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Russland und der Westen

Die Flüchtlingsproblematik hat einen Konflikt fast völlig in den Hintergrund treten lassen, der zuvor die internationale Politik und die öffentliche Debatte beherrscht hatte: den Konflikt mit Russland wegen seiner Aggression gegen die Ukraine. Nur beim militärischen Eingreifen Russlands zugunsten des syrischen Herrschers Assad im Herbst 2015 flammte die Diskussion über Putins geopolitische Ambitionen für kurze Zeit wieder auf.

Vor kurzem äußerte sich Putin in einem Interview mit der BILD-Zeitung zu der Isolierung, in die Russland durch seine aggressive Außenpolitik geraten ist. Einige Sätze ließen aufhorchen. So sagte er, er würde gerne wieder mit der NATO verhandeln und auch gerne wieder in die Gemeinschaft der G 8-Staaten zurückkehren. Russland wolle keine Supermacht sein, da dies „zu teuer“ sei. Bisher war Putin nichts zu teuer. Er hat das Militär massiv aufgerüstet, zahlreiche moderne Waffensysteme eingeführt, um mit der NATO „auf Augenhöhe“ agieren zu können. Die Annektierung der Krim und die Unterstützung der „Separatisten“ im Donbass verschlingen Milliarden. Die Sanktionen des Westens, die im Gefolge der Aggression verhängt wurden, haben Russlands Wirtschaft massiv geschadet. Nein: Kosten hat Putin bisher nie gescheut, wenn es galt, Machtpolitik zu demonstrieren.

Es gibt einen Grund für Putins erstaunliche Worte in BILD: der sinkende Ölpreis. Seit über einem Jahr befindet sich der Preis für Erdöl im freien Fall. Er ist von 120 $ pro Fass auf 29 $ im Januar 2016 gefallen – das Ende des Absturzes ist nicht absehbar. Wenn der Iran nach der Aufhebung der Sanktionen wieder auf dem Ölmarkt erscheinen wird, könnte sich der Preisverfall noch beschleunigen. Die dahindümpelnde Weltwirtschaft und das schwächelnde China haben die Nachfrage nach Erdöl erheblich gedämpft. Das große Überangebot an Erdöl hat den Preis in den Keller geschickt. Russland berechnet seinen Staatshaushalt immer nach dem mutmaßlichen Erdölpreis. Diese Rechnung musste in Schritten von 100 $ auf heute 50 $ reduziert werden. Die nächste „Anpassung“ ist absehbar. Der schwache Rubel hat die für die Industrie nötigen Importe so verteuert, dass kaum noch investiert werden kann. 3,1 Millionen Russen sind allein im vergangenen Jahr unter die Armutsgrenze geraten. Der Verfall des Rubels und eine Inflationsrate von 20% bei Lebensmitteln treiben immer mehr Menschen in die Armut. Die nationale Statistikbehörde Russlands gab bekannt, dass 2015 22,9 Millionen Russen unterhalb der Armutsgrenze lebten. Das sind 15 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Der wirtschaftliche Einbruch hat nicht nur sehr viel Kapital ins Ausland getrieben. Auch viele Russen, vor allem junge und gut ausgebildete, verlassen das Land, das für kreative und frei denkende Menschen kaum noch Attraktivität besitzt. Im Silicon Valley Kaliforniens gibt es schon eine russische Gemeinde junger Kreativer, die helfen, die digitale Wirtschaft des Erzfeindes USA weiterzuentwickeln. Brain Drain auf Russisch.

Es ist schon bestürzend, wie wenig Putin in seiner verborten Geopolitik die Mechanismen der Moderne versteht. Eine Politik des Landraubs wie im 19. Jahrhundert führt in der modernen Welt eher zur Verarmung, als dass es ein Land entwickeln hilft. Und Russland hat einen riesigen Nachholbedarf an wirtschaftlicher, kultureller, technologischer und vor allem wissenschaftlicher Entwicklung. In der ZEIT nannte Josef Joffe Russland ein „Drittweltland mit Erste-Welt-Waffen“. Verwunderlich ist, dass Putin die Diversifizierung der Wirtschaft, die ihm von allen internationalen Wirtschaftsinstitutionen seit Jahren dringend ans Herz gelegt wird, noch nie ernsthaft in Angriff genommen hat. Zu verlockend war es, die sprudelnden Einnahmen während des Öl-Booms stets für aktuelle machtpolitische Abenteuer auszugeben. Und die endemische Korruption tut das Ihrige.

Wie das Volk tatsächlich über Putins Politik denkt, ist schwer in Erfahrung zu bringen. In einer extrem nationalistisch aufgeheizten Atmosphäre, in der vorsichtige Fragen nach den Kosten der Kriege in der Ukraine und in Syrien, schon als Hochverrat gelten, wird kaum ein Russe seine ehrliche Meinung kundtun. Zumal die Meinungsumfragen immer von staatlichen oder halbstaatlichen Instituten durchgeführt werden. Man kennt den Mechanismus von anderen Diktaturen: Höchste Zustimmungswerte bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Regime plötzlich kollabiert. So weit ist es mit Russland sicher nicht. Trotzdem sollte der Westen einkalkulieren, dass es vor allem in der städtischen Mittelschicht eine nicht unerhebliche Zahl kritischer Bürger gibt, die den Konfrontationskurs Putins gegen den Westen nicht unterstützen. Bei der netzaffinen Jugend werden die Vorbehalte noch größer sein.

Der französische Philosoph Alain Badiou hat den islamistischen Hass gegen den Westen und seine freie, hedonistische Lebensart als ins Aggressive umgelenkten Neid bezeichnet. Da die Sehnsucht der Muslime, so zu leben wie die Menschen in den reichen Staaten des Westens, nicht in Erfüllung geht, weil ihre Gesellschaften völlig am Boden liegen, wollen sie das Objekt der Begierde zerstören. Ähnlich verhält es sich mit der Aversion der Russen gegen den Westen. Die intellektuellen Vordenker des Putinschen Machtstrebens geben sich alle Mühe, diesen Sachverhalt zu verschleiern, indem sie eine russische Identität konstruieren, die dem westlichen Denken überlegen sei. Putin hat dieses Denkmuster übernommen, wenn er sagt: „Ich denke, dass der russische Mensch, oder allgemeiner der Mensch in der russischen Welt, vor allem anderen an seine moralische Verpflichtung denkt, an eine höchste moralische Wahrheit.“ Den Menschen im Westen unterstellt er Egoismus, den Kampf „für das persönliche Selbst.“ Das nennt er dann gerne auch den „Verfall der Werte“ durch Wohlstandsgläubigkeit und Libertinage (Homosexualität). Merkwürdig ist nur, dass die politische Elite ihre Kinder gerne in den „egoistischen“ Westen schickt, um sie dort an Eliteuniversitäten studieren zu lassen. Auch komplizierte medizinische Behandlungen werden gerne im Westen in Anspruch genommen.

Die russische Propaganda kritisiert die „Wohlstandsgläubigkeit“ des Westens, weil die Regierung dem eigenen Volk keinen Wohlstand bieten kann. Und die Freiheit der Lebensführung ist auch für die Menschen in Russland ein erstrebenswertes Ziel. Im Grunde entpuppt sich die Formel von der Überlegenheit der russischen Seele als „Neid der Besitzlosen“, denen ein Leben in Wohlstand und Würde seit Generationen vorenthalten wird. Der Muschik im Zarenreich, der Genosse im Sowjetreich und jetzt der Patriot in Putins Reich – immer mussten sie kuschen und sich einer Politik fügen, die die Interessen der Herrschenden für ihre Interessen ausgab. Wie das Christentum die Armen über das irdische Jammertal hinwegtröstet, indem es ihnen ein erfülltes Leben nach dem Tod verspricht, so verspricht die gegenwärtige Kreml-Ideologie den verarmten Russen ein Leben in „nationaler Würde.“ Heine sagte zu solchen Vertröstungen oder Surrogaten: „Das Himmelreich überlassen wir den Engeln und den Spatzen“.

Die westliche Politik sollte sich nicht auf diese falsche Fährte – die Suche nach der Eigenart des russischen Volkscharakters – locken lassen, sondern lieber fordern, dass Putin das Völkerrecht und die Menschenrechte einhält. Diese sind nämlich auch mit der russischen Seele vereinbar.

 

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13 Gedanken zu “Russland und der Westen;”

  1. avatar

    Sehr geehrter Herr Werner!
    Was sagen Sie zu sowas?:
    „Deshalb ist es wohl nicht verwunderlich, dass die „Bohr-Einstein debates about quantum mechanics“ von Wikipedia in acht Sprachen erläutert werden und zwar auf Englisch, Französisch und Spanisch, ja sogar auf Arabisch, Chinesisch (Zhongwén), Koreanisch und Türkisch, nicht dagegen auf Deutsch. Ernst Peter Fischer schreibt dazu: „Der Dialog zwischen Bohr und Einstein gehört zu den philosophisch spannendsten Texten, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Charakteristisch für die Unbildung unserer Eliten ist die Tatsache, dass die meisten nicht einmal wissen, dass es ihn gegeben hat.“ Demgegenüber ist der Wikipedia-Eintrag über Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro in 102 Sprachen erschienen.“

    Allerdings auch dies:
    „Das bezieht sich nicht nur auf die so genannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik): „Große Schwächen bestünden selbst bei Germanistikstudenten in der Rechtschreibung und der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit.“ Bei diesem Satz klickte es in meinem Langzeitgedächtnis und das Bild eines vollen Hörsaals der Uni Freiburg im Sommersemester 1962 trat in mein Bewusstsein. Ich saß als Jurist in der Vorlesung „Grundausbildung im Sprechen (Atmung, Stimme, Lautung, Lesen)“, für Germanistik-Studierende Pflicht, für mich Kür. In der (einzigen) schriftlichen Übung ging es darum, zehn vorgegebene Wörter in Lautschrift zu schreiben. Das erschien mir so primitiv, ja geradezu lächerlich, dass ich kurz erwog, mein Blatt gar nicht abzugeben. Aber da ich den „Schein“ wollte, tat ich es doch. Nach der nächsten Stunde, in der die „Klausuren“ zurückgegeben wurden, bat mich der Dozent in sein Arbeitszimmer, weil er offensichtlich jemanden „zum Reden“ brauchte. Er gratulierte mir zu meinen null Fehlern, was mir äußerst peinlich war; denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass es andere als fehlerfreie Arbeiten gab. Doch dann sagte er mir, dass mehrere „Germanisten“ im zehnten Semester bis zu 15 Fehler gemacht hätten, was bedeutete, dass sie in einigen der zehn Wörter zwei oder mehr Fehler gemacht haben mussten. Ich war verblüfft, der Dozent erschüttert. Dieses natürlich keineswegs repräsentative Erlebnis zeigt eines: Völlig überraschend dürften die jetzigen Ergebnisse und Erkenntnisse nicht sein.“
    http://www.achgut.com/artikel/.....eutschland

    Ist das Niveau wirklich so unten? Wäre ja erschütternd.

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    Heute fiel mir ein echter Clash of Culture auf:
    Wenn Heiko Maas neben Anton Hofreiter sitzen würde.
    Neben Cem Özdemir ginge dagegen prima.
    Will sagen, dass die Brüche in dieser Republik keineswegs gerade verlaufen.

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    Unten, wie Sie ja wissen, Herr Werner, wurde ich gefragt, was das aus meiner Sicht sei, konservativ. Das ist für mich auf keinen Fall, dass man sich einen großen Fisch oder eine Art Rüstung in seinen Blogpost holt. Windmühle kann man den auch nennen, passend zu Don. Aber zu merken, das jemand das Herz am richtigen Fleck hat, ist zweifellos gut alt konservativ. Gut, lieber, am herzlichsten von allen Frauen hier: Eva Quistorp:
    http://www.welt.de/debatte/kom.....enner.html

  4. avatar

    Will man die Russen jetzt verarschen?:

    „Die Berliner Polizei erklärte daraufhin am vergangenen Montag: „Fakt ist – nach den Ermittlungen unseres LKA gab es weder eine Entführung noch eine Vergewaltigung.“ Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, man ermittle wegen sexuellen Missbrauchs aufgrund des Alters des Mädchens, gehe aber von einem einvernehmlichen sexuellen Kontakt aus.“

    „Eine 13-Jährige soll in Berlin von Ausländern entführt und vergewaltigt worden sein. So jedenfalls wurde es in Internetforen dargestellt. Doch die Polizei ist sich sicher: Das stimmt alles nicht.“

    Seit wann ist „Sex“ mit Dreizehnjährigen „einvernehmlich“? Anm.: K.o.-Tropfen lassen sich nur kurz danach nachweisen.

    http://www.welt.de/politik/deu.....ewalt.html
    http://www.welt.de/politik/deu.....ender.html

  5. avatar

    Unpräzise:
    „Mehr als eine Million Menschen kam im vergangenen Jahr aus dem Nahen Osten nach Europa, die meisten waren syrische Bürgerkriegsflüchtlinge.“ Quelle s.u.

    Der Leser soll denken, was er spontan denkt: 900.000 sind Syrer. Hier eine ältere Statistik. In neueren wäre vermutlich Albanien mit Marokko oder Afghanistan vertauscht:
    http://de.statista.com/statist.....bewerbern/

    Es müsste also korrekt zu jenem Zeitpunkt heißen: Etwa die Hälfte von ihnen sind Syrer und Iraker. Demnach hätte man der anderen Hälfte den Zugang verweigern können, was einen Unterschied gemacht hätte.
    Quelle für die unpräzise Ausführung, leider aus einem von mir geschätzten Journal:
    http://www.welt.de/politik/aus.....Union.html
    PS: Die neueren Statistiken waren zu klein, bitte um Entschuldigung, aber die meisten hier wissen sich zu behelfen. Mein Beispiel ist klar.

  6. avatar

    Nachtrag zu vorigem OT:
    Der Mann ist präzise, ein Ausdruck, den er öfter verwendet. Etwas mehr Präzision täte allgemein gut: Trennung von Wirtschaftsmigration und Asyl beispielsweise auf Regierungsseite. Etwas genauere belegbare Vorwürfe auf Seiten der AfD zum Beispiel.
    Präzise: Stefan Aust
    http://www.welt.de/wirtschaft/.....enden.html
    PS: Übrigens sollte Broder auch zu seiner früheren Präzision zurückkehren, zu messerscharfen Analysen, die er kann, und etwas weniger Auto fahren oder sagen: „Freunde, ich bin auf dem Altenteil. Unter meinen Arsch passt nur noch ein Rolls.“

  7. avatar

    Kurzes OT an Ziegler und Don

    Ich habe meine Meinung revidiert. Er ist wahrscheinlich Daniel-Pascal Zorn, siehe Poseners Post über Broder, und ehrlich gesagt, man kann was von ihm lernen. Witzig, dass er Zorn heißt, denn lernen kann man Coolness und die Wut ‚rausnehmen. In diesen Zeiten braucht man eher ruhig Blut und Argumente. Schwierige Zeiten werden noch schwieriger, wenn der Kessel überkocht. Wir haben uns ja auch nicht in einen Hexenkessel gegen Russland treiben lassen, die Mehrheit der Deutschen. Es lohnt sich, ihn zu lesen, auch wenn’s ausführlich ist. Das ist eine Dialektikschule.
    Was er meint, muss egal sein. Meinungsfreiheit ist auch die Meinung des Anderen. Die Methodik ist interessant.

  8. avatar

    Sehr erhellend die Analyse der Geopolitik von Putin und die Folgen für sein Land. Er glaubt an den Vorrang des Politischen. Das hat schon im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege ausgelöst; denn auch Nationalisten und Nationalsozialisten hatten diesen Irrglauben. Es wird sich zeigen, ob die bereits wirksamen Ökonomischen Konsequenzen ihn belehren.
    Was für eine brutale Lektion!

  9. avatar

    Was ist das für ein Quatscher auf dem post hier drunter? Muss man das lesen? Lang und länger.

    Sehr geehrter Herr Werner!
    Sie zitieren
    Putin hat dieses Denkmuster übernommen, wenn er sagt: “Ich denke, dass der russische Mensch, oder allgemeiner der Mensch in der russischen Welt, vor allem anderen an seine moralische Verpflichtung denkt, an eine höchste moralische Wahrheit.”

    Litvinenko dreht sich im Grab um und umarmt Anna Politkovskaja. Lachen können die nicht mehr.

  10. avatar

    Ich kenne nur wohlhabende Russen, und die sind unglaublich. Die schmeißen einem alles nach, zuerst ihr Herz, wenn sie beschlossen haben, dass man vertrauenswürdig ist. Mit ein paar Russen an der Seite wäre das in Köln anders ausgegangen.
    Sie haben letztlich eine nicht Frankreich, aber dem Rest des Westens überlegene Kultur, und es ist eine Tragik, dass diese vom Kommunismus abgemäht wurde. Putin, glaube ich eher, wollte die wieder herstellen. Für die saudische Öl-Manipulation kann er nicht, für den Kommunismus auch nicht. Den Armen hat er mehr Butter auf’s Brot gegeben, dass mit der Weltwirtschaft ‚rumgepantscht wird und zwar etwa so, wie das Frank Schirrmacher angedeutet hat, ist nicht sein Fehler.
    Dass er seinen Vorgarten nicht aufgibt, kann man ihm nicht verdenken. Die Amerikaner wären auch fuchsig geworden, wenn Kuba plötzlich in Florida gesessen hätte mit den Russen.
    Die jetzige amerikanische Administration hat Russland schlicht zu wenig respektiert, und unser kleiner Pudel hat das brav imitiert.
    Für den Satanismus in Kirchen hatte ich nur Verachtung übrig. Ich hätte die auch zur Abschreckung mal kurz eingelocht. Wenn die Russen sich mal öffnen sollten, dann hoffentlich nicht gegenüber diesem grassierenden Infantilismus.
    Sie haben neben den Deutschen die berühmtesten Komponisten. Wo die Deutschen das c-moll Klavierkonzert von Beethoven haben, warten die Russen mit dem von Rachmaninov auf. Kulturbeflissene, die von Kommunisten gejagt wurden, machten traditionell nach Paris, wo ja auch Chagall groß wurde. Dissidenten und MINT-Genies gingen gern nach Amerika (Familie Brin ist ein gutes Beispiel).
    Die verdammte Kohle, der Ölpreis, die erpresserischen Sanktionen, könnte dazu führen, dass die Russen vorübergehend ihren Stolz verlieren, und dann Gnade uns Gott. Niemandem ist gedient, wenn alte große Kulturnationen ausgeblutet werden, Iran gehört auch dazu. Die Mossadegh-Sache war hirnrissig, alles wegen Öl. Öl war der Gott der Fehler. Die Pahlewis wären vielleicht heute noch da statt Groß-Ayatollahs, wenn die Mossadegh-Sache nicht passiert wäre. Ashrab, die Zwillingsschwester des Shahanshah, war sehr engagiert für Menschenrechte.
    Nein, das ist es nicht: „Im Grunde entpuppt sich die Formel von der Überlegenheit der russischen Seele als “Neid der Besitzlosen”, denen ein Leben in Wohlstand und Würde seit Generationen vorenthalten wird.“
    Es ist so, wie es ist: Bei freier Wahl käme ein Donald dort nicht so weit. Die aufgerissenen schreienden Mäuler auf beiden Seiten des Parteienspektrums, das Gekreische bei Auftritten, sind einfach kein Vorbild. Die Kultur, unsere, der letzten fünfzig Jahre, ist dünn. Die Verwunderung ist viel zu groß, dass sie keiner außen will. Die wollen nicht Madonna statt Prokofjew oder Strawinsky, die haben keine Lust auf alberne Zuckungen statt Kasatschok. Die haben wie die Perser Dichter und brauchen unseren hohlen Shit nicht. Die wissen, dass hier Leute im Fernsehen kursieren, die Shakespeare für eine Popgruppe halten, und dass Freiheit auch bedeutet, dass Fünfzehnjährige sich besaufen und die halbe Nacht auf Achse sind.
    Das einzige, was sie brauchen, sind vernünftige Rohstoffpreise. Und eine Welt ohne Riad wäre sicher besser für sie. Aber unterlegen sind sie uns nicht. Und wenn sie aus Russland zu Besuch kommen, bringen sie die schwarzen Körner mit. Wir servieren französischen Wodka.
    Und ich habe einen Verdacht: Dass es Putin durchaus bewegt, was IS mit Jesiden und Christen und Kultur und Klöstern angestellt hat, durchaus. Hier schien das den Leuten am Arsch vorbeizugehen. Hier laufen solche Jammerlappen ‚rum, denen nichts wichtiger ist, als dass Homosexuelle in Russland mehr Rechte haben, oh je. Homosexuelle haben selten Kinder und können nach Berlin ziehen. Christen im Irak dürften Volker Beck egal sein, aber Putin vielleicht nicht ganz. Das ist der Unterschied. Und deswegen haben die Russen hier Freunde. Hier ticken viele nicht mehr richtig, sind in Ecken gerutscht, die sie als Normalität definieren.

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    In Russland denken viele noch in den klassischen Machtkategorien und –strategien, wie sie etwa von Machiavelli behandelt werden. Diese haben sich in vielen Bereichen überlebt und wir haben in einer globalisierten Welt längst eine Art „Macht 2.0“ erlangt. Die Russen müssen hier noch einiges lernen. Auf der anderen Seite dürfen wir auch nicht so naiv zu sein zu glauben, dass traditionelle Machtstrategien sich völlig überlebt haben, es gibt noch genug Bereiche, in denen sich weitaus weniger geändert hat, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag.

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