Die Kommunalwahlen in Hessen vom 6. 3. 2016 waren das erste Menetekel. Die beiden ehemals großen Volksparteien CDU und SPD sind landesweit in der Wählergunst unter die 30%-Marke gefallen. In einigen hessischen Städten, wie z.B. in Frankfurt, Offenbach und Wiesbaden, gibt es keine Partei mehr, die wenigstens ein Viertel der Stimmen errungen hätte. Von Volksparteien kann man wohl kaum noch sprechen, wenn man unter die magischen Marke von einem Drittel der Stimmen abrutscht. Es versteht sich von selbst, dass die Bildung der Stadtregierungen unter diesen Umständen schwieriger geworden ist, zumal mit der AfD eine Partei Einzug in die Stadtparlamente gehalten hat, mit der niemand koalieren will. Bei den drei Landtagswahlen am 13. März 2016 hat sich dieser Trend zur Zersplitterung fortgesetzt. Die ehemaligen Volksparteien CDU und SPD können in den Bundesländern Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt mangels Masse nicht mehr miteinander koalieren. In Baden-Württemberg hingegen ist die neue Volkspartei grün. In allen Landtagen, die am 13. März gewählt wurden, sind jetzt mindestens fünf Parteien vertreten, was die Koalitionsbildung erschwert, da nicht alle miteinander koalieren wollen.
Es ist nicht auszuschließen, dass wir nach der Bundestagswahl 2017 ein ähnliches Szenario auch im Bundestag erleben werden. Wenn die AfD und die sich im Aufwind befindliche FDP in den Bundestag einziehen, werden wir ein Parlament mit sechs Parteien haben. Nach heutigen Prognosen wird es dann nur noch eine Partei über die 30%-Grenze schaffen: CDU/CSU. Alle anderen werden sich zwischen 5% und 25% bewegen. Die Regierungsbildung wird dann ein Geduldspiel mit ungewissem Ausgang werden. Dies liegt an der „Auschließeritis“, die vor allem von den Parteien an den Rändern gepflegt wird. Die AfD wird das Schmuddelkind sein, mit dem sich niemand einlassen möchte. Die Grünen wollen aber auch nicht mit der FDP und umgekehrt, mit der CDU nur sehr widerwillig (der Fundi-Flügel der Grünen gar nicht). Die SPD will nicht mit der Linken koalieren, solange dort das Ehepaar aus Saarbrücken den Ton angibt. Die Linke will nicht mit der SPD koalieren, solange sie noch sozialdemokratisch ist. Aporien ohne Ende.
Das bei uns herrschende Verhältniswahlrecht (die Erststimme ist nur ein schmückendes Ornament desselben) begünstigt weltanschaulich gefestigte Kleinparteien, die sich in ihrem überschaubaren Wählersegment gemütlich einrichten und wenig Ambitionen zeigen, das Gemeinwesen mitzugestalten. In der Opposition recht zu haben, ist ihnen allemal lieber, als in der Regierungsverantwortung Kompromisse eingehen zu müssen. Die üppige Parteienfinanzierung und die großzügige Alimentierung unserer Abgeordneten begünstigt diesen Trieb, sich um die Regierungsverantwortung herumzudrücken und stattdessen das Geschehen von den Oppositionsbänken aus zu kommentieren. Das ist bequem. Hauptsache, man ist gut versorgt.
Es gäbe ein Zaubermittel, um die selbstzufriedenen und ideologieverliebten Kleinparteien aufzuscheuchen: das Mehrheitswahlrecht. Wenn der Wähler nur noch eine Stimme hat und diese Stimme darüber entscheidet, wer den Wahlkreis im Parlament vertritt, müssen die Kandidaten aller Parteien an die Front. Sich drücken und auf den sicheren Listenplatz schielen, ist dann nicht mehr möglich. Unter der Sozialdemokraten hat es immer viele Abgeordnete gegeben, die bei den Wahlen weniger Erststimmen eingefahren haben, als ihre Partei, die SPD, Zweitstimmen erhalten hat. Solche Kandidaten hätten, wenn das Motto „The winner takes it all“ gilt, keine Gewinnchance mehr. Dies würde zwangsläufig dazu führen, dass die Parteien nur noch solche Kandidaten aufstellen, die nicht durch ideologische Festigkeit überzeugen, sondern durch Charisma, Pragmatismus und Volksnähe. Nach heutigen Wahlergebnissen hätten bei einem Mehrheitswahlrecht die Grünen nur noch in Universitätsstädten und in einigen angesagten Szene-Bezirken der Großstädte (Prenzlauer Berg) eine Chance, den Wahlkreis direkt zu gewinnen (Das Spitzenergebnis der Grünen in Baden-Württemberg wird sich bei der Bundestagswahl nicht wiederholen lassen). Die Linke könnte nur noch in Ost-Berlin und in ihren Hochburgen in den neuen Bundesländern Direktmandate gewinnen. Die FDP hätte, da sich ihre Klientel nicht in Wohngebieten ballt, keine parlamentarische Überlebenschance mehr. Die beiden großen Parteien CDU/CSU und (nur noch eingeschränkt) SPD würden bundesweit miteinander konkurrieren und um den Sieg streiten. Wie das englische Vorbild zeigt, gibt es bei diesem Wahlrecht immer eindeutige Sieger. Koalitionsverhandlungen entfielen. Die Gewinnerpartei könnte sofort mit der Regierungsarbeit beginnen. Und sie müsste ihre Sache gut machen. Sich mit wechselnden Koalitionspartnern durchmogeln wäre nicht mehr möglich. Nach vier Jahren ziehen die Wähler Bilanz und bestrafen die Regierung mit dem Machtverlust, wenn sie versagt hat.
Das Mehrheitswahlrecht würde das angestammte Parteiengefüge durcheinanderschütteln. Wenn nämlich deutlich geworden ist, dass man nur noch mitgestalten kann, wenn man zu einer der beiden großen Parteien gehört, würden in den kleinen Parteien Absetzbewegungen beginnen: Die Realos der Grünen würden in die SPD eintreten, FDP-Mitglieder in die CDU und der Gysi-Flügel der Linken in die SPD. Im Grunde würden damit die Abspaltungen aus früherer Zeit teilweise wieder rückgängig gemacht. Die Tatsache, dass sich in Deutschland ein Mitte-Links-Lager und ein Mitte-Rechts-Lager ungefähr gleichstark gegenüberstehen, würde sich dann auch im Parteiensystem abbilden. Wahlentscheidend wären dann die jeweilige Regierungsbilanz und das angebotene Personal. Die ideologischen Kämpfe, die heute zwischen den Parteien ausgetragen werden, würden sich dann in die Parteien hineinverlagern. Das Flügelschlagen in den beiden Volksparteien würde wieder zunehmen. Es würde aber durch den Zwang, unbedingt siegen zu müssen, gedämpft. Denn die Wähler schätzen Geschlossenheit und Harmonie.
Die vom Mehrheitswahlrecht benachteiligten Kleinparteien würden natürlich aufschreien: Dieses Wahlsystem sei höchst ungerecht, weil es den Volkswillen nicht mehr eins zu eins abbildet, sondern große Stimmenanteile unter den Tisch fallen lässt. Dem könnte man entgegenhalten, dass eine wesentliche Aufgabe des Parlaments darin besteht, die Regierung zu bilden und den Kanzler zu wählen. Wer sich dem durch ideologische Abgrenzungen verweigert, kann wohl kaum den Volkswillen für sich reklamieren. Das Wahlvolk möchte vernünftig regiert werden. Es schätzt Pragmatismus und Kompromissfähigkeit immer höher ein als ideologische Grabenkämpfe und eine selbstgerechte Verweigerungshaltung.
Kleine Parteien haben bei Koalitionsverhandlungen immer ein über Gebühr großes Erpressungspotential. In der ersten rot-grünen Koalition von 1998 unter dem Kanzler Gerhard Schröder konnten die Grünen Dinge durchsetzten, die über die Bedeutung ihrer parlamentarischen Repräsentanz weit hinausgingen. Wer erinnert sich nicht an die Klage Schröders, er brauche in seiner Regierung „mehr Fischer (Realo) und weniger Trittin“ (Fundi). Die CDU ließ sich 2009 von der übermütig gewordenen FDP einen Mehrwertsteuernachlass für Hotels aufdrücken, der nachhaltig zur Unbeliebtheit der schwarz-gelben Regierung beigetragen hat. Wenn die kleinen Parteien innerhalb der Volksparteien nur noch Strömungen repräsentieren, sinkt ihr Erpressungspotential beträchtlich. Sie müssten sich genau überlegen, ob sie durch penetrante Forderungen den Wahlsieg ihrer Partei gefährden wollen.
Es ist nicht auszuschließen, dass es in absehbarer Zeit auch Koalitionen zwischen CDU/CSU und einer AfD gibt, die sich ihres rassistischen Flügels um Björn Höcke entledigt hat. Das könnte dazu führen, dass die AfD der CDU ihre antiamerikanische, russlandfreundliche Haltung aufzwingt. Eine Koalition der SPD mit der amerikafeindlichen Linkspartei bedeutete dasselbe Risiko. Außen- und sicherheitspolitische Risiken sollte die deutsche Politik aber auf gar keinen Fall eingehen. Dass solche Gefahren überhaupt bestehen, liegt am Verhältniswahlrecht und an dem aus ihm resultierenden Zwang, auch Koalitionen mit unliebsamen Partnern eingehen zu müssen, um die Regierungsfähigkeit des Landes zu gewährleisten.
Das Verhältniswahlrecht spült manchmal auch skurrile Parteien in die Parlamente, die die Aufgeregtheit der Zeit dazu nutzen, mit ihrer Ein-Punkt-Programmatik zu reüssieren. Musterbeispiel einer solchen Surf-Partei sind die Piraten, die bei Landtagswahlen teilweise zweistellige Ergebnisse erzielten. In den Parlamenten fielen sie vor allem dadurch auf, dass sich ihre Fraktionen im Dauerstreit zerlegten. Hätten wir ein Mehrheitswahlrecht, bliebe den Parlamenten die unernsten Auftritte solcher Egomanen erspart. Ihr Protestgebaren müsste sich auf den außerparlamentarischen Raum beschränken.
Welchen Schaden das Verhältniswahlrecht anzurichten vermag, kann man zur Zeit in Spanien besichtigen. Auch drei Monate nach den Wahlen hat das Land immer noch keine Regierung, weil sich die ideologisch festgefahrenen Parteien gegenseitig blockieren. Im Juni wird es zu Neuwahlen kommen, deren Ausgang u.U. dasselbe Wahlergebnis zeitigt. Das kann dazu führen, dass Spanien ein Jahr lang von einer nur noch geschäftsmäßig im Amte befindlichen Regierung regiert wird, die im Parlament über keine Mehrheit mehr verfügt. Die Finanzmärkte reagieren jetzt schon auf die Krise, indem sie die Zinsen für staatliche Kredite erhöhen. Das spanische Beispiel zeigt, dass das Verhältniswahlrecht nur dann sinnvoll ist, wenn alle Parteien mit allen koalitionsfähig und -willig sind. Dies ist in unserer „Erregungsgemeinschaft“ (Dirk Kurbjuweit), die vom Internet befeuert wird, immer weniger zu erwarten. Deshalb erscheint das Mehrheitswahlrecht ein sinnvoller Ausweg aus dem Dauerclinch ideologischer Heilsbringer zu sein. Dass sich dadurch das Problem AfD zumindest im parlamentarischen Raum nebenbei auch erledigt, sei am Rande erwähnt.
Man könnte heute schon die in unserem Wahlsystem vorhandene Komponente des Mehrheitswahlrechts stärken, indem man die Ausgleichmandate, die für entstandene Überhangmandate vergeben werden, per Gesetz verbietet. Dann dürfte die Partei, die mehr Abgeordnete über die Erststimmen als über die Zeitstimmen ins Parlament entsendet, diesen Bonus behalten. Der bequeme und unverdiente Ausgleich für die Verlierer würde dann entfallen. Schon diese sanfte Korrektur würde die Parteien dazu veranlassen, sich um besseres Personal zu bemühen. Das Verhältniswahlrecht macht satt und zufrieden. Das Mehrheitswahlrecht ist ein echter Appetitanreger.
Das ist keine starke Meinung, sondern einfach nur ein alter CDU-Wunschtraum seit den 1960er Jahren. Damals hat die SPD aber nicht mitgemacht, weil sie auch eine Chance haben wollte. Daran hat sich nichts geändert.
Bei einem Mehrhreitswahlrecht hat man die Wahl aus zwei vorgefertigten Alternativen. Beide Alternativen umfassen eine enorme Diversität an programmatischen Punkten, die gar nicht zu fassen sind, weshalb man sich auch gar nicht darum schert und stattdessen nur die zwei Frontfiguren betrachtet. Sind die sympathisch? Haben die eine lächelnde Familie? Oder haben die Drogen genommen. Haben die womöglich ein Sexualleben? Dies sind dann die Kategorien, nach denen gewählt wird.
Warum sollten wir uns freiwillig auf zwei Alternativen beschränken? Das machen wir im Restautant doch auch nicht. Damit alles noch schneller geht? Es geht doch auch so flott genug. Vieles sollte sogar langsamer und bedächtiger entschieden werden.
Koalitionsarbeit ist Überzeugungsarbeit und Kompromisse, und ohne das geht es in einer Demokratie prinzipiell nicht, auch nicht in einem Mehrheitswahlrecht.
In Sachen Selbstzufriedenheit und Ideologieverliebtheit kann keiner dem Herrn Trump das Wasser reichen, und dieser Herr ist das Ergebnis eines Mehrheitswahlrechts, das weniger Wahl bietet und weniger Leute zur Wahl motiviert als unseres.
Nein, unser aktuelles Wahlrecht ist hervorragend; es gibt keinen Grund, es zu ändern.
Ob das Mehrheits- oder das Verhältniswahlrecht als besser empfunden wird, ist eigentlich nur eine Frage dessen, was man als Zweck des Parlaments ansieht. Ist es einem wichtiger, daß das Parlament als stabile Stütze eine rasch handlungsfähigen Regierung dienen soll, spricht vieles für das Mehrheitswahlrecht, da dies in der Regel auf ein Zweiparteiensystem hinausläuft und Koalitionsregierungen eher die Ausnahme als die Regel sind.
Ist man der Auffassung, auch andere politische Positionen ab einer gewissen Relevanz sollten im Parlament vertreten sein, wird man um das Verhältniswahlrecht kaum herumkommen. Daß dann Koalitionsregierungen fast zwangsläufig notwendig sind, ist nicht gegeben; es gibt durchaus auch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung, die für ihre Ziele im Parlament kämpfen muß. Der Parlamentarismus und der Demokratie tut das gut: Die Entscheidungen werden dort diskutiert und getroffen, wo sie hingehören: in der Öffentlichkeit und nicht hinter verschlossenen Türen eines Koalitionsausschusses.
Mehrheitswahlrecht? Dann würde sich die Schlammschlacht zwischen CDU und AfD in die CDU hineinverlagern, als Flügelkampf zwischen Zentristen und Rechtskonservativen. Man besehe sich den Aufstieg Donald Trumps, der durch das Zweipartensystem der USA nicht verhindert wird.
Anzumerken ist, dass die AfD in B-W und S-A Direktmandate gewonnen hat.
Nachtrag zur Frage: Welches Mehrheitswahlrecht ?
Derzeit werden bei uns im Bundestag und den Landtagen nominell die Hälfte, aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten aber weniger als die Hälfte der Parlamentssitze als Direktmandat vergeben.
Dabei ist das eigentlich eine Augenwischerei, denn die Zusammensetzung der Parlamente wird nur nach dem Größenverhältnis Verhältnis der Parteien zusammengestellt.
Bei der Bundestagswahl und vielen Landtagswahlen gibt es dazu Erst- und Zweitstimmen, in Baden-Württemberg dagegen gibt es nur eine Stimme, mit der sowohl Direktmandat als auch Verhältnis der Parteien ermittelt wird.
Wenn es jetzt nur noch Direktmandate gäbe, würde das natürlich viele Fragen aufwerfen:
Sollen die Parlamente deutlich kleiner werden, oder sollen die Parlament ihre Größe behalten ?
In letzterem Fall müßten die Direktwahlkreise etwa halbiert werden, was wieder die Siegchancen kleinerer Parteien und lokal verwurzelter Einzelkandidaten erleichtert.
Soll wie bei den derzeitigen Direktmandaten und wie es in Großbritannien praktiziert wird die relative Mehrheit für den Sieg ausreichen ?
In Frankreich gibt es einen zweiten Wahlgang, bei dem nur die Kandidaten mit einer Mindeststimmenzahl teilnehmen dürfen.
Bei Bürgermeisterwahlen in Süddeutschland gewinnt nur der Kandidat mit der absoluten Mehrheit, ansonsten gibt es sogar eine Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kandidaten.
Ohne Listen gibt es auch keine Nachrücker, bei einem freiwerdenden Mandat wäre also eine Neu- bzw. Nachwahl notwendig.
Direkt gewählte Abgeordnete neigen schon jetzt dazu – man denke an Gauweiler, Wilsch und Bosbach – sich nicht hundertprozentig in eine Fraktionsdisziplin einzubinden. Wie wird das sein, wenn es nur noch direkt gewählte Abgeordnete gibt ?
In Großbritannien und den USA lassen sich die Abgeordnete von ihrer Fraktionsführung wenig vorschreiben, auch die finanzielle und personelle Ausstattung der einzelnen Abgeordneten ist zu Lasten der Fraktionen deutlich besser als hierzulande.
Mein Vorschlag für eine Wahlrechtsreform wäre ein anderer:
– Die Hälfte der Mandate wird in einem Wahlgang als Direktmandat vergeben.
– Die andere Hälfte wird nach Verhältniswahl vergeben, wobei es keine 5-%-Hürde gibt.
– Zwischen beiden Hälften gibt es keinen Ausgleich.
Wenn z.B. die CSU in Bayern mit 45 Prozent der Stimmen alle Direktwahlkreise gewinnen würde, bekäme sie zusätzlich noch 45 Prozent der zu vergebenen Listenmandate und damit eine klare Mehrheit. Aufgrund der fehlenden Hürde würde vielleicht sogar für die Bayernpartei ein Mandat abfallen, ohne daß das Auswirkungen auf die Regierungsfähigkeit hätte.
„Wie das englische Vorbild zeigt, gibt es bei diesem Wahlrecht immer eindeutige Sieger. Koalitionsverhandlungen entfielen.“
Genau … „immer eindeutige Sieger“, also außer 1923, 1929, 1950, 1694, 1974 (Feb.), 1974 (Okt.) und zuletzt 2010.
Und im Moment haben die Tories im britischen (nicht nur englischen) Unterhaus mit 36,8 % der Stimmen, 50,8 % der Sitze. Was meiner Meinung nach auch nicht gerade eine stabile Mehrheit ist, umso weniger da sich die Partei gerade über den Brexit selbst zerfleischt. Die UKIP hingegen hat trotz der (mir nicht gefallenden) Unterstützung durch 12,6 % der Wähler, gerade einmal einer der 650 Sitze bekommen.
Außer den Conservatives sind im Königreich außerdem alle anderen Parteien für den Wechsel zum Verhältniswahlrecht, um so den Wählerwillen besser abzubilden. (Derezeit sitzen 4 MP im HoC, die mit weniger als einem Drittel der Wähler in ihrem Wahlkreis gewählt wurden.)
Zudem hat die Wahl in Wahlkreisen immer den Nachtteil, dass sich ein Großteil der Abgeordneten nur um Vorteile für ihren eigenen Wahlkreis kümmern, das große Ganze des Staatswesen wird oft ignoriert. Sieht man gut hier in Irland. So hat der scheidende Staatminister für Gaeltacht-Angelegenheiten, Joe McHugh, geschafft 93 % der Fördermittel in seine Region fließen zu lassen.
Das sind einige sehr gute Argumente für ein Mehrheitswahlreich. Menschen haben zwar Recht ihre eigene Meinung zu haben, aber nicht jeder hat das Recht, dass seine Meinung als gleichwertig angesehen wird. Wir vergessen oft, dass man nicht alles zulassen muss und durchaus zwischen Meinungen werten darf – sowohl als Individuum, sondern auch als Kollektiv.
Komisch, jahrzehntelang galt das deutsche Wahlrecht als Garant für Stabilität und Demokratie, und kaum gibt es Probleme für die Altparteien, soll das Wahlrecht geändert werden.
Sie haben aber offen gelassen, welches „Mehrheitswahlrecht“ Sie wollen.
Bei den Landtagswahlen vorige Woche gingen fast alle Direktmandate an Kandidaten mit weniger als 40 Prozent, einige hatten sogar nur 23-25 Prozent.
Warum sollten AfD, Linke und Grüne das nicht auch bei Bundestagswahlen schaffen ?
Vielleicht geht dabei ja nicht nur die FDP, sondern auch die SPD über den Jordan.