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Randy Newmans Lieder (8): Rednecks

Dieser Song ist neben „Short People“ vielleicht Newmans bekanntester. Aber ist er noch aktuell?

Man könnte ja meinen, dass ein Song aus dem Jahr 1974, der den rassistischen Populismus in den Südstaaten der USA thematisiert, dank der Bürgerrechtsbewegung und der Reformgesetzgebung Lyndon B. Johnsons, nur noch von historischem Interesse ist. Schließlich sind wir derart sensibel geworden gegenüber dem Rassismus, dass dieser Song deshalb nicht mehr im Radio gespielt wird, weil das Wort „nigger“ so oft darin vorkommt. (Und ich wurde von einer Frau, die später im Vorstand eines bedeutenden Medienkonzerns auch für Diversität zuständig war, schon mal kritisiert, weil ich zustimmend Yoko Onos Spruch zitierte: „Woman is the nigger of the world“.) Manche Leute meinen, die „woke Meinungsdiktatur“ sei das eigentliche Problem. Dazu gleich mehr.

Schauen wir uns erstmal aber den Song genauer an. (Den Text findet man unten.) Er verwendet Randy Newmans bekannte Technik, in Zungen zu reden: hier mit der Sprache eines Südstaatlers, eines „Rednecks“. Er erzählt von einer legendären Talkshow, bei der Lester Maddox, der offen rassistische Gouverneur von Georgia, von einem „naseweisen New Yorker Juden“ – in Wirklichkeit war das Dick Cavett, der trotz seiner Freundschaft mit Groucho Marx so jüdisch ist wie Eier mit Speck) – lächerlich gemacht wurde.

Über diese Herabsetzung ärgert sich der Redneck so sehr, dass er diesen Song schreibt, in dem er alle Vorurteile der naseweisen Juden und der verjudeten Progressiven gegen die Südstaatler sarkastisch zusammenfasst:

Ja, wir reden komisch, trinken zu viel, lachen zu laut, sind zu dumm, um es im Norden zu etwas zu bringen, und überhaupt unterdrücken wir die Nigger.  Da sind Ölmänner aus Texas, Bauernlümmel aus Tennessee, Leute mit Hochschulabschluss von der Louisiana State University, dumm rein, dumm raus, da sind Geschäftsleute aus Atlanta mit ihren Krokodillederschuhen, besaufen sich jedes Wochenende beim Grillen, wir sind zu strohdumm, um den Unterschied zwischen unserem Arschloch und einem Erdloch zu begreifen – und wir unterdrücken die Nigger.

Und dann steckt der Redneck es den Progressiven aus dem Norden:

Klar, der Nordstaaten-Nigger ist ein „Neger“, der hat seine Menschenwürde, verstehst du, bloß sind wir hier unten zu dumm zu begreifen, dass der Norden den Nigger befreit hat. Er ist frei, in einen Käfig gesteckt zu werden, in New York, Chicago, Cleveland, Saint Louis, San Francisco, Boston, ja die sammeln die Nigger ein und stecken sie rein und halten sie dort nieder.

Das ist nicht „retro“, wie mir ein lieber Freund aus Rom schrieb, das ist aktuell, weil es die Bigotterie der selbstgerechten Progressiven auf den Punkt bringt, die so hartnäckig zeitlos ist wie das Ressentiment der selbstgerechten Abgehängten. Es ist die Haltung des arrivierten West-Berliner Vorstadtbewohners Alan Posener, der – ich gebe es zu – Aggressionen empfindet, wenn er im Radio irgendjemanden mit sächsischem Akzent hört, der mehr Respekt für ostdeutsche Biografien oder Verständnis für die Probleme des Ostens fordert. Es ist die Haltung des aus Westdeutschland zugewanderten Kreuzberger Neubürgertums, das grün wählt und von „unserem Kiez“ redet, aber dafür sorgt, dass der Hof des im Bauherrenmodell errichteten Mehrfamilienhauses immer abgeschlossen bleibt und dass es in der Grundschule getrennte Klassen für die guten Kinder gibt, die zufällig zu 90 Prozent weiß sind.

Und der trotzige Stolz des „Rednecks“ ist ja auch bekannt; es ist ja kein Zufall, dass die Konföderierten-Fahne nicht nur von 1956 bis 2001 Teil der Fahne des Bundesstaats Georgia war, sondern dass sie trotzig in vielen Kleingärtenanlagen zwischen Elbe und Oder weht.

Übrigens, um eine durch Alice Weidel losgetretene aktuelle Debatte aufzugreifen, war der Rassismus der Rednecks nicht „rechts“. Die Populisten, die Anfang des 20. Jahrhunderts für eine Verbesserung der Situation der kleinen Bauern in den Südstaaten kämpften, die Verstaatlichung der Banken, Eisenbahnen, Energieversorgungsunternehmen und billiges Geld durch die Abkehr vom Goldstandard forderten, waren ebenso Rassisten wie die in den Südstaaten herrschenden Demokraten, die noch in den 1960er Jahren John F. Kennedy die Mehrheit im Kongress sicherten, aber seine Bürgerrechtsgesetzgebung blockierten. Die einzige große Partei, die gegen die Rassentrennung auftrat, waren die Republikaner. Wenn Sahra Wagenknecht also Kritik an der Zuwanderung mit linken Forderungen verbindet, stellt sie sich in eine lange populistische Tradition.

Randy Newman, der in New Orleans aufwuchs, hat diese Bewegung immer fasziniert, vielleicht weil sie, wie Newman selbst, die Selbstgewissheiten derjenigen infrage stellt, für die er singt. Der Song „Rednecks“ findet sich ja auf dem Album „Good Ol’Boys“, einer nur teilweise ironischen Hommage an die Südstaaten. „Kingfish“ vom selben Album paraphrasiert die Wahlkampfpropaganda von Huey Long, dem Gouverneur von Louisiana, Senator und „Karl Marx der Hillbillies“, der in den 1930er Jahren den New Deal von Franklin D. Roosevelt kritisierte, weil er nicht radikal genug sei und eine Vermögenssteuer vorschlug, um die Armut zu bekämpfen – und von den Kommunisten als „Hitler“ denunziert wurde, obwohl er weder antisemitisch noch besonders rassistisch war. Ein weites Feld.

Ich weiß nicht, ob es einen deutschen Sänger gibt, der für die Ossis das tun könnte, was Newman für die Rednecks getan hat. Manfred Maurenbrecher vielleicht, obwohl der ein Wessi ist. Aber Ironie geht in Deutschland schlecht, und ohne Ironie wird das alles nichts.

Last night I saw Lester Maddox on a TV show
With some smart-ass New York Jew
And the Jew laughed at Lester Maddox
And the audience laughed at Lester Maddox too
Well he may be a fool but he’s our fool
If they think they’re better than him they’re wrong
So I went to the park and I took some paper along
And that’s where I made this song

We talk real funny down here
We drink too much and we laugh too loud
We’re too dumb to make it in a Northern town
And we’re keepin‘ the niggers down

We got rednecked oilmen from Texas
And good ol‘ boys from Tennessee
And college men from LSU
Went in dumb, come out dumb too
Hustlin‘ ‚round Atlanta in their alligator shoes
Gettin‘ drunk every weekend at the barbecues
And they’re keepin‘ the niggers down

We are rednecks, we’re rednecks
We don’t know our ass
From a hole in the ground
We’re rednecks, we’re rednecks
And we’re keeping the niggers down

Now your northern nigger‘s a negro
You see he’s got his dignity
Down here we’re too ignorant to realize
That the North has set the niggers free

Yes he’s free to be put in a cage
In Harlem in New York City
And he’s free to be put in a cage
On the South Side of Chicago
And the West Side
And he’s free to be put in a cage
In Hough in Cleveland
And he’s free to be put in a cage
In East St. Louis
And he’s free to be put in a cage
In Fillmore in San Francisco
And he’s free to be put in a cage
In Roxbury in Boston
They’re gatherin‘ ‚em up from miles around
Keepin‘ the niggers down

We’re rednecks, we’re rednecks
We don’t know our ass
From a hole in the ground
We’re rednecks, we’re rednecks
We’re keeping the niggers down

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7 Gedanken zu “Randy Newmans Lieder (8): Rednecks;”

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    Zum „Hofproblem“: Das Problem ist demnach nicht, dass die vermeintl. selbstgerechten privaten Bauherren ihren Hof abschließen, sondern umgekehrt: dass die Mieter einer Wohnungsbaugesellschaft dies auch tun wollen bzw. sollten, aber nicht können. Das wäre eine Kritik an den Wohnungsbaugesellschaften, nicht an den Bauherren, die ja richtig handeln, indem sie ihren Hof abschließen. Hier kann ich nirgendwo Bigotterie erkennen.

    Grundschulklassen mit Französisch: Ich glaube, Ihre Kritik an den Grundschulen kann ich im wesentlichen teilen. Die Grundschulen sollten eine gemeinsame Grundlage aller Schüler ausbilden und eher Unterschiede ausbügeln als vertiefen, aber allen etwas beibringen. Was v.a. an der Finanzierung = Einstellung von genügend geeignetem Personal scheitert, aber auch an dem einen oder anderem pädagogischen Konzept, das offenbar zu Apartheid führt (-> Kritik am pädagogischen Konzept).
    Bei den weiterführenden Schulen teile ich die Kritik aber nicht, hier finde ich Gymnasien, die Klassen mit Französisch (oder eben Sport, Musik, Mathe…) betonen u. in den Vordergrund stellen, gut. Bei unseren musikbetonten Gymnasien (jedenfalls dem einen) kann ich sagen, dass hier jede Menge migrantischer Kinder waren, aber vor allem Kinder aus Osteuropa, Russland und einige aus Asien. Dass Kinder aus afrikanischen, türkischen und arabischen Haushalten hier unterrepräsentiert sind, lässt sich durch kein pädagogisches Konzept des Gymnasiums ändern. Hier muss man eben ein bestimmtes Vorwissen oder zumindest Interesse gepaart mit Talentnachweisen mitbringen, was einzig den Zugang beschränkt und auch weiterhin beschränken sollte.

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      Lieber Roland Ziegler, sie missverstehen mich. Weder kritisiere ich die privaten Bauherren noch die Grundschulen noch erst recht die Oberschulen, die auf die Probleme, die eine verstärkte Zuwanderung extrem verschärft, individuelle Antworten finden. Ich kritisiere jene, die sich in Kreuzberg in gated communities einschließen, Apartheid-Klassen und Apartheid-Schulen besuchen, WENN sie gleichzeitig so tun, als würde die verstärkte Zuwanderung die Probleme nicht verschärfen, als seien jene, die unter diesen Problemen nun einmal leiden, weil sie entweder nicht reich oder nicht klug oder nicht ehrgeizig oder nicht energisch genug – kurz Proleten – sind, die Rednecks also, das eigentliche Problem.

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        Wenn sich die Umgebung schnell verändert, passen Äußerungen und praktizierte Lebensweise oft nicht zueinander. Das ist auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Dann versucht man, sich die Dinge schönzureden – besonders das eigene Verhalten. Gut, das wäre Selbstgerechtigkeit, aber wer ist davor gefeit? Ich würde mich fragen, warum man denn unbedingt in Kreuzberg (oder gar Neukölln, auf das die halbe Republik mit wohligem Entsetzen starrt) wohnen und dort die schönsten Wohnungen belegen muss. Am Geld oder einem Mangel an Alternativen kann es nicht liegen.
        Jedenfalls meine ich, dass man die Äußerungen separat beurteilen muss. Unabhängig von der Lebensweise. Man sollte gar nicht erst versuchen, päpstlicher zu sein als der Papst.
        (Irgednwie komme ich mit diesen Kommentarfeldern nicht zurecht, ich muss immer meinen Namen neu eintragen und der neue Kommentar, vom Vor-Kommentar aus gestartet, landet ganz oben.)

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        Lieber Roland Ziegler, was die Wohngegend angeht, so habe ich Vorstadtbewohner wie mich explizit eingeschlossen. Es bleibt dabei (und da hat Sahra Wagenknecht einen Zipfel der Wahrheit erfasst): Man muss es sich leisten können, kein Rassist zu sein.

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    Lieber Herr Posener, bei der Beurteilung der „Selbstgerechten“ bin ich anderer Meinung. Der Hof bleibt abgeschlossen, weil die Kriminalität so hoch ist, dass man befürchten müsste, dass es auf dem Hof und in den Wohnungen zu Straftaten (Drogen, Einbrüche..) kommt. Die Forderung nach einem Antirassismus mündet nicht automatisch in irgendeinen Idealismus, nach dem Motto: Öffnet eure Häuser, schickt eure Kinder auf eine schlechte Schule, damit die Nachbarschaft oder die schlechte Schule besser wird und ihr zu guten Menschen werdet! Eine solche Forderung wäre nicht weniger selbstgerecht, aber idiotisch. Die „guten“ Grundschulklassen sind „zufällig zu 90 % weiß“, wie Sie sagen, nicht weil es den nichtweißen Kindern nicht erlaubt wäre, gute Klassen zu besuchen. So wie es im Rassismus der Fall wäre. Es macht einen großen Unterschied, ob es 90% oder 100% weiße Kinder sind, denn das zeigt, dass auch nichtweiße Kindern grundsätzlich die Möglichkeit haben, eine solche Klasse zu besuchen. Es gibt aber andere Kriterien, die dafür sorgen, dass es im Ergebnis 90 % weiße Kinder sind (z.B. Sprachbeherrschung).
    Meine eigenen Kinder sind auf gute, musikspezialisierte Gymnasien gegangen, weil das unserer Ansicht nach für sie am besten war. Wenn jeder so handeln würde, könnte das dazu führen, dass die „abgehängten“ Schulen und ihre Schüler weiterhin abgehängt bleiben. Das ist mir aber unterm Strich egal. Ist das selbstgerecht? Meinetwegen. Egoismus ist auf jeden Fall dabei. Ein solch (ab-)wertendes Urteil würde mich aber kaltlassen. Nur wenn die Überlegungen, die zu diesem Ergebnis geführt haben, falsch wären, würde ich ins Nachdenken kommen.

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      Lieber Roland Ziegler, Sie haben Recht mit dem Hof und mit der Schule. Aber: Die Bauherrengemeinschaft kann ihren Hof abschließen. Die Leute, deren Wohnungen von den „gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften“ verwaltet werden, können es nicht, weil die Gesellschaft das eben nicht macht. Und so hängen die Dealer auf dem Hof herum, und das sind keine „Biodeutschen“. Natürlich „müsste“ sich der Ärger primär gegen die Wohnungsbaugesellschaft richten, aber er richtet sich halt auch gegen „die Ausländer“. Und was die Schule angeht: Klar, Sie tun, was für Ihre Kinder am besten ist. Und in Kreuzberg tun das die Eltern auch. Deshalb richten Kreuzberger städtische Grundschulen, um nicht die Kinder der bildungsbürgerlichen Eltern zu verlieren, Klassen mit Französisch als erster Fremdsprache ein. Weil sie wissen, da geht kein Kind mit brauner Hautfarbe hin. Oder sie richten Klassen für jene Kinder ein, die nicht in die städtische Kita gehen, sondern in den privaten Schülerladen. Angeblich „weil die nach der Schule gemeinsam und von der Lehrkraft begleitet dorthin sollen.“ Gleicher Effekt. Und als ich auf einer Gesamtschule unterrichtete, schon vor 30 Jahren also, haben wir auch Französisch- und Latein- und Kunstklassen eingerichtet, mit dem selben Ziel: Apartheid. Natürlich „können“ die „anderen“ Kinder kommen, manche tun es auch, aber der Sinn ist klar. Jeder weiß: das Niveau bei den zugewanderten Kindern ist niedriger, das Niveau ist höher, wenn wir unter uns sind. Deshalb gibt es in Berlin-Kreuzberg 34 Kinder in der 7. Klasse des begehrtesten städtischen Gymnasiums, Eingangsvoraussetzung Notendurchschnitt 1,2: Lieber pädagogisch total unsinnige Klassenfrequenzen als Durchmischung. Ich kann das alles verstehen, ich würde als Vater genauso handeln (meine Tochter ging auf eine evangelische Privatschule), aber es ist bigott, wenn man gleichzeitig für „Multikulti“ schwärmt, entsprechend wählt und diejenigen verachtet, deren Kinder nicht begabt genug sind, es ans musische Gymnasium oder in die Lateinklasse zu schaffen und darum in eine Klasse gehen müssen, wo Deutsch Fremdsprache ist, wo die Lehrkräfte längst jeden akademischen Anspruch aufgegeben haben, und nach Hause kommen in eine Sozialwohnung, wo sie vom Küchenfenster aus sehen können, wie die Sinti-Frau in der Ecke ihre Notdurft verrichtet, der Dealer aus Guinea-Bissao per Handy seine Kunden kontaktiert, die gleich auf dem Hofspielplatz die Spritze setzen, und Ali vom Hinterhaus seinen Müll vor der Tonne auskippt, weil sie seit Tagen voll ist. Das sind, wohlgemerkt, alles eigene Beobachtungen. So, und diese Antwort gilt manchen schon als rassistisch, und auch das wäre bigott: die Probleme sind da, aber so lange man sich ihnen entziehen kann, kann man seine Ideale und sein gutes Gewissen und sein Gesicht vor sich selbst im Spiegel wahren. Wer das nicht kann, wählt aber vielleicht AfD.

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