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Die Außenpolitik der AfD

Will die „Alternative für Deutschland“ jene Leerstelle im politischen Spektrum ausfüllen, die durch Angela Merkels Modernisierung der CDU entstanden ist, muss sie auf allen Feldern der Politik Konzepte entwickeln und darf keine Ein-Thema-Partei bleiben. Ein solcher Versuch birgt zugleich das Risiko der Spaltung, da die Partei gerade wegen der Unbestimmtheit ihrer programmatischen Aussagen bislang Menschen mit ganz verschiedenen Vorstellungen angezogen hat, für die der Anti-Euro-Kurs der Partei eine Art Kristallisationskern gebildet hat. Diese grundlegende Problematik will ich hier nicht weiter erörtern, weil ich neulich in der „Welt“ ausführlich darüber geschrieben habe:

 

http://www.welt.de/politik/deutschland/article124205676/Die-AfD-Portraet-einer-zerrissenen-Partei.html

 

Auf den Parteitagen und Veranstaltungen der AfD sowie in den einschlägigen Online-Foren spielt die Außenpolitik kaum eine Rolle. Das ist bei den anderen Parteien kaum anders. Deren außenpolitische Positionen kann man freilich in ihren Programmen nachschlagen. Bei der AfD gibt es hierzu lediglich ein „Thesenpapier“ des 2. Sprechers der Partei, Alexander Gauland. Hier ist es:

 

https://www.alternativefuer.de/2013/09/11/thesenpapier-aussenpolitik/

 

Was sofort auffällt, ist dass dieses Programm gemäßigt und realistisch ist. Es stellt keine Bündnisverpflichtungen in Frage, schon gar nicht die grundsätzliche Orientierung der deutschen Politik; in so fern ist es weit weniger radikal und populistisch als etwa jenes der Linkspartei.

Ich fasse die wichtigsten Punkte zusammen:

  1. Westorientierung. Anerkennung der USA als Führungsmacht. Die Nato wird nicht explizit erwähnt, außer kritisch als Wortbrecher gegenüber Russland, aber man darf annehmen, dass die Mitgliedschaft in diesem Militärbündnis nicht in Frage gestellt wird.
  2. Verbleib in der EU;  Vertiefung des Binnenmarkts, aber Auflösung der Einheitswährung und Repatriierung einiger Kompetenzen an die Nationalstaaten.
  3. Absage an die weitere Ausdehnung der EU auf dem Balkan, im ehemals russischen Einflussgebiet – Ukraine, Weißrussland, Georgien usw. – und an die Aufnahme der Türkei. Absage an EU-Weltmachtsambitionen und an Militäroperationen, die nicht „vitalen nationalen Interessen“ im „angrenzenden Raum“ dienen, aber projektbezogene Kooperation mit anderen EU-Staaten bei Interventionen etwa im Mittelmeerraum oder in Afrika.
  4. Abkehr von der Sicherheitsgarantie für Israel.
  5. „Rückversicherungspolitik“ gegenüber Russland; Kooperation statt Konfrontation. Anerkennung der Tatsache, dass Russland in einer „anderen Wertewelt“ lebt.

 

Den Punkten eins und zwei stimme ich zu. Als Autor eines Buchs mit dem Untertitel, „Warum Europa Weltmacht werden muss“ kann ich natürlich nicht ohne Weiteres dem Programmpunkt drei zustimmen; und den Programmpunkt vier halte ich nicht nur aus historischen Gründen, sondern angesichts der Tatsache, dass Israel der einzige Staat in der Region ist, der in „unserer Wertewelt“ lebt, für fatal. Den Punkt fünf halte ich aber für den Schlüssel zum Verständnis des gesamten Thesenpapiers und für brandgefährlich.

 

Bevor ich aber darauf eingehe, will ich kurz auf einige Formulierungen verweisen, die den Zusammenhang herstellen zu der geschichtspolitischen Diskussion, die wir in den letzten drei Wochen hier geführt haben. Der Zusammenhang wird von Gauland selbst in Gesprächsrunden immer wieder betont; es handelt sich also nicht um eine Konstruktion meinerseits.

Am deutlichsten wird der Zusammenhang in folgender Passage:

„Eine Sakralisierung Europas im Sinne eines Gegenentwurfes zum angeblich gescheiterten Nationalstaat, wie sie der Europäische Gerichtshof in Luxemburg regelmäßig vertritt, wird es mit uns nicht geben. Das heißt aber auch, die EU sollte darauf verzichten sich als Weltmacht im Verhältnis zu Russland, China oder den Vereinigten Staaten zu definieren zu versuchen. Das hindert die Länder der EU nicht daran, europäische Interessen auch mit militärischen Mitteln in angrenzenden Gebieten von vitalem Interesse, also zum Beispiel im Mittelmeerraum, gemeinsam wahrzunehmen. Deutschland wird bestimmt nicht am Hindukusch verteidigt, es kann aber durchaus die Notwendigkeit bestehen, es vor Bengasi oder Tunis zu verteidigen. Hier bestehen Übereinstimmungen mit unseren europäischen Partnern zum Beispiel in Paris und London, die nicht vom Euro und auch nicht von einer Achse Paris-Berlin, sondern vor einer geografischen wie historischen Interessenidentität bestimmt werden, die in Jahrzehnten gewachsen ist. Nicht eine immer stärkere Vereinheitlichung und Zentralisierung, sondern eine dezentrale projektbezogene Zusammenarbeit der europäischen Nationalstaaten verspricht den größten Integrationserfolg.“

 

Die Zurückweisung der angeblich in Deutschland vorherrschenden Vorstellung, der Nationalstaat sei gescheitert, die Zurückweisung der „Sakralisierung“ Europas als friedensstiftende Macht; die Forderung nach dem Ende „moralisierender“ Außenpolitik und dem Bekenntnis zu einem gesunden „Nationalismus“, das heißt einem von nationalen – auch materiellen – Interessen diktierten Handeln: Dies sind ja auch die Ausgangspunkte, die in der – nicht nur von mir – kritisierten Essayserie als Lehren aus dem Ersten Weltkrieg präsentiert werden. Dazu hat Richard Herzinger in der „Welt“ Kluges geschrieben:

 

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article124238457/Was-uns-die-Urkatastrophe-wirklich-lehrt.html

 

Warum aber eine größere Rolle für die Nationalstaaten innerhalb der Union einhergehen soll mit einer Absage an den Anspruch, Weltmacht zu sein, erschließt sich dem Leser nicht ohne weiteres. Tony Blair hat im Gegenteil die Abweisung einer „immer engeren Union“ und die Befürwortung einer größeren internationalen Rolle für Europa in eine Formel zusammengebracht: „A superpower, not a superstate.“ Dieser Argumentation folgt auch mein Europabuch.

Gerade wenn die EU nicht mehr bestimmt wird von der – an ihrem Anfang zweifellos zu Recht bestehenden – Angst vor dem nationalen Gegensatz zwischen Deutschland und Frankreich und auch nicht von dem – nach wie vor bestehenden – Auftrag, die auf dem Kontinent herrschenden nationalen Gegensätzen in supranationalen Institutionen aufzufangen und auszuhandeln; und zumal wenn ihre Aufmerksamkeit und Energie nicht länger aufgesogen würden von der durch die Gemeinschaftswährung heraufbeschworenen Krise, könnte sich die Konföderation der nahe liegenden Aufgabe widmen, eine gemeinschaftliche Außen- und Sicherheitspolitik zu widmen und die enorm verschwenderische und ineffektive Situation zu überwinden suchen, in der die 28 Länder 28 Armeen und Armeechen mitsamt Generalstäben, Beschaffungsämtern, Akademien, Forschungseinrichtungen und Geheimdiensten unterhalten. Nirgends ist die Zusammenlegung – nicht Aufgabe! – von Souveränität sinnvoller als auf diesem Gebiet, auf dem Europa immerhin halb so viel Geld ausgibt wie die USA, aber nicht einmal ein Zehntel so effektiv ist.

Gauland spricht leichthin von „dezentralen und projektbezogenen“ Operationen vor „Tunis und Bengasi“, als handele es sich um den Aufbau von Öko-Bauernhöfen. Aber schon bei der letzten „dezentralen und projektbezogenen“ Aktion vor Bengasi waren die Briten und Franzosen, die auf den Einsatz gedrängt und eine widerstrebende USA mit herein gezogen hatten, nach wenigen Tagen mit ihrer Kraft am Ende; ohne die Feuerkraft der Amerikaner hätte Muammar al-Gaddafi gesiegt. Eine ausführliche Analyse dieses Fiaskos, eingebettet in eine Kritik der europäischen Politik im Mittelmeerraum, findet man hier:

 

http://www.bpb.de/apuz/33128/arabischer-fruehling-europaeischer-herbst-essay?p=all

 

Ich würde sogar weiter gehen und unter Bezugnahme auf die „Federalist Papers“ sagen: Wenn Europa nicht die Fähigkeit entwickelt, gemeinsam als Weltmacht zu handeln, und zwar diplomatisch und militärisch, wird es weder zur Wahrung der Interessen seiner Mitglieder noch erst recht zur Wahrung seiner moralischen Werte imstande sein. Man sieht in Syrien etwa, wohin es führt, wenn die Gegenspieler des Westens und Feinde unserer „Wertewelt“ damit rechnen können, dass wir weder den willen noch die Fähigkeit haben,  ihnen entgegenzutreten und unseren Freunden beizustehen. Völlig zu Recht hat dieser Tage Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf die Bedeutung Afrikas hingewiesen – und darauf, dass man humanitäre und interessegeleitete Einsätze nicht trennen kann: Es ist ja in unserem Interesse, dass unsere Werte dort geachtet werden.

 

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/von-der-leyen-fuer-staerkeres-engagement-der-bundeswehr-im-ausland-a-945568.html

 

Dass aber schon die von der Verteidigungsministerin angeregte Aufstockung des deutschen Kontingents in Mali von gegenwärtig 99 auf die vom Parlament bereits gebilligten 180 Einsatzkräfte auf den entschiedenen Widerstand des Außenministers trifft, zeigt, dass – worauf Richard Herzinger in seinem Essay verweist – die Deutschen nicht gerade unter dem Drang leiden, sich überall auf der Welt für das Wahre, Schöne und Gute, also für eine „moralisierende“ Außenpolitik, einzusetzen. Im Gegenteil. Die kleindeutsche Politik, die Gauland vorschlägt, dürfte von der überwältigenden Mehrheit der Deutschen gutgeheißen werden.

Doch wenn Gauland ganz im Geist des 19. Jahrhunderts, in dem er geistig nach eigenem Bekenntnis beheimatet ist, zwischen nahen und fernen Einsatzgebieten unterscheidet und schlicht leugnet, dass Deutschlands Interessen auch „am Hindukusch“ verteidigt werden könnten, als gebe es keine Verbindung zwischen einem Al-Qaida-Camp bei Kandahar und  einem Terrorangriff in Köln, dann fragt man sich tatsächlich, wer hier moralisiert – und warum.

 

Denn damit komme ich auf den Schlüssel zum Verständnis des Thesenpapiers. Auf den Vorschlag, Europa vorsätzlich militärisch machtlos und außenpolitisch uneinig zu lassen, auf dass es für das mächtige Russland, dessen Einflusssphäre und „Wertewelt“ keine Herausforderung darstellt.

Nicht zuletzt um diese „Wertewelt“ geht es. Denn Russland bleibt im 21. Jahrhundert, was es im 19. und im 20. Jahrhundert war. Der Hort der Reaktion. Nicht nur, dass Russland mörderische Diktatoren wie Milosevic und Saddam früher, Assad und das iranische Mullah-Regime heute unterstützte und unterstützt; nicht nur, dass Putin in Weißrussland eine Diktatur und in der Ukraine ein repressives Regime an der Macht hält; nicht nur, dass er Dissidenten im In- und Ausland ermorden lässt; dass er alles tut, um Gegensätze in der EU zu fördern und dass er versucht, Erdgas als politische Waffen einzusetzen – Putins Russland avanciert auch zum ideologischen Zentrum der Reaktion in Europa. Wenn es gegen die Rassenvermischung und die Frauenemanzipation, gegen Nichtweiße, Muslime, Juden und Atheisten, gegen Schwule und Umweltschützer, gegen Demokratie und Menschenrechte geht, bildet Russland längst die Speerspitze der Kräfte, die gegen die Moderne agieren – und hat längst der Katholischen Kirche in dieser Hinsicht den Rang abgelaufen.

Ein schwaches, zerstrittenes Europa, das sich bei allen Lippenbekenntnissen zum Westen auch verpflichtet hat, Russlands Interessen und Wertewelt zu respektieren, wie es Gauland vorschlägt, wäre eben – wie Bismarcks Deutschland – nicht mehr wirklich Teil des Westens. Nicht zufällig steht Gauland auch innenpolitisch für einen Rollback der Moderne. Wie er es in einem Beitrag für die FAZ vom 24. Januar 2014 ausdrückte: „Die Verwestlichung und Industrialisierung hat überall Menschen zurückgelassen, denen das Laissez-faire der modernen Gesellschaft viel zu weit geht …“ Es geht ihm unter anderem darum, dass die „Werte, Strukturen und Haltungen“ der Eltern und Großeltern (!) wieder gelten sollen, dass die Familie „aus Vater, Mutter Kind besteht“, dass „heimische Erziehung der Normalfall“ – also arbeitende Mütter die Ausnahme – sein soll, dass endlich eingesehen wird, dass 2multikulturelle Gesellschaften mehr Probleme als Freude bereiten“, um „einen konservativen Gegenpol zu allzu viel Selbstverwirklichung“.

Dabei darf man annehmen, dass Gauland nicht nur, wie er in seinen außenpolitischen Thesen schreibt, Otto von Bismarck als diplomatisches Vorbild, sondern dessen vormodernes Deutschland – oder gar Preußen – als  gesellschaftliches Ideal vorschwebt, ein Ideal, das eher in Russland heute als etwa in der amerikanisierten Bundesrepublik verwirklicht ist. Das wird er zwar so nie sagen. Aber nicht, weil er es nicht meint, sondern, wie es im FAZ-Artikel heißt, weil „diese nationalkonservativen oder nationalliberalen Positionen so vertreten werden (müssen), dass auch Liberale oder sogar Linke damit leben können.“ Auf die Sprache komme es an, denn „Sprache ist dazu da, die Dinge zu verhüllen. Leider haben manche Parteifreunde das Gegenteil verinnerlicht.“

 

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118 Gedanken zu “Die Außenpolitik der AfD;”

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    In etwa so, wie ich es auch empfinde:
    http://www.achgut.com/dadgdx/i.....tun_nur_so
    Kurz: Entscheidend war für mich die Absicht der AfD, Merkels „Alternativlosigkeit“ zu hinterfragen (ich bin von letzterer auch nach wie vor nicht überzeugt). Wenn aber jetzt bereits klar wird, daß das doch nur zu Antworten von anno dunnemals führt, wird das Projekt zumindest für mich uninteressant. Schade. Ich meine: Europa: ja, unbedingt – Euro: nein, war zu früh. Die Rettung ist ein Schrecken ohne Ende. Und das System Putin ist in Russland wahrscheinlich ein kleineres Übel, aber keineswegs die Perspektive, für die sie allzu linke und allzu rechte gleichermaßen halten. Also weitersuchen..

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    Zum Thema:
    http://ef-magazin.de/2014/02/0.....frohnmaier
    Daraus das entscheidende Zitat:
    „Frohnmaier: Ja, wir haben durchgesetzt, dass die JA ein Ende des Konfrontationskurses der Bundesrepublik gegenüber Russland bei gleichzeitiger Fixierung auf die USA befürwortet. Ich bin der Ansicht, dass es uns gut zu Gesicht stehen würde, statt in nicht hinterfragter Vasallentreue deutsche Soldaten für amerikanische Interessen zu verheizen, einige Schritte auf Russland zuzugehen, das sich in den letzten Jahren eindrucksvoll auf der Bühne der Weltpolitik zurückgemeldet hat.“
    Frohnmaier: Ja, wir haben durchgesetzt, dass die JA ein Ende des Konfrontationskurses der Bundesrepublik gegenüber Russland bei gleichzeitiger Fixierung auf die USA befürwortet. Ich bin der Ansicht, dass es uns gut zu Gesicht stehen würde, statt in nicht hinterfragter Vasallentreue deutsche Soldaten für amerikanische Interessen zu verheizen, einige Schritte auf Russland zuzugehen, das sich in den letzten Jahren eindrucksvoll auf der Bühne der Weltpolitik zurückgemeldet hat.“
    Vielleicht sollte sich die „Alternative für Deutschland“ in „Alternative für Russland“ umbenennen.

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    @ Stevanovic

    Bei all dem, was Sie da schildern, deutsche Interessenpolitik, Wirtschaftspolitik, braucht man den Terminus „deutsche Staatsräson“ nicht und bringt ihn auch nicht ins Spiel. In Bezug auf Israel, wie schon gesagt, eine realpolitische Blase, aber eine symbolische Überhöhung, auf die ein Posener nicht verzichten will; welche Verpflichtung (aus Herz und/oder Verstand) ist darin impliziert? Ob eine Interpretation als Sakralisierung zu weit geht, ich weiß es nicht. Ich denke auch, mit Freunden, unter Freunden geht man auch weniger „verlogen“ um.

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    @ Alan Posener

    ich habe gestern abend und heute morgen mehrfach versucht, eine Antwort auf Ihren letzten Kommentar einzustellen. Liegt da ein technischer Fehler vor oder eine Zensur?

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    @ Parisien

    Sie schreiben: „So was sollten Sie in Frage stellen: Dass man einen positiven Begriff verhunzt mit einer Besetzung durch etwas, das horribile ist. Aber das scheint Ihnen nicht aufzufallen.“ – Doch das ist mir aufgefallen. Diese Auffassung von „Elysium“ war für mich eine Dystopie und eine euphemistische Verfälschung. Danke für den Hinweis, dass der Regisseur aus Johannesburg kommt.

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    Lieber Alan Posener,
    Ich sehe vielleicht etwas, das Sie nicht sehen (übrigens würde ich vorziehen, dass Sie das hier nicht freischalten), und vielleicht sehe ich das falsch: Er hat Angst. Er hatte einen Vater ohne Bein, erinnern Sie sich? Die Angst rührt aus der Kindheit. Ich hatte es m.E. viel besser: mein Vater war nicht im Krieg. Es ist härter für die Kinder von Kriegsvätern gewesen. Wir haben das mal diskutiert hier.
    Sicher, es ist keine Entschuldigung, das auf die Art abzuwälzen, auf die es Mancher versucht. Ich wusste nicht, dass die Passage, die oben gebracht wird, aus dem Unbuch ist und finde es gänzlich verkehrt, wenn es erlaubt wird, weil ich glaube, dass so was bei Jugendlichen ins Unterbewusstsein dringen kann. Außerdem macht es Angst. Alle Unterstellungen machen im Grunde Angst.
    Diese Kriegsdiskussionen waren sehr interessant, aber sie gehen einem auch unter die Haut. Man merkt plötzlich, wie angenehm es war, einen Schritt weiter davon weg geboren zu sein und alles aus der französischen Perspektive betrachten zu dürfen.
    Ich würde es in dem Alter eher mit Abspaltung in Verbindung bringen. Seien Sie gütig und empfehlen Sie ihm einen Analytiker, männlich oder weiblich weiß ich nicht. Er ist intelligent und dürfte das hinkriegen.
    Wenn er will natürlich.

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    @ Lyoner

    Sie haben im Vorbeigehen viele Themen abgeräumt, von denen jedes mehrere Gedanken wert ist.

    Worin wir uns (merkwürdig genug) alle einig sind, ist die Existenz einer Staatsräson. Staatsräson ist laut Wiki ua: „Die Staatsräson ist in diesem Sinne als ein vernunftgeleitetes Interessenskalkül einer Staatsführung unabhängig von der Regierungsform zu verstehen, dem einzigen Leitsatz der Aufrechterhaltung eines funktionierenden Staatsgebildes verpflichtet.“

    Danach die Sicherheit Israels als Staatsräson zu bezeichnen, ist natürlich Stuss: Natürlich hängt es (gerade in Deutschland) von der Regierungsform ab, 3.Reich und DDR standen wirklich nicht im Verdacht, sich um die Sicherheit Israels zu scheren. Gerade wenn man von einer Wertegemeinschaft mit Israel ausgeht, stellt man ja auf eine vergleichbare Regierungsform, einen vergleichbaren Wertekanon ab. Spielt bei der Staatsräson ein vernunftgeleitetes Interessenkalkül eine fundamentale Rolle, so könnte man die Zusammenarbeit mit Russland (Deutsche Staatsräson) oder die Zusammenarbeit mit China (US Staatsräson) anbringen. Eigentlich würde man mit ihnen nicht zusammenarbeiten, aber die liebe Staatsräson…usw.
    Wäre die Sicherheit Israels für Europa eine Frage der Staatsräson, würden wir nicht über Kennzeichnung (Boykotte) israelischer Waren aus der Westbank reden – wir würden sie, wie russische Rohstoffe aus Zwangsarbeit und chinesische Spielsachen aus Straflagern, aus übergeordneten Interesse eines funktionierenden Staatsgebildes (Heizung hier, Weihnachtsgeschenke für alle da), kaufen und diesen Umstand nicht ernsthaft in Frage stellen.
    Europa braucht Israel zu seinem Funktionieren nicht und somit wird Israels Sicherheit niemals Staatsräson irgendeines Staates in Europa sein können. Staatsräson ist etwas, was man schwer fassen und schwer hinterfragen kann. Es ist eine Art conditio sine qua non der eigenen Welt, etwas fast Selbstverständliches. Das ist Israel leider weniger als die Ölquellen Saudi Arabiens. Merkel und vielen Deutschen liegt Israel besonders am Herzen, da gehört es auch hin: die Unterstützung ist für Europäer eine Herzenssache, kein vernunftgeleitetes Interessenkalkül. Vielleicht kommt daher der Wunsch, den NO-KOnflikt ständig endgültig lösen zu wollen.

    Deswegen ist „Staatsräson“ eine Variante von Alternativlos, Fukushima Direktausstieg, Scheitert der Euro, scheitert Europa…usw. Es ist Merkelsprech: Politik ist nicht die Gestaltung des Gewollten, es ist das erleiden des Alternativlosen. Weswegen man über das Wollen nicht viel reden muss – die Entpolitisierung. Für einen demokratischen Diskurs seltsam.

    „Wenn das so ist, was ist dann das Anliegen von Zeitgenossen wie Alan Posener, die diese Behauptung wie ein Panier vor sich hertragen?“

    Naja, ich spekuliere. Staatsräson als höchste politische Willensbekundung. Das kann man sich für seine Herzenssache wünschen. Ohne einen Pieps wurde die Ostseepipeline gebaut, so mit ganz wenig kritischer Freundschaft. Umwelt? Weder für Rot/Grün noch Fukushima-Merkel ein Thema. Das nenne ich mal Staatsräson, würde ich mir im Verhältnis zu Israel auch wünschen. Nur, wie oben gesagt, hat das Gründe, warum es so nicht geht.

    Abschließend: „Ob eine deutsche Staatsräson in der deutschen Politik noch eine Rolle spielt, ist zweifelhaft.“

    Im Verhältnis zu Russland (Ostseepipeline) unbestreitbar mehr als zu Israel (Siemens Steuerungen in sämtlichen Atomprojekten des Iran). Wir können gerne über Souveränität, Staatsräson, Wertekanon, Moderne und Reaktion sprechen. Nur Israel ist dafür die falsche Baustelle. Wie gesagt, die Staatsräson ist keine und Merkels Aussage ein rhetorisches Missverständnis. Auch werden Geschäfte wegen Israel nicht nicht gemacht und das sieht mir schon nach souveränem Handeln aus. Wollen wir das mal mit unserem Verhältnis zu China vergleichen?

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    @ Stevanovic

    „Wie Notwendig das ist, sieht man an den Roma. Die Ärmsten der ärmsten Länder. Und in Deutschland stellt man sie in eine Reihe mit Akademikern aus Sofia und spricht dann von Migration. Mir ist bewusst, dass sich in der AfD die treffen, deren Ideen ich nicht unbedingt teile. Nur die reden immerhin darüber.“

    Ich habe online in einer englischen Zeitung vor einiger Zeit einen sehr schönen Artikel von einer Romani, die einen Engländer geheiratet hatte, gelesen, in dem sie ihre eigentlichen, naturverbundenen Sitten beschrieb. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Kultur der Romani verloren gegangen ist und frge mich, ob sie vielleicht, falls das so ist, diese wieder erlernen könnten.
    Ich weiß nicht, ob ich Recht habe, wenn mir gleich nach den Romani die Indianer einfallen. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass man nicht die ganze Menschheit in das gleiche Korsett pressen sollte, und dass gerade naturverbundene Völker viel zu dabei kurz kommen, obwohl man von ihnen lernen kann, siehe die Bewohner der Andamaren und Nikobaren während des Tsunami, der vor Sumatra ausgelöst wurde.

    Akademiker haben wir weiß Gott genügend. Wenn keiner mehr deutsche Akademiker will, sollte man aufhören, so viele Kinder wie möglich auf Gymnasien zu schicken.

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    @ Stevanovic: Wie Notwendig das ist, sieht man an den Roma. Die Ärmsten der ärmsten Länder. Und in Deutschland stellt man sie in eine Reihe mit Akademikern aus Sofia und spricht dann von Migration.

    Im Sarkasmus-Modus:

    Wenn demnächst im Europa der Nationen die europäischen Nationalisten zum Zuge kommen, werden sie das Problem schon lösen. Dort, wo (innerhalb und außerhalb der EU) in Europa die Nationalisten bereits am Drücker sind, wird an der Lösung des Problems bekanntlich bereits heftig gearbeitet. (Überhaupt besteht gerade im Zeichen der Nation bzw. des Nationalismus zwischen multi-ethnischen Staaten und etwa der Ost-Erweiterung der EU überhaupt kein Widerspruch. Gerade die Nation bzw. der Nationalismus verfügt von langer Hand her über die geeigneten Mittel. Und sie werden ja auch schon fleißig angewandt.)

    Was die Roma betrifft – bei aller Bereitschaft der Nationalisten zu Transfer und Austausch und zur säuberlichen Trennung der Ethnien, einen eigenen Nationalstaat – was ja den nationalistischen Regeln entspräche – werden die Roma von den europäischen Nationalisten wohl eher nicht bekommen. Oder? Ich bin über die Lage in Madagaskar nicht so auf dem Laufenden. Ist da eigentlich noch immer Platz?

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    @Alan Posener

    Nur eine kleine Bemerkung was Lyoner und seine
    “ Rassenmischung “ betrifft.

    Ich habe mich schon immer gefragt, wie vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir alle vom Afrikaner abstammen (sprich von Ardi aus der Awar Region) und nach neuesten Erkenntnissen auch Gene von den Neandertaler besitzen, Lyoner hier einen Rassenbegriff vertritt. der doch wohl über Bord zu werfen ist.

    Aber Paläoanthropologie ist wohl für den Lyoner ein Fremdwort.

    P.S. Lieber Herr Posener,

    muß man Jude oder Araber sein, um in eine Diskussion über den Zionismus einzusteigen?

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    @ Lyoner

    ???:
    „Ich vermute auch, dass Posener mit dem Postulat der Rassenvermischung nicht nur Sexpol Befreiung und Enthemmung (“In der paradiesischen Zukunft fortschrittlicher Träume schwingt die Erdkugel im Rhythmus allgemeiner Kopulation.” Gómez Dávila) im Auge hat, sondern das menschheitspolitische Evangelium der Auflösung und Ersetzung der europäischen weißen Völker.“

    Man denkt gelegentlich darüber nach, der Vorwurf wird
    öfter erhoben. Was dagegen spricht:
    Weiße „Völker“ gibt es nicht mehr. Weiße gibt es in Europa, Nordamerika, Australien, Neuseeland, Russland, ehemaligen russischen Teilrepubliken, der Türkei, dem Iran, dem Irak und Israel vermehrt.
    Außerdem gibt es Weiße in Lateinamerika und Südafrika.
    Wie sollte das also gehen?
    Und warum sollte irgendwer Interesse daran haben, schwarze „Völker“ zu wollen?

    Nein, die Stupidität der rein finanzgesteuerten Politik fühlt sich gelegentlich so an. Heute ein Artikel in der „Welt“: „Aufkaufen, Leerziehen, Abreißen.“ Hätte nie gedacht, dass ich so schnell Freude an der SPD kriege. Die Leser dort haben nicht kapiert, um was es geht: Es geht um die Besitzer abrissreifer Hochhäuser, die auch unter den Lobbyisten sind, die immer neue Arme wollen, damit sie den Dreckstall noch vermietet kriegen, nur, weil sie den Abriss nicht zahlen wollen.

    Die Stupidität der Politik gegenüber Lobbyisten aus dem In- und Ausland erscheint grenzenlos. Fallaci (die ich weniger mochte wegen ausuferndem Populismus) hat da eine schöne Passage darüber, wie sie Andreotti darauf ansprach, dass angeblich der damalige türkische PM Anatolier gegen Frischwasser tauschen wollte. Erheiternd. Andreottis Lieblingsreplik: „Eh…“

    Da wir Klugheit unterstellen, stellen wir manchmal die Sarrazin’sche Frage, sicher. Da ist nix, da ist nur mangelnde Weitsicht und Unfähigkeit, ein Räderwerk mal eine Zeitlang anzuhalten oder umzudenken.

    Lyoner, ich bin Posener und auch Broder nicht unähnlich, mit fünf Ländern verheiratet, also kosmopolitischer als der Durchschnittsdeutsche. Dennoch argumentiere ich nie so wie Posener oder auch Broder (Totale Transparenz, dabei will er nur, dass die Hüllen von Frauen fallen, der Pirelli-Kalender-Schelm). Posener hat Probleme mit dem Christentum, wenn es gerade mal, wie von Beni, richtig durchformuliert wird, so dass wahre Christen es plötzlich als transparent („Jesus von Nazareth“) empfinden. Posener kann nicht verzeihen, was Christen auch auf der Kappe haben in Spanien, in Deutschland, daher sind wir ihm alle schnuppe.
    Als Bevölkerungsgruppe ist ihm der Christ schnuppe, besonders der weiße Christ, und damit steht er nicht allein, sondern in einer langen Reihe von Atheisten, Marxisten und Leninisten; und letztlich, selbst Bam hat’s nicht so mit dem weißen Christen bei sich daheim. Das fühlt sich übel an, ist aber nicht so fundamental, wie Sie es schildern. Es fehlt die Erkenntnis und das Zugeben eines Scheiterns der kulturellen Vielfalt, die verhindert wird von einem Viertel der Weltbevölkerung, einer Vergrößerungsblase der Pals, sorry. Motto: Sie wollen alles. Fertig. Ganz einfache Botschaft. Die Politiker sind nicht dazu in der Lage, sich dieser Erkenntnis zu stellen, und P. ist regierungsnah. Ganz einfach, aber mal wieder total überspitzt von Ihnen in den Raum gestellt, für Jugendliche Mist. Keiner will wen abschaffen, sie sind nur alle überfordert und wirken oft vollkommen ratlos und schwafeln. Außerdem wollen sie auf gar keinen Fall Bürgerkrieg, auch nicht stellenweise, danke sehr. Deswegen schwafeln sie. 90 Prozent aller Menschen vertragen keine Wahrheiten, vor allem dann nicht, wenn sie nie durch eine Aufklärung gegangen sind.

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    Othmar Kaufmann bedient ein uraltes antisemitsches Klischee:

    „Ich vermute auch, dass Posener mit dem Postulat der Rassenvermischung (…) das menschheitspolitische Evangelium der Auflösung und Ersetzung der europäischen weißen Völker“ propagiert. „Möglicherweise, man möge mir den Hinweis gestatten, befindet sich Poseners Moderne nicht in einer Wertegemeinschaft mit Israel, das der Mischpacha und dem Volk einen anderen Stellenwert einräumt.“

    Wie Hitler in „Mein Kampf“ schrieb: „Jegliche Rassenkreuzung führt zwangsläufig früher oder später zum Untergang des Mischproduktes, solange der höherstehende Teil dieser Kreuzung selbst noch in einer reinen irgendwie rassenmäßigen Einheit vorhanden ist. Die Gefahr für das Mischprodukt ist erst beseitigt im Augenblick der Bastardierung des letzten höherstehenden Rassereinen“. Darum würden die Juden im Interesse ihrer Weltherrschaft das – wie sagt O.K. – „menschheitspolitische Evangelium der Rassenvermischung“ propagieren, während sie selbst unter sich auf die Reinheit der Rasse – der „Mischpacha“, wie der Insider O.K. es gut jiddisch formuliert – achteten.

    Wenn wir hier über Juden, Judentum oder Israel diskutieren würden, hätte ein Beitrag mit diesem Inhalt, so absurd er ist, vielleicht seinen legitimen Platz. Dass aber Othmar Kaufmann jedes Thema zum Anlass nimmt seiner persönlichen Obsession zu frönen, kann ich nicht dulden. „Starke Meinungen“ soll und darf nicht zur Ersatzplattform für antisemitische Insinuation werden.
    Um aber kurz zu entgegnen:
    Wenn ich Herrn Gauland einen Horror vor der „Rassenvermischung“ unterstelle, dann folgt nicht daraus, dass ich die „Rassenvermischung“ als Programm verfolge, wie Kaufmann unterstellt. Ich habe – was bei meiner Herkunft vielleicht verständlich ist – nur nichts dagegen.
    Aus der Begegnung mit Menschen, deren Eltern verschiedener ethnischer Abkunft sind – das ganze „Rassen“-Gerede ist mir zuwider – habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass sie eine Gefahr für das Abendland darstellen.

    Was nun Israel angeht: Ja, es handelt sich um einen jüdischen Staat. In dem freilich eine größere muslimische Minderheit wohnt als in jedem europäischen Land. Und ich meine nicht die Araber in den besetzten Gebieten, sonder die Araber mit israelischem Pass und Stimmrecht. Wahrscheinlich ist Israel das einzige moderne Land, in dem auch die Sharia als Grundlage der Zivilrechtsprechung anerkannt ist.
    Freilich gibt es nicht nur zwischen Juden und – muslimischen und christlichen – Arabern, zwischen Juden und Drusen, zwischen Juden und Samaritern Unterschiede und Gegensätze, sondern auch zwischen europäischen, orientalischen und afrikanischen Juden, zwischen orthodoxen, gemäßigt religiösen und völlig säkularen Juden, zwischen Siedlern und anderen Israelis, zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen, besonders aus Russland. Mein Cousin, der bekannte Soziologe Yochanan Peres, hat darüber mit Eliezer Ben-Rafael ein Buch geschrieben, „Cleavages in Israeli Society“ (2006). Wer das Land auch nur oberflächlich kennt, bemerkt sofort, dass es vermutlich „multikultureller“ ist als irgendein anderes Land der Erde mit Ausnahme der USA.

    Darum geht es aber in dem zitierten Aufsatz von Yoram Hazony nicht. Sondern um den Nationalstaat. Hazony, den ich vor Jahren bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem kennen gelernt habe, wo er die gleichen Thesen vertreten hat, unterstellt den Europäern, sie würden an der Abschaffung des Nationalstaats arbeiten, was ich – wie jeder Leser dieses Blogs weiß – bezweifele.
    Wenn aber die Grenzen zu unseren Nachbarn pröser sind als jene zwischen Israel und seinen Nachbarn, wenn wir in vielen Bereichen die Souveranität mit unseren Nachbarn teilen, während Israel nicht daran denkt, dann liegt das eben vor allem an der Nachbarschaft.
    Ich will hier nicht in eine Diskussion über den Zionismus einsteigen, worauf Herr Kaufmann sicherlich begierig ist, obwohl sie ihn eigentlich nichts angeht, da er – weder Jude noch Araber – nicht davon betroffen ist. Als mein Vater 1937 in Palästina ankam, fragte man die Neuankömmlinge: „Kommst du aus Überzeugung oder aus Deutschland?“ Will sagen: Die Diskussion über den Zionismus erledigte sich 1933, ebenso wie die Diskussion über die Assimilation. Und damit soll’s gut sein.

  13. avatar

    @EJ

    Wenn es – uns, der AfD oder wem auch immer – nur um die Einschränkung “ausufernder Transferzahlungen” geht, lieber Stevanovic, bedeutet das nichts anders als: Wir wollen weiterwursteln. Wir wollen, dass Europa Wurstelei bleibt.

    Genau! Abgesehen davon, dass die AfD keine nationalrevolutionäre Partei ist, sind ihre Wünsche und Visionen zum einen sehr bescheiden, zum anderen, wie bei jeder Parteigründung, sehr widersprüchlich. Machen wir uns nix vor: Das Leben, ob in oder außerhalb der EU kostet Geld. Ob in Euro, D-Mark oder Franken. Ein Ende der Geschichte und der Zukunftsangst, wird es auch in einem AfD-Deutschland nicht geben. Meine Erwartungen an die Partei sind deswegen sehr bescheiden: Themen setzen.

    Wie Notwendig das ist, sieht man an den Roma. Die Ärmsten der ärmsten Länder. Und in Deutschland stellt man sie in eine Reihe mit Akademikern aus Sofia und spricht dann von Migration. Mir ist bewusst, dass sich in der AfD die treffen, deren Ideen ich nicht unbedingt teile. Nur die reden immerhin darüber.

  14. avatar

    @ Lyoner

    Ich will noch mal auf Ihren Film zurück, wenn Sie mit der BL fertig sind. An sich ist es verständlich, wenn jemand, der in Jo’burg geboren ist, solch kapitalen Schrott produziert. Was nicht verständlich ist, ist die Wahl des Titels:
    Denn wir unterscheiden uns hier alle nicht sehr: Was die Griechen Elysium nennen, nennen die Juden Gan Edden und die Christen Eden oder Paradies. Die Nordamerikanischen Indianer sagten „Ewige Jagdgründe“ etc., und Jugendbuchautor James Krüss sprach von den „Glücklichen Inseln hinter dem Wind“, denn dahinter stand bei den alten Griechen vermutlich das Bild einer Insel, vielleicht Tenerife (am westlichen Rande des Ozeans).
    Schiller, ein Aufklärer, meinte mit „Tochtern aus Elysium“ die Freude, den schönen Götterfunken, und alle Menschen werden bei ihm Brüder.
    Der Ausdruck steht also für Traum von Glückseligkeit, aber für alle, übrigens alle, die ein Leben führten, das…..wie immer man das formulieren möchte. Also schon auch selektiv (bei Schiller am wenigsten), aber nicht wegen Macht, Geld oder Rasse (siehe Poseners spon-link voriges Stück).
    So was sollten Sie in Frage stellen: Dass man einen positiven Begriff verhunzt mit einer Besetzung durch etwas, das horribile ist. Aber das scheint Ihnen nicht aufzufallen. Dass es gestattet ist, dass man das Kernstück der Neunten Symphonie mit einem miesen kleinen Science Fiction Film verschattet.
    Jugendliche behalten also im Kopf „Elysium=Film, Wohnort einer Horrorkaste“, während wir als Jugendliche „The Song of Joy“ summten.

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    @ Stevanovic

    Ich kann Ihnen nur zustimmen, dass die Behauptung, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist, realpolitisch ein Blubberblase und vollkommen verlogen ist. Das Streben nach Sicherheit und Selbstbehauptung ist israelische Staatsräson – und wir wissen, dass die Israelis hier niemanden mitreden lassen, schon gar nicht uns. Ob eine deutsche Staatsräson in der deutschen Politik noch eine Rolle spielt, ist zweifelhaft; insofern ist es ein Treppenwitz der Geschichte, wenn das Telos der deutschen Staatsräson die israelische sein soll. Wenn das so ist, was ist dann das Anliegen von Zeitgenossen wie Alan Posener, die diese Behauptung wie ein Panier vor sich hertragen? Was meinen Sie? Ich vermute, dass dies sowas wie ein Geßlerhut sein könnte, den der Moderne bereitwillig grüßt; damit lassen sich die Modernen von den Reaktionären scheiden.

    @ Alan Posener & alle

    Möglicherweise habe ich eine Intervention übersehen, aber mir scheint, dass hier bisher keiner aus dem Kommentariat gewürdigt hat, dass Alan Posener ex negativo (gegenüber den angeblichen Positionen Putins und Gaulands) uns eine „Wertewelt“ der Modernen vorstellt. Vielleicht ist dieser Wertekatalog inzwischen (und hier) so selbstverständlich, dass er nicht als frag- oder merk- oder denkwürdig empfunden wird. Ich vermute, dass es nicht zufällig ist, dass Alan Posener mit „Rassenvermischung“ beginnt und bei Gaulands konservativem Gegenpol, der mit seiner diskriminierenden Heteronormalität und Familientraditionen auf den Abfallhaufen der Geschichte abserviert gehört, endet. Ich vermute auch, dass Posener mit dem Postulat der Rassenvermischung nicht nur Sexpol Befreiung und Enthemmung („In der paradiesischen Zukunft fortschrittlicher Träume schwingt die Erdkugel im Rhythmus allgemeiner Kopulation.“ Gómez Dávila) im Auge hat, sondern das menschheitspolitische Evangelium der Auflösung und Ersetzung der europäischen weißen Völker.

    Auch wenn, wie wir wissen, dem geschichtspolitischen Überflieger Detailfragen nicht so liegen, möchte ich ihn doch fragen, ob dieser Prozess so ganz naturwüchsig und Widerstand überflutend ablaufen soll oder ob dieser Wandel politisch in seinen Effekten auf die soziale Organisation und Institutionen des Gemeinwesens zu gestalten sind.

    Möglicherweise, man möge mir den Hinweis gestatten, befindet sich Poseners Moderne nicht in einer Wertegemeinschaft mit Israel, das der Mischpacha und dem Volk einen anderen Stellenwert einräumt.

    Yoram Hazony hat im Merkur, Januar 2011, in seinem Essay „Ist die Idee des Nationalstaats überholt?“ zu bedenken gegeben:

    „Das Problem besteht darin, dass viele in Europa sich für ein Konzept internationaler Beziehungen entschieden haben, das der nationalen Unabhängigkeit sehr große Opfer abverlangt, wenn ein Volk als wirklich legitimes Mitglied der Völkergemeinschaft anerkannt sein will. Es sind Opfer, die selbst einigen europäischen Nationen schwerfallen. Realistisch betrachtet besteht keine Möglichkeit, dass Israel diese Opfer bringen wird. Israel wurde mit dem ausdrücklichen Ziel gegründet, ein unabhängiger Nationalstaat zu sein, der Staat des jüdischen Volkes, und das wird es aus den von mir dargelegten Gründen auch bleiben. Solange viele in Europa weiterhin daran arbeiten, ihre eigenen unabhängigen Nationalstaaten abzuschaffen, werden sie weiterhin den Übergang zu einem neuen Paradigma vorantreiben, dem es äußerst schwer fällt, einer Nation wie Israel darin einen Platz einzuräumen.
    Ich bin mir bewusst, dass viele Europäer auf ein anderes Israel hoffen. Ich selber hoffe, dass wir einen Gesinnungswandel in Europa erleben werden. Anständige Menschen sollten in der Lage sein, auf Israel zu schauen und einzuräumen, dass der jüdische Staat nicht notwendig deshalb dem neuen Paradigma nicht entspricht, weil etwas faul ist in Israel, sondern weil vielleicht etwas faul ist an dem neuen Paradigma. Vielleicht ist die Europäische Union nicht in jeder Hinsicht eine so vielversprechende Idee, wie man vermutete. Vielleicht haben sich die europäischen Völker geirrt und ihre nationale Unabhängigkeit zu gering eingeschätzt und waren bereit, zu einem allzu niedrigen Preis auf sie zu verzichten. Die Geschichte ist unbeständig und wechselhaft, und wer das heute nicht zu erkennen vermag, wird es vielleicht morgen sehr deutlich erkennen.
    Wenn die Europäer erst einmal Anlass haben, den Wert, den sie ihren nationalen Traditionen und ihrer nationalen Unabhängigkeit zuerkennen, zu überprüfen, ist das Beispiel Israels vielleicht von größerem Interesse für sie – in einem positiven Sinne. Und wenn das geschieht, da bin ich mir sicher, werden sich die Beziehungen zwischen Europäern und Israel verbessern, vielleicht sogar überraschend schnell.“

    @ Parisien

    Mag sein, dass ich einen gewissen Bias bezüglich Israel habe, aber ich bin mir gewiß, dass ich nicht so einseitig bin, wie mir hier immer wieder unterstellt wird („Neigung, einseitig Israel anzuklagen.“).

    Was Feldman und seine Befunde und Diagnosen angeht – ich würde ja gerne die Dokumentation sehen, aber die wird in Deutschland – warum wohl? – weder von einer privaten noch von einem öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt gezeigt. Sie schreiben, Ihr „instinktives Gefühl“ würde Ihnen sagen, dass etwas mit Feldmans Diagnose nicht stimmt, und begründen „Dazu passiert dort auch zu wenig. Israelis könnten Ihre Waffen auch so verkaufen.“ Dass dort so wenig passiert, ist doch, scheint mir, ein Beleg für die Effektivität des Besatzungsregimes und der technologischen Errungenschaften der Militär- und Überwachungsindustrie. Israel ist, was diese Technologien angeht, Weltmarktführer, Israels Politiker rühmen sich dessen auch – Πόλεμος πάντων μὲν πατήρ ἐστι.

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    EJ: … dass das, was sie gerade hören, auch nach mehr als 40 Jahren noch in ihnen steckt und (womöglich) wirkt.

    … tja, womöglich liegt es daran, dass die damaligen Kinderchen erkannt haben, dass sie nun selber in eine EUdSSR gepresst werden sollen. 😉

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    @ Jörg Böttcher:
    Sie behaupten: „Eine GASP könnte nur in einem europäischen Bundesstaat funktionieren! In der EU als Staatenbund klappt das nicht.“ Ihre Begründung: „GB sonnt sich immer noch in der special-relationship mit den USA (siehe five-eyes-agreement). F frönt immer noch einem humanitären Interventionismus im frankophonen Afrika. Finnland und Schweden halten immer noch an der Tradition der Neutralität fest. Und Schland? Tja, wenn es so weitergeht ist die Bundeswehr bald kleiner als die polnische Armee! (…) Laß´ die anderen ruhig bluten, Schland verfügt über die Hoheitsgewalt in Sachen Moral.“
    Abgesehen davon, dass ich die Bezeichnung „Schland“ unschön finde, ist an Ihrer Zustandsbeschreibung wenig auszusetzen. Man könnte hinzufügen: GB und F sind Atommächte und denken nicht daran, die Verfügungsgewalt darüber zu teilen (dürfen es laut Atomwaffensperrvertrag auch nicht); sind außerdem Mitglieder im Weltsicherheitsrat und denken nicht daran, ihre Sitze zugunsten eines gemeinsamen europäischen Sitzes zu räumen.
    Aber: Man kann dieser Zusatandsbeschreibung im Hiblick auf Europa doch auch Positives abgewinnen. Europa ist Atommacht. Europa hat via GB eine Special Relationship mit den USA, Kanada und Australien und via Frankreich eine Special Relationship mit Afrika. Außerdem hat Europa via Skandinavien eine besondere Beziehung zu den humanitären und friedenssichernden Aufgaben, die in der Welt von heute so wichtig sind.

    Aus Ihrer Zustandsbeschreibung (und meinen Ergänzungen) geht hervor, dass es in absehbarer Zeit nicht zu einem Bundesstaat Europa kommen wird. Die Frage bleibt, wie ein Staatenbund seine Außen- und Sicherheitspolitik so organisieren kann, dass er eine maximale Wirkung erzielt, ohne das Prinzip nationaler Souveranität aufzugeben. Und da gibt es viele Dinge, beginnend bei einer gemeinsamen Handelspolitik, was seit Jahren in der WTO eine Selbstverständlichkeit ist, der Errichtung eines gemeinsamen diplomatischen Dienstes, an dem Catherine Ashton mit einigem Erfolg arbeitet, der Formulierung einer gemeinsamen Nachbarschaftspolitik, was in Sachen Türkei und Ukraine so halbwegs klappt, der Kooperation der Geheimdienste (was natürlich längst geschieht, weshalb der BND ganz ruhig ist, wenn es um Five Eyes geht), der gemeinsamen Entwicklung und Nutzung von Waffensystemen (was GB und F nach dem Libyen-Debakel vereinbart haben, leider ohne D), der arbeitsteiligen Aufgabenverteilung und der Aufstellung gemischter so genannter „Battle Groups“, was beschlosssen, aber noch nicht umgesetzt worden ist, mit Ausnahme der weitgehend symbolischen deutsch-französischen Brigade.
    Die Frage ist, wie man eine größtmögliche Integration und Kooperation erreichen kann, bei gleichzeitiger Wahrung der nationalen Vorbehalte. Das ist nicht unlösbar, wie man verschiedentlich bei Einsätzen der Nato-Verbündeten gesehen hat, zuletzt in Libyen.
    Mein Vorschlag eines Europäischen Senats soll ein Forum schaffen, in dem diese Fragen auf europäischer Ebene diskutiert und beschlossen werden, bei Wahrung der parlamentarischen Vorbehalte der Nationalstaaten.
    Mir scheint, es gibt zwischen Utopie (Bundesstaat) und Resignation (wird eh nichts) einen großen Spielraum, den die überzeugten Europäer nutzen sollten. Die AfD und Otto von Bismarck helfen hier nicht weiter.

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