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Warum es jetzt einen muslimischen Aufstand der Anständigen geben muss

Die Mordanschläge in Paris sind eine Kriegserklärung des Islamischen Staats (IS) an den Westen. Das Gefühl der Sicherheit im Alltag ist perdu. Rechtspopulisten werden die Attentate gnadenlos für ihre Hetze gegen Flüchtlinge und Muslime instrumentaliseren. Genau, aber nicht nur deshalb, muss es nun auch von der ganz großen Mehrheit der friedlichen Muslime eine deutliche Reaktion gegen die Instrumentalisierung ihrer Religion geben.

Man findet kaum ein Wort für das, was gestern in Paris geschehen ist. Horror, Terror, Attentate sind zu schwache Begriffe. Europa, der Westen erlebt etwas, was man nicht für möglich gehalten hat. Eine konzertierte Aktion islamistischer Attentäter mitten in Paris, mitten im pulsierenden Leben der Stadt.

An einem Freitagabend, unter anderem am Stade de France, in dem gerade das Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland stattfand. Das Innere des Stadions blieb nur deshalb verschont, weil die Polizei das Eindringen der Islamisten des IS, der sich inzwischen dazu bekannt hat, verhindern konnte. Schüsse, Tote an Orten, an denen sich typischerweise junge Menschen aufhalten. Ein Gemetzel. So etwas gab es zuletzt 2008 im indischen Mumbai, als islamistische Terroristen an insgesamt zehn Orten 170 Menschen niederschossen und Geiseln nahmen.

Nichts wird mehr sein wie vorher

Nichts wird mehr sein wie es vorher war. Die Angst ist eingezogen, nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa. Vor den Morden in der Redaktion von Charlie Hebdo im Januar hatten Europäer vielleicht vage einkalkuliert, dass wie 2005 in London oder 2008 in Madrid der öffentliche Nahverkehr erneut zum Ort des Terrors werden könnte. Seit dem Massaker bei Charlie Hebdo konnte man auf eine Beschränkung des Terrors auf Orte besonderer allgemeiner Öffentlichkeit indes schon weitaus weniger hoffen. Erstmals traf es eine Zeitungsredaktion und einen jüdischen Supermarkt.

Nun aber schlugen die Glaubensfanatiker sogar in Cafés, Restaurants, einem Einkaufszentrum und einem Konzertsaal zu, an insgesamt sieben Stellen in der französischen Hauptstadt, dort wo Menschen den Freitagabend und überhaupt das Leben genossen. Die Botschaft der Angreifer ist klar: der Terror ist jederzeit und überall möglich. Zivilisten können an jedem Ort ermordet werden, obwohl – so der derzeitige Stand der Erkenntnisse – die Anschläge dem französischen Staat gelten, weil dieser sich in Syrien und im Irak an der durch die USA koordinierten Militärkoalition gegen die IS-Terrormilizen beteiligt. „Allahu Akbar“ („Gott ist groß“) sollen die Attentäter im Konzertsaal Bataclan gerufen haben. Der 13. November 2015 ist nichts weniger als eine Kriegsansage des IS an den Westen, ein Versuch der Einschüchterung.

DER IS: Missbrauch einer Weltreligion für den eigenen Hass

Und all das geschieht im Namen einer Religion: des Islams. Aber eben auch nur in seinem Namen. Die Weltreligion Islam als solche, der Koran als solcher können sich nicht dagegen wehren, als Aufforderung zur Errichtung einer Hölle auf Erden missbraucht zu werden, ebenso wenig wie das eine sonstige Religion kann. Aber ihre Anhänger können sich dagegen wehren. Und sollten das auch tun.

Der IS pervertiert den Islam und er tötet Menschen im Namen seiner pervertierten Idee des Islams. Der IS ermordet nicht nur Christen und Jesiden, sondern vor allem auch Muslime, die sich ihm nicht unterwerfen. Um das eigene Leben zu retten, fliehen viele von ihnen nach Europa. Und geben alles auf. Heimat, Haus, Familie. Das aber sehen die immer zahlreicher werdenden Rechtspopulisten und Neurechten nicht, die die Flüchtlinge entindividualisieren, sie zum Teil als amorphe Masse von „Invasoren“ und „Barbaren“ abqualifizieren und eine bevorstehenden „Islamisierung“ und Einführung der Scharia in Deutschland herbeiphantasieren. Der primitivere Teil der Szene spricht inzwischen von „Parasiten“.

Die rechtspopulistische Instrumentalisierung des Pariser Horrors

Für sie, die Rechtspopulisten, und das war leider nicht anders zu erwarten, ist der Horror in Paris, diese unfassbare Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte, ein willkommener Anlass, um ihre pauschale Stimmungsmache gegen Muslime nochmals zu intensivieren. So liest man auf der Facebook-Seite der Alternative für Deutschland (AfD) User-Kommentare wie: „Deutschland erwache, alle Moslems raus“, „Macht die Grenzen endlich dicht und werft Frau Merkel aus dem Amt“, „wie viele Muslime in Deutschland diese Anschläge als gerechtfertigt ansehen auch wenn Sie es niemals öffentlich zugeben würden“ oder „Man muss die Wurzel ziehen und den Koran in Europa verbieten“.

Noch schlimmer wiegt der Umstand, dass auch diejenigen bürgerlichen Meinungsmacher, die schon länger das Feindbild Islam pflegen und Stimmung gegen Flüchtlinge machen, jetzt offenbar ihre Stunde gekommen sehen und den Eindruck erwecken, ihnen komme der Terror in Paris für ihre „Merkel muss weg“-Agenda gelegen. Den Vogel schoss Matthias Matussek ab, der allen Ernstes seiner folgenden, inzwischen in den sozialen Medien zu Recht als degoutant empfundenen Facebook-Äußerung sogar einen Smiley anfügte: „Ich schätze mal, der Terror von Paris wird auch unsere Debatten über offene Grenzen und eine Viertelmillion unregistrierter junger islamischer Männer im Lande in eine ganz neue frische Richtung bewegen. :)“ Kein Wort dazu, dass die meisten dieser Männer vor den Kopfabschlägern des IS fliehen.

Man kann sich ausmalen, wie es weitergehen wird, wie sich die Agitation gegen „die muslimischen Flüchtlinge“ und „die Muslime“ weiter verschärfen wird. Allerdings können die muslimischen Mitbürger nun selbst etwas tun, um genau diesem Effekt entgegenzuwirken. Der so unfair und bodenlos ist, weil die Islamisten nicht nur jetzt das zivile Leben in Paris, sondern, und das schon viel länger, auch in Beirut, Kairo, Damaskus und Amman, Tel Aviv und Marrakesh lahmgelegt haben. Weil es Muslime sind, die Angehörige im Homs und Aleppo verloren haben. Doch genau das sollte bei denjenigen Glaubensgeschwistern, die hier schon länger in Sicherheit leben, den Impuls wecken, öffentlich Flagge zu zeigen gegen die Instrumentalisierung ihrer Religion für den Hass.

Muslime müssen Flagge gegen die Islamisten zeigen

Sie machen sich natürlich nicht mitschuldig, wenn sie schweigen, denn sie haben mit dem Terror nichts zu tun. Aber genauso, wie die deutsche Zivilgesellschaft Flagge zeigen muss gegen den rechten Hass, gegen die Anschläge auf Flüchtlingsheime und gegen die Hassparolen der Rechtspopulisten, vor allem, wenn diese auch noch auf ihr Christentum pochen, so müssen die Muslime gegen den Hass aufstehen, der im Namen ihrer Religion ausgeübt wird. Zumal aus diesem Hass in Paris gerade schon zum zweiten Mal ein Massenmord geworden ist. So könnten sie selbst der absurden Pauschalisierung entgegenwirken und dem immer größeren Ressentiment, das die Rechtspopulisten gegen sie schüren.

Persönlich kann ich nur sagen, dass es mir ein Bedürfnis ist, all den nach rechts gedrifteten Christen entgegenzutreten, die Sarrazin, Pegida und teilweise sogar immer noch Pirinçci verteidigen oder gar feiern, die vom Geburtendschihad“ und „Invasoren“ reden, weil das für mich eine Verdrehung, eine Instrumentalisierung meiner Religion ist. Umso mehr erwarte ich eine solche Abgrenzung von Gläubigen, deren Religion von Fanatikern für den Mord an Menschen missbraucht wird. Das wäre das wirkungsvollste Mittel gegen Vorurteile. Unsere Zivilgesellschaft können wir nur alle gemeinsam verteidigen, jedenfalls in Zeiten, in denen der Hass aus mehreren Richtungen kommt.

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24 Gedanken zu “Warum es jetzt einen muslimischen Aufstand der Anständigen geben muss;”

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    „Wir Deutsche sind und die Muslime sollen“…ist der Tenor dieses Berichts.
    Und da merkt man ja schon, dass der Artikel unsinnig ist.
    Von Muslimen wird ständig gefordert(die sollen jetzt mal gegen den IS demonstrieren, heißt es oft). Dabei enttarnen sich die Personen, die dies fordern, als rechtsgesinnt, weil sie zwischen ‚wir‘ und ‚die‘ unterscheiden. Dabei sind die Muslime nicht erst gestern vom Mond gefallen, sondern leben seit nunmehr als 50 Jahren in Deutschland.
    Da könnte man sich mit ihnen mal zusammenschließen, satt immer nur zu fordern, wie „die müssen, die sollen, etc.“.
    Diese Forderungen verdeutlichen auch, dass Bürger in Deutsche, Ausländer, Religiöse, etc. unterteilt werden. Was kommt als nächstes? Etwa Forderungen an Behinderte, Homosexuelle und Dumme Menschen? Ich fordere jetzt auch, dass alle Dummen Menschen gegen RTL demonstrieren sollen! Wenn sie nicht demonstrieren, dann bestätigt sich, dass sie dumm sind…so ein Blödsinn!
    Apropos Demo gegen Nazis: Wo waren die Demos gegen Breivik?? Wo sind die Demos, obwohl in den letzten Wochen mehrere Anschläge auf Asylheime und Flüchtlinge verübt wurden und noch werden? Kann es sein, dass z.B. Muslime in dem Fall nichts fordern, weil sie wissen, dass die meisten Deutschen keine Nazis sind?!

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    @Alexander Heumann

    „Steckt Euch Eure “europäischen Werte” sonstwo hin, solange für authochtone Europäer oder Christen auf der ganzen Welt offensichtlich keine “Menschenrechte” gelten sollen.“

    Langweilig! German Hysterie, hatten wir schon seit Waldsterben und thermonuklearem Holocaust.

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    Alexander Heumann: „Steckt Euch Eure “europäischen Werte” sonstwo hin“

    Ups, Ihnen möchte ich lieber nicht in die Hände fallen.

    Was unterscheidet Sie ohne „europäische Werte“ eigentlich von den anderen ohne „europäische Werte“?

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    Mir gefällt der Kommentar von Frau Bednarz sehr gut.
    Die Kritik, die hier teils geübt wird, empfinde ich als ungerechtfertigt. Es wird in dem Kommentar sehr deutlich, dass die Forderung/ Anregung nach einem “ Aufstand der Anständigen“ gerade nicht aus einer pauschalen Schuldzuweisung an “ den Islam“ oder “ die Muslime“ herrührt und diese auch nicht bezweckt, sondern vielmehr versucht, dieser entgegenzuwirken.
    Wenn “ im Namen des deutschen Volkes“ rechte Gewalt ausgeübt wird, ist es mir auch ein Bedürfnis, mich gegen diese zu stellen, obwohl ich mich persönlich, nur weil ich Deutsche bin, nicht für diese Taten verantwortlich fühle. Würden die Kritiker den Aufruf eines Flüchtlings “ die Deutschen müssen einen Aufstand der Anständigen gegen rechte Gewalt üben “ auch kritisieren, weil sich ja bereits viele Deutsche von rechter Gewalt distanzieren, gegen diese demonstrieren und kämpfen und teils selbst Opfer rechter Gewalt werden? Ich denke nicht.
    Frau Bednarz hat geschrieben, warum sie einen “ muslimischen Aufstand der Anständigen“ als positiv und wünschenswert erachtet. Wenn hier darauf hingewiesen wird, dass es viele Muslime gibt, die bereits den “ Aufstand proben“, indem sie sich von islamistischem Terror distanzieren, gegen ihn kämpfen etc., so spricht dies meiner Meinung nach nicht gegen den Artikel, ich denke eher, dass gerade diese Muslime den Artikel “ unterschreiben“ würden. Ein „muslimischer Aufstand der Anständigen“ wäre zum einen, wie von der Autorin geschrieben, im Hinblick darauf, dem „rechtspopulistischen Effekt“ solcher Anschläge entgegenzuwirken, positiv, zum anderen ist dieser auch zur Prävention und Bekämpfung von islamistischem Extremismus wichtig. Dabei kann so ein Aufstand öffentlich erfolgen, aber auch innerhalb der muslimischen Gesellschaft, indem extremistischen Ansätzen stärker entgegengetreten wird.
    Meiner Meinung nach kann und sollte jeder seinen Teil zu einer friedlichen Gesellschaft beitragen. Diesen Appell richte ich an jeden Menschen, gleich welcher Religion oder Nationalität, eben deshalb auch an Muslime.

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    „Ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, daß die ´Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten´ Ihnen größere Sorgen bereitet als der islamische Terror selbst (…)“ [Don Geraldo]

    Und wenn man sich gestern erneut die Günter-Jauche-Grube im TV angetan hat, trifft dieser Verdacht ALLE dortigen Diskutanten einschließlich des ´Moderators´ selbst: In Sachen „Meinung“ war da NICHTS mehr ´bunt & vielfältig´!

    Niemand scheint die Frage zu beschäftigen, wie wir ähnliche Katastrophen in Deutschland verhindern könnten – oder ihnen wenigstens nicht weiterhin Vorschub leisten – (für Martin Schulz gehören islamistische Anschläge mittlerweile ohnehin zum – Zitat – „allgemeinen Lebensrisko“), sondern einzig und allein die Frage, wie man um alles in der Welt verhindert, dass ein ´Generalverdacht´ gegen muslimische „Flüchtlinge“ entsteht: Lieber noch weitere tausende Tote durch islamische Fundamentalisten – aber nur das nicht!

    „Europäische Werte“ gehen über Menschenleben! An den „europäischen Werten“ soll die Welt genesen – kein noch so blutiger Preis kann da zu hoch sein! Vor allem nicht, wenn er nicht von den heuchlerischen Apologeten dieser „Werte“ bezahlt werden muss, sondern vom Volk, also dem ´Pack´, das – bitte, bitte – jetzt nicht „einknicken“ darf und schön brav weiterhin Großveranstaltungen aufsuchen und das Geld in den Brüsseler Wirtschaftskreislauf pumpen soll!

    Erst verramscht man europäische Staatsangehörigkeiten (auch) an Einwanderer, die dann „mit europäischer Bildung aufwachsen“, „französiche Staatsbürger sind“ (Herr Wickert betont diesen Umstand, als wäre es der Stein der Weisen), bevor sie sich im nahen Osten zur Kopfabschneide-Fachkraft fortbilden – um dann den Europäern aufs Butterbrot zu schmieren, wie viele von ´ihnen´ sich als Dschidadisten betätigen: Es muss also etwas mit Europa zu tun haben (nicht jedoch mit dem Islam)!!

    Man erwähnt auch „Konvertiten“, aber das verbindende Puzzleteil – der Islam – durfte nicht angesprochen werden. Schon das WORT „Islam“ wurde tunlichst vermieden …

    Ebenso gekonnt war der Slalom unserer Verteidigungsministerin Von-der-Leyen um die Worte „Christen“ oder „Christenverfolgung“ – so ein Genozid ist eben irrelevant, wenn es nicht solche Opfer trifft, denen PC-Jakobinern den Opfer-Status zubilligen. Wie war das mit der „Anti-Diskriminierung“?

    Steckt Euch Eure „europäischen Werte“ sonstwo hin, solange für authochtone Europäer oder Christen auf der ganzen Welt offensichtlich keine „Menschenrechte“ gelten sollen.

    Der eingangs genannte Kommentator weiter: „Den ´Aufstand der Anständigen´ wird es natürlich nicht geben, wozu auch, es gab ihn ja auch nicht in Folge der Anschläge 2005 in London, 2008 in Madrid und Mumbai, und Anfang dieses Jahres gab es ihn auch nicht.“ (DAS ist eine „starke Meinung“, Frau Bednarz!)

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    Sicherlich ist es erfreulich, wenn Muslime in der Öffentlichkeit deutliche Zeichen der Verurteilung derartiger terroristischer Gewalt setzen und damit Befürchtungen und Ressentiments entgegenwirken, die in der Bevölkerung leider weit verbreitet sind. Ich halte es jedoch für problematisch von nichtmuslimischer Seite in der Öffentlichkeit dazu aufzufordern. Mit entsprechenden Forderungen ist die Gefahr verbunden, dass der Eindruck entsteht oder verstärkt wird, die Muslime hierzulande hätten bislang stillgehalten. Dies ist nicht der Fall. Nach den Pariser Anschlägen vom Januar fand in Berlin sogar eine von islamischer Seite, namentlich durch den Zentralrat der Muslime organisierte Großkundgebung vor dem Brandenburger Tor statt. Es ist zu erwarten, dass demnächst eine ähnliche Veranstaltung folgt. Forderungen nach „Distanzierung“ sind jedoch auch aus einem grundsätzlicheren Grund problematisch: Der Terrorideologie des IS fallen in Syrien und dem Irak nicht nur Christen, Jesiden, Schiiten, Alawiten und andere zum Opfer, sondern auch massenhaft Sunniten. Etwa solche, die ihrem traditionellen Islamverständnis treu bleiben und den Dschihadisten darum die Unterwerfung verweigern. Ist es da ratsam, von den Glaubensgeschwistern dieser Opfer coram publico zu verlangen, sich doch bitte von den Tätern zu abzugrenzen? Meines Erachtens wohl kaum.

    Allerdings ist es völlig absurd, der Autorin des obigen Kommentars muslimfeindliche Scharfmacherei zu unterstellen. Allein die Lektüre dieses Texts sollte genügen, um einzusehen, dass dies jeglicher Grundlage entbehrt.

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    Was soll es eigentlich bringen, wenn sich irgendwelche Zentralräte öffentlich positionieren. Frage ist: Was denkt die muslimische Wohnbevölkerung in D.? Das ist ja mittlerweile so gut erforscht, dass hinsichtlich der Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politisch-religiös motivierter Gewalt keine Illusionen mehr bestehen dürften.
    Gleichfalls gut dokumentiert ist die Meinung der Deutschen über den Islam und seine Gläubigen. Insofern ist es müßig über die Wirkung einer Instrumentalisierung der aktuellen Vorfälle zu spekulieren. Hier werden vielleicht noch Vorurteile bestätigt, ansonsten dürfte die Meinungsbildung abgeschlossen sein.

    Wenn wir uns also -wie behauptet- im Krieg befinden, dürfte die Frage berechtigt sein, wer auf unserer Seite steht, und wer hierzulande mit dem Feind sympathisiert. Um nicht anderes wird es zukünftig gehen.

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    Lieber Herwig Finkeldey,

    natürlich erwarte ich das nicht von Muslimen, die selbst Angehörige an den IS verloren haben. Aber ansonsten muss die europäische Zivilgesellschaft einfach Flagge zeigen und deutlich machen, dass sie keinen Terror akzeptiert. Aus dem gleichen Grund plädiere ich ja auch dafür, dass die Bevölkerung viel entschiedenener gegen den Hass auf Flüchtlinge eintritt, etwa durch Gegendemos gegen die rechten Hetzer, die vor dem Heimen ihre Parolen schwingen. Und wie ich schon sagte, wäre eine solche Reaktion der Muslime hier das wirkungsvollste Mittel, um den Rechtspopulisten, die den Hass auf den Islam schüren, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

    Lieber Andreas Theyssen: Alles richtig, aber ich denke wie gesagt, dass Demonstrationen der friedlichen Muslime viel dazu beitragen könnten, das nun nochmals stärker werdende Ressentiment gegenüber dem Islam wieder zurückzudrängen.

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    Lieber Stefan Trute. Sie schrieben:

    Zu spät, Frau Bednarz. Schon eine erste Aufforderung wie die Ihre, die ich durchaus nachvollziehen kann, spielt den Dumpfen in die Hände! “Seht her, die müssen zum Demonstrieren genötigt werden! Eh nur Lippenbekenntnisse!” Gibt es keine Reaktion seitens der Muslime hier, wird das vom denen als Zustimmung verstanden.“

    Klar, aber das wird es ohnehin. Der pauschale Hass auf den Islam ist da, leider, und wird gezielt von Rechtspopulisten geschürt. Ich mache mir Sorgen, dass dies nun noch schlimmer wird und Menschen, die bisher vielleicht nur Angst vor dem Islamismus hatten, nun auch ein Ressentiment gegenüber dem Islam entwickeln. Ich glaube, dass ein deutlicher öffentlicher Protest der Muslime gegen diese Instrumentalisierung ihrer Religion viel dazu beitragen könnte, die aufgeheizte Stimmung abzukühlen.

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    Kann den Kommentar zu 95 Prozent unterschreiben. Nur dass auch Sie die Sache mit dem „Die Muslime müssen endlich Flagge zeigen“ nachbeten, finde ich verstörend.

    Der Zentralrat der französischen Muslime hat sich am gleichen Tag von dem Attentat distanziert. Das weltweite Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Jamaat hat sich distanziert, die Regierungen Ägyptens, Kuwaits, Saudi-Arabiens und des Iran haben sich am selben Tag distanziert.

    Und was ist mit den Muslimen, die sich nicht nur verbal distanzieren, sondern in Syrien, im Irak, in Libyen, in Afghanistan und in Nigeria den IS und dessen angeschlossene Gruppen mit der Waffe in der Hand bekämpfen? Wieviel Distanzierung und Flaggezeigen brauchen Sie denn noch, Frau Bednarz?

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    Von einem solchen Aufstand oder einer herbeigezwängerten Distanzierung verspreche ich mir nichts. Die meisten Opfer des IS sind Muslime und Muslimas. Das fehlte noch, dass die Angehörigen von IS-Opfern zur Distanzierung genötigt werden.

    Wie aber ist der IS zu sehen? Nun,wie ein Gottesstaat. Und mit Vertretern eines Gottesstaates ist ein politischer Diskurs, ein Gespräch über Interessensausgleich nicht möglich, weil sich die Vertreter eines Gottesstaates nicht als Anwalt von Menschen und deren Interessen verstehen, sondern als Anwalt der Wahrheit. Genauer als Anwalt der Wahrheit, wie sie sie meinen. Und dswegen ist ein Gespräch mit ihm so nutzlos. Wer kann schon die Wahrheit überzeugen, dass sie nicht recht (und nicht Recht) hat. Ich fürchte, die Methode Chamberlain ist hier am Ende und Winston muß ran…

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    Ich stimme Ihnen grundsätzlich Ihren Aussagen zu. Dennoch reichen verbale Distanzierungen der friedlichen Muslime nicht aus. Noch wird in islamischen Einrichtungen zu viel gehetzt und geduldet. Mit diesem Dulden muss endlich Schluss sein. Keine islamische Einrichtung sollte islamistisches Gedankengut tolerieren. Denn wenn sie es tun, machen sie sich mitschuldig an diesem Massenmorden und dürfen sich nicht wundern, wenn sie in der nicht-muslimischen Bevölkerung isoliert und Vorurteile verstärkt werden. Und überhaupt: wie viel Prozent machen die Muslime aus, die sich wirklich und öffentlich distanzieren? Sollten es nur wenige sein, werden ihre positiven Aussagen verpuffen wie schon nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo…

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    Ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, daß die „Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten“ Ihnen größere Sorgen bereitet als der islamische Terror selbst.
    Ich hoffe allerdings, ich irre mich in dieser Einschätzung.

    Den „Aufstand er Anständigen“ wird es natürlich nicht geben, wozu auch, es gab ihn ja auch nicht in Folge der Anschläge 2005 in London, 2008 in Madrid und Mumbai, und Anfang dieses Jahres gab es ihn auch nicht.

  14. avatar

    @LB

    Zu spät, Frau Bednarz. Schon eine erste Aufforderung wie die Ihre, die ich durchaus nachvollziehen kann, spielt den Dumpfen in die Hände! „Seht her, die müssen zum Demonstrieren genötigt werden! Eh nur Lippenbekenntnisse!“ Gibt es keine Reaktion seitens der Muslime hier, wird das vom denen als Zustimmung verstanden. Ihr Problem, Frau Bednarz, ist, dass Sie die, die Sie ansprechen und überzeugen wollen, niemals mit Argumenten erreichen werden. Das zeigen die Kommentare zu Ihren Beiträgen hier sehr deutlich! Mich müssen Sie nicht überzeugen. Wenn Ihre publizistische Arbeit einen Sinn hat, dann den, die „Unentschiedenen“ aufzuklären. Eine Aufforderung an die Muslime in Deutschland, ihren Unmut zu den Attentaten in Paris zu demonstrieren, ist da eher kontraproduktiv.

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    Mal abgesehen davon, dass jeder Aufständische seine Sache als „gerecht“ und somit als „anständig“ bezeichnen würde, gibt es m.E. einen zweiten – und nicht weniger gewichtigen – Grund, der das Bild vom Aufstand als ein falsch gewähltes erscheinen lässt: und zwar der Inhalt des Begriffs „Aufstand“ vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand#Politik

    Demnach ist das primäre Wesen eines Aufstands gerade nicht, gegen eine Sache, Lebenseinstellung oder Weltanschauung aufzustehen. Der Aufstand richtet sich gegen einen konkreten Gegner, zielt auf dessen Unterwerfung bzw. Niederschlagung ab und begnügt sich nicht damit, lediglich dessen perversen Handlungen zu missbilligen.

    Wer den Aufstand anständiger Muslime fordert, kann auch gleich die Forderung nach der Quadratur des Kreises erheben. Denn ein niederzuringender Gegner, gegen den sich ein solcher Aufstand richten müsste, ist schlichtweg nicht vorhanden.

    Es steht zu befürchten, dass sich auch die Terroristen dessen bewusst sind. Der ganz überwältigenden Mehrheit der Muslime, die die Taten des IS und die von ihm vorgenommene Pervertierung des Islams aufs Schärfste missbilligen, ist bereits faktisch jedweder Aufstand unmöglich. Ihr bleibt einzig und allein die Solidarisierung mit denen, die Opfer machtgieriger, eine Religion missbrauchender Psychopathen wurden.

    Und damit wäre der Bogen geschlagen zu den von Alan Posener vorgebrachten Argumenten.

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    Lieber Alan,

    natürlich insofern kein Widerspruch gegen den stillen Aufstand der Anständigen. Mein Text ist ja auch in erster Linie eine Verteidigung der Muslime hier. Ich glaube aber, dass sie selbst es sind, die durch öffentliche Aktionen ein Zeichen gegen den irrationalen Hass setzen könnten und auch sollten. Jetzt, nach den Pariser Morden. Das wäre so viel wirkungsvoller als die Verteidigung, die Sie und ich betreiben. Ich habe wirklich Angst, dass das Ressentiment sonst noch viel schlimmer wird.

    Mit Sartre haben Sie natürlich völlig recht. Mir geht es hier aber weniger um die Diagnose, sondern um die Kur.

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    Ich stimme Ihnen gerne zu, daß ‚die Muslime‘ ihren Teil beitragen könnten. Insbesondere die verfassten, wie z.B. Saudi Arabien, Iran, Qatar usw. Naja, und eine deutsche Regierung, die mit ihrer Wirtschaftspolitik auch mal ‚ein Zeichen‘ setzen könnte.

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    Liebe Liane,
    die Muslime in Deutschland proben seit Jahren und Tag für Tag einen „Aufstand der Anständigen“, indem sie friedlich hier leben, die Gesetze respektieren, ihre Kinder zur Schule schicken usw. Von Türken, die beim IS-Bombenanschlag in Ankara vielleicht um Angehörige gebangt haben, von Kurden, deren Söhne vielleicht gerade jetzt das tun, was wir nicht tun, nämlich gegen den IS kämpfen, von Syrern, die ja gerade, wie Sie schreiben, vor dem IS geflohen sind, von Iranern, die als Demokraten Opfer der Mullahs geworden wären, wenn sie in der Heimat geblieben wären, von Bosniern, die vor mörderischen serbischen Christen flohen, von … ach, die Aufzählung muss ich doch nicht fortsetzen: von diesen Leuten einen „Aufstand der Anständigen“ zu fordern, spielt doch nur denjenigen in die Hände, die – wenn die geforderten Massendemos ausbleiben – sagen werden: „Seht Ihr?“ Und die, wenn solche Demos stattfinden, sagen werden: „Die tun nur so.“ Es gilt mutatis mutandi vom Islamophoben der Satz von Jean-Paul Sartre, dass der Antisemitismus die Krankheit des Antisemiten ist,nicht das Problem der Juden:… „Mit einem Wort, der Antisemitismus ist die Furcht vor dem Menschsein. Der Antisemit ist der Mensch, der ein unbarmherziger Felsen, ein rasender Sturzbach, ein vernichtender Blitz sein will: alles, nur kein Mensch.“

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