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Flüchtlinge oder Geflüchtete?

 Eine Eigenart der deutschen Sprache bringt es mit sich, dass Gattungsbezeichnungen oft durch männliche grammatische Formen bezeichnet werden. Wenn von einem Lehrer die Rede ist, sind deshalb die weiblichen Lehrkräfte inbegriffen. Das Amtsdeutsch flüchtet sich, um der Gleichberechtigung der Geschlechter auch sprachlich Genüge zu tun, in unschöne Doppelbezeichnungen,  wie z.B.  Lehrer und Lehrerinnen. Ähnlich umständliche Wortverbindungen findet man auch in Stellenanzeigen. In amtlichen Stellenausschreibungen sind sie gesetzlich vorgeschrieben.  Sprachwissenschaftlerinnen, die sich dem Feminismus verpflichtet fühlen, gingen noch einen Schritt weiter. Sie führten in ihren Texten den Gendergap ein („Bürger_innen“). Eine Variante davon ist der Genderstern („Schüler*innen“). Diese beiden Formen haben inzwischen das Binnen-I verdrängt, das in der ersten Generation der „geschlechtergerechten Sprache“ noch üblich war („SchauspielerInnen“).

Nun gibt es Wörter im Deutschen, wo keine dieser  drei Gender-Markierungen weiterhilft. Und zwar beim Wort  „Flüchtling“. Feministische Sprachwächterinnen, die  die deutsche Sprache durchforsten, um Wörter aufzuspüren und zu brandmarken, die männlich infiziert sind, haben deshalb  ein  neues Wort kreiert, das geschlechtsneutral sein soll:

G e f l ü c h t e t e.

Es hat  inzwischen  Teile der Zivilgesellschaft, vor allem das Milieu der Helferszene,  aber auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erobert.

Mit der deutschen Sprache ist es  allerdings so eine Sache. Sie ist eindeutig, präzise  und sie verzeiht keine Fehler.

Das Wort „Geflüchtete“ hat  eine andere Bedeutung als das Wort „Flüchtling“.  Das Partizip Perfekt „geflüchtet“ verwendet man im Deutschen, um eine situativ bedingte, temporäre Ortsveränderung zu bezeichnen. Ein 16-jähriges Mädchen kann also seiner Mutter erzählen: „In der  Disco war  es so heiß, dass ich schon nach einer Stunde ins Freie geflüchtet bin.“ Damit ist sie eine Geflüchtete, aber kein Flüchtling. Ein 17-jähriger Junge kann seinem Klassenlehrer berichten: „Tut mir leid, dass ich die Hausaufgaben nicht gemacht habe. Aber ich habe zur Zeit Liebeskummer und bin deshalb das ganze Wochenende in eine Traumwelt geflüchtet.“ Auch in eine virtuelle Welt kann man flüchten und wird auch hier zum Geflüchteten – nicht aber zum Flüchtling.

Ein Flüchtling ist ein Mensch – Mann oder Frau – , der durch Krieg, Verfolgung, Naturkatastrophen oder Epidemien gezwungen ist, seine Heimat dauerhaft zu verlassen. Der existentielle  Zwang und die oft lebenslange Vertreibung aus der Heimat fehlen bei den „Geflüchteten“ völlig.

Die feministische Sprachreinigung beim Wort Flüchtling  ist ein schönes Beispiel dafür, dass  eine gute Absicht mitunter das Gegenteil bewirkt:  Die Vokabel  „Geflüchtete“ führt zu einer Verharmlosung und Banalisierung eines Tatbestandes, der für die betroffenen Menschen so schrecklich ist, dass sich eine Verharmlosung verbietet. Kein vernünftiger und human denkender Mensch würde bei den Juden, die vor dem Holocaust aus Deutschland geflohen sind, von „Geflüchteten“ sprechen. Und wenn er es täte, würde er sich aus dem seriösen Diskurs verabschieden.

Diejenigen, denen das Schicksal der Flüchtlinge aus den Kriegs- und Hungergebieten am Herzen liegt, sollten zum treffenden Wort „Flüchtling“ zurückkehren.

 

 

 

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30 Gedanken zu “Flüchtlinge oder Geflüchtete?;”

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    Krankenpfleger wollen auch nicht zusammen mit der Mehrheit des Pfelgepersonals einfach als „Krankenschwestern“ angesprochen werden. Aber viele sehen Diskriminierung/Marginalisierung halt nur, wenn sie selbst das Opfer sind.

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    Meine Muttersprache ist Ungarisch. Deutsch lerne ich erst in Wien, wo ich seit fast 60 Jahre lebe. Also war ich dem Alter nach recht erwachsen. Mein Deutsch ist trotz der langen Zeit alles, nur nicht fehlerfrei. Von Grammatik & co habe ich keine Ahnung. Im Ungarischen auch nicht, trotzdem waren meine Schularbeiten fehlerfrei. Ich bitte also um Entschuldigung, daß ich nun hineinrede. Von all den Diskussionen über eine feministisch angehauchte Sprache, verstand ich nur so viel, daß die 3 Artikel ein grammatikalisches Geschlecht anzeigen, nicht das natürliche (das es angeblich nicht gibt). Da verstand ich auch, warum mir diese angeblich gleichberechtigte Sprache so auf die Nerven geht. Dabei bin ich kein Macho sondern ein altes Weib (85). Ich verwende weder ein Binnen-I noch sonst was in diese Richtung. Und wenn ich was kopiere, streiche ich diese Zeichen. Meinem Gefühl nach verderben diese Zeichen nur die Sprache. Und die ist mir trotz meiner sprachlichen Schwächen sehr wichtig. Ich finde, Deutsch ist eine schöne, ausdrucksvolle und präzise Sprache. Danke!
    lg
    caruso

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    Hört man vielleicht nicht gerne jetzt, aber im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten: beide werden nicht gottlos sein. Und der gottlose Rest wird nach seinem Ableben seine historische Bedeutungslosigkeit bewiesen haben.
    Mich langweilen diese Pseudo-Diskussionen nur noch. Macht ständig erklären bzw. einfordern zu müssen, damit ein Volk nicht angegriffen werden kann, während gesunde Völker dem Eigenen gegenüber diese Probleme nicht haben, zeigt doch ein mehr als naives Demokratieverständnis – als Voraussetzung in der Aufrechterhaltung des Globalismus.
    Liberale Hurereien und Integration; in der Realität Verluste ohne Ersatz. Die Verachtung der Integrationsverweigerer ist vorprogrammiert. Und die Verdrängungsarbeit nimmt ihren Lauf.
    Ökonomisch pikant die Umverteilung. Wer noch produktiv ist, wird zwar ausgenutzt, muß sich aber vor seinem Spiegelbild nicht mit Grauen abwenden.
    Dieses System ist unehrlich, es ist krank, und es muß weichen.

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    Hmm, vielleicht, Herr Weller.

    Ein Bekannter von mir redet immer von Fachkräften, Starkpigmentierten und Fickilanten. Das tue ich natürlich nicht und distanziere mich in aller Form davon.

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      Naja, EJ, wenn man was in passiver Weise sehen will, sieht man’s auch: Der Frühling, das zarte Band, muss sich gegen den dominanten Winter durchsetzen, der Elbling von der Mosel wurde böswillig und brutal gekeltert, dieser arme Schmetterling klebt immer nach dem Schwimmen auf der nassen schrumpeligen Haut des alten weißen Mannes, der Rohling muss natürlich noch Bearbeitung ertragen (wie der Flüchtling- nicht wahr?) alles Opfer, Opfer Opfer…..
      Nein, die Sprache ist kein geeignetes Mittel, um Menschen zu zivilisieren. Daß in Altersheimen demente Menschen nicht mehr gefüttert werden, sondern ihnen die Nahrung jetzt angereicht wird, ändert nichts an deren Situation, daß Flüchtlinge jetzt Geflüchtete sind, auch nichts. Das ist einfach Käse. Zeitverschwendung. ‚Gestaltende Politik‘. Teuer und hohl. Neuanfertigung von Kaiserkleidern.
      Sehen Sie, wie GUDE sich freut.

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        KJN: Nein, die Sprache ist kein geeignetes Mittel, um Menschen zu zivilisieren.

        Ich will mal so sagen: Die Sorge um’s „natürliche“ Geschlecht führt jedenfalls zu ganz schön kühnen Thesen.
        Is‘ ja vielleicht auch was.

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        Ich freue mich bestimmt nicht. Und ja, die Sprache ist wichtig.
        Wer in die zweite und dritte Reihe gehört, sitzt jetzt in der ersten Reihe. Durch die Schaffung einer Demokratur soll es so bleiben? Und wenn das Volk einen schon nicht mehr wählen will, dann schaffen wir uns halt ein neues Volk? Blöd nur, das neue Volk hat seine eigenen Vertreter.
        Was jetzt geschaffen werden muß („Wir schaffen das!“), damit Deutschland in den nächsten Jahrzehnten nicht in ein Drecksloch verwandelt werden kann, ist riesig. Mit Zwergen nicht zu machen.

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    „Ein gefundenes Fressen für Neurechte, die die Moderne abwickeln wollen.“
    Soll wohl ein Witz sein.
    Die „Neurechten“ wollen das Niveau erhöhen. In dieser Welt würde dann eine Claudia Roth den Reichstag putzen.
    Wir können aber auch noch viele Idioten und Idiotinnen ins Land holen und zusehen wem die Wurst vom Brot geklaut wird.

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    Mir gefällt die Betrachtung von Betrachtung von Rainer Werner (Verlust an Präzision der Sprache) und der Kommentar von Stefan Trute (stilistische Zumutung) gut. Bereits George Orwell indizierte in seinem ‚1984‘ den tieferen Sinn solchen ‚Neusprech‘, nämlich über den Verlust an Bedeutung den Menschen ihre individuelle Ausdrucksfähigkeit zu rauben, um sie damit mit beliebigen Inhalten zu manipulieren. Ich erinnere mich daran, wie in den 80er Jahren die Journalistin Carmen Thomas in ihrer Radiosendung „Hallo Ü-Wagen“ (WDR2) einen Diskutanden in einer Penetranz verbesserte („.. und -innen“), die unvergleichlich ist. Tatsächlich wüsste ich im Nachhinein zu gerne, ob sie das auch gemacht hätte, wenn der Meinungsäußernde von ‚Nazis‘ gesprochen hätte (ob Carmen Thomas dann auch ‚..- und Nazinnen‘ eingefordert hätte). Davon mal abgesehen ist solche ‚Sprachpädagogik‘ (Manipulation, Machtausübung) Wasser auf die Mühlen der Neurechten. Man merkt an solchen Verbohrtheiten, daß die 68er -ähnlich wie Altkommunisten – altersstarrsinnig, oder (zumindest politisch) altersdement werden. Ein gefundenes Fressen für Neurechte, die die Moderne abwickeln wollen.
    Ich finde, wir, die versuchen noch selber zu denken, sollten uns diese Wurst nicht vom Brot klauen lassen.

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      Err.:
      1) Mir gefällt die Betrachtung von Betrachtung von Rainer Werner..
      2) solchen ‚Neusprechs
      (wo wir schon beim Thema ‚Sprache‘ mosern)

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        … ooops? Korrektur

        Opa Krempel: ‚Aber im Mittelmeer ertrinken Wirtschaftsvertriebene?‘

        … was denn sonst? Oder meinen Sie das sind Merkels Badegäste? Selbst Auswanderer, sind in der Mehrzahl, Wirtschaftsvertriebene.

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      Noch eine Feinheit: Täter fliehen lieber als flüchten zu müssen. Mit dem Fliehen wird konnotiert, daß man sich darauf vorbereitet hat, schnell den Ort zu wechseln; das Flüchten hingegen wird damit verbunden, plötzlich und unvorbereitet den Ort verlassen zu müssen.
      Obwohl letzten Endes sowohl flüchtige Täter als auch Opfer auf der Flucht sind, gibt es schon einen feinen Unterschied darin, wie man die folgenden beiden Sätze empfindet:
      a) „Die geflohenen Häftlinge sind noch immer nicht gefunden worden.“
      b) „Die geflüchteten Häftlinge sind noch immer nicht gefunden worden.“

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        … so ein Quark, von ‚fliehen‘ habe ich gar nix nicht geschrieben. Dass Täter lieber fliehen als flüchten, leuchtet ein. Gibt ’s auch! Im Recht – bleibt letztendlich die Flucht vor der Verantwortung. Meno!

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        @dbh: Und wenn die Ausbrecher immer noch auf der Flucht sind, flucht der Gefängnisdirektor über die Ausflüchte der Wärter. – Soweit die Kalauer.
        Aber noch einmal zum sprachlichen Feinschliff, der leider immer mehr verwischt.
        Um vertrieben zu werden, muß jemand aktiv werden und vertreiben, d.h. Menschen oder Tiere unter Gewaltandrohung (oder -anwendung) nötigen, ihr Revier zu verlassen. Ein Klimawandel vertreibt die Menschen ebensowenig wie eine Hungersnot, weil sie niemandem Gewalt androhen. Auch die Wirtschaft vertreibt die Menschen nicht aktiv – sie kann es allenfalls mittelbar tun, indem sie Schlägertrupps dafür bezahlt.
        Menschen fliehen, wenn sie ihre Flucht von vornherein mit ins Kalkül aufnehmen. Sie fliehen vor dem Lärm der Großstadt, vor der Hitze des Sommers – oder vor der Polizei, wenn sie etwas ausgefressen haben. Sie fliehen auch vor einer Hungersnot, da diese ihr Kommen normalerweise ankündigt.
        Reflexiv flüchten Menschen sich ins Grüne (vor dem Großstadtlärm) oder ins Kühle – oder ins Versteck.
        Irreflexiv flüchten sie vor etwas, das sie nicht eingeplant haben. Um beim Beispiel zu bleiben: Ein Einbrecher flieht vor der Polizei, wenn die Alarmanalage losgeht, aber er flüchtet, wenn ein Feuer ausbricht.
        Allen ist nur gemeinsam, daß sie sich anschließend auf der Flucht befinden.

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    Lieber Herr Werner, abgesehen davon, ob es tatsächlich „feministische Sprachwächterinnen“ waren, denen der tolle Einfall mit den „Geflüchteten“ kam, haben Sie Recht – einerseits. „Studierende“ anstelle von Studentinnen und Studenten ist auch so ein Schwachsinnswort. Wobei die Sprachsensibilität offensichtlich Grenzen kennt: „Mörder* innen“, „Extremist* innen“, „Verbrecher* innen“ usw. habe ich jedenfalls noch nirgendwo gelesen. Andererseits ist Sprache ständigem Wandel unterzogen, und die Mehrheit entscheidet, was geht oder nicht. Siehe Deppenapostroph oder Blödmannsanglizismen. Bis dann der Duden – heute „die Hitparade des landläufigen Lallens (so Heinz Rudolf Kunze schon 1993) – seinen Segen gibt.

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      Welten prallen auch dort aufeinander, wo Programmierer auf eine Binnenmajuskel treffen. Bei Programmierern ist der sogenannte CamelCase sehr verbreitet, um eine Funktion oder eine Variable zu bezeichnen, etwa openFile() oder numberOfEntries. Ein Programmierer liest daher „StudentInnenvertretung“ als „Student-Innenvertretung“ – was dann zutrifft, wenn sie die Studenten nach Innen, also gegenüber anderen Hochschulgremien vertritt. Für die Vertretung nach außen, also etwa gegenüber dem Bildungsministerium, wäre dann die StudentAußenvertretung zuständig.

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