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Neue Rechte? Wer die AfD und ihre Wähler nur in die rechte Ecke stellt, wird sie stärken

Kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, bei der die AfD aus dem Stand zweistellige Ergebnisse erreichte, war ich auf einer Veranstaltung zum Thema „Neue Rechte“. Das Podium war links zusammengesetzt und sich daher schnell einig: „Die AfD ist die Partei der neuen Rechten – wehret ihren Anfängen!“ Endlich stimmt das alte Feindbild wieder. Dabei ist die AfD ein buntes Sammelbecken aus Protestwählern, die links und rechts auf Stimmenfang geht. Für alle besorgten Bürger ist etwas dabei: Gegen Zuwanderung, TTIP, USA und Moslems und für Putin, Hausfrauenehe und mehr nationale Identität. Fast zwei Drittel der AfD-Wähler hätten auch die CSU gewählt, wenn diese zur Wahl gestanden hätte und sehen ihre Stimmabgabe in erster Linie als Protest. Das AfD-Programm spielte für die wenigsten eine Rolle. Die AfD versteht es bislang geschickt, rechte wie linke Ressentiments anzusprechen und zu verbinden. Die Stimmen fliegen ihr aus allen Parteien zu. Vor allem aus CDU, SPD und Linke. Das Potenzial für eine solche Partei lag in Deutschland, das zeigen frühere Wahlen in den Bundesländern, schon immer bei 10 bis 20 Prozent. Auf eine Partei, die mit Angst und Alarmismus erfolgreich ist, ebenfalls mit Angst und Alarmismus zu reagieren, wird diese Partei eher stärken denn schwächen.

 

Kern des neuen Populismus sind nicht soziale, sondern Fragen der Identität: Wer gehört zu uns und wer nicht? Wem glauben wir und wem nicht? Von einer Renaissance der Identitätspolitik spricht der frühere Außenminister Joschka Fischer. Europa wird abgelehnt, der Nationalstaat ist wieder zurück und das autoritäre Russland plötzlich eine Alternative zum westlichen Modell. Mit Identitätsthemen tut sich Politik, bürgerliche wie linke, schwer, nicht nur in Sachsen. Der neue Rechtsextremismus, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, lässt sich weniger sozial denn kulturell erklären. Ihre Vordenker, Funktionäre, Mitglieder und Wähler sind mehrheitlich Männer über 50, die pessimistisch in die Zukunft blicken und sich als kulturelle Modernisierungsverlierer sehen. Die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Gleichstellung von Homosexuellen lehnen sie ebenso ab wie die repräsentative Demokratie, kritische Medien und Zuwanderung. Doch ein Zurück in die gute alte Zeit der 80er Jahre, als die Mauer noch stand, mit D-Mark bezahlt wurde und der Kalte Krieg die Globalisierung verhinderte, wird es nicht geben.

 

Deutschland war immer, auch im 19. und 20. Jahrhundert, ein Einwanderungsland. Millionen von Heimatvertriebenen, Flüchtlingen und „Gastarbeiter“ wurden integriert. In kaum einer Familie gibt es keine Migrationsgeschichte. Deutschland hat seinen Charakter dabei nicht von heute auf morgen, sondern langsam fortentwickelt und den Widerspruch von fortschreitender Veränderung und traditioneller Beharrung positiv gestaltet. Deutschlands Stärke – in West wie Ost – ist die Verbindung von Innovation und Tradition, von Ingenieurskunst und Erfindungen. Das wurde lange Zeit von den Eliten in Politik und Wirtschaft als selbstverständlich gesehen. „Wo es der Wirtschaft gut geht, geht es am Ende allen gut.“ Dieses Mantra tragen nicht nur Liberale, sondern auch Christ- und Sozialdemokraten gerne vor sich her. Beide, Staat und Wirtschaft, leben aber von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen können: Vertrauen und soziale Bindungen. Wo beides gekappt ist, verlieren Gesellschaft und Wirtschaft ihr soziales Kapital.

 

Auf der Agenda steht damit eine neue Standortpolitik. Der US-amerikanische Stadt- und Regionenforscher Richard Florida hat vor Jahren darauf hingewiesen, dass jene Städte und Regionen wirtschaftlich besonders erfolgreich sind, die auf (neue) Technologien, Talente und Toleranz setzen. Das globale Rennen machen jene „hot spots“, die offen gegenüber neuen Entwicklungen sind, auf Bildung und Ausbildung setzen und Fremde und Andersartige positiv wahrnehmen. Florida hat die Offenheit gegenüber Neuem unter anderem am sogenannten „Gay-Faktor“ festgemacht: Toleranz lasse sich vor allem an der Einstellung zu Homosexuellen messen. Vor allem der Osten Deutschlands – aber nicht nur er – schneidet hier schlecht ab. Der Mangel an Offenheit gegenüber Fremden und Neuen hat langfristig erhebliche Folgen auch für die beiden anderen „T“-Faktoren Technologien und Talente. Innovative Firmen und ihre Mitarbeiter machen einen großen Bogen um Regionen, in denen sie nicht willkommen sind.

 

Ein Land und eine Gesellschaft auch kulturell zu modernisieren, ist eine Aufgabe, die alle betrifft und an der möglichst alle beteiligt werden sollen. Wählerbeschimpfung und Kampfbegriffe helfen dabei nicht. Ist ein Patriotismus denkbar, der verbindet und nicht ausschließt? Ein moderner Patriotismus würde den neuen Hass von rechts wahrscheinlich nicht zum Verschwinden bringen, ihn aber gesellschaftlich isolieren und nicht mehr salon- und damit wahlfähig machen. Jene 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung, welche die aggressive Hetze gegen Ausländer und Andersdenkende nicht teilen und die nicht länger zusehen wollen, wie eine Minderheit ihr Land besudelt, wären dafür zu gewinnen. Dafür müssten sich die Parteien der neuen Frage stellen, hart und entschieden: „Was ist deutsch an der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft?“

 

 

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7 Gedanken zu “Neue Rechte? Wer die AfD und ihre Wähler nur in die rechte Ecke stellt, wird sie stärken;”

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    Langsam begreifen auch immer mehr Leute, dass es sich bei der AfD nicht einfach um ein Häufchen von „rechten Spinnern“ handelt. Es ist ein schmerzhafter Weckruf für die Republik. Es darf allerdings auch nicht vergessen werden, dass die allergrößte Mehrheit der Deutschen nicht auf Seiten der AfD ist, trotz der großen Zugewinne, die dies einfahren konnte.

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    „Ihre Vordenker, Funktionäre, Mitglieder und Wähler sind mehrheitlich Männer über 50, die pessimistisch in die Zukunft blicken und sich als kulturelle Modernisierungsverlierer sehen.“

    Oha, gestern Abend bei Illner & Will hat die AfD nun aber zwei junge Frauen ins Rennen geschickt. In SA war die AfD in der Altergruppe von 18-44 Jahre die stärkste Partei, erst bei den über 60-jährigen rutschte sie auf den 3. Platz. Sie wurde gewählt von männlichen jungen Arbeitslosen und Arbeitern mit eher geringer Bildung. Eine Überprüfung dieser Fakten wäre hilfreich gewesen, um ihre Analyse auf eine solide Grundlage zu stellen.

    Trotzdem haben Sie natürlich recht, die AfD-Klientel schneidet auf der „Gay-Factor“ Skala schlecht ab und bedarf dringend der kulturellen Modernisierung. In dieser Hinsicht sind sie jedoch ziemlich pessimistisch. Und schlagen als Lösung vor, den Hass gesellschaftlich zu isolieren. Ich frage mich nun, wie sie mit Ihren Vorschlägen zur Integration von Flüchtlingen beitragen wollen, die ja durchaus einige Merkmale von AfD-Wählern aufweisen.

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    Deutschland entwickelt sich in infolge des Migrationsdrucks und der Merkel-Politik rasant auf „französische Verhältnisse“ zu. Das ist die Einwanderungsgesellschaft der Zukunft. Jetzt ist mit den Erdrutschwahlerfolgen der AfD eine weitere Etappe dazu gekommen. Auch massive Konflikte mit nordafrikanisch-arabischen Einwanderern und dem Islam gehören zum Modell „Frankreich“, ebenso eine geschwächte konservative Partei und ein „Front National“, der an den Toren der Macht rüttelt. Es fehlen in Deutschland nur noch erfolgreiche islamistische Terroranschläge mit hunderten Toten, dann gibt es hier den Notstand und Sondergesetze hebeln die Grundrechte aus. Wohl bekomms!

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    „Ein moderner Patriotismus würde den neuen Hass von rechts wahrscheinlich nicht zum Verschwinden bringen, ihn aber gesellschaftlich isolieren und nicht mehr salon- und damit wahlfähig machen.“

    Der „Deutschland verrecke“-Patriotismus der Linken soll also den rechten Patriotismus ersetzen? Das kann nicht funktionieren. Die Blockparteien betreiben eine Selbstmord-Politik und die islamischen Massen sind nur Mittel zum Zweck. Honecker hat sich nicht geändert, und Merkel wird auch nicht klug werden. Anständige Patrioten müssen in die Parlamente, und das geschieht jetzt durch die AfD.

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    Wieso muss sich irgend jemand die Frage stellen:

    „Was ist deutsch an der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft?“

    Müssen wir uns auch die Frage stellen:

    „Was ist schwul an der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft?“

    oder:

    „Was ist sachsen-anhaltinisch an der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft?“

    oder:

    „Was ist europäisch an der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft?“

    oder:

    „Was ist christlich an der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft?“

    oder:

    „Was ist kölsch an der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft?“

    oder:

    „Was ist islamisch an der Einwanderungsgesellschaft der Zukunft?“

    Ich halte es da mit Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er denn seinen Staat nicht liebe, geantwortet haben soll:

    „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!“

    Und Heinemann war, anders als so viele heutige Politiker ein Verfassungspatriot.

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    Sie sind in der rechten Ecke. Zwar sieht Frau P. nett aus, aber sie sucht lediglich eine Nische für eine Karriere. Das ist ihr gelungen, was zeigt, dass Frauen auch nicht die besseren Menschen sind.

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    Lieber Herr Dettling, mit Verlaub, aber das was Sie da beschreiben, um zu zeigen, dass die Wähler der AfD nicht nur rechts sind, ist gerade die Beschreibung der Neuen Rechten, die das Links-Rechts-Schema auflösen und einen Kampf reaktionär gegen liberal führen will. Ansonsten finde ich Ihren Text gut. Gerade weil er eine Provokation der Rechten ist.

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