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Die Nashörner kommen – Menetekel einer rechtskonservativen Radikalisierung in vier Szenen

„Achse des Guten“, „Alternative für Deutschland“, Hayek-Gesellschaft, Kirchenmilieu – wie Dominosteine bringen rechte Scharfmacher einst liberale oder moderat-konservative Gruppierungen zum Kippen. Ressentiment, Fanatismus und Aggressivität fräsen sich ins ehedem staatstragende Bürgertum. Wieso gehen Maß und Mitte massenhaft verloren?

Eugène Ionescos Novelle und Theaterstück „Rhinocéros“ beschreibt die fortschreitende Verwandlung einer ganzen Stadt in eine Herde von Nashörnern. Im zweiten Akt entdeckt der Protagonist Behringer bei seinem erkrankten Freund Hans, der prototypisch für die untere Mittelschicht steht, eine Beule am Kopf; später wird dessen Haut grün. Als er den Arzt rufen möchte, hindert ihn Hans daran, denn der fühlt sich gut – und erklärt, dass er die Schwäche der Menschen verabscheue und das Recht der Natur über die menschliche Moral stelle. Behringer versucht dagegen zu argumentieren, stößt aber auf heftigen Widerstand. Sein Freund ist rationalen Einwänden nicht mehr zugänglich. Hans’ Verwandlung zum Nashorn wird immer deutlicher. Er droht Behringer damit, ihn zu zertrampeln, sollte er ihm im Weg stehen, woraufhin dieser flüchten muss.

Ein anderer Freund, Stech, als Typ dem konservativen gehobenen Bürgertum zuzurechnen, versucht Behringer von der Friedlichkeit der Nashörner zu überzeugen. Kurz danach zerstören Feuerwehrleute, zu Rhinozerossen mutiert, das gegenüberliegende Feuerwehrgebäude. Stech verlässt Behringers Wohnung mit der Bemerkung, lieber im Grünen zu essen – und endet ebenfalls als gehörnter Dickhäuter. Behringers Freundin Daisy meint, man müsse mit den Nashörnern, deren Kraft sie bewundert, kommunizieren. Es kommt zum Streit, der Protagonist bleibt – nicht ohne Selbstzweifel – allein zurück. Aber er nimmt seine Verantwortung um den Preis von Einsamkeit und Bedrohung wahr und kapituliert nicht.

„Rhinocéros“ beschreibt die Ausbreitung einer menschenfeindlichen Ideologie, die die Gesellschaft erst allmählich, dann überraschend schnell und aggressiv in ein totalitäres Regime verwandelt – begünstigt durch eine unzulängliche Gegenwehr aufgrund menschlicher Schwächen: Gleichgültigkeit, Naivität, Opportunismus, Verantwortungsscheu. Im Verlauf des Dramas verspürt man zunehmende Beklemmung.

So ergeht es mittlerweile auch Beobachtern der deutschen Politik-, Medien- und sogar Kirchenszene. Gemäßigte Konservative werden neuerdings von rechts angefeindet und bezichtigt, mit dem „links-grünen Mainstream“ zu kollaborieren oder selbst links bzw. „linksliberal“ zu sein. Einstige Mitstreiter werden einem plötzlich fremd, haben sich binnen weniger Jahre oder gar Monate radikalisiert, manchmal geradezu als wären sie durch eine Gehirnwäsche gegangen. Sie adaptieren den typischen neurechten Jargon mit Signalwörtern wie „Altparteien“, „Systemlinge“, „Meinungsdiktatur“, „Merkel-Regime“, Mainstream-Medien“ oder gleich „Lügenpresse“, „Gleichschaltung“, „Scheindemokratie“, „US-Vasallen“, „Homo-Lobby“, „Asylindustrie“ usw. Das politische Koordinatensystem ist in Bewegung geraten. Manche Gründerfiguren erkennen ihr eigenes Werk nicht mehr wieder.

„Mit dem Zahnputzbecher im lecken Boot“

Szene 1, 20. Januar 2015 auf der „Achse des Guten“: Der 2004 online gegangene Weblog gehört zu den meistbesuchten Internet-Leitmedien für politische Analyse und Kritik. Er versteht sich als „Raum für unabhängiges Denken“, seine Autoren „lieben die Freiheit und schätzen die Werte der Aufklärung. Sie versuchen populären Mythen auf den Grund zu gehen, und sind skeptisch gegenüber Ideologien.“

Jetzt wirft Gründungsmitglied Michael Miersch hin: Es habe sich „eine Stimmung breit gemacht, die kaum noch etwas gemein hat mit der ursprünglich liberalen, weltoffenen und aufgeklärten Haltung dieses Autorenblogs“. Die jetzt dort vorherrschenden Sichtweisen seien „ziemlich genau das Gegenteil von dem, was wir wollten.“ Achse-Autoren verteidigten AfD und Pegida, sympathisierten „ganz offen mit deren Zielen und erklären die Dresdener Demonstranten zum unterdrückten ,Volk’, welches sich gegen das ,System’ wehren müsse“. Es sei immer anstrengender geworden, „dafür zu sorgen, dass überhaupt noch liberale Gegenstimmen auf der Achse erscheinen. (…) Ich kam mir vor wie einer, der mit einem Zahnputzbecher gegen das Volllaufen eines lecken Bootes ankämpft.“

Rechte Autoren seien „eindeutig in der Überzahl, verfassen mit großem Eifer Artikel, posten fleißig geistesverwandte Gastbeiträge und Fundstücke und werden durch zahlreiche Leser-Kommentare dabei angefeuert.(…) Besonders stört mich dabei der hohe apokalyptischer Ton, den ich an Öko-Predigern immer kritisierte, der sich inzwischen jedoch auf der Achse ausgebreitet hat. Die aufgeregten Warnrufe vor der EU, dem Euro, der Migration, dem Untergang des Abendlandes klingen ganz genauso wie die Klimakassandras. Gelassenheit und Distanz – zwei wichtige journalistische Tugenden – sind verloren gegangen.“

Szene 2, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 17. Mai 2015: Karen Horn, Vorsitzende der Friedrich August von Hayek-Gesellschaft, publiziert den Essay: „Die rechte Flanke der Liberalen“. Angriffe auf die Freiheit seien seit 1945 vor allem von der linken Seite des politischen Spektrums gekommen; daran gewöhnt, „haben viele die rechte Gefahr nicht erkannt“. Inzwischen stichelten sogenannte „wertkonservative“ oder „nationalkonservative Liberale“ gegen Ausländer und Homosexuelle, Gleichstellung und Inklusion, Integration und Internationalismus, bis hin zur „Anbiederung an den starken Mann Russlands, obschon dieser sein Volk knechtet, Nachbarn überfällt und den Westen übertölpelt“.

„Pöbelei“ und „dramatisch schlechte Manieren“

Scharf attackiert Horn eine um sich greifende „Pöbelei“ und „dramatisch schlechte Manieren“ dort, „wo der Staat nicht hilft, das konservative Ideal zu verwirklichen“; „Wie am Stammtisch werden die Vorurteile gepflegt, dogmatisch zugespitzt und hasserfüllt herausposaunt“; „Es muss herrlich sein, sich in dieser Weise gegenseitig hoch zu geigen und sich in Vereinfachung, Dogmatismus, Demagogie, Intoleranz und Sektierertum zu aalen. Die Reaktionäre fallen schon mit ihrer Sprache auf. Sie ist aggressiv, eifernd, anmaßend, maßlos und apodiktisch“. Da sei die Rede von „Tugendterror“, „Gender-Wahn“, „Lebensfeindlichkeit des Egalitarismus“ und Aufrufen, „Widerstand“ zu leisten. Einen freiheitlichen Geist müsse „der Grad an Selbstsicherheit stören, mit dem solche Tiraden hervorgestoßen werden“, denn viele komplexe Fragen erlaubten gar kein schnelles Ja oder Nein; „Häufig erschließt sich die Natur eines Problems erst in der Nuance“. Gelinge es dem Liberalismus nicht, „sich von Reaktionären zu befreien und zu intellektueller Ernsthaftigkeit, Anstand und Demut zurückzukehren“, dann verliere er „seine Seele“.

Zwei Monate später, nach einer öffentlichen Rücktrittsforderung durch 26 Mitglieder sowie erbitterten Kontroversen auf der Mitgliederversammlung in Leipzig, tritt die Ludwig Erhard-Preisträgerin für Wirtschaftspublizistik (1997 und 2010) mit etwa 50 weiteren Mitgliedern – viele Professoren – aus der Hayek-Gesellschaft aus.

Szene 3, AfD-Parteitag im Juli 2015 in Essen: Bernd Lucke kämpft gegen eine längst offenkundige Mehrheit rechtskonservativer, nationalistischer Wutbürger. Der Parteigründer wird nicht nur durch eine satte Mehrheit für Frauke Petry aus dem Amt entfernt, sondern auch angepöbelt. In Reden von Bewerbern für den Bundesvorstand und das Bundesschiedsgericht der Partei wimmelt es von Ressentiments gegen Migranten, USA und EU sowie politische Gegner. Einer nennt die Grünen eine „pädophile Genderfaschistentruppe“ und erhält lebhaften Applaus. Ein anderer kann mit der Agitation gegen Asylbewerber punkten, die an den Obdachlosentafeln „das Essen wegfressen“. Man beklagt „Inländerfeindlichkeit“ und den „Ausverkauf deutscher Interessen“. Auf die Frage, ob er das Problem der Neuen Rechten in der Partei unterschätzt habe, antwortet Lucke nur: „Ja“. Dem neurechten Flügel um den Thüringer Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke gelingt es, mit André Poggenburg, dem AfD-Landeschef in Sachsen-Anhalt, einen eigenen Vertreter in den Bundesvorstand zu wählen.

Öffentliche Gewaltfantasien gegen die Bundeskanzlerin

Seither hat sich die Partei weiter radikalisiert. Björn Höcke agitiert im Goebbels-Sound regelmäßig auf öffentlichen Plätzen, beschimpft Gegendemonstranten als „Lumpenpack“ und fordert, Angela Merkel müsse „mit der Zwangsjacke“ aus dem Kanzleramt „abgeführt“ werden. Parteivize Beatrix von Storch, „christliches“ Aushängeschild der Partei, spiegelt die Gewaltfantasien auf Facebook: „Ich nehme Wetten an: Wenn sie bald zurücktritt, wird sie das Land verlassen. Aus Sicherheitsgründen.“ AfD-Mitgründer und Ex-Vize Henkel wendet sich mit Grauen ab: „Wir haben ein Monster, eine NPD-light geschaffen.“

Szene 4 könnte im christlich-konservativen, speziell im katholischen Milieu spielen – wenn es dort eine gemeinsame Organisation mit Wahlen gäbe. Reizbarkeit, Demagogie, Apokalyptik und Sektierertum breiten sich auch hier aus. Einen republikweit Schlagzeilen machenden Eklat gibt es nicht, aber seit etwa drei Jahren sortieren sich auch hier liberal-konservative und rechtskonservative Kräfte auseinander, ähnlich wie in den Szenen 1 bis 3. AfD, Pegida und Putin, „Genderwahn“, „Homosexualisierung“, „Islamisierung“ und „Meinungsdiktatur“ scheiden die Geister.

Ein Teil derer, die früher „papsttreu“ für Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger, für die tradierte Dogmatik, liturgische Disziplin und den Zölibat, gegen Massenabtreibung und aktive „Sterbehilfe“, für ein missionarisches Christentum und gegen dessen linke Politisierung kämpften, hat sich nun selbst politisiert. Man schreibt, gibt Interviews und wirbt für Medien der Neuen Rechten, bezichtigt Bischöfe wegen ihrer Pegida-Kritik der „Anbiederung an der falschen Stelle“, fraternisiert öffentlich mit dem „lieben Akif“ Pirinçci, mokiert sich über den „Plapperpapst“ (Alexander Kissler), kritisiert die „Verteufelung“ Putins oder reist gleich, mitten im Ukrainekrieg, in den Kreml, um auf der Propagandakonferenz „Große Familien und die Zukunft der Menschheit“ die mittel- und osteuropäischen Völker wissen zu lassen, sie hätten wohl „begonnen zu erkennen, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ihre Kosten hat: (…) die erzwungene Zerstörung ihres eigenen Wertesystems“ (Gabriele Kuby). Milieumedien wie „Die Tagespost“ und „kath.net“ berichten anschließend ausführlich und positiv.

Demokratie als „vorläufige politische Form“

Kirchenpolitisch kommt die Schlacht um „Limburg“ hinzu, vom ultrakatholischen Lager als bloßer Richtungskampf um die reine Lehre geführt, als deren Bollwerk Bischof Tebartz-van Elst gilt. Durch den Untersuchungsbericht erwiesene Verschwendungen werden wie die eidesstattliche Falschaussage des Bischofs zum Indienflug als „Limburger Käse“ (Wolfgang Ockenfels) abgetan: Relativismus pur, ausgerechnet von Kämpfern gegen eine „Diktatur des Relativismus“. Die Reaktionärsten wollen politische Systeme an der „uneingeschränkten Geltung katholischer Werte“ messen; man dürfe sich keinesfalls „einer Divinisation der Demokratie schuldig“ machen, die nur die „vorläufige politische Form“ unseres Landes sei, so Alexander Pschera, u.a. Autor der „Tagespost“, des „Vatican-Magazins“ und des „Cicero“.

Sicherlich hat jede der vier hier skizzierten Szenen ihre Eigenheiten, die einzeln genauer zu analysieren wären. Doch ist von einer zufälligen Koinzidenz der großen Kräche im konservativen Spektrum nicht auszugehen. Es kann nur beunruhigen, dass im bislang „staatstragenden“ bürgerlich-konservativen und christlichen Milieu eine äußerst lautstarke, engagierte, finanziell potente und gut vernetzte Minderheit im Begriff ist, eine geistige „Sezession“ von der angeblich „linksgrün-versifften“ Republik zu vollziehen. Sie wandelt dabei, ob wissentlich oder nicht, auf den Spuren jener „konservativen Revolution“ der Zwischenkriegszeit, die mithalf, die Weimarer Republik sturmreif zu schießen.

Ein wichtiger Erklärungsfaktor für die Radikalisierung konservativer Milieus sind die Selbstbestätigungszirkel einer im Internetzeitalter zunehmend fragmentierten Öffentlichkeit. Zu einem erheblichen Teil dürfte die Entwicklung auch auf das allmähliche Verblassen historisch bedingter Tabus sowie die jahrzehntelange kulturelle Hegemonie linker oder linksliberaler Mehrheiten zurückzuführen sein, welche Medien, Kulturszene, Geistes- und Sozialwissenschaften sowie die evangelische Kirche besonders prägten. Die Verfechter konservativer Werte wurden durch die Euro- bzw. Schuldenkrise, den Siegeszug der Ehe bzw. „eingetragenen Partnerschaft“ für gleichgeschlechtliche Paare, die zunehmende Religions- und Kirchenkritik sowie Deutschlands Transformation in ein multireligiöses, multiethnisches Einwanderungsland so nachhaltig verärgert, dass ein heftiges Aufbegehren nicht überrascht. Jedenfalls in dem Moment, wo der Einzelne bzw. Minderheiten sich wie nie zuvor mit Gleichgesinnten vernetzen, solidarisieren und Gehör verschaffen konnten.

Schwarmborniertheit und Schwarmaggressivität

In der Internet-Demokratie bricht sich nicht nur „Schwarmintelligenz“ Bahn, sondern auch Schwarmborniertheit und Schwarmaggressivität. Kognitive Dissonanzen fordern den menschlichen Intellekt zur Überprüfung und Verfeinerung seiner Ideen heraus und immunisieren gegen das Verdummungsrisiko geistiger Selbstgenügsamkeit. Je leichter sie durch den Rückzug in weitgehend homogene Gesinnungsbiotope vermieden werden können, desto mehr drohen unangemessenes Selbstbewusstsein, Realitätsverlust und Intoleranz. Deshalb die Blüte von zur Schau getragener Halbbildung, Verschwörungstheorien und Internet-Mobbing.

Wie wird es weitergehen? Man kann von Glück sagen, dass es uns in Deutschland noch recht gut geht, dass von empfindlichen Wohlstandseinbußen bisher keine Rede sein kann. Doch mit dem IS-Terror, der Massenflucht nach Europa, der schwelenden Euro-Schuldenkrise und dem Abgleiten Russlands in eine Hass schürende Geheimdienst-Diktatur mit imperialen Gelüsten haben wir inzwischen Probleme, die gemeinsam durchaus rasch die Schwelle der politischen Beherrschbarkeit überschreiten könnten. Werden dann die besonnenen Kräfte der liberalen Demokratie die Oberhand behalten gegen entschlossene, fanatisierte „System“-Gegner und diffus Verdrossene? Für welche Seite würde sich die unpolitische, uniformierte Masse der Spaßgesellschaft dann entscheiden?

„Über dem Recht steht das Wohl des Volkes“

Die Bundesrepublik Deutschland steht zum ersten Mal in ihrer Geschichte vor einer wirklich existentiellen Herausforderung. Auch langjährigen Kämpfern gegen einen dominanten linken „Zeitgeist“ sollte inzwischen dämmern: „Der Feind steht rechts“. Er agiert verbissen, autoritär, emsig, rachsüchtig. Er ist ein chronisch beleidigter Held der eigenen Meinungsfreiheit, dem Selbstdistanz fremd ist und Kritik allzu schnell als „Verleumdung“ erscheint. Er ist kein Menschenfreund, sondern Ordnungsfanatiker. Im Nachbarland Polen ist er, gestützt auf das Votum von 19 Prozent der Wahlberechtigten, dabei, den gewaltenteiligen, freiheitlichen Rechtsstaat anzufressen. „Über dem Recht steht das Wohl des Volkes“, verkündete der PiS-Abgeordnete Kornel Morawiecki in der Sejm-Debatte über das Verfassungsgericht unter minutenlangem Beifall seiner Fraktion. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Devise des Unrechtsstaats: „Recht ist, was dem Volke nützt“.

Es sind auch bei uns längst keine vereinzelten Nashörner mehr, denen man auf Straßen und Plätzen, am Arbeitsplatz oder im Bekanntenkreis begegnet. Wer in konservativen Kreisen gut vernetzt ist, der kann fast im Wochentakt ein neues entdecken. Typen wie Ionescos Hans, die sich trotz Beule am Kopf und wachsender Dickhäutigkeit kerngesund und vorbildlich fühlen. Vor Selbstgewissheit strotzend, sind sie rationalen Einwänden und Differenzierungen kaum noch zugänglich. Indes die Stechs unserer Tage versuchen, uns von der Friedlichkeit der Nashörner zu überzeugen. Auf diejenigen, die Maß und Mitte um der Humanität willen verteidigen, wie Ionescos Behringer, kommen womöglich schwere Zeiten zu. Sieben Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Diktatur, vor deren Anbahnung erhebliche Teile des konservativen Bürgertums erst versagten und dann kapitulierten, ist das früher alarmistisch überstrapazierte „Wehret den Anfängen!“ plötzlich bedrückend aktuell.

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11 Gedanken zu “Die Nashörner kommen – Menetekel einer rechtskonservativen Radikalisierung in vier Szenen;”

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    Sehr geehrter Herr Püttmann,

    Ihr behaupteter „Konservativismus“ scheint vor allem im Bewahren des linksliberalen Status Quo zu bestehen.

    Zwar erkennen Sie selbst „die jahrzehntelange kulturelle Hegemonie linker oder linksliberaler Mehrheiten zurückzuführen sein, welche Medien, Kulturszene, Geistes- und Sozialwissenschaften sowie die evangelische Kirche besonders prägten“ und schreiben, dass es „ein heftiges Aufbegehren“ dagegen „nicht überrascht“, da „die Verfechter konservativer Werte … durch die Euro- bzw. Schuldenkrise, den Siegeszug der Ehe bzw. ‚eingetragenen Partnerschaft‘ für gleichgeschlechtliche Paare, die zunehmende Religions- und Kirchenkritik sowie Deutschlands Transformation in ein multireligiöses, multiethnisches Einwanderungsland so nachhaltig verärgert“ wurden.
    Mich überrascht es auch nicht. Sicherlich könnte man sich manchmal einen feineren Ton wünschen, doch im politischen Wettstreit zählt manchmal auch Lautstärke. Jetzt dreht sich der Wind. Sie bedauern das, ich begrüße es. Und die hysterische „Weimar“-Anrufung sowie Nashorn-Allegorien führen nicht weiter. Vielleicht sollten all jene linksliberal angehauchten Patentdemokraten anerkennen, dass es in einer Demokratie legitim ist, links, mittig oder eben auch recht-demokratisch zu sein. Jetzt kommt auch in Deutschland nach dem jahrelangen Linksdrift der Merkel-CDU eine rechtskonservative Kraft auf. Ich freue mich darüber.

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    Lieber Andreas, Danke für Deinen deutlichen Artikel, der leider durch den Weggang von Olivier Ndjinbi-Tshiende aus Zorneding so bitter unterstrichen wird. Der sehr gute Ionesco-Bezug macht klar: Immer da, wo intellektuell kurzgeschlossen wird und die zivilisatorischen Errungenschaften plötzlich nicht nur Wohlstand bringen, sondern auch anstrengend werden, muss die „Natur“ als Referenz für Verrohung und Simplifizierung herhalten. Als Dickhäuter muss man sich die Frage „Was ist der Mensch?“ nicht mehr stellen – aus den „Nashörnern“ spricht hinter der politischen Warnung auch eine anthropologische Scham. Der Verlust an Mitgefühl ist für uns Christen zutiefst entsetzlich, ganz besonders da, wo das Selbstverständnis sich mit christlicher Symbolik spickt.

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    Lieber Herr Püttmann, vielen Dank füpr diesen sehr schönen, wenn auch leider treffenden Artikel! Der „blonde Hans“ hat nichts verstanden, aber ich glaube, das ist bei Nashörnern auch nicht ganz so leicht.

    Bei der Gelegenheit: Lieber Herr Piel, schön, von Ihnen zu lesen! Mit Ihrer Bemerkung zur „Achse“ haben Sie meiner Meinung nach leider vollkommen recht. Ich hoffe, es geht Ihnen gut!

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    Hervorragender Artikel mit einem einzigen Makel, aus meiner Sicht. Ein Mensch, der für die Enteignung vieler Menschen steht, wird als solcher nicht erkannt oder benannt. Wer enteignet steht immer auf der falschen Seite, egal ob rechts, links oder mittendrin.

    Alle anderen Passagen dieses Textes: Perfekte zeitgenössische Analyse der Entwicklungen im ZUsammenhang mit den Flüchtlingsströmen, mit der leider wieder an vielen Rändern eskalierenden und deplaztierten „Fremdenfeindlichkeit“. Aufgezeigt wird genau beobachtet die Radikalierung der Massen, wiedergespiegelt in den sozialen Medien. Ein sehr lesenwerter Beitrag.

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    Liest man Ionesco so, als wären die Nashörner radikale Moslems, quasi eine dramatischer Vorläufer von „Unterwerfung“, dürfte schnell klar werden, woher der Rechtsruck kommt. Gut 40 Prozent aller Moslems in Deutschland lehnen beispielsweise die Demokratie ab, die ihnen erlaubt, frei und ohne Einschränkungen ihre Religion auszuüben. Dass sich die verfehlte Integrationspolitik irgendwann auf diese Art und Weise rächen würde, dürfte jedem Verantwortlichen klar gewesen sein. Falls nicht, umso schlimmer.
    Früher, in Zeiten ohne Internet, waren die sogenannten Stammtische das Forum. Daneben treibt das eher brüchige Demokratieverständnis der sogenannten ‚großen Volksparteien‘ selbst gebildete und liberale Menschen an den rechten Rand. Wen man, wenn er kritisch nachfragt, als ‚Pack‘ bezeichnet, lässt sich das nicht gefallen – verständlicherweise. Der Zynismus, mit dem die Politik gegenüber dem ‚Stimmvieh‘ agiert, kann nicht länger übersehen werden.
    Die Radikalisierung geht vom Politikversagen aus. Wie wird mit Menschen umgegangen, die die Politik hat durch’s Raster fallen lassen? Welcher psychologische Reflex wird sichtbar, wenn nicht nur der Eindruck entsteht, dass Medien verschleiern, verschleppen und abwiegeln? Dass das alles aus einer Haltung des guten Willens heraus geschieht, ändert nichts an der Tatsache, dass das Ur-Vertrauen in Politik und Politiker in den letzten 15 Jahren nachhaltig erschüttert wurde.
    Ich fühle mich an die Agonie der DDR-Politik erinnert: hängst du keine rote Fahne zum 1.Mai aus dem Fenster, bist du gegen den Weltfrieden. Fehlerdiskussion? Fehlanzeige. Es ist viel bequemer Kritiker oder auch nur Frager als ‚Pack‘ zu deklassieren, denn nach den Ursachen zu forschen. Aufarbeitung der Politikversäumnisse bei der Integration? Fehlanzeige. Die Duldung von Parallelgesellschaften, die Kapitulation vor krimineller und religiöser Macht ist die Straße, auf der geradewegs Menschen nach rechts getrieben werden. Bekämpfung der Flüchtlingsursachen? Fehlanzeige. Waffenexporte und ‚Kuschelkurs‘ mit religiösen Diktaturen wird auch weiterhin ideologische Reflexe auslösen. Wer jahrelang Gelder für Jugendarbeit in Städten und Gemeinden streicht, muss sich nicht wundern, wenn rechtsradikale in dieses Vakuum stoßen.

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    … werter Hr. P., dass Menschen zu Nashörnern mutieren ist Fantasie. Nur Verwirrte sehen überall Hörner. Bestenfalls ist ‚Ihr‘ Rhinozeros eine Fabel.

    hans

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    In einigen der genannten Beispiele, etwa bei der „Achse des Guten“ hat man sich die Geister oder Nashörner erst einmal selbst ins Haus geholt, obwohl die Ausbeulung im Gehirn schon früh zu erkennen war.

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    „Der Feind steht rechts“ – galt doch schon die ganze Zeit in der BRD, seit ich lebe. Jetzt wo sie aus linker Sicht gefragt wäre, weil der jahrelange Linkstrend sich erstmals mit Gegenkräften konfrontierte sieht, hat sich die Parole verbraucht.

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