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Songs von Leonard Cohen (12): The Law

So, mit dieser Besprechung arbeite ich den Auftrag von Axel Reitel ab, der mich bat, „My Country“ von Randy Newman, „Ventilator Blues“ von den Rolling Stones und eben diesen Song zu interpretieren.

Ich muss zugeben, dass mir das schwer fiel, weil mir beim Anhören wieder meine Vorbehalte gegen Cohens routinierte Art, Lieder zu machen, hochkamen: Die bedeutungsschwangere, dunkle Stimme, ergänzt durch die hellen Stimmen der Sängerinnen im Refrain, das Formelhafte der Melodieführung, die, wie Bob Dylan anmerkte, eigentlich mit zwei Akkorden auskommt, auch wenn Dylan weiter anmerkt, dass Cohen auch hier jene  „kontrapunktischen Linien“ setze, die jedem Cohen-Song einen „himmlischen Charakter“ und „melodischen Auftrieb“ geben.

Gut, Dylan versteht mehr von Harmonien, Melodien, Komposition, Kontrapunkt – und Himmlischem sowieso – als ich, also schlucke ich mein Unbehagen herunter. Übrigens habe ich nichts gegen Songs mit nur zwei Akkorden. Einer meiner Lieblingssongs ist „96 Tears“ von Question Mark & the Mysterians. (Ich weiß, da kommen später mehr Akkorde, aber das Geile sind doch die Eingangs-Akkorde G und C7 auf der Farfisa, oder war es eine Vox?) Aber was mache ich hier? Ich will gar nicht über Musik schreiben, sondern über den Text. (Den man wie immer unten findet.)

Der hat, wenn man will, auch eine kontrapunktische Struktur. Da ist einerseits das Schuldbekenntnis des unzuverlässigen Liebhabers. Bertolt Brecht schrieb 1922:

In meine leeren Schaukelstühle vormittags
Setze ich mir mitunter ein paar Frauen
Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen:
In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.

Und Cohen – wir unterstellen einmal, er sei das Ich dieses Songs, jedenfalls zeitweise – hätte vielleicht gern ein solches „sorgloses“ Bohème-Leben geführt. Aber dazu ist er zu jüdisch, will sagen: moralisch. Ohne zu sagen, was er genau getan hat, außer nicht zu kommen, wenn seine Liebhaberin ihn spätabends anrief – jedenfalls nicht direkt nach Hause zu kommen. Man kann annehmen, dass es um Untreue geht, um das dadurch bedingte Ende einer Liebesbeziehung. Schuld scheint ihm für das, was er getan oder gelassen hat, ein zu großes Wort. Die Untreue setzt ja voraus, dass man die Treue als Tugend anerkennt, dass man die Treue geschworen hat, aber hier ist nur von einem „schmutzigen Deal“ die Rede, einem „Vertrag zum wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane“, wie Immanuel Kant die Ehe definierte. Und den hat er, anscheinend, sehr weit ausgelegt.

Und doch, und doch, und doch. Nun kommt der Kontrapunkt. Es gibt ein Gesetz, und einen Arm, der ihn vollstrecken wird; unabhängig davon, wie man selbst sein Vergehen definiert. Du sollst nicht ehebrechen, egal wie man die Ehe definiert, und die Strafe erfolgt noch in diesem Leben, sei es, dass einem das Herz zu einer Brandblase wird, sei es, dass man durch Reue bestraft wird, wie Dylan in „I Threw It All Away“ singt:

So if you find someone who gives you all of her love / Take her to your heart, don’t let it stray / For one thing is certain / You will surely be a-hurtin‘ / I you throw it all away …

Die Unbarmherzigkeit des jüdischen Gesetzes ist seit jeher Thema des Christentums, das entstanden ist aus dem Versuch, den jüdischen Monotheismus attraktiver für griechisch geprägte Heiden zu machen, die mit ihrem Götterpantheon nichts mehr anfangen konnten, aber von den strengen Bräuchen des Judentums, von der Beschneidung über die Essensvorschriften bis hin zu den Regelungen des Ehelebens abgeschreckt wurden.

Wie schrieb Paulus im Brief an die Römer: Denn in meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangen hält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden. Die Lösung liegt im Tod Jesu: Ebenso seid auch ihr, meine Brüder, durch das Sterben Christi tot für das Gesetz, so dass ihr einem anderen gehört, dem, der von den Toten auferweckt wurde; ihm gehören wir, damit wir Gott Frucht bringen. (…) Jetzt aber sind wir frei geworden von dem Gesetz, an das wir gebunden waren, wir sind tot für das Gesetz und dienen in der neuen Wirklichkeit des Geistes, nicht mehr in der alten des Buchstabens.

Was, zugegeben, sehr bequem ist. Ich kann meine Vorhaut behalten, Schweinefleisch essen und gelegentlich ehebrechen, wenn ich nur „in  der neuen Wirklichkeit des Geistes“ diene, während die ungeistigen Juden weiterhin stur am „Buchstaben des Gesetzes“ hängen bleiben. Beim nächsten Bußgeldbescheid sage ich auch, in der neuen Wirklichkeit des Geistes bin ich korrekt gefahren, nur in der alten des Buchstabens bin ich abzüglich der Toleranz 20 km/h zu schnell gefahren.

Cohen – er stammt aus dem Priestergeschlecht der Kohanim – lässt das alles nicht gelten: There’s a law, there’s an arm, there’s a hand. Vielleicht die Hand des Jad-Torah-Zeigers, der Lesehilfe, die Juden benutzen, um nicht mit ihrem Finger den heiligen Text zu berühren und zu beschmutzen.

Das Gesetz gilt; und wo es kein Gesetz gibt, herrscht nicht unbedingt die Freiheit, nur die Anarchie. „There ought to be a law“, es müsste ein Gesetz geben, ist ein geflügeltes Wort im Englischen, etwa in dieser Passage des großartigen P.G. Wodehouse, in der Bertie Wooster gegenüber seinem Diener – eher Aufpasser – Jeeves klagt: You know, the more I see of women, the more I think that there ought to be a law. Something has got to be done about this sex, or the whole fabric of society will collapse, and then  what silly asses we shall all look.

Genau. There ought to be a law. There is a law. Wir sind mit dem Engel Luzifer aus dem Himmel gefallen und wollen nicht akzeptieren, dass wir mit dem Gesetz gemeint sind. Sind wir aber. Wie sang Bob Dylan: It may be the Devil or it may be the Lord, but you’re gonna have to serve somebody.

 

How many times did you call me
And I knew it was late
I left everybody
But I never went straight
I don’t claim to be guilty
But I do understand
There’s a Law, there’s an Arm, there’s a Hand

Now my heart’s like a blister
From doing what I do
If the moon has a sister
It’s got to be you
I’m going to miss you forever
Tho‘ it’s not what I planned
There’s a Law, there’s an Arm, there’s a Hand

Now the deal has been dirty
Since dirty began
I’m not asking for mercy
Not from the man
You just don’t ask for mercy
While you’re still on the stand
There’s a Law, there’s an Arm, there’s a Hand

I don’t claim to be guilty
Guilty’s too grand
There’s a Law, there’s an Arm, there’s a Hand

That’s all I can say, baby
That’s all I can say
It wasn’t for nothing
That they put me away
I fell with my angel
Down the chain of command
There’s a Law, there’s an Arm, there’s a Hand

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Ein Gedanke zu “Songs von Leonard Cohen (12): The Law

  1. avatar

    Gelesen und ganz wunderbar der Paulus, der, wie später Sartre auf sein „Objekt‘ fixiert war (was er such von Husserl nahm), um seine Zerrissenheit loszuwerden. Darüber polemisiere ich auf SM mit mehr Zeit gern noch mehr. Dylan aber bewundert Cohen gerade auch für dessen hohe Fähigkeit wie in „The Law“ zur Melodie und Dramaturgie seiner Verse, wovon ich auch etwas verstehe – aber ich könnte vielleicht nie einen Liedtext so schön erläutern wie Du. Hab großen Dank.

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