Am kommenden Wochenende stehen drei wichtige Landtagswahlen an. Die FDP spielte – wie schon im vergangenen Jahr in Hamburg und Berlin – zunächst keine Rolle in der öffentlichen Debatte. Man ging eben davon aus, dass sie wieder einmal keine Chance haben würde. Nun plötzlich könnte in allen Ländern der Einzug in den Landtag gelingen – auch wegen der zunehmend bekannten Position der FDP in der Flüchtlingsfrage. Dass Christian Lindner dafür in Teilen heftig angefeindet wird und die FDP immer wieder als „AfD light“ geschmäht wird, ist so falsch wie fahrlässig. Vielmehr ist Lindners Vorstoß ein bedenkenswerter Impuls für eine viel zu emotional geführte Debatte, in der die moderate Mitte keine Stimme mehr hat.
Zunächst einmal: Niemand, der in seinem Herzen auch nur einen letzten Funken Menschlichkeit hat, kann Angela Merkel die humanitäre Entscheidung von letztem Sommer vorwerfen. Was man ihr allerdings vorwerfen kann und muss, ist die Unfähigkeit, seitdem den Ausnahmezustand in den Griff zu bekommen und die wichtigsten Partner zu einer gemeinsamen Lösung im Sinne der Menschen, Europäer wie Flüchtlinge, zu führen. Das verwundert nur diejenigen, die Merkel in den letzten Jahren für ihren geräuschlosen Regierungsstil gefeiert haben, der maßgeblich dadurch zustande kam, dass über die Jahre alle kritischen Stimmen aussortiert worden und gleichzeitig die wichtigsten Entscheidungen schlicht nicht getroffen worden waren. Wie ich schon im September 2015 prognostiziert habe fliegt uns jetzt all das um die Ohren, was Angela Merkel in den letzten Jahren vor allem auf europäischer Ebene unterlassen oder sogar verhindert hat. Die Neuverhandlung von Dublin scheiterte jahrelang an der deutschen Bundesregierung – nun will die deutsche Bundesregierung neue Regeln und wir von all jenen Ländern blockiert, die sich von Deutschland unterjocht gefühlt haben und nun, angesichts der Sackgasse, in der sich Angela Merkel befindet, ihre eigene kleine Rache üben. Das sorgt für eine kontinuierliche Verschärfung der Situation, in Idomeni, in Berlin und in Brüssel gleichermaßen.
Auch wenn es der Humanist in mir nicht gerne zugibt, Christian Lindner hat Recht, wenn er sagt: „Die Zahlen müssen sinken.“ Jede Politik braucht Augenmaß und klare Regeln. Und Recht muss umgesetzt werden; auch wenn wir nicht in einem „Unrechtsstaat“ leben, wie CSU-Chef Seehofer und die AfD unisono behaupten, so leben wir doch in einem Staat, der derzeit seinen Bürgern das Gefühl hat, dass Recht eben nicht überall durchgesetzt wird (oder werden kann). Das schürt Ängste. Wenn man dann gleichzeitig für eine verspätete Ummeldung zum neuen Wohnort 1000 Euro Ordnungsgeld zahlen muss, ist die Empörung verständlich. Geht man auf diesen berechtigten Zorn nicht ein, macht man es den Hetzern von AfD und Pegida zu einfach. Und wer einmal rechtsradikal wählt, wird schwer wieder zurückzugewinnen sein. Wer auf Ängste klug reagiert, muss sich später nicht mit dem Hass auseinandersetzen.
Dass Christian Lindner mit seinen klaren Worten nicht meint, dass wir die Menschen an den Zäunen in Ungarn oder auf dem Mittelmeer verrecken lassen sollen, weiß jeder, der ihm genau zuhört. Oder ihn genau kennt. Die Flüchtlingszahlen in Deutschland würden schon alleine dann sinken, wenn es eine europäische Lösung gäbe. Sie würden auch dann sinken, wenn die reichen Staaten des Westens endlich wieder ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Flüchtlingshilfswerk gerecht würden. Sie würden auch dann sinken, wenn all diejenigen, die derzeit nicht vor Terror und Krieg oder wegen politischer Verfolgung, sondern aus anderen (menschlich so gut wie immer nachvollziehbaren) Gründen zu uns fliehen, wissen, dass sie hier nicht das Paradies erwartet, dass ihnen Schleuser gerne vorgaukeln. Ja, wir werden auch weiterhin Menschen abschieben müssen, so hart das im Einzelnen ist. Auch um in der Lage zu sein, denen, die unsere Hilfe am meisten brauchen und bei denen es um Leben oder Tod geht, besser zur Seite stehen zu können.
Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, was passiert, wenn wir das nicht mit den derzeitigen rechtlichen Mitteln schaffen: Dann kommen weitere Verschärfungen des Asylrechts, die schwer umkehrbar sein werden. Wenn wir jetzt nicht klar sagen, wem wir helfen können – politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen -, und wem nicht, wird der humanitäre Impuls jetzt unter dem steigenden politischen Druck auf Kosten von unterdrückten Menschen in der Zukunft gehen. Das kann nun wirklich niemand wollen. Und: wer das klar ausspricht, darf nicht automatisch in die rechte Ecke gestellt werden, in die er nicht gehört. Pragmatismus ist nicht Faschismus, sondern eine wichtige Zutat der liberalen Demokratie. Das gilt umso mehr, wenn er vorschlägt, dass denjenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen derzeit zu uns „fliehen“ andererseits mit zusätzlichen Möglichkeiten der legalen Einwanderung nach klaren Kriterien grundsätzlich die Tür geöffnet werden soll.
Die FAZ formulierte in der Nachbetrachtung zur Kommunalwahl vom vergangenen Wochenende zu den Erfolgen der FDP: „Vor allem aber profitiert die FDP von ihrer Haltung in der Flüchtlingspolitik, die sich vom Rest der etablierten Parteien absetzt. Sie hat es verstanden, die Haltung der Regierungen in Berlin und Hessen als abenteuerlich anzugreifen, ohne dabei in die mitunter hetzerische Diktion der AfD zu verfallen.“ Viel besser kann man es nicht auf den Punkt bringen.
Auch in einem aufgeheizten Diskurs müssen moderate Positionen der Mitte möglich und konstruktive Lösungsansätze hörbar sein. Denn machen wir uns nichts vor: So wie derzeit, mit drei Koalitionsparteien, die sich wie die Kesselflicker streiten und gleichzeitig Kommunen und Ehrenamtliche komplett alleine lassen, mit einer EU, die sich gegenseitig blockiert und sich in ihrer Verzweiflung einem brutalen Autokraten wie Erdogan an den Hals wirft, kann es nicht weitergehen. Und dass die rechtsradikale AfD keine Lösung für nichts anzubieten hat, ist sowieso klar. Ich teile natürlich nicht jedes Wort von Christian Lindner – auch ist mir die Tonalität, in der kluge Ideen vorgetragen werden manchmal zu schrill. Aber es ist natürlich auch Wahlkampf, und im Vergleich zu den Vertretern der die Debatte dominierenden Radikalpositionen ist das alles allerdings immer noch moderat. Die liberalen Positionen wären zumindest eine inhaltliche Diskussionsbasis, aus der man etwas machen könnte. Das ist mehr, als alle anderen Parteien derzeit anzubieten haben. Und dafür hat Christian Lindner in dieser wichtigen Frage meine ganze Unterstützung.
Das ist doch wirklich lächerlich, was Herr Overbeck von sich gibt. Die Deutschen müssen auf ihren „Wohlstand verzichten“, um das Niveau der Flüchtlinge zu erreichen? Ich bin praktizierender Katholik und glaube, ein Bischof sollte sich primär um das Seelenheil der Gläubigen kümmern. Wenn man 11.000 Euro im Monat verdient und eventuell noch an der Spirituosen-Herstellung der Familie (Overbeck-Schnaps) beteiligt ist, sollte man sich zuerst an die eigene Brust klopfen! Hat die Kirche keine anderen Themen mehr? So vertreibt man noch weitere Gläubige, die dann aus der Kirche austreten. Das sollten Sie sich einmal überlegen, geschätzter Herr Bischof! Dr. Dr. Joachim Seeger, Recklinghausen
ja, aber eben das ist es ja nicht: transparent. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, wo ich es einfach mal auf blauen Dunst in den Raum geworfen habe und Sie ein „Geständnis“ ablegten. Aber möglicherweise ist es ganz anders und sie sind zwar auf „Du“, aber der Lindner mag Sie überhaupt gar nicht.
Ich traue den Leuten zu, einmal meinen Namen bei Google einzugeben… liberal halt.
Meinung zu vertreten ist kein Problem, wenn der Leser nicht die Befürchtung hat, dass sachfremde Erwägungen eine Rolle spielen. Ginge es nicht um Politik sondern um Unternehmen, würde man von eine Vermischung von Anzeigen- und redaktionellem Teil sprechen: unlauterer Wettbewerb.
Das würde nur gelten, wenn es nicht transparent wäre. Und davon ganz ab: Ich bekomme kein Geld dafür, ich habe keine persönlichen Interessen, ich will nichts werden. Ich äußere hier meine Überzeugungen. Die sind mal pro FDP, mal dagegen. Ich wundere mich wirklich, was hier manche für ein Menschenbild haben. Als ob jeder, nur weil er einer gewissen Partei zuneigt, deren Tun jubelpersermäßig blind unterstützt…
Wie sagte Hajo Friedrichs:
„Ein Journalist darf sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.“
Ein Loblied auf einen Duzfreund ist schon anders zu bewerten als Lob oder Kritik aus der Distanz.
Erstens bin ich kein Journalist. Zweitens halte ich den Satz in dieser Absolutheit für Quatsch. Das hier ist ein Meinungsblog. Meine Meinung ist ja argumentativ begründet. Aber jeder darf das ja so sehen, wie er will…
Es wäre weiterhin hilfreich zu outen, dass Sie mit Lindner per Du sind. Das alles ist doch ein Schmierentheater.
Und deswegen darf ich keine eigene Meinung mehr haben? Ich bin auch mit Politikern anderer Parteien befreundet.
Kein Problem, ich denke, hier tummeln sich auch eher Leser, die sich zu helfen wissen.
… na ja, Ihre Parteimitgliedschaft drängt sich auch nicht gerade auf, sondern man muss es sich schon erguggeln. Sah mich nur dazu veranlasst, weil aufgrund Ihrer letzten Beiträge der Eindruck entstand, dass Sie einer straffen politischen Agenda folgen.
Der Blog heißt ja auch „Starke Meinungen“ 😉 Ich wollte das auf gar keinen Fall verheimlichen. Sorry, falls das so rüberkam.
Lieber Herr Giesa, wäre es nicht aufrichtiger gewesen dem Leser zu verraten, dass Sie Pro ihres Parteivorsitzenden und Contra des Konkurrenten AfD schreiben? So wertet das geneigte Publikum Ihr Statement vielleicht eher als Propaganda, auch wenn Sie gute Argumente auf Ihrer Seite haben mögen.
Daraus habe ich ja nie ein Geheimnis gemacht. Insofern wundert mich Ihr Kommentar etwas. Aber ich bin da eher unverdächtig, Gefälligkeitstexte zu schreiben. 2013 habe ich sogar dazu aufgerufen, die Partei nicht zu wählen.