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Das Jagger-Richards-Songbuch (8): Street Fighting Man

Obwohl ich eigentlich gekommen bin, um die Rolling Stones zu loben, nicht zu begraben, ist „Street Fighting Man“ ein Song, der besser begraben wäre, weil ich ihn nicht loben kann. Schon als er herauskam, 1968, fand ich ihn blöd.

Dabei ist die Nummer musikalisch wirklich gut, von Keith Richards‘ hellen einleitenden Akkorden auf der Akustikgitarre über seine tragenden und treibenden Bassfiguren bis zu den Sitar-Klängen am Ende, mit denen sich das Lied vom Hörer und Brian Jones aus der Musikgeschichte verabschieden. Und gerade deshalb hatte der Song einen anderen Text verdient.

In der ersten Person klagt Mick Jagger, dass er nicht teilnehmen kann an der weltweiten Revolution, weil es in der schläfrigen Stadt London keinen Platz gebe für einen echten Straßenkämpfer. Anders, vermutlich, als etwa in Paris, Berlin oder Berkeley. Und deshalb bleibe ihm leider nichts anderes übrig als in einer Rock’n’Roll-Band zu singen.

Nun gibt und gab es viele gute Gründe, in einer Rockband zu singen, zumal wenn man ein großartiger Frontmann wie Mick Jagger und die Band die größte Rockkapelle aller Zeiten ist; das Fehlen einer revolutionären Situation in der Heimat gehört nicht dazu.

Wie es heißt, schrieb Jagger den Song, nachdem er am 17. März 1968 an einer legendären Demonstration gegen den Krieg in Vietnam teilgenommen hatte. Vor der US-Botschaft am Grosvenor Square trafen die etwa 25.000 Demonstranten (so viel zum „schläfrigen“ London) auf Polizeiketten, und es kam zu einer Straßenschlacht, an der Jagger allerdings nicht teilnahm, weil er sich davor von den Demonstranten abgesetzt hatte. Straßenkämpfer sein kam für ihn schon deshalb nicht infrage, weil er im Sommer 1967 zusammen mit Richards wegen Drogenbesitz verhaftet und verurteilt worden und auf Bewährung freigekommen war.

Im damaligen London, dessen reaktionäre Boulevardpresse und Polizeispitze gar nicht schläfrig war, sondern einen förmlichen Kulturkrieg gegen die neue Pop-Aristokratie führte, gab es tatsächlich keinen Platz für einen drug-using, pot-smoking man, no. Und der gerechte Zorn, der aus „Street Fighting Man“ spricht, hätte sich lieber gegen dieses reaktionäre Establishment richten sollen, das, wie der konservative Chefredakteur der „Times“, William Rees-Mogg, kritisch anmerkte, mit dem Prozess gegen Jagger „einen Schmetterling rädern“ wollte. (Rees-Mogg hatte Charakter, anders als sein missratener Sohn, der in die Politik ging.) Gut, vielleicht wollte Jagger nicht als Schmetterling erscheinen; tatsächlich aber war die erste Reaktion der Stones auf die Verurteilung von Jagger und Richards ein hippiehafter „All You Need Is Love“-Verschnitt gewesen: „We Love You“.

Damals hatten sich die Stones an die vorherrschende Stimmung im 1967er „Summer Of Love“ angebiedert; nun, ein Jahr später, biederten sie sich an den 68er-Revolutionszeitgeist an. Dass sie ihn freilich nicht wirklich ernst nahmen, zeigt sich daran, dass Jagger meint, die Zeit sei reif für eine „Palastrevolution“, während es den 68ern gerade nicht darum ging, eine Charaktermaske der herrschenden Klasse durch eine andere zu ersetzen, sondern die Herrschaft an sich aufzuheben; besonders absurd erscheint es, dass Jagger behauptet, „den König töten und seine Diener anklagen“ zu wollen, während er gleichzeitig – im Song „Sympathy for The Devil“, der auf dem gleichen Album wie „Street Fighting Man“ erschien – die bolschewistische Revolution in Russland und die Ermordung des Königs – des Zaren – und seiner Diener – „seiner Minister“ – als Werk des Teufels darstellte. Was sie ja auch waren.

Wer sich an den 68er Zeitgeist nicht anbiederte, waren die Beatles. In „Revolution“, veröffentlicht im Sommer jenes Jahres, setzten sie sich direkt mit den Ideologen der Bewegung auseinander. Damals wurde das leicht gönnerhafte „Well, you know, we all want to change the world“ als Attitüde Arrivierter aus der neuen Aristokratie kritisiert; wie überhaupt die Absage an die Revolution damals so politisch inkorrekt wie sie im Rückblick völlig richtig war. Jaggers Möchtegern-Straßenkämpfer schien damals besser den Zorn der Zeit einzufangen. Aber was John Lennon sang, war gerade deshalb richtig und wichtig, weil es den revolutionären Zeitgeist hinterfragte: Habt ihr einen Plan? Was nützt Zerstörung um der Zerstörung Willen? Wer mit Bildern vom Vorsitzenden Mao herumläuft, wird sowieso bei niemandem landen; und vor allem muss man den eigenen Kopf vom ganzen reaktionären Gepäck und vom Hass befreien, bevor man sich anmaßt, die Welt besser machen zu wollen.

Es klingt verrückt, aber damals gehörte mehr Mut dazu, der Revolution eine Absage zu erteilen, als ihr eine Hymne zu schreiben. Weil Paul McCartney Angst vor der eigenen Courage hatte, sorgte er dafür, dass „Revolution“ nur die B-Seite von „Hey Jude“ wurde, was allerdings auch eine wunderbare Nummer ist; weil Lennon Angst vor der eigenen Courage hatte, sang er: „When you talk about destruction / Don’t you know that you can count me out – in“. Schade. Später schrieb er die fürchterliche Revolutionshymne „Power To The People“, die völlig zu Recht von Maggie Thatcher appropriiert wurde, um ihr Programm des Verkaufs städtischer Häuser und Wohnungen an die Bewohner – heute sagen die Grünen: „Die Häuser denen, die drin wohnen!“ – zu popularisieren.

Was bleibt, ist nicht „das Geräusch marschierender, stürmender Füße“, sondern das orgiastische Hecheln und das triumphierende „all RIGHT!“ am Ende von „Revolution“. Was auch immer kommt, und die marschierenden, stürmenden Füße der Querdenker, Trump- und Putinfreunde, der Israelhasser, Demokratiekritiker und totalitären Klimabolschewisten lassen nichts Gutes ahnen: die Befreiung der Sexualität und der Sinnlichkeit überhaupt bleibt das Verdienst – und die ureigene Aufgabe – des Rock’n’Roll.

 

Ev’rywhere I hear the sound of marching charging feet, boy
‚Cause summer’s here and the time is right for fighting in the street, boy

Well now what can a poor boy do
Except to sing for a rock n‘ roll band?
‚Cause in sleepy London town
There’s just no place for a street fighting man, no

Hey think the time is right for a palace revolution
But where I live the game to play is compromise solution

Well now what can a poor boy do …

Hey my name is called Disturbance
I’ll shout and scream, I’ll kill the king, I’ll rail at all his servants

Well now what can a poor boy do …

You say you want a revolution
Well, you know
We all want to change the world
You tell me that it’s evolution
Well, you know
We all want to change the world

But when you talk about destruction
Don’t you know that you can count me out (in)

Don’t you know it’s gonna be all right …

You say you got a real solution
Well, you know
We’d all love to see the plan
You ask me for a contribution
Well, you know
We’re all doing what we can

But if you want money for people with minds that hate
All I can tell you is brother you have to wait

Don’t you know it’s gonna be all right …

You say you’ll change the constitution
Well, you know
We’d all love to change your head
You tell me it’s the institution
Well, you know
You better free your mind instead

But if you go carrying pictures of Chairman Mao
You ain’t going to make it with anyone anyhow

Don’t you know it’s gonna be all right …

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7 Gedanken zu “Das Jagger-Richards-Songbuch (8): Street Fighting Man;”

  1. avatar

    Bill Wymans tragende und treibende Bassfiguren

    Na, sorry, Keith hat hier Bass gespielt. Eigentlich ist Keith ein sehr guter Bassist, besser als Wyman. „Jumping Jack Flash“,“Sympathy for the Devil“, Happy sind alle Keith.

    1. avatar

      Stimmt. Hier spielt Keith Bass. Ich ändere das. Dass Keith ein besserer Bassmann wäre als Wyman – ich weiß nicht, ich finde Wyman schon sehr gut, auch mit seinen Rhythm Kings. Aber der Bass hier ist sehr gut. McCartney hätte wahrscheinlich etwas Ähnliches da hineingebracht.

  2. avatar

    ‚But if you go carrying pictures of Chairman Mao
    You ain’t going to make it with anyone anyhow‘

    APo: ‚Obwohl ich eigentlich gekommen bin, um die Rolling Stones zu loben, nicht zu begraben, ist „Street Fighting Man“ ein Song, der besser begraben wäre, weil ich ihn nicht loben kann. Schon als er herauskam, 1968, fand ich ihn blöd.‘

    … das ist der aus dem Völkerrecht kommende ‚DIXI-Epertin-360°-Effekt‘. 😉

  3. avatar

    M. E. gibt es viele Gründe nicht zu einer Demonstration (Revolution) zu gehen oder sie wieder zu verlassen, z. B. sich nicht vollständig mit dem Thema und den Demonstranten zu identifizieren, Angst oder Opportunismus. Die Narrative sind wandelbar. Ich weiß wovon ich schreibe, denn zum Zeitpunkt der Friedlichen Revolution 1989 war ich in Leipzig. Ich weiche ab. Hier https://faroutmagazine.co.uk/the-story-behind-the-rolling-stones-song-street-fighting-man/ wird die Story hinter dem RS-Song so erzählt. Ein Puzzleteil, das mir für das Verstehen des Textes zu fehlen schien.

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      Ja, wenn man dem Wort eines linksradikalen Aktivisten und Selbstdarstellers wie Tariq Ali glauben soll. Warum nehmen Sie nicht zu meinem Text Stellung?

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        Tariq Ali kenne ich nur als Schriftsteller. Warum aber sollte ich einem EX-Maoisten mehr glauben als ihm? Der Song wurde von Anfang an unterschiedlich interpretiert. Sie schreiben, dass sich die Rolling Stones (RS) den Protestierenden anbiederten. Nur dürfte den „echten“ »Street Fighting Men« nicht entgangen sein, dass die RS persönlich nichts riskieren wollten. Gleichzeitig scheinen die RS noch „Würze in die Sülze“ kippen zu wollen, wie das auch ein Blog um 2015 gern machte, dessen Namen ich hier nicht mehr schreiben soll. So zeigten sich diese als wildgewordene Kleinbürger. Die einen gießen Öl ins Feuer und die anderen kommen als Feuerwehr. Könnte man »Sympathy For The Devil« nicht auch ein wenig als Kokettieren mit dem Bösen interpretieren? Ich denke, der Song »Revolution« von den Beatles dürfte Ihnen inzwischen mehr zusagen, denn dessen Inhalt durchdringt einige Ihrer früheren Artikel. So passten die beiden Songs wahrscheinlich nicht nur damals zur Revolution von links, sondern auch heute zu der von rechts. Nur wird nicht immer für alle alles gut.

      2. avatar

        Sie schreiben in Ihrem Artikel: „die Befreiung der Sexualität und der Sinnlichkeit überhaupt bleibt das Verdienst – und die ureigene Aufgabe – des Rock’n’Roll“. Anfangs war dies sicher so, eignete sich der Tanzrhythmus dazu, die Sexualität öffentlich zum Ausdruck zu bringen, doch später kamen auch politische Themen jener Zeit, wie der Vietnamkrieg, die atomare Aufrüstung und die Rassendiskriminierung, hinzu. Rock’n’Roller verarbeiteten ihre Empfindungen und Gefühle, schienen dadurch besonders authentisch. Es gab den Jugendlichen die Möglichkeit ihr Bedürfnis nach Auflehnung und Abgrenzung zur Erwachsenenwelt zu befriedigen. Meine ersten Rock´n´Roll-Platten hörte ich in der Clique.

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