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Benedikt XVI, der Jerry Lee Lewis der Theologie

Demnächst werden die Predigten veröffentlicht, die der emeritierte Papst Benedikt XVI in seiner Privatkapelle hielt und die – angeblich ohne sein Wissen, wer’s glaubt, wird selig – mitgeschnitten wurden. Eine wurde bereits veröffentlicht: eine Predigt über Joseph, den Ziehvater des Jesus von Nazareth.

Dass Benedikt am vierten Advent des Jahres 2013 dieser biblischen Gestalt gedachte, berührt mich ein wenig, hatte ich doch genau ein Jahr zuvor in der WELT Joseph als „neuen Mann“ gefeiert.

Benedikt geht (wie ich) von der Feststellung des Matthäus aus, Joseph sei „ein Gerechter“. Das heißt, er befolgt als guter Jude das Gesetz, wie es in der Thora niedergelegt wird. Und nun kommt Benedikt in Schwierigkeiten. Denn er geht einerseits von einem fundamentalen „Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament“ aus: Im Alten Testament ist die wesentliche Haltung noch eine andere. „Das Wort Gottes erscheint im Alten Testament grundsätzlich in Gestalt des Gesetzes“; hingegen bestehe die „wesentliche Haltung“ eines Christen „in der Begegnung mit Jesus, in der Begegnung mit dem Wort Gottes, das Person ist. Indem wir Jesus begegnen, begegnen wir der Wahrheit, der Liebe Gottes. So wird das freundschaftliche Verhältnis mit der Zeit zur Liebe, unsere Gemeinschaft mit Gott wächst, wir sind wahrhaft Gläubige, ja, werden zu Heiligen.“

Was, so muss man annehmen, Juden vor Jesus nicht möglich war, denn „die Ankunft Christi stand ja erst noch bevor, also konnte es höchstens um eine Bewegung auf Christus hin gehen, ihm entgegen, aber noch nicht um eine wahre Begegnung mit ihm als solche“. Was mit heutigen Juden ist, da ihr  Messias angeblich schon vor 2000 Jahren angeblich erschienen ist, sie aber weder „ihm entgegen“ gehen noch ihm „begegnen“ wollen, sondern stur – halsstörrig nannten es die Christen früher – an der Thora festhalten, sagt Benedikt nicht.

Doch von Joseph sagt er, sein Verhältnis zu der – nicht von ihm – schwanger gewordenen Verlobten sei zeige ein anderes Verhältnis zum Gesetz: „Für ihn bedeutet das Gesetz nicht schlicht Gehorsam, sondern entfaltet sich als Wort der Liebe, als Einladung zum Austausch, und nach dem Gesetz zu leben bedeutet für ihn, der Einladung zu folgen und hinter den großen und kleinen Vorschriften die Liebe Gottes zu entdecken. Er versteht, dass all die Vorschriften nicht um ihrer selbst willen gelten, sondern dass sie Regeln der Liebe sein wollen, dazu da, die Liebe in uns wachsen zu lassen. Ja, das Gesetz als Ganzes erweist sich letztlich als nichts anderes als Liebe: Es ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten, und nur in dieser Einsicht lässt sich das Gesetz vollgültig einhalten.“

Richtig.

Benedikt sagt aber: „So wird mit Josef, dem wahrhaft Gerechten, das Alte Testament zum Neuen“. Ähm, nein. Eben nicht. So wird mit Joseph eine Haltung zum Gesetz sichtbar, die im Judentum damals wie heute galt. So wird von Rabbi Hillel überliefert, der in Babylon lehrte und ein Zeitgenosse des Joseph war, dass er die unter Rabbinern beliebte Frage nach der „Grundnorm“ der Thora wie folgt beantwortete: „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht; das ist die ganze Gesetzeslehre, alles Andere ist nur die Erläuterung, gehe und lerne sie.“ Diese Norm aber beruht auf dem von Moses den Hebräern gegebene Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (3 Mose 19,18).

Jesus von Nazareth erweist sich als getreuer Schüler des Pharisäers Hillel: „Als aber die Pharisäer hörten, dass er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich. Und einer von ihnen, ein Lehrer des Gesetzes, versuchte ihn und fragte: Meister, welches ist das höchste Gebot im Gesetz? Jesus aber sprach zu ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (5. Mose 6,5). Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“

Weder mit Joseph noch mit Hillel noch mit Jesus „wird das Alte Testament zum Neuen“. Und weder Joseph noch Hillel „bewegen sich auf Christus zu“. Würde mit Joseph aber „das Alte Testament zum Neuen“, das Gesetz zum Gesetz der Liebe, wozu brauchte es denn Jesus? Wenn der „wesentliche“ Unterschied zwischen einem Christen und einem Juden, der etwa Hillel folgt, darin besteht, dass der Christ „in der Begegnung mit Jesus“ das „Wort Gottes, das Person ist“, erfährt, während der Jude das eben durch die Begegnung mit dem Wort als Wort erfährt, dann wäre das Christentum lediglich eine jüdische Sekte, die einen Personenkult betreibt.

Nun will ich nicht überheblich sein. Schrieb ich doch 2012 selbst: „Man übertreibt nur wenig, wenn man sagt, das Christentum verdanke alles, was an seinem Gottesbild neu und schön ist, diesem bescheidenen – und wohl ein wenig verträumten – jüdischen Bauhandwerker, diesem merkwürdig modernen, neuen Mann“ – Joseph nämlich. Da gehe ich auch davon aus, dass das Gottesbild der Christen „neu und schön“ ist, oder zu Teilen jedenfalls neu und schöner als das alte Bild der Juden. Da kannte ich weder Hillel noch die lange rabbinische Tradition, in der er steht. Ich war und bin aber auch kein Theologe, nicht der Chef – oder Ex-Chef – einer Weltkirche.

Freilich hat Joseph Ratzinger immer wieder Dinge gesagt, die zentralen Dogmen der Kirche widersprechen. So etwa, als er in seiner „Einführung in das Christentum in Bezug auf Joseph sagte: „Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum“. (S. 199f.)

Eine merkwürdige Formulierung. Wenn die Gottessohnschaft kein biologisches Faktum ist, dann muss wohl Joseph (oder ein anderer Mann) der Vater des Jesus sein. Dann sind aber auch die jungfräuliche Geburt und die immerwährende Jungfrauschaft Mariens, zwei zentrale katholische Dogmen, ebenso „ontologisch“ zu verstehen. Man fragt sich dann auch, wie es mit der Auferstehung ist, die ja offensichtlich ausweislich der Joseph-Predigt des emeritierten Papstes nicht nötig ist, damit sich das „Alte“ in das „Neue“ Testament verwandelt.

Ratzinger wird zuweilen als „Mozart der Theologie“ bezeichnet. Ich sehe ihn eher als einen Jerry Lee Lewis der Theologie. Mochte er gesellschaftspolitisch erzreaktionär gewesen – oder geworden – sein, wie ich in meinem Buch „Benedikts Kreuzzug“ gezeigt habe; theologisch war er, ob mit Absicht oder aus Unvermögen, ein großer Umwerfer, vor wie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

 

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2 Gedanken zu “Benedikt XVI, der Jerry Lee Lewis der Theologie;”

  1. avatar

    Vorn weg, ich wünsche Ihnen und den Mitstreitern auf ’s-m‘ ein frohes neues Jahr. (Bis etwa Mitte Januar darf ich das.)

    … ich meine Ratzinger irrt, wenn er schreibt ‚die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre.‘ Mit dieser Logik ‚produziert‘ die Historie viele und noch mehr ‚Götter‘. Die Politik ist voll von denen.

    Das Gottsein Jesu kann nur ist ein ontologisches Faktum sein, meine ich; ‚empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria‘, wie im apostolischen Glaubensbekenntnis geschrieben.

    Das heilige Evangelium Jesu Christi nach Johannes Kap.1 schreibt auch warum:

    11. Er kam in sein Eigentum, und die Seinigen nahmen ihn nicht auf.
    12. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, denen nämlich, die an seinen Namen glauben,
    13. welche nicht aus dem Geblüte, auch nicht aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
    14. Und das Wort ist Fleisch geworden, und hat unter uns gewohnet; und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit als des Eingebornen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.

    … ähm, 😉 zu; ‚… Was mit heutigen Juden ist, da ihr Messias angeblich schon vor 2000 Jahren angeblich erschienen ist, sie aber weder „ihm entgegen“ gehen noch ihm „begegnen“ wollen, sondern stur – halsstörrig nannten es die Christen früher – an der Thora festhalten, … ‚ – das Jesus an der Thora festhielt, werter APo, s.h. Matthäus – Kap. 5
    17. ‚Glaubet nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, sie aufzuheben, sondern zu erfüllen.‘ – das ist Ihnen bekannt … uuund halsstörrig‘ hatten wir schon 2018. 😉

    … auch das heutige Juden, wie schon immer, nicht ‚Die Juden‘ sind – hatten wir hier irgendwo auch schon ‚mal.

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      Danke, lieber Hans, dass Sie mir zustimmen: Ratzinger irrt, vom christlichen Standpunkt, und zwar fundamental: „Mit dieser Logik produziert die Historie viele und noch mehr Götter“. Deshalb nenne ich ihn zum Schluss den „Jerry Lee Lewis der Theologie“ und einen „großen Umwerfer“. Der ging mit dem Christentum um wie Jerry Lee mit dem Klavier.

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