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Randy Newmans Lieder (7): It’s a Jungle Out There

Randy Newman ist Dienstleister. Das meine ich nicht als Kritik. Wenn Produzenten eine Filmmusik brauchen, etwa für „Toy Story“, dann schreibt er sie, und den Hit dazu: „You’ve Got a Friend in Me“. Und dann ist das eine gute, brauchbare Filmmusik, und die Songs kommen ohne doppelten Boden daher. Dann muss man sie aber auch nicht groß interpretieren: WYHIWYG: What you hear is what you get.

Für diesen Song mache ich eine Ausnahme. Erstens, weil er für „Monk“ geschrieben wurde, eine großartige Detektive-Comedy-Serie, die 20 Jahre nach der Erstausstrahlung gerade auf Netflix wieder läuft, und zweitens weil ihn Newman für eine Neuaufnahme verschlimmbessert und damit gezeigt hat, was selbst einem begnadeten Komponisten passiert, wenn er eine allzu platte Botschaft vertont und die Ironie – vor allem die Selbstironie – dabei vergisst.

Adrian Monk – wer ihn nicht kennt, sollte ihn schleunigst kennen lernen – ist ein ehemaliger Polizist, der seit dem Mord an seiner Frau und seinem anschließenden Zusammenbruch nicht mehr den Anforderungen der Polizei in San Francisco entspricht und als Privatdetektiv die Polizei berät. Monk ist – war schon vor dem Mord an seiner Frau – eine Zwangspersönlichkeit, leidet an diversen Phobien – genau 312 nach eigenen Angaben – und nach meiner Meinung auch an einer Variante des Asperger-Syndroms. Dafür verfügt er, wie andere persönlichkeitsgestörte fiktionale Detektive, man denke an Sherlock Holmes oder Hercule Poirot, über ein enormes Detailwissen und eine außergewöhnliche Beobachtungs- und Kombinationsgabe.

In diesem Song, der 2004 extra für die Serie geschrieben wurde, weil die ursprüngliche Titelmelodie als zu gutgelaunt nach der ersten Staffel verworfen wurde, geht Newman nur auf Monks Phobien ein, nicht auf seine Gaben: Überall sieht der Sänger Unordnung und Durcheinander: ist denn niemand hier verantwortlich? Man hält ihn für verrückt, weil er sich ständig Sorgen macht, aber wenn Sie aufpassen würden, würden Sie sich auch Sorgen machen. Als Beispiel gibt Newman die Luft- und Wasserverschmutzung an. (Monk selbst trinkt nur Mineralwasser der Marke „Sierra Springs“ und verdurstet beinahe bei einem Einsatz in Mexiko, weil er dort seine Marke nicht findet.) Wenn man nicht aufpasst, so seine Schlussfolgerung, könnte diese Welt, die wir doch so lieben, uns einfach umbringen. Denn da draußen herrscht das Gesetz des Dschungels. (Den Text findet man unten.)

So weit so passend; und dass Newman mit der unabweisbaren Tatsache der Umweltverschmutzung dem Phobiker in gewisser Weise Recht gibt, macht auch die ironische Umkehrung möglich: Viele Umweltschützer machen den Eindruck von Phobikern und Reinlichkeitsfanatikern. (Monk muss nach jedem Handschlag die Hand mit einem Feuchttuch abwischen, was mich an die kollektive Phobie während der Covid-Pandemie erinnert, die zwar eine reale Grundlage hatte, aber manchmal und bei manchen Leuten ins Krankhafte tendierte.) Man kann auch sagen: Was dem Rassisten Leute mit dunkler Haut sind, das sind dem Umweltphobiker die Fülle an tendenziell gefährlichen Stoffen und Lebewesen, von CO2 und Mikroplastik über Viren bis hin zu angeblich „invasiven“ Pflanzten- und Tierarten.

Für sein Album „Dark Matter“ (2017) hat  Newman eine musikalisch ambitioniertere – jazzig-orchestral arrangierte – Version des Songs aufgenommen. So weit, so prima, auch wenn er bei dieser Aufnahme nicht so gut singt wie 13 Jahre zuvor. Leider hat er auch den Text ergänzt.

Da geht es nicht mehr um Monk; überhaupt scheint ich hier kein anderer zu sein, sondern tatsächlich Newman: Die Menschen bekämpfen sich gegenseitig, als wären sie Gladiatoren (er sagt „legionnaires“, aber das Wort passt nicht, Legionäre haben sich nicht gegenseitig bekämpft); und auch drinnen ist man nicht mehr sicher, alles wird beobachtet und abgehört. Nennt mich paranoid, aber wie heißt es so schön, auch Paranoiker haben Feinde. Ich bin nicht verrückt, ich habe vor denen keine Angst, die haben Angst vor dir und mir.

Wenn ich das so aufschreibe: vielleicht ist es doch Ironie? Vielleicht sind hier die Phobiker von rechts gemeint, die überall den Deep State am Werk sehen? Immerhin entstand der Song im ersten Jahr der ersten Trump-Präsidentschaft, die vier Jahre später, kurz nach der Pandemie, in den Sturm aufs Kapitol mündete. Und wenn diese Passage  („they’re afraid of you and me“) ein bisschen klingt wie Bob Dylan in „It’s Alright Ma“ – „könnten sie meine Gedankenträume lesen, würden sie mich unter die Guillotine legen“ – , so hat das eben damit zu tun, dass die Paranoia der Linken, die 1968ff überall Feinde witterten, inzwischen auf die andere Seite gewandert ist.

Wie wäre dann der letzte Vers einzuordnen: Die Cops haben auch Angst, also tu genau, was sie sagen, oder hau so schnell wie möglich ab – Ironie? „I’m only kidding with ya“, heißt es da; aber drei Jahre zuvor hatte die „Black Lives Matter“-Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt begonnen. Und auch hierzulande sitzt der Polizei-Colt lockerer als früher. „It’s a Jungle Out There“. Und die Frage, ob irgendjemand hier noch das Sagen hat, für Ordnung sorgen kann, bewegt nicht nur Phobiker.

Hm. Jetzt habe ich mir den Text beinahe schöngeredet. Auch gut.

It’s a jungle out there

Disorder and confusion everywhere
No one seems to care
Well, I do
Hey, who’s in charge here?

It’s a jungle out there
Poison in the very air we breathe
You know what’s in the water that you drink?
Well I do, and it’s amazing

People think I’m crazy, ‚cause I worry all the time
If you paid attention, you’d be worried too
You better pay attention
Or this world you love so much might just kill you
I could be wrong now, but I don’t think so
‚Cause it’s a jungle out there
It’s a jungle out there

It’s a jungle out there
Violence and danger everywhere
It’s brother against brother
Pounding on each other
Like they were Legionnaires

It’s a jungle out there
It’s a jungle in here too
You got a tap right on your phone
A microphone and camera checking out everything you do
Call it paranoia, as the saying goes
Even paranoids have enemies
I’m not the one who’s crazy, I’m not afraid of them
They’re afraid of you and me
I could be wrong there, but I don’t think so
‚Cause it’s a jungle out there
It’s a jungle out there

It’s a jungle out there
Even the cops are scared today
So if you see a uniform
Do exactly what they say or make a run for it
I’m only kidding with ya
‚Cause it’s a jungle out there
It’s a jungle out there

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Ein Gedanke zu “Randy Newmans Lieder (7): It’s a Jungle Out There

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    Ich wollte mich tatsächlich ein bisschen zurückhalten hier, aber an Monk UND Newman UND Corona UND Paranoia komme ich nun wirklich nicht vorbei. Weil.. da bin ich wirklich kompetent: Die Figur Adrian Monk kann ich verstehen, weil er sich nur von sich selber befreien kann, wenn er sich fokussiert und sozusagen als Kollateralschaden dabei miese Verbrechertypen aus dem Verkehr zieht und ich wünschte dem Herrn Minister Lauterbach von Herzen, dass er seine vergleichbare déformation professionelle – die ich auch durchaus beruflich kenne (die Keime, die toxischen Stoffe in Mikrokonzentrationen) – in konstruktivere Bahnen lenken könnte: Immer Stärken nutzen und sich nicht mit Schwächen allzu lange aufhalten… Die Filmversion von ‚The Jungle..‘ ist musikalisch genial mit der Instrumentierung, dem kontrapunktischen Bass, dem Honky Tonk Piano, der Bottleneck Gitarre, wunderbar passend und schmissig arrangiert mitsamt dem jammernden, weinerlichen Gesang von Randy Newman, der schon Tony Shaloubs Rolle des Adrian Monk zusammenfasst. Ach ja der Text: Es ist doch auch ein Dschungel draußen überall und was stimmt denn daran nicht? Die Linken lügen sich eins in die Tasche mit ihrer ‚Solidarität‘, ‚Moral’, ‚Völkerrecht’, und ‚Humanität’ und die Rechten reden bisweilen auch gerne von Gemeinschaft, Zusammenhalt der Nation und idealisieren genauso wie die Linken den Kollektivismus aus Angst vor der Freiheit und der Luft zum Atmen, die nur die Kettensäge schafft. Jeder hat so seine eigenen Ängste, die der andere nicht versteht. Weil man sie auch prinzipiell nicht verstehen kann. Monk, der tatsächlich wie ein Mönch lebt, schrammt immer kurz daran vorbei, ein komplettes Arschloch zu sein, weil er ist, wie er ist und aber eben auch weiß, dass er so ist, wie er ist. Deswegen ist der Song vielleicht mein Lieblingsstück vom Newman: Es ist nun mal nie eindeutig. Wir konstruieren uns immer nur mit unseren Verstand die Eindeutigkeit und bewegen uns damit weg von uns selber in Richtung Besserwisser. Vielleicht ist mir Newman deswegen immer wieder aufgefallen: Er ist selten intellektuell eindeutig aber immer berührend. Wie die Figur Adrian Monk. Mir geht es irgendwie wie dem Stottlemeyer, dem Chief oder Captain von ihm: Man will es nicht, aber man muss ihn mögen.. und so geht’s auch mit Newmans Liedern. I could be wrong there, but I don’t think so.

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