Es ging um eine alberne Petitesse, aber eine peinliche. Leider hatte Richard, der Rächer, so hieß er damals, daraus keine Schlinge knüpfen können, die er im Blatt über einen Galgen werfen konnte. Der Magazin-Journalist, den ich meine, stand in seinem Regionalbüro und schlug mit der Faust an die Wand: „Das Schwein kriege ich noch!“ Man hatte ihm in der Zentrale seine Meinung kaputtrecherchiert; leider für ihn somit ein Halali ohne Beute.
Seine Kollegen erinnern sich an diesen Moment bis heute als Beginn ihres Befremdens darüber, wie weit Presse gehen sollte. Mittlerweile erleben wir, dass sich der Säuberungswille auch auf die eigene Berufsgruppe richtet. Es gibt jetzt – ganz selbstbewusst und mit erhobener Stimme – Krähen, die den anderen ein Auge aushacken. Aus berufsethischen Gründen, sagen sie. Sie nehmen dafür öffentliche Ehrungen an. Das Leben sei kein Ponyhof, heißt es.
Mit den Gepflogenheiten in Reitschulen kenne ich mich nicht aus. Als Gewerkschaftler ist mir der ganze Angang suspekt. Aber gut, das Leben ist sicher kein Debattierklub.
In Oxbridge lernt man zu streiten, ohne sich zerstören zu wollen. Man ist anderer Meinung, man schmäht schon mal spielerisch, aber man ächtet nicht. Das hält dieser Kampagnen-Journalismus anders. Er will erniedrigen und sich selbst erhöhen. Das ist der Kausalnexus der Übung: Selbstinszenierung als moralisch erhaben. Weiße Engel fliegen durch die Hölle. Und die Engel verbitten sich, dass man ihnen falsche Motive unterstellt. Es gehe ihnen um Sauberkeit, um nichts sonst. Sie sind ja die Sendboten Gottes. Räumen wir ein: Es geht den Inquisitoren nicht mehr um Leib oder Leben ihrer Opfer. Nur um den Ruf und den Job. Diese Inquisition zündet nur symbolische Scheiterhaufen an, sie ächtet die modernen Hexen und Ketzer, aber bringt sie nicht um. Soviel zum Fortschritt.
Die Säuberungswellen, die auf der Basis von wirklich beiläufigen Verfehlungen prominenter Opfer durch die Medien laufen, befremden mich immer mehr. Ja, da hat eine ihren Dienstwagen missbraucht oder einer ein Hotelzimmer geschnorrt oder im Flieger drei Reihen zu weit vorne gesessen. Deshalb muss ich ihn als Politiker outen, als Manager diskreditieren oder gar als Kollegen denunzieren?
Die Logik stammt aus dem Wolfsrudel. Sittenwächter und Moralapostel im Schafspelz hetzen ihre Opfer. Moral als Mobbing, als Waffe, Ächtung als Volkssport. Ich fühle mich in diesen Neidstimmungen nicht wohl. Ein Züricher Professor nennt das mit eidgenössischer Distanz und freigeistigem Entsetzen „Empörungskommunikation.“ Er hält es für einen vorkulturellen Atavismus, der zur Leitkultur geworden sei.
Herdentrieb als Aufklärung getarnt: Die Meute beobachte sich in lauernder Hysterie selbst. Sie achte dabei durchaus auf Feinheiten, auf Nuancen der Abweichung. Die Inbrunst, mit der die anderen, alle anderen, vor allem aber jene, die zu Neid Anlass geben, zur Beobachtung anstehen, erkläre sich daraus, dass die Konformität Zeichen des Heils und die Abweichung der Vorbote größten Unheils sei. Ist ein Abweichler entdeckt und das delinquente Detail zur Menschheitsfrage aufgeblasen, wird er hinausgebissen aus der Meute. Er darf nun als Sündenbock in die Wüste getrieben werden, womit die Oase der Konformität wieder rein ist. Das ist die Logik dieser Säuberungen aus nichtigem Anlass.
Verhältnismäßigkeit ist hier kein Argument, weil der Zweck die Mittel heiligt. Die Sittenwächter sind moralisch rigoros. Das wirklich Monströse liegt in der Diskrepanz zwischen Vergehen und Strafe. Ein Fleck auf der weißen Weste wird entdeckt, und der Westenträger steht zur bürgerlichen Ächtung an. Es fehlt ein wenig an Humanismus, an christlicher Gesinnung, an rheinischer Gelassenheit, an westfälischem Wegschauen, an Liberalität, an mitmenschlicher Nachsicht, an Vergebenwollen…stattdessen eine Spur von Rache, Vergeltung… und zwar bei wirklich banalen Anlässen. Und vom Publikum dieser Teufelsaustreibungen wird Unterstützung verlangt. Wer nicht für uns ist, knurren die Leitwölfe aus ihren Schafspelzen, ist gegen uns.
Unser Chef-Philosoph, der berühmte Professor aus Karlsruhe, begründet das moralische Halali dieser medialen Treibjagden mit dem Unbehagen in der Kultur, eine Vorstellung von Sigmund Freud, ein tiefes Unbehagen an unserer Kulturisation, das sich atavistisch zu entladen sucht. Und weil er belesen ist und gebildet, holt er die ganz große Keule raus. Er wird historisch grundsätzlich: „Nur in der jakobinischen Phase der Französischen Revolution, in der völkischen Revolution der Deutschen und in der Russischen Revolution sah man das Phänomen, dass Kinder aufgefordert wurden, ihre Eltern bei den Instanzen der volonté générale zu denunzieren.“ Es handle sich um „moralgeschichtliche Singularitäten“, an die man hier erinnert werde.
Die Erinnerung an den Terror des Robespierre verortet die Säuberung dort, wo sie ethisch hingehört: außerhalb einer humanistischen Kultur, außerhalb des Christentums, außerhalb der Aufklärung und außerhalb einer demokratischen Zivilgesellschaft. Säuberungen gehören als politisches Konzept in das Verhaltensspektrum des Wolfsrudels: homo homini lupus. Es mag vielleicht große Verbrechen geben, die die Guillotine rechtfertigen; ein lächerlicher Spesenbetrug gehört sicher nicht dazu. Nicht in jener Welt, in der ich leben möchte.
Das passt hier gut hin:
„Wer hat das angerichtet? Mir wäre leichter ums Herz, wenn ich sagen könnte, das alles habe sich Wulff selbst zuzuschreiben.
Aber Wulff etwas zugeschrieben haben ja zuerst einmal wir, die Journalisten. Und die Art und Weise, wie wir das zum Teil getan haben, hat meine Lust auf Mediendemokratie nahe an den Gefrierpunkt heruntergekühlt.“
http://www.welt.de/debatte/kol.....eiten.html
I’m alright, you’re alright: Prof. Tanzi ist einer der ersten Neuropsychiater in USA. Er beruhigt uns, „die ueber 00+“. Er erklaerte: „Manchmal schreibe ich meine wissenschaftliche Beitraege auf meinen Computer und blicken dabei auch hin und wieder auf das Fernsehen. Dann stehe ich auf und geh‘ in die Kueche. Die Katze steht auch auf und folgt mir – denn sie erwartet etwas zu erhalten. Dann stehe ich in der Kueche, und kann mich nicht erinnern, warum ich in die Kueche gekommen bin. Ich blicke fragend auf die Katze: „Do you know why I came in here ? No?“ Die Katze weiss es auch nicht. Das ist ganz normales Vergessen – wir ueberlasten uns manchmal!
Da wir von nichtigen Anlässen reden:
http://starke-meinungen.de/blo.....#more-3666
Neue Stellen fuer Journalisten? „China Daily“ hat jetzt eine Tageszeitung in USA angefangen. Seit 2008 sind in USA 15,000 Journalisten entlassen worden. Heute in „Huffington Post“ (on-line): „Fit to Print: Documentary profiles declines in print newspapers, laid-off journalists“. Heute in „Portal Vermelho( KP-Brasilien): 2012 wurden in Brasilien 1,230 Journalisten entlassen – auch von allen wichtigen Tageszeitungen. Al-Jazeera von Katar (Qatar) hat in USA einen Fernsehkanal gekauft von Al Gore. Also wenn die New York Times and andere (auch in Brasilien) jetzt Geld verlangen zum lesen ihrer „on-line“ – koennen wir kostenlos von Beijing und Katar unsere Nachrichten erhalten… („You gain some and you lose some: Go with the flow!“)
Oder wacht der Michel jetzt endlich auf und bemerkt wie das „drausen“ in der wirklichen Welt wirbelt ? Oxbrigde und Schweiz sind doch nicht die wirkliche Welt! Die guten alten Zeiten beim Skat und Bier in der Nachbarschaft- Kneipe sind vorbei: „If you ain’t two-fisted – shut up and don’t climb into the ring! Nice guys come in last…“…
Gut gesagt, Herr Kocks:
„Es fehlt ein wenig an Humanismus, an christlicher Gesinnung, an rheinischer Gelassenheit, an westfälischem Wegschauen, an Liberalität, an mitmenschlicher Nachsicht, an Vergebenwollen…“
Und an boarischer Maß.