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Clausnitz ist kein Zufall – Die gefährliche „Widerstands“-Saat der Neuen Rechten geht auf

Die schockierenden Ereignisse in Clausnitz dürfen nicht als isolierte Vorfälle betrachtet werden. Hier geht eine Strategie auf, welche die Neue Rechte schon länger propagiert. Auch Blockaden von Bussen mit Flüchtlingen gehören dazu. Im Herbst 2015 hat Götz Kubitschek, die Zentralfigur dieser Szene, seine Vorstellungen in einer achtteiligen Artikelserie namens „Widerstandsschritte“ zusammengefasst. Erschienen ist diese in seinem Magazin „Sezession“, welches Björn Höckes AfD-Freund Alexander Gauland verharmlosend „konservativ“ nennt.

Die Eskalationsspirale im deutschen Hass- und Wutbürgertum dreht sich weiter. Nach zahlreichen Anschlägen auf Asylbewerberheime und dem entfesselten Mob vor der Flüchtlingsunterkunft in Heidenau sind die „Wir sind das Volk“-Rufer nun auch physisch ganz nah an die von ihnen so verachteten Flüchtlinge, in der Szene meistens nur „Illegale“, „Invasoren“ oder „Barbaren“ genannt, herangerückt.

Abermals war Sachsen der Ort des Geschehens. Im Ortsteil Clausnitz der Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle, gelegen im Osterzgebirge, blockierten rund 100 „besorgte Bürger“ direkt vor einer Unterkunft einen Bus mit Flüchtlingen, um diese so am Ausstieg zu hindern. Im Inneren des Fahrzeugs sah man Menschen, denen die Verängstigung ins Gesicht geschrieben war, darunter Frauen und ein den Tränen nahes Kind. Wie ein Augenzeuge gegenüber SPIEGEL Online berichtete, sollen die folgenden Worte gefallen sein: „Mal sehen, was hier für Ungeziefer aussteigt!“, „Weg mit dem Gelumpe!“ und „Asylantengesindel!“ Zuvor war nach Angaben der Polizei bereits die Zufahrtstraße zum Heim mit drei Autos blockiert worden und konnte erst nach rund zwei Stunden geräumt werden.

Die Neue Rechte ruft zum „Widerstand“ nach Artikel 20 Abs. 4 GG auf

Hier ist eine Form menschlicher Verrohung sichtbar geworden, die viele nicht für möglich gehalten haben. Tatsächlich ist sie aber alles andere als ein Zufall. Die Grölenden vor dem Heim setzen nur das in die Praxis um, was die radikale Neue Rechte rund um den Verleger Götz Kubitschek, der mehrfach Redner bei Pegida und Legida war, bereits seit dem letzten Oktober propagiert. „Widerstand“, also „ziviler Ungehorsam“ nach Art 20 Abs. 4 des Grundgesetzes, lautet das Schlüsselwort. Was Kubitschek darunter versteht, wird in diesem Artikel noch dargelegt. Vorwegnehmen lässt sich jedenfalls, dass seine Auslegung nicht nur falsch, sondern zugleich die gefährlichste Interpretation dieses Verfassungsartikels ist. Kubitschek steht, und das ist das eigentlich Beunruhigende, mit dieser Rhetorik längst nicht mehr alleine da. Sie hat sich schon länger auch in das Begriffsarsenal vieler Bürger eingeschlichen, die mal Mitte waren, sich aber zunehmend radikalisieren.

Die Widerstandsrhetorik hat die bürgerliche Mitte erreicht

Unter dem Titel „Sprache des Notstands – Die Sehnsucht nach dem Radikalen hat die bürgerliche Mitte erreicht“ hat Jan Fleischhauer diese Entwicklung in einem klugen Leitartikel im letzten SPIEGEL dargelegt und erklärt, auf welche sprachliche Ebene sich inzwischen auch Horst Seehofer begeben hat, wenn er als Ministerpräsident und somit als Verfassungsorgan Worte wie „Notwehr“ und „Herrschaft des Unrechts“ im Mund führt: „Wie sich zeigt, gibt es auch eine Sehnsucht nach dem Aufstand. Solange die Rhetorik des Notstands auf die politischen Randzonen beschränkt war, musste man sie nicht ernst nehmen, aber sie hat den Rand verlassen und sich in die bürgerliche Mitte vorgearbeitet. (…) Jetzt ist die Wut in der Staatskanzlei angekommen. Bisher war es Konsens unter Demokraten, sich von der Sprache des Aufruhrs fernzuhalten – diesen Konsens hat Seehofer verlassen.“

Zu ergänzen ist, dass dieser Konsens auch schon von anderen Bürgerlichen verlassen wurde. Auch in den radikalisierten Teilen des konservativen christlichen Milieus finden sich seit einiger Zeit Aufrufe zum Widerstand. So schrieb der katholische Autor und Blogger Peter Winnemöller schon im Mai 2015 auf dem sehr umstrittenen privaten und nicht mit dem offiziellen Portal der Deutschen Bischofskonferenz („katholisch.de“) zu verwechselnden Internetmedium „kath.net“ über Art. 20 Abs. 4: „Dieses Recht wird zur moralischen Pflicht für alle, die den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat nicht auf dem Altar einer Selbstanpassung und politischen Korrektheit geopfert sehen wollen.“

Wer aktiv eine Widerstandsrhetorik verwendet, sollte genau wissen, wem er damit in die Hände spielt und was für ein Gedankengut er, wenn auch ungewollt, damit salonfähig gemacht. Aufrufe zum Widerstand sind nämlich seit geraumer Zeit genau das, was die Neue Rechte und ihre Sympathisantenszene sich auf die Fahnen geschrieben haben. Der Plural „Fahnen“ ist hier durchaus angebracht, wenn man bedenkt, was für Fahnen man auf Pegida-Demos sieht: von Schwarz-Rot-Gold über die so genannte Wirmer-Flagge bis hin zu Reichskriegsflaggen.

Kubitscheks Anleitung zum Widerstand in acht Schritten

Ende September startete Götz Kubitschek seine insgesamt acht Folgen umfassende Textserie „Widerstandsschritte“ auf dem Online-Auftritt der „Sezession“. In der ersten Folge ging es um die Aktion „Grenzhelfer“ der radikal rechten „Identitären Bewegung Österreich“. Folge 2 hieß „Widerstandsschritte (2): Massendemonstrationen“. Kubitschek schrieb dort unter anderem: „und weil die konstruktive Arbeit nur noch als Widerstandsarbeit sinnvoll ist, muss dieser Widerstand organisiert werden: Pegida in Dresden und die AfD in Erfurt sind gelungene Beispiele dafür“. Keine Frage, hier sieht man einen Strategen am Werk.

Sodann erschien am 30. September „Widerstandsschritte (3): Lebende Grenze bei Sebnitz”. Dort berichtete Kubitschek von einer „freiwilligen Grenzsicherung“, ergänzte aber sogleich, dass „Unwille uns zum Widerstand gegen ein herbeigeführtes Versagen des Staates (ermächtigt)“. Und führte überdies aus: „Was tun in einer solchen Situation: In Sebnitz (Sächsische Schweiz) hat man sich für eine symbolische Aktion entschieden, für eine Menschenkette (hier ein Mobilisierungsvideo). Ich bin ja der Meinung, dass die Zeit für das Symbolische vorbei ist: Wer symbolisch handelt, rechnet mit und hofft auf eine Umsetzung seiner Andeutung durch diejenigen, die dazu ermächtigt sind.“

Am 4. Oktober ging es weiter. Der Text war mit „Widerstandsschritte 4 Diskussionsveranstaltungen“ überschrieben. Darin erzählte Kubitschek von seiner Dresdner Diskussionsveranstaltung mit dem sich selbst einen „Nationalbolschewisten“ nennenden Jürgen Elsässer zur „Asylflut“ und ließ keinen Zweifel daran, was er mit seinen Äußerungen bezweckt: „Sprechen, Publizieren, Veröffentlichen ist bereits jeweils ein Tun, denn es mobilisiert und stabilisiert diejenigen, die nicht mehr hinnehmen möchten, was unserem Land widerfährt. Man nimmt ein paar gute Argumente mit, man sieht sich nicht alleine, man findet Anknüpfungsmöglichkeiten, und unsere Zeitschriften, Verlage und Organisationen sind in dieser Phase auch Sammelbecken zur raschen Verbreitung anderer Formen des Widerstands.“

Die Achse Kubitschek-Elsässer-Poggenburg

Übrigens ziehen Kubitschek und Elsässer schon länger und immer enger an einem Strang. Da wundert es nicht, dass Elsässer auch zusammen mit dem sachsen-anhaltinischen AfD-Spitzenkandidaten André Poggenburg, ebenfalls ein Anhänger neurechten Gedankenguts und Verbündeter von Björn Höcke, zum Wahlkampfabschluss am 10. März in Magdeburg bei einer Veranstaltung von seinem, also Elsässers COMPACT-Magazin mit dem Titel „Die AfD vor dem Durchbruch! Merkel muss weg – Frauke Petry ist die bessere Kanzlerin!“ auftreten wird. Irgendein kritisches Wort von Frauke Petry zu diesem Schulterschluss war bisher nicht zu vernehmen. Stattdessen regt sie sich lieber in demagogischer Manier über die Kirchen auf und behauptet, „einige Amtsträger der deutschen Kirchen (erheben) ihre Stimme offenbar mehr für Muslime als für eigene Glaubensbrüder“.

„Ernst machen in Einsiedel – das geschieht schon, aber was, wenn die Busse kommen?“

Zurück zu Kubitschek. Ab Folge 5 der „Widerstandsschritte“ ging er nun wirklich in medias res und schrieb unter dem Titel „Ernst machen“ einen Text, welcher klar zeigt, dass die Busblockade von Clausnitz keineswegs einfach so als singuläre Aktion entstanden ist, sondern das umsetzt, was Kubitschek und die Neue Rechte systematisch anstoßen. Immerhin lesen viele radikalisierte Bürger ja vorwiegend die „Alternativmedien“ der Szene und damit auch die „Sezession“. In „Ernst machen“ ging es um den Chemnitzer Stadtteil Einsiedel: „Ernst machen in Einsiedel – das geschieht schon, aber was, wenn die Busse kommen? Räumt man dann einfach das Feld? Blockiert man die Straße? Wird aus den Bussen ein Castor-Transport? Und überhaupt: Wenn es Einsiedel 20x gäbe und an jedem Abend in Sachsen irgendwo 2,5 x 2000 Leute schweigend durch ihre Dörfer gingen und verhinderten, dass die Busse durchkommen – was dann? Endlich ein Effekt?“. Klingt wie eine Blaupause für „Clausnitz“.

„Juristische Orientierungshilfen“ von Thor von Waldstein

In der sechsten Folge legte Kubitschek nochmals eine Schippe drauf und schrieb in „Widerstandsschritte (6): Widerstandsrecht in Einsiedel?“: „In Freiberg haben Hunderte versucht, Busse mit Asylanten an der Weiterfahrt nach Leipzig und Dresden zu hindern: Die Blockaden wurden geräumt, es ging vehement zu. Ist derlei legitim? Oder sogar legal? Die Argumentation ist nicht einfach, und so traten wir an den Rechtsanwalt Dr. Thor v. Waldstein mit der Bitte heran, die Frage zu erörtern, ob es für die Deutschen in der jetzigen Situation ein Recht auf Widerstand geben könnte. Denn dieses Recht ist für alle Deutschen nach Art.20, Abs. 4 des Grundgesetzes verbrieft. Dr. Thor v. Waldsteins Ausführungen sind hier als pdf-Datei abgelegt, sie dienen als Diskussionsgrundlage und erste juristische Orientierungshilfe und sollen im Dezember in einer dann nochmals überarbeiteten Form erneut und als Drucksache publiziert werden.“

Was man in Waldsteins Gutachten so liest, hat es in sich. Zunächst kommt er zu der völlig abwegigen Einlassung, dass in der aktuellen Lage „andere Abhilfe nicht möglich (sei) und daher das Widerstandsrecht das letzte verbleibende Mittel zur Erhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung darstell(e)“. Sodann spielt er verschiedene Formen des „Widerstands“ durch und überlegt, ob diese wohl zulässig sind oder nicht. Um zu verstehen, was in Clausnitz geschah, ist das folgende Fallbeispiel aufschlussreich.

Waldstein beschreibt zunächst den Sachverhalt: „In einer vergleichbaren Lage mietet die Gemeinde eine private Halle an. Widerstand leistende blockieren die einzige Zufahrtstraße zur Halle und verunmöglichen so den durch die Gemeinde beabsichtigten Rechtsbruch (Unterbringung Illegaler).“ Und liefert dazu diese „juristische Orientierungshilfe“: „Widerstandshandlung wohl gerechtfertigt, da nur ein zeitlich eng begrenzter und i.ü. nur geringfügiger Eingriff in die Rechte Dritter vorliegt (S. 28/29)“. Offenbar hat diese „Orientierungshilfe“ in Clausnitz gefruchtet. Auch andere dieser „Hilfen“ transportieren gefährliche Anregungen. So betrachtet Waldstein die „Unterbrechung der Strom- und Heizungszufuhr“ zur Verhinderung einer „geplante(n) Belegung einer Unterbringungseinrichtung mit Hunderten von Illegalen“ als “wohl gerechtfertigt, da der geringfügige Sachschaden die rechtswidrige Belegung der Halle verhindert und i.ü. verhältnismäßig zu den abgewendeten Unterbringungskosten für die Illegalen steh(e).“

Im November 2015 publizierte Kubitschek, der auf dem Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt residiert, schließlich „Widerstandsschritte (7): Spontandemo in Laubegast„; da demonstrierten ca. 250 „besorgte Bürger“ vor einem Vier-Sterne-Hotel, in das Asylbewerber einziehen sollten. Kubitschek beschreibt die Atmosphäre des Protestzuges wie folgt: „Den Zug eröffneten zwei Mütter mit Kinderwagen. Nachdem die Machtfrage zugunsten der Laubegaster beantwort war, wurden zahlreiche Fackeln entzündet, Deutschlandfahnen und Sachsenfahnen ausgerollt. Der ganze Zug machte plötzlich einen sehr wehrhaften und selbstbewußten Eindruck. Ein Hauch von 1989 wehte durch die Straßen.“ Ein Fackelzug also, da spürt man nun wirklich langsam eine Beklemmung. Auch das Vokabular („Machtfrage geklärt“) ist alles andere als zaghaft.

Den Abschluss der Artikelserie bildete „Widerstandsschritte (8): einprozent.de – Für unser Land„. „Einprozent.de“ ist für Kubitschek eine „Art ‚NGO‘ für Deutschland“, mit der man die „örtlichen oder auch deutschlandweiten Widerstandsbemühungen miteinander vernetzen und mit sehr langem Atem die Struktur einer wirkmächtigen Gegenbewegung aufbauen könnte“. Deshalb fordert der Verleger: „Das Projekt muss bekannt gemacht werden und die Kriegskasse von einprozent.de muss gefüllt werden.“

Abermals zeigt sich, dass sich erst aus der Lektüre der Primärquellen der Neuen Rechten erschließt, warum die Radikalisierung im Bürgertum so rasant voranschreitet, wie sie das derzeit tut. Und wie so oft ist hier Götz Kubitscheks „Sezession“ sehr aufschlussreich. Eine Zeitschrift, die der AfD-Vizevorsitzende und Herr in Tweed, Alexander Gauland, übrigens als „konservativ“ bezeichnet. Es sind Verharmloser wie er, die mitverantwortlich dafür sind, dass der Firnis der Zivilisation in Deutschland immer dünner wird.

Die Autorin hat im August 2015 gemeinsam mit Christoph Giesa das Buch „Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte“ im Carl Hanser Verlag veröffentlicht (München 2015. 220 Seiten).

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52 Gedanken zu “Clausnitz ist kein Zufall – Die gefährliche „Widerstands“-Saat der Neuen Rechten geht auf;”

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    Anstatt die rechten Vordenker hier ausufernd und weitgehend unkommentiert und unkritisiert zu zitieren und also zu teilen, sollte etwas dagegengesetzt werden! Inhaltlich!

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