, ist natürlich eine asymmetrische Situation, sprich ein Machtverhältnis. In einer Demokratie fragt man nach, wenn man das Objekt von Herrschaftsansprüchen wird. Bundesministerin Aigner aus Merkels Kabinett vielleicht, aber Thilo Bode von den ökobehauchten Lebensmittelwächtern? Sich unaufgeforderten Belehrungen aussetzen zu müssen, beschneidet jedermanns bürgerliche Freiheit, also darf er fragen, mit welchem Recht er zwangsbelehrt werden soll. Die Menschen haben nämlich nach dem Abdienen der Schulpflicht, spätestens mit der Volljährigkeit, das Recht, ohne Oberlehrer für sich selbst zu entscheiden, übrigens auch falsch.
Man darf in einem freien Land Dinge tun, die andere für dumm halten; man darf sogar Dinge tun, die wirklich dumm sind. Ich hätte, so ich wollte, das Recht, mich mit Messer und Gabel langsam umzubringen. Der Kern der Aufklärung ist in Kants Worten die Bereitschaft, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, und zwar ohne Anleitung. Der Verbraucher hat als Bürger das Recht zu fragen, in welche Rolle ihn bestimmte Parolen des Verbraucherschutzes als gesellschaftliches oder politisches Wesen versetzen.
Welcher Macht- und Herrschaftsanspruch verbirgt sich hinter all diesen schönen Worten? Man sollte Wohltaten misstrauen, solange man die Absichten der Wohltäter nicht wirklich kennt, also immer. Verbraucherschützer unterliegen nämlich einem Selbsternennungsverfahren. Es ist in diesem Land weit schwerer, Fahrlehrer oder Wirt zu werden als Verbraucherschützer.
Die Öko-Wächter haben zunächst einmal nur ein Mandat, das sie sich selbst gegeben haben. Alle sogenannten NGOs sind Selbstmandatierungsinstitutionen. Ich erlebe bulemische Sozialpädagoginnen, die mich gegen meinen Willen bemuttern dürfen. Ekelhaft. Aber auch Staatsinterventionismus darf man hinterfragen. Wo mein Selbstbestimmungsrecht ausgesetzt wird, sollten mich Legalität und Legitimität interessieren. Auch wenn dabei hochtrabene moralische Vokabeln im Mund geführt werden. Auch eine Gutmenschendiktatur ist eine Diktatur.
Mir ist der Zustand der wohlwollenden Entmündigung nicht geheuer. Gibt es ein Recht, Menschen vor sich selbst zu beschützen? Und wenn ja, von wem, für wen und zu welchem Zweck? Zwischen Verbraucherberatung und Bedarfslenkung liegt ordnungspolitisch eine ganze Welt. Man darf in Fragen der Ordnungspolitik penibel sein, weil die Freiheit immer scheibchenweise stirbt. Kriegen wir die Ampeln demnächst auch auf Büchern und Websites?
Gegen das Angebot der Fürsorge wagt man sich kaum zu wehren, weil ihm ein moralisches Gefälle eigen ist. Es ist aber der Obrigkeitsstaat, der seine Bürger als Untertanen wahrnimmt und folgende Proportion herstellt: Der Staat verlangt den Gehorsam des Untertanen und gewährt ihm im Gegenzug seine Fürsorge. Das ist ein autoritäres Konzept. Erst der Sozialstaatsgedanke unserer Tage fügt dem Fürsorgeverlangen eine gewisse emotionale Wärme hinzu. Aber im Kern ist Fürsorge die andere Seite einer Medaille, auf der Unterwerfung steht.
Das entspricht nicht dem Selbstverständnis der Republiken nach der Französischen Revolution. Wir kennen keine Sklaven mehr, die Sachbesitz ihrer Herren sind, und wir kennen keine Untertanen mehr, die hoheitlich geführt werden müssen. Der moderne Bürger, der Citoyen, hat eine Eigenverantwortung und ein entsprechendes Selbstbestimmungsrecht. Wenn das beschnitten wird, darf man fragen, warum man auf einen Teil seiner Bürgerrechte verzichten soll.
Man darf das selbstbewusst fragen. Einen Verfassungsauftrag zum Kuschen gibt es nicht. Staatliche Intervention in bürgerliche Freiheit oder Selbstmandatierung von sonstigen Fürsorgern ist also immer ordnungspolitisch prekär. Mit welchem Recht werde ich in eine Schulbank gedrückt? Mit welchem Recht werde ich als weisungsbedürftiger Untertan behandelt? Solche Fragen haben immer einen doppelten Horizont, den nach der Rechtslage und den nach der moralischen oder politischen Rechtfertigung, sprich Legalität und Legitimität. Dicke Bretter sind dann zu bohren. In der ideologischen Praxis der Oberlehrer weicht man dem Bohren dieser dicken Bretter gerne aus.
Dazu nutzt man vor allem den mehr oder weniger geschickten Entzug der Mündigkeit. Man denkt den Verbraucher wohlwollend als verführte Unschuld. Zum Beispiel als Schüler, dem man eine Unterrichtung schuldet und der diese zu ertragen habe in seinem eigenen wohlverstandenen Interesse. Fürsorge beginnt hier mit dem unaufgeforderten Entzug der Geschäftsfähigkeit. Da waltet eine Re-Infantilisierung, die der Paternalismus vornimmt, um sich selbst auf den Plan rufen zu können. So wird der mündige Verbraucher zum Schutzbefohlenen des Verbraucherschützers. Das ist eine ideologische Zwangsadoption.
Ich bin ein dummer Junge, der froh sein darf, dass sein Papa Thilo Bode ihm sagt, was er essen und trinken soll. Implizite Re-Infantilisierung ist der Mechanismus, der Fürsorge als sozialpädagogische Legitimation möglich macht. Wenn wir schon von den Öko-Diktatoren verkindert werden, lasst uns mit pubertärem Trotz reagieren: Organisieren wir einen Kinderkreuzzug gegen die fürsorgliche Bevormundung. Teachers, leave them kids alone!
Von „international & neutral“ gesehen: Warum den dieser geriatrische Wutanfall gegen die „Mueslifraktion“ ? Lass doch den alten Kocks essen war er will – der steht fuer die Vergangenheit! Im Gegenteil – die Regierungen in vielen Laendern, als Zentralquellen for Information, sind heute immer mehr aktiv als „Belehrer“ der Massen welche durch die Medien der Geschaeftlhuber keine vernueftige Hinweise auf gesunde Lebenfuehrung erhalten. Sogar in USA! Michelle Obama (Dr. Jura, Harvard, Corporate Law) leitet jetzt in USA eine nationale Bewegung welche den Schulkindern die gesunde Ernaehrung lehren wird: „No, don’t leave them kids alone !“ Den Denkenden in USA wird es jetzt Angst weil weite Bevoelkerungschichten schon in Jugendjahren ernaehrungsbedingte Leiden entwickeln. Und die Schulbehoerden, die Lehrer und die Eltern sind daran interessiert und werden teilnehmen. Sogar in Mexiko spricht die Regierung ueber die Fettleibigkeit durch falsche Ernaehrung. — @ Alan Posener: „Kreativitaetsexplosion der britischen Popmusik .. war Produkt der Ausdehunung hoeherer Bildung“. Ich lese diesen Satz als grossartiger britische Humor – immer vornehm und mit ernsten Gesicht! Aber die einfaeltigen Germans haben die Philosophen von Liverpool tatsaechlich ernst genommen, als Kulturvorbilder eingeatmet – und die „Kulturschaffenden“ haben gezeigt was dieses Germany bieten kann: „Miss Kiss, kiss, bang!“ vom 2009 Eurovision! Das ist sogar fuer die amerikanisierte Eurojugend zu viel gewesen! Deutschland ist in dieser Sparte heute disorientiet und ohne Wuerde: Man kann es jede Woche weltweit in Deutsche Welle „Pop Export“ sehen: Aber schon nach einigen Minuten wird mir uebel… und ich muss schnell etwas von normalen Menschen sehen und hoeren.
Hierarchie entantwortlicht. Und für manche ist es halt attraktiv, andere für ihr sein verantwortlich zu machen. So wie es auch für die Verantwortungsträger attraktiv ist, ihren Wählern zu vermitteln, etwas für sie tun zu können. Die Welt bleibt alles, was der Fall ist.
Lieber KK, ich stimmme Ihnen in allem zu, außer in Ihrem Zitieren des Pink-Floyd-Songs „The Wall“. Der Kinderchor singt da in einem ekelhaften Südlondoner Akzent: „We don’t need no ed – you – kai – shern“ und eben „leave them kids alone“. Woher sollen die Kinder lernen, dass es, wenn schon, „we don’t need any education“ und „leave those kids alone“ heißt. Die Mitglieder von Pink Floyd waren selbst Studenten, also Bildungsgewinner. Ohne diese Bildung hätten sie nie Pink Floyd werden können: die Kreativitätsexplosion der britischen Popmusik in den 1960er und 1970er Jahren war Produkt der Ausdehnung höherer Bildung auf bisher „bildungsferne“ Schichten. Man denke an Lennon, McCartney, Jagger, Bowie, Mercury… alles Studenten. Die schlimmen Schulverhältnisse, die Pink Floyd in dem Song schildern, sadistische Lehrer mit ihrem „dark sarcasm“, habe ich selbst (anno 1960 – 62) in einem britischen Internat erlebt, aber die Alternative ist nicht „no education“, sondern „better schools“. Das Gitarrensolo ist allerdings großartig. Gehört mit den Soli in „Baker Street“, „Sympathy for The Devil“ und „She’s So Heavy“ zu dem Besten, was man mit sechs Saiten anfangen kann.
@Herr Kocks: Sie haben aber recht lange gebraucht, um sich der nicht nur wohlwollenden, sondern auch recht kostenintensiven staatlichen Manipulation und Entmündigung bewußt zu werden. Dieser Zustand ist in unserem Lande nicht besonders neu,er fällt nur wenigen auf.
Erinnern Sie nur an die Fett Debatte. Mal war Butter schlecht, dann wieder gut. Körnerfutter besonders wertvoll, jetzt nachgewiesenermaßen beinahe lebensbedrohend usw. M.E. sind immer die Lebensmittel gerade besonders gesund, deren Lobby am stärksten ist.
Der mündige Verbraucher entzieht sich der staatlichen Bevormundung und informiert sich selber.
Seit meiner Pubertät reagiere ich, im rechtsstaatlichen Rahmen, mit pubertätem Trotz gegen jegliche Bevormundung, sei es in der Politik, oder beim Essen.
Bisher habe ich erfolgreich überlebt, trotz eigener Gedanken, bzw. gerade deswegen.