In der empörten Republik arbeiten Ideologen von links und rechts fleißig an der Demontage der Demokratie.
Die Rechten behaupten, uns fehle es am völkischen Selbstbehauptungswillen; die von einer linksgrün versifften Politmafia kontrollierte Regierung besorge die Selbstabschaffung Deutschlands und die Islamisierung des Abendlands. In erwartbaren Nuancen anders, im Kern aber ähnlich klingt die Anklage, die Jakob Augstein nun von links erhebt.
Faschisierung statt Islamisierung?
Laut Augstein steht der Faschismus vor der Tür: „Wir sehen gerade, wie ein Stück dieser Geschichte lebendig wird: der Faschismus. Nichts anderes ist es, wenn Enttäuschung, Lüge, Hass und Gewalt zu Politik werden: Faschismus.“ Das ist natürlich Quatsch. Der Faschismus ist eine Staatsform mit einer ausgefeilten Ideologie, wird von starken politischen Organisationen und gesellschaftlichen Kräften getragen. Lüge, Hass und Gewalt sind auch Kennzeichen anderer politischer Systeme, zum Beispiel des Kommunismus, des Putinismus, des südamerikanischen Caudillo-Systems à la Hugo Chavez, der arabischen Diktaturen und des radikalen Islamismus, um nur die zu nennen, die mir auf Anhieb einfallen. Aber egal.
Egal, weil es auch Augstein egal ist. Der Faschismus steht eben, wenn man ihm folgt, nicht deshalb vor der Tür, weil der braune Mob kurz davor stehe, die Macht zu übernehmen, was ja auch eine absurde Behauptung wäre. Und auch nicht, weil die Mitte der Gesellschaft unter dem Druck dieses Mobs nach rechts rutscht, wie es etwa Liane Bednarz und Christoph Giesa behaupten, was nicht absurd ist, aber ein wenig alarmistisch. Der Faschismus steht vor der Tür, weil der „Neoliberalismus“ die Demokratie zerstöre.
Was dem Rechten der Islamismus, ist dem Linken der Neoliberalismus
In Augsteins Gedankenwelt nimmt der „Neoliberalismus“ etwa die Stellung ein, die bei seinen rechten Cousins im Geist der Islam einnimmt. Er ist eine uns wesensfremde Kraft, die unsere Werte zerstört. „Das ist das Wesen unserer neoliberalen Variante von Demokratie: Sie erkennt im Menschen nur den Homo oeconomicus und entkleidet ansonsten alle Begriffe ihres Inhalts. Würde, Freiheit, Gerechtigkeit – das bedeutet alles etwas anderes. Oder nichts.“ Und: „Es ist ein System, das alle nicht ökonomischen Werte negiert, das alles Öffentliche verächtlich macht, das die Intellektuellen nicht braucht und den Bürger als Citoyen nicht schätzt.“ Der Neoliberalismus sei „eine totalitäre Ideologie“.
Wenn man Augstein folgen soll, so demonstrieren die Pegida-Leute, so brennen die Asylbewerberheime, so gewinnen der organisierte Rechtsextremismus und der gerade noch salonfähige Rechtspopulismus nicht deshalb an Boden, weil geschickte Demagogen und fleißige Organisatoren Ängste streuen, menschenfeindliche Ideologeme liefern und konsequent das Vokabular der politischen Auseinandersetzung verrohen und radikalisieren; sondern weil zehn Millionen Deutsche Opfer des Neoliberalismus geworden seien. „Es sind die Leute, die die Pakete packen, die in der Auslieferung arbeiten, die Häuser und Züge reinigen, in den Supermärkten die Regale füllen und an der Kasse sitzen. Sie arbeiten vierzig, fünfzig Stunden die Woche und haben dafür 900 Euro, vielleicht 1100 in der Tasche. In Deutschland sind das zwölf bis fünfzehn Prozent der Erwerbstätigen, fünf, sechs Millionen Menschen.“ Hinzu kämen vier Millionen, die „sich ihres ‚prekären Wohlstands’ nicht recht freuen können, weil sie ihn dauernd gefährdet wissen. Noch einmal zehn Prozent.“
Für diese Menschen seien die Flüchtlinge „nicht nur eine ausgedachte Bedrohung sondern eine reale – ein Reservearmee, stets bereit, sie zu ersetzen.“
Rinks und Lechts vereint gegen das Kapital
Womit die Kritik von links sich aufs schönste vereint mit der Kritik von rechts: Dass deutsche Menschen durch Flüchtlinge „ersetzt“ werden sollen, das ist ja gerade ein zentrales Element der rechtsextremen Propaganda, die ja auch seit jeher weiß, wo die Betreiber dieses Austauschs sitzen: Es sind die „Kapitalisten von der US-Ostküste“, die „Bilderberg-Verschwörer“, „Rothschild und Co.“ Die Kritik am „Neoliberalismus“ ist nur die linke Variante dieses uralten antisemitischen Topos, und es ist kein Wunder, dass Augstein ausgerechnet Wendy Brown zur Hauptzeugin seiner Anklage erhebt, die Lebensgefährtin der antizionistischen Aktivistin Judith Butler. Da schließt sich noch ein Kreis.
Um es klar zu sagen: Dass Menschen im unteren Dienstleistungsbereich unterbezahlt sind, wird kaum jemand bestreiten. Das hat freilich wenig mit einem nebulösen „Neoliberalismus“ zu tun als mit der Struktur der modernen Arbeitswelt. Als langjähriges Mitglied der Gewerkschaft ver.di weiß ich, wie schwierig die Organisierung dieses zersplitterten Sektors ist, anders als etwa das Industrieproletariat oder kleine, aber schlagkräftige Gruppen wie Lokführer oder Piloten. Es ist leicht, als reicher Erbe über den „Neoliberalismus“ zu wettern. Es ist schwer, in einer postindustriellen Gesellschaft für Arbeitnehmerrechte zu streiten. Ich wette, Augstein ist nicht einmal Gewerkschaftsmitglied. Ich wette, er weiß nicht einmal, wie die Putzfrauen bei seinem „Freitag“ heißen. Ich bin sicher, sie verdienen dort auch nicht mehr als den Tariflohn.
Hinzu kommt, dass gerade in diesem Bereich ein Großteil der Arbeitskräfte bereits einen „Migrationshintergrund“ hat. Es sind ja seit jeher die Zuwanderer, die unsere Drecksarbeit machen. Und die sind bestimmt nicht bei Pegida und Co. dabei.
Das Elend des Marxismus
Man kann übrigens diese Beschäftigungsverhältnisse kritisieren; man kann aber auch darauf hinweisen, dass sie für Millionen Menschen, gerade für Zuwanderer ohne ausreichende Qualifikation, für Frauen, für junge Leute, die ihre Ausbildung abgebrochen haben usw. eine Einstiegsmöglichkeit in die Arbeitswelt und damit in den wichtigsten Bereich der Gesellschaft bieten, die von der geschlossenen Gesellschaft der industriellen Großbetriebe nicht geboten wurde und wird, und die keine ABM-Maßnahmen ersetzen können.
Ohne jeglichen Beweis zu behaupten, ausgerechnet diese Schicht liefere den Hauptbestandteil des braunen Mobs und der Rechtswähler, das ist diffamierend und demagogisch. Aber selbst wenn es stimmen würde, so wäre zu fragen: Warum wählen diese Leute nicht links? Warum demonstrieren sie nicht für gewerkschaftliche Rechte und den Mindestlohn? Warum laufen sie rechtsextremen Rattenfängern hinterher? (Kleiner Hinweis für Rechtsempörte unter den LeserInnen: Im bekannten Märchen rannten die Kinder der Stadt Hameln dem Rattenfänger hinterher. Wer Verführer als „Rattenfänger“ bezeichnet, beleidigt mithin deren Gefolge nicht als „Ungeziefer“, sondern zweifelt allenfalls ihre geistige Mündigkeit im Kant’schen Sinne an.)
Augstein meint, wir würden den Zusammenhang zwischen neoliberaler Verelendung und neonazistischen Umtrieben nicht erkennen, weil „wir das Denken in sozioökonomischen Begriffen verlernt haben. Oder es nicht wagen.“ (Vermutlich weil „wir“ dann von der „Lügenpresse“ fertig gemacht würden?)
Aber das „Denken in sozioökonomischen Begriffen“ (sprich Marxismus) kann nicht erklären, warum sich die Deutschen nach der Wirtschaftskrise 1929ff Kommunisten und Nationalsozialisten zugewendet haben, die Amerikaner aber 1932 den linksliberalen Franklin D. Roosevelt und die Briten 1931 mit gewaltiger Mehrheit die Konservative Partei gewählt haben, obwohl die Auswirkungen der Krise in allen drei Ländern ähnlich waren. Es hat eben sehr viel mehr mit der geistigen Haltung der Eliten, der politischen Klasse, der Gewerkschaften und Kirchen, der Kleinbürger und Arbeiter zu tun als mit „sozioökonomischen Kategorien“. In Deutschland fand sich 1933 weder in der Elite noch im Volk eine Mehrheit für die Verteidigung der kapitalistischen Demokratie, jener Regierungsform, die laut Winston Churchill „die schlechteste aller Regierungsformen“ sei „außer allen anderen, die gelegentlich ausprobiert worden sind.“ Und hier machten sich besonders die Intellektuellen schuldig, die mehrheitlich der Weimarer Demokratie die Legitimation versagten und sich bald – wie der mit dem Kommunismus sympathisierende Bertolt Brecht etwa oder der mit Ideen der Konservativen Revolution spielende Thomas Mann – gemeinsam im Exil wiederfanden.
Augstein verniedlicht den Totalitarismus
Mit seiner Behauptung, der „Neoliberalismus“ sei „eine totalitäre Ideologie“ (was einer Verniedlichung der tatsächlich totalitären Ideologien des Kommunismus, Nationalsozialismus, Faschismus du Islamismus gleichkommt), seiner Unterstellung, schon jetzt würden in der demokratischen Bundesrepublik die Werte unserer Verfassung „nichts bedeuten“, der Mensch ohnehin nichts, trägt Augstein eben zu jener Zersetzung der Demokratie bei, die zu beklagen er vorgibt.
Was aber wäre die Alternative? Dazu hat sich Augstein, wenn auch indirekt, auch schon geäußert. Und es verwundert nicht, dass er auch hier den Pegida-Leuten – „Putin, hilf!“ näher steht als den Demokraten im Land.
@Moritz Berger
@68er
Würde mich sehr freuen, wenn ich von ihnen beiden mehr lesen könnte. Es ist selten geworden, dass man es bei einem we agree to disagree belassen kann. Von meiner Seite mangelt es an Zeit, glaube, ihnen geht es nicht anders.
Lieber Moritz Berger
„und mich mehr den haptischen Dingen des Lebens widmen werde“
Ein sehr guter Plan, was ich aus eigener Erfahrung sagen darf. Schade, daß wir mit Ihnen über das ‚Wachstum‘ nicht weiter diskutieren, bzw. was das überhaupt ist. Oder Dezentralisierung der Wirtschaft.
Viele Grüße
Lieber Alan Posener,
dass Sie auf meine Fragen Antworten haben, überrascht mich nicht. 🙂
Aber vielleicht lassen wir die Fragen einmal im Raum stehen und schauen uns in 2 oder 3 Jahren an, wie die globale Situation was die Umwelt und damit auch die neoliberale Ökonomie aussieht.
Wie ich es auf einer Konferenz zur digitalen Welt vor 3 Monaten formuliert habe:
Benötigen wir einen “ GAU “ in unserer digitalen Welt, um aufzuwachen?
Wenn ich so pessimistisch klinge, dann sicherlich auch aufgrund der Tatsache, dass wir uns ( im übertragenen Sinne) auf einem “ Tanker “ befinden, der ein Volumen von 500.000 BRT hat und wir sind der Aufassung,dass der Bremsweg nur 500m hat 🙂
Wenn ich diese Zeilen von Ihnen lese:
Dass Menschen im unteren Dienstleistungsbereich unterbezahlt sind, wird kaum jemand bestreiten. Das hat freilich wenig mit einem nebulösen „Neoliberalismus“ zu tun als mit der Struktur der modernen Arbeitswelt. Als langjähriges Mitglied der Gewerkschaft ver.di weiß ich, wie schwierig die Organisierung dieses zersplitterten Sektors ist, anders als etwa das Industrieproletariat oder kleine, aber schlagkräftige Gruppen wie Lokführer oder Piloten. Es ist leicht, als reicher Erbe über den „Neoliberalismus“ zu wettern. Es ist schwer, in einer postindustriellen Gesellschaft für Arbeitnehmerrechte zu streiten. Ich wette, Augstein ist nicht einmal Gewerkschaftsmitglied. Ich wette, er weiß nicht einmal, wie die Putzfrauen bei seinem „Freitag“ heißen. Ich bin sicher, sie verdienen dort auch nicht mehr als den Tariflohn.
Hinzu kommt, dass gerade in diesem Bereich ein Großteil der Arbeitskräfte bereits einen „Migrationshintergrund“ hat. Es sind ja seit jeher die Zuwanderer, die unsere Drecksarbeit machen. Und die sind bestimmt nicht bei Pegida und Co. dabei.
Dann frage ich mich, ob Sie als Journalist nicht wahrnehmen, dass ein großer Teil der Kollegen in Ihrer Branche mittlerweilwe auf Prekariatsniveau leben.
Und Sie wissen, dass z.B. der Rationalisierungsdruck auch in Ihrer Branche zunehmen wird, siehe “ Algorithmen“ werden zukünftig ihren Job übernehmen und nur die “ Edelfedern “ werden weiter adäquate Gehälter beziehen.
Die Geschäftsmodelle à la Uber und Airbnb sind ebenfalls Indikatoren für die zukünftige Entwicklung.
Und wenn ich mich jetzt verabschiede, dann auch deshalb, aufgrund der Tatsache, dass die Personen aus “ Back to the future “ im Jahr 2015 angekommen sind.
P.S. Dass J.A. ein wenig gaga ist, wie mein Exkollege Jean Luc sagen würde, kann ich ebenfalls unterstreichen.
P.S.Wenn ich hier düstere Zukunftaussichten verbreite, dann auch deshalb, weil ich mich im Rahmen meines Jobs hauptsächlich mit Zukunftsszenarien beschäftigt habe.
Daher packe ich die can do und we can Philosophie in die Schublade.
Und ganz banal gesagt:
Der Kapitalismus (auch in der Keynesianischen Version) befindet sich im Endstadium.
…solange er immer noch auf Wachstum, Quantität und GDP setzt.
ein wenig off topic
Lieber Alan Posener,
Sie wissen doch ausigener Erfahrung wie ganz links außen nach rechts außen wandert.
Warten wir doch einmal ab wo Jakob Augstein in 5 Jahren steht.
Was den Neoliberalismus betrifft,wenn er wenigstens liberal wäre, aber dass ist er leider seit Thatcher und Reagan nicht mehr.
Siehe auch zum x-ten Mal:
Sedlazek:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tom%C3%A1%C5%A1_Sedl%C3%A1%C4%8Dek_%28%C3%96konom%29
Wenn ich in der Wirtschaftswoche lese, dass die Flüchtlinge ein 2. deutsches Wirtschaftswunder hervorrufen werden (wieviel Autos noch mehr auf den Straßen), wenn ich das Totschlagargument der negativen demograhischen Entwicklung in .de lese und gleichzeitig die Arbeitsmarktprognosen lese dass nicht nur im blue collar Bereich durch die Automatisierung Arbeitsplätze vernichtet werden und der white collar Bereich hundertausende von Arbeitsplätzen in den nächsten 10 Jahren verschwinden dann frage ich mich schon in welchem luftleeren Raum wir hier diskutieren.
Ich hatte das Beispiel hier vorgestellt jeder Haushalt in Sri Lanka würde einen Kühlschrank haben oder auch einen TY 60 cm screen.
Sie argumentieren:
Wollen Sie Moritz Berger dies den Sri Lanker nicht gönnen?
Wer weiter so argumentiert, da scheint nicht zu verstehen, dass unsere Ressourcen so langsam zu Ende gehen.
Wir brauchen Lösungen, die endlich die neoliberalen Wachstumshype in die Schublade packt.
Ich hatte in den vergangenen Wochen die Gelegenheit mit Ozeanologen vor Ort die Verschmutzung der Meere, speziell im Pazifik mir anzuschauen.
Es ist nur ein einzelner Indikator, aber wie wollen wir die Meere vom Plastikmüll befreien? Etwa mit der neoliberalen can-do Philosophie??
Ein weiteres Beispiel:
Vor 30 Jahren betrug der Anteil der Aquakulturen weltweit gerade einmal 50 %.
In dem Zusammenhang fast noch “ druckfrisch „:
http://www.spiegel.de/wirtscha.....61644.html
Und hier im Rahmen der Wachstumshype schon wieder ein neuer Milliardenmarkt:
http://www.spiegel.de/wirtscha.....60865.html
Ich werde nur noch sporadisch hier auftauchen, da ich mein sabbatical year beginnen werde und mich mehr den haptischen Dingen des Lebens widmen werde, statt hier das virtuelle Florett oder den Säbel zu schwingen.
Es war interessant, hier an Ihrem Blog teilzunehmen und auch Hut ab vor Ihrer “ Tolerenz “ selbst Personen wie dem “ blonden Hans “ Platz für seine Argumente einzuräumen.
Aber jetzt ist es Zeit:
https://www.youtube.com/watch?v=ohXI3po8hK0
Mit freundlichen Grüßen irgendwann in der Zukunft
Ihr Moritz Berger
Lieber Moritz Berger, das ist aber schade, wenn Sie sich verabschieden. Dabei hätte ich auf Ihre Fragen und Einwände gute Argumente und entgegnungen gehabt. Aber wenn Sie nicht (mit-)lesen, erspare ich sie mir.
http://www.spiegel.de/kultur/g.....61374.html
Ruhe in Frieden!
@Stevanovic
Die ‚Grüne Jugend‘ mag niemanden interessieren, bei der ‚Süddeutschen‘ ist es vielleicht ähnlich. Mich interessiert auch nicht wirklich, wer gerade ‚Kaiser‘ ist und ob und was der an hat, aber wenn eine klare, nachweisbare und authentische Aussage aus politischen Gründen schlichtweg ignoriert wird oder dazu aufgefordert wird, sie zu ignorieren, stelle ich das fest. Und ich stelle auch fest, daß es Leute gibt, die – eben wieder aus politischen Gründen – Fakten ausblenden, oder denen, die die Fakten nennen, per se etwas unterstellen (nämlich i.d.R. rechts zu sein). Wie viele das so tun, ist mir zunächst mal egal. Wenn Sie immer gleich die politische Bedeutung solcher Inkonsistenzen einschätzen können, schön. Ich kann das nicht, ich bin da anders begabt.
@Stefan Truthe
„Dahinter steckt zudem unausgesprochen die Auffassung, die Betroffenen können mit Geld sowieso nicht umgehen und man selber weiß besser was gut für sie ist, garniert mit dem Hinweis, ihnen gehe es im Vergleich zu den absolut Armen, die hungern müssen, doch noch richtig gut.“
Let`s face it – genauso ist es. Lassen wir die Garnierung für einen Moment weg (Mindest beinhaltet schon im Begriff, dass es die Unterkannte ist, nicht der Durchschnitt), die Idee des mündigen Bürgers stößt an ihre Grenzen. Eltern, die glauben, sie wüssten, was das Beste für ihre Kinder ist, weil es eben ihre Kinder sind, leiden an Größenwahn. Mir Geld für die Zukunft der Kinder zu geben, ist vollkommener Blödsinn. Ich habe die Rückseite von zwei Ratgebern gelesen, was weiß ich schon. Im Lehrerkollegium sitzen Jahrzehnte an Ausbildung und Jahrhunderte an Erfahrung. Wer in die Zukunft meiner Kinder investieren will, der sollte denen die Mittel geben, nicht mir. Die tragen die Verantwortung, wir tragen die Folgen. Damit müssen beide Seiten leben.
Ich habe schon keine Ahnung, was die notwendigen kulturellen Grundlagen sind. Ich muss heute noch lachen, wenn ich mich an die Einbürgerungstests mit der Frage nach dem Bild der Kreidefelsen von Rügen erinnere. Ich hätte eher die Struktur der Freiwilligen Feuerwehr abgefragt, als nach Malerei zu fragen, aber wie gesagt, ich habe auch meine Grenzen. Deswegen brauchen wir gute Schulen. Wenn es für die Zukunft der Kinder tödlich sein kann, wenn Eltern das für sie gedachte Geld falsch ausgeben, dann sollte man es den Eltern nicht geben. Das hat aber nichts mit Migranten oder Unterschicht zu tun.
@KJN
Die Grünen sind kein Kaiser, sie sind nicht mal in der Regierung und wenn Palmer an die Grenzen der politischen Machbarkeit in einer 10% Partei stößt, dann soll er gehen. Diskursverbot? Hallo Bitte! Wen interessiert die Grüne Jugend, außer die Grünen. Mir ist das zu viel, man wird doch mal… „So wurde die rechte Ecke auf einmal sehr, sehr voll.“ War sie aus Grüner Jugend Sicht wohl schon immer, jetzt hat es Boris halt auch gemerkt und ich wette, dass 90% der Bundesbürger keine Ahnung haben, wer die Grüne Jugend ist. Die Grünen sind nicht Deutschland, so wenig wie die AfD.
Nichts, nichts, nichts hat das Verhältnis zwischen alternativen Lebensstil und bürgerlichem Anspruch so schön illustriert, wie der Dialog zwischen den Killern Vince und Jules in Pulp Fiction:
https://www.youtube.com/watch?v=Yh-QWKGbm2Q
Lieber Stevanovic,
ich lese hier ja meist nur noch mit; Ihre Beiträge, meist mit besonderer Aufmerksamkeit, weil sie nicht nur durchdacht und ausgewogen sondern auch oft selbstkritisch und nur selten polemisch sind. Und wenn Sie sich einmal, wie heute, erlauben polemisch zu werden, schaffen Sie es sogar meinen „Tag zu retten“.
„… die Roten Khmer des Kapitalismus, die Amis …“
Wunderschön!
und.. natürlich, lieber Stefan Trute, wir wollen alle was vom Kuchen, der wahrscheinlich wirklich recht groß ist – man streitet ja nur über den Weg, wie der verteilt wird. Ich meine, er schmeckt besser, wenn man sich das Stück selber holt. Ist auch gerechter, meine ich.
‚Konsumterror‘ ist wohl das falsche Wort, das ist mir auch aufgefallen. ‚Unangemessene Anschaffung aufgrund Gruppendruck‘ trifft’s wohl eher. ‚Unangemessen‘, weil, man es sich nicht leisten kann und in eine Zwangssituation begibt (z.B. Handyverträge). Aus eigenem, freien Willen. Das es sowas verbreitet gibt, kann man wohl nicht bestreiten. Es kann sich von mir aus jeder verschulden, wie er will, aber es muss selber verantwortet werden. Klingt hartherzig, paternalistisch gar? Dann ist jeder Entzug hartherzig.
Wir hatten das Thema bereits anhand des Marshmallow-Tests diskutiert.
http://starke-meinungen.de/blo.....llow-test/
Dieser wird bisweilen als so etwas, wie ‚Abrichten auf den Kapitalismus‘ interpretiert. M.E. eben eher eine Studie darüber, was handlungsfähig, erfolgreich – womit auch immer – und letztlich glücklich macht. Und Optionen zum Durchstehen schlechterer Zeiten liefert. Ein emanzipativer Ansatz. Wer das alles nur als Abhalten vom Kuchen der Reichen sehen will, dem kann ich auch nicht helfen. Man beraubt sich einfach nur selber vieler Handlungsmöglichkeiten, wenn man meint, es müsste alles immer gleichermaßen vorhanden sein oder gar aufwärts gehen.
Interessant übrigens in diesem Zusammenhang der Standpunkt der Linken oder Grünen zum Thema ‚Wachstum‘.
APo ./. Stevanovic: ‚… das ist die klügste Verteidigung des Mindestlohns, die ich bisher gelesen habe.‘
… willkommen in der ‚Deutschen Demokratischen Republik‘, Genossen.
Fürs Volk Hatz IV, Mindest- und ‚Aufstocker-Lohn‘, und die sich Selbstüberhöhten mauern sich in Wandlitz, äh, Pardon, Brüssel, ein. Genossen begreift, dass ihr Historie, ruhmlose Historie seid, ts, ts, ts.
noch ein Nachtrag für Stefan Trute:
Vieles was linkes Selbstverständnis so ausmacht, scheint mir eine
Anleitung zum Unglücklichsein zu sein.
Nachtrag @Stefan Trute
Die „sonst kluge Argumentation“ lässt mich natürlich sanft erröten, aber gerade deswegen sage ich nochmal, daß ich es genauso meinte. Es muss heißen: Bildung, Gesundheit, Chancen für alle, aber dazu gehören weder Smartphones noch teure (oder überhaupt) Rechner, oder gar Markenklamotten, aber das ist ein anderes Fass, daß ich hier mal geschlossen lassen möchte.
Stevanovic hat hat die linksbürgerliche Erwartungshaltung an Karriere und Konsum – gerade auch an die eigenen Kinder, was denen übrigens auch nicht immer gut tut – doch ganz schön beschrieben. Und dieses Festmachen des Armutsbegriffes an einen Durchschnitt ist institutionalisierte Spießigkeit auf Allgemeinkosten: Der Nachbar hat einen Benz, also brauchen wir mindestens einen BMW bzw. übersetzt für Harz IV – Empfänger: Nan darf als Armer nicht erkennbar sein. (Ein wesentlicher Grund für Alkoholismus und weiteres Abrutschen.) Das sagt mehr über die Dünkelhaftigkeit und Bigotterie in unserer Gesellschaft, als vieles andere. Manchmal laufen die Geschäfte eben nicht so gut, was soll’s. Das wird nicht akzeptiert, stattdessen kuschen, auch wenn der Chef ein A.. ist. (Und dann Burnout.)
Und was die Gleichheit der Bezahlung für manuelle oder Kopfarbeit betrifft: Ich war zwar, was ich heute bedauere, nicht wie Alan Posener auf einer Schulfarm (ehrlich gesagt habe ich als Jugendlicher Gartenarbeit gehasst), aber habe mir immer praktische Tätigkeiten gesucht, den Nachbarn Elektrogeräte, Radios repariert usw. Mein wirklicher Zugang zur Theorie kam irgendwie immer über die Praxis, auch wenn das im Studium leider meistens umgekehrt aufgezogen wurde, was sicherlich auch gar nicht anders geht. Deswegen in vielem Autodidakt. Daher weiß ich aus eigenem Erleben sehr genau, wie theoretische Überlegungen aus praktischer Tätigkeit erwachsen können. Es ist ein zweiter (teurerer) Schritt. Der Theoretiker kann verallgemeinern und trägt daher oft größere Verantwortung. Und natürlich (@Alan Posener), schön gesagt, die Hoffnung auf einen „weitaus geräumigeren Käfig, als jener, in dem der Handarbeiter sitzt.“. Es gibt aber (durch ‚Bologna‘ befördert) eine starke Tendenz zum akademischen Proletariat oder ich sollte wohl besser sagen zur Fachidiotie.
@Stevanovic
Das Märchen ‚Des Kaisers neue Kleider‘ thematisiert die Mimikry eines Estabishments, das etwas zu verlieren hat. Uralte, sich immer wiederholende Geschichte, eben auch beim linken Estabishment. Boris Palmer hat die Schwierigkeiten seiner Gemeinde mit der Versorgung der Flüchtlinge thematisiert und wird dafür heftig angegangen..
http://www.sueddeutsche.de/pol.....-1.1526372
..wohlgemerkt: weil er ein existierendes Problem thematisiert.
Auch in der angegebenen Quelle, der Redaktion der ‚Süddeutschen‘, kann man sich offensichtlich so überhaupt nicht vorstellen, daß ein Bürgermeister ein Problem thematisiert, weil es ein Problem gibt. (Weil das Problem nicht ins politische Konzept passt, nicht in die derzeitig herrschende Ideologie?). Es muss natürlich sowas herhalten, wie ‚Fischen im Bürgerlichen (gar rechten?) Lager‘.
Das sind der Kaisers neue Kleider – und ein gefundenes Fressen für die wirklich Rechten.
Lieber KJN,
Was ist „Konsumterror“? Das Smartphone? Das Auto? Der Theaterbesuch? Das Buch? Was verstehen Sie unter Abhängigkeiten? Ihr Argument hat etwas paternalistisches und ist damit spiegelbildlich zu dem von Augstein. Wer für Mindestlöhne oder für die Erhöhung von Hartz-4-Regelsätzen streitet, befördert doch keinen „Konsumterror“, was immer das heißt! Dahinter steckt zudem unausgesprochen die Auffassung, die Betroffenen können mit Geld sowieso nicht umgehen und man selber weiß besser was gut für sie ist, garniert mit dem Hinweis, ihnen gehe es im Vergleich zu den absolut Armen, die hungern müssen, doch noch richtig gut. Bei Augstein werden die “ Unterprivilegierten“ dann auch noch zu Faschisten. Ach, die meisten wollen doch nur ein kleines Stück vom nach wie vor riesengroßen Kuchen abhaben, „Konsumismus“ hin oder her.
„Allein, ist der Großteil der Armen in diesem Lande tatsächlich freiwillig arm?“ Boah, wenn das so dämlich/borniert rüberkommt, würde ich den Beitrag gerne wieder zurückziehen. Natürlich ist der Großteil der Armen nicht freiwillig arm und die meisten würden sich ohne Frage gerne mal Konsum-Terrorisieren lassen. Genau deswegen sparen sich diese Menschen vieles vom Munde ab, damit es die Kinder mal besser haben, nicht damit sie beim Nachbarn angeben können, sondern weil sie ihren Kindern reale Schwierigkeiten ersparen wollen. Auch arbeiten viele einfach das, was sie können und haben das Pech, das es dafür eben nur Mindestlohn gibt. Da von einer alternativen Kultur zu sprechen, ist schlicht falsch.
Hab nachgefragt, bitte um Korrektur, wenn ich es falsch verstanden habe: Mit Mindestlohn sind es 1400€ im Monat. Macht netto mit 2Kindern ca 1100. + Kindergeld macht das ca 1450€. Nach Miete in kleiner Wohnung und Nebenkosten bleibt vielleicht die Hälfte zum Leben, im besten Fall 50€ pro Nase und Woche. Grundlage: Einer arbeitet, einer zu Hause, zwei Kinder. Das ist das worst case Szenario und es ist wirklich hart. Aber eben worst case. Und nein, es macht nicht glücklich, aber es ist aushaltbar. Damit meine ich nicht, dass sie zufrieden sein sollen, mit dem was sie haben, ganz im Gegenteil, freut mich, wenn jemand seine Ziele verwirklicht und auch noch mehr Geld in der Tasche hat. Wenn jemand Ehrgeiz hat etc. Und es tut mir für ihn leid, wenn er es nicht schafft, aus welchen Gründen auch immer. Nur, mit dem Budget für eine Ausbildung der Kinder zu sorgen, ist nicht möglich. Aus meiner Erfahrung belastet das die Menschen mit Abstand am meisten. Aushaltbar lässt keinen Spielraum und an dem Punkt versagt der reine Lehre des Liberalismus. Aber, huch, wer ist schon für die Lehre vom reinen Liberalismus? Sogar die Roten Khmer des Kapitalismus, die Amis, führen gerade eine Krankenversicherung ein, in China denkt man über Sozialstaat nach. Die öffentlichen Schulen in Deutschland funktionieren (bei allen Problemen). Wo genau ist denn dieser herzlose Neoliberalismus, der Menschen in den Faschismus treibt? Der Mindestlohn hilft nicht? Ja, wenn einem das Leben ohne Haus und Auto nicht als lebenswert vorkommt, dann wohl nicht. Womit wir wieder bei den Wutbürger und denen sind, die gewalttätig und ausfällig werden – es nicht die, die etwas aushalten, es sind die, die Angst haben, etwas aushalten zu müssen, obwohl sie es nicht tun. Die von Solidarität reden, aber Garantien für sich fordern. Und irgendwie ist Augstein deren Sprachrohr. Statt aber Garantien zu kreieren (die wir nicht halten können), damit die besser schlafen können, ist mir ein Niedriglohnsektor und eine funktionierende staatliche Schule lieber.
Stevanovic, verheiratet, zwei Kinder und Eigentumswohnung auf Kredit.Nicht nur freiwillig, sondern auch, weil er die Chance hatte. Und, solange die Schule funktioniert, mit tiefem, ruhigem Schlaf.
@Stefan Truthe
Ja, der erste Teil ist genau das. Es ist doch auffällig, dass viele Linke alternative Lebenskonzepte als chic gerne verteidigt, sobald aber genau das stattfindet, ein Leben jenseits des Konsumterrors, sofort die soziale Frage gestellt wird. Ein Leben ohne Konsumterror nennt sich in der bürgerlichen Übersetzung: arm sein. Was bedeutet denn emanzipiertes/autonomes Leben, das nicht auf Selbstausbeutung und freiwilliger Entfremdung basiert? Auf den Wiederspruch wollte ich hinweisen. Wie viel Anderssein steckt denn wirklich in der Linken? Da halte ich viele bürgerliche Exzentriker, die arme Menschen Siezen und deren Leben mit Respekt behandeln, für aufrichtiger als Linke, die soziale Gerechtigkeit sagen und eigentlich ihren kleinbürgerlichen Frust meinen. Das sind genau die, die glauben, dass Arme anfällig für politischen Extremismus sind. Diese Linken würden durchdrehen, wenn sie ihre bürgerlichen Insignien verlieren würden und das projizieren sie auf die Unterschicht.
Augstein: Für diese Menschen sind die Flüchtlinge, die jetzt zu Hunderttausenden nach Deutschland kommen, nicht nur eine ausgedachte Bedrohung sondern eine reale – eine Reservearmee, stets bereit, sie zu ersetzen.
Genau dafür gibt es den Mindestlohn und es wundert nicht, dass aus der FAZ-Ecke Kommentare für dessen Aussetzung kommen. Ohne Mindestlohn wäre die Situation, wie von Augstein beschrieben – ist sie aber nicht. Deswegen stehen auf den Plätzen auch nicht die Unterschicht, sondern Wutbürger. Verteilungskämpfe zwischen Gastarbeitern und Asylanten? Irgendwie nicht.
Stevanovic, das ist die klügste Verteidigung des Mindestlohns, die ich bisher gelesen habe. Das Argument klaue ich bei Gelegenheit.
@Stevanovic
Allein, ist der Großteil der Armen in diesem Lande tatsächlich freiwillig arm? Ich denke nicht! An den unfreiwillig Armen zielt Ihr Argument völlig vorbei.Ihre Behauptung, Armut „im westlichen Sinne“ sei auszuhalten, mag da auch nicht wirklich tröstlich sein. Die wollen da mitmachen, auch eine Familie, ein Haus, ein Auto haben. Und sich nicht von Leuten wie Augstein zur Verfügungsmasse von Pegida degradieren lassen. Ebenso wenig mit Ihrer Behauptung, das sei alles Einstellungssache. Das ist auch Bevormundung.
Stefan Trute (verheiratet, 1Reihenhaus, 2 Kinder, alles freiwillig!)
@Stevanovic, Ihr Beitrag vom 01.11.15
Wenn ich Sie recht verstehe, ist der erste Abschnitt Ihres Beitrags ein Plädoyer für individuelle Autonomie, die das Recht auf selbstgewählte Armut ohne Bevormundung durch Linke wie Augstein einschließt.
Persönliche Geschmackssache, aber, ehrlich gesagt, halte ich solche Beiträge für besorgniserregender, weil es eben aus der Mitte kommt und nicht so offensichtlich wie Augstein ist:
http://www.achgut.com/dadgdx/i.....germeister
… ooops? Korrektur
APo: ‚Eherr nicht daher, lieber blonder Hans, sondern weil die Menschen, wie Marx anderswo völlig zu Recht schrieb, anders als die Tiere mit Bewusstsein handeln. Und der Inhalt des Bewusstsein ist eben mehr als das “bewusste Sein”.
… lieber Alan Posener, irgendwo habe ich heute was von Seneca gelesen: ‚Irren ist menschlich, aber auf Irrtümern zu bestehen ist teuflisch.‘
Lieber Alan Posener,
Kein Widerspruch! Ich habe lediglich auf einen Punkt in der Argumentation von KJN verwiesen, der mir nicht redlich erscheint und der in der Kritik an den Linken immer wieder herangezogen wird: Wir jammern auf hohem Niveau (hier das Smartphone als Voraussetzung für die Teilnahme am sozialen Leben)! Wie anders sollen wir denn „Armut“ definieren als in Relation zum Durchschnittseinkommen in unserem Land? Das kann ein so klug argumentierender Kopf wie KJN nicht wirklich meinen! In seinem Beitrag vom 2.11. spricht er viele wichtige Fragen, die das Verhältnis von Politik und Ökonomie, die „Einhegung“ der destruktiven Kräfte unseres ökonomischen Systems betreffen, an.
Mein Vorschlag zum Thema „menschenunwürdige Arbeit“: Die gibt es nicht. Nur unwürdige Arbeitsbedingungen, wie Löhne, Arbeitsschutzstandards, Arbeitszeiten etc.
Lieber Stefan Trute, ich ging auf der „Schulfarm Insel Scharfenberg“ zur Schule, wo der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Hand- und Kopfarbeit galt, weshalb wir Kartoffeln buddeln und den Schweinestall ausmisten, unsere eigenen Zimmer streichen und selbstverständlich selbst unsere Schülerzeitung drucken mussten. Keine dieser Tätigkeiten möchte ich im nachhinein missen, auch nicht Holz hacken, eggen, Kühe melken, Schafe hüten, Rüben häckseln, den Fährkahn rudern und was wir sonst alles gemacht haben. Aber keine möchte ich ein Leben lang machen müssen. Ich verließ die Schulfarm mit der entschiedenen Überzeugung, dass Hand- und Kopfarbeit eben nicht gleichwertig seien. Es ist bestimmt nicht gut, wenn man einseitig als Kopfarbeiter ausgebildet ist. Aber es ist einw eitaus geräumigerer Käfig als jener, in dem der handarbeiter sitzt.
Nein lieber Stefan Trute, ich will überhaupt nicht arrogant und zynisch sein: Ich frage, warum letztlich die Linke noch den Konsumterror, die Abhängigkeiten befeuert. Stevanovic und Posener haben mich verstanden: „Aber dann sollte sie vehementer für die Bereiche eintreten, die unkommerziell frei machen: Bildung & Gesundheit. ..
Am Ende deutet der Oberlinke die Mittelschichts-Wutbürger in Unterschicht um.“
Auch ich halte die wirtschaftliche Agenda der Linken für nicht abgearbeitet (Fukuyamas angebliches Ende der Geschichte) – warum sollte ich mich sonst politisch, d.h. im Sinne von Dingen, die nicht nur mich selber betreffen, äußern – z.B. hier? Ich frage mich: Wo ist der Zuwachs der Produktivität durch die Automation der letzten 40 Jahre denn geblieben, wenn in Schulen die Klassenstärken der Stufen 7 bis 9 verbreitet immer noch über 30 sind, wenn in BN, der hochsubventionierten ‚Bundesstadt‘ die öffentlichen Schwimmbäder vor dem ‚Aus‘ sind, die Grundbesitzabgaben fast verdoppelt werden usw. usf..
Verstehen der Gegenwart geht nicht ohne Betrachtung der Vergangenheit.
Wo ist es denn wohl, das durch Autmation erwirtschaftete Vermögen, wenn Firmen, wie BMW jahrzehntelang keine Steuern bezahlen.
Dann das Gejammere um die niedrigen Zinsen (niedrige Zinsen = niedrige Inflation).
Wir führen doch keine ehrliche Diskussion – im Gegensatz zu anderen Ländern. Freudsche Projektionen allerorten. Eher sind wir bereit, unser Hirn mit Verschwörungstheorien, die die ‚Amis‘ für alles verantwortlich machen, zu vergewaltigen, als unseren eigenen Eliten auf die Finger zu hauen.
Selbstschädigender Idealismus: In ‚Compact‘, dem Fachblatt für deutsche Obsessionen, steht jetzt, daß die Amis die deutsche Wirtschaft durch die Anklagen an VW kaputtmachen will. Und die Flüchtlinge und Asylanten.. Mir sind die Polen lieber, die sich selber einschätzen können (das „schaffen“, bzw. wollen wir nicht), als die gehorsamen, aber hypokriten Deutschen, die irgendeine Zuwanderung für ihr marodes Renten-Schneeballsystem dringender bräuchten, als alles andere und dann der Bevölkerung und der Welt das noch als humanitäre Haltung verkaufen wollen, mit dem Ziel, die Lasten auf andere Länder zu verteilen.
Zu der Vermögenssteuer, lieber Alan Posener: Wäre vernünftig, sagen wir oberhalb 1 Mio, um eine Zahl zu nennen. Aber wie eintreiben, bei den verschiedenen Steuersystemen in der Welt? Ich glaube, Sie sind für (skandinavische) Transparenz, aber dazu gehört auch eine skandinavische Bodenständigkeit mit dem entsprechenden Glücksindex. Was die „menschenunwürdige Arbeit“ betrifft: Njein: Was menschenunwürdig ist, dürfen nicht technische Möglichkeiten bestimmen – der Mensch muss sich entwickeln können dürfen. Auch während der Erwerbstätigkeit. Außerdem können Maschinen vieles erledigen, was Menschen trotzdem können sollten, z.B. Kopfrechnen. Desweiteren entsteht Innovation aus Mangel: CNC-Maschinen entwickelt der, der in der Lehre gefeilt hat. Es geht nicht um Bequemlichkeit oder stets hehre geistige oder soziale Aufgaben (wer definiert das überhaupt?), sondern um Selbstwirksamkeit.
Große Themen, lieber Klaus J. Nick. Viel Stoff für kommende Debatten. Und viel interessanter, da haben Sie 100% Recht, als die Obsession mit Flüchtlingen, Islam, Leitkultur usw.
APo: “Das Sein bestimmt das Bewusstsein”, behauptete – völlig zu Unrecht – Karl Marx.
… jau! ‚Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.‘
Daher!
Eherr nicht daher, lieber blonder Hans, sondern weil die Menschen, wie Marx anderswo völlig zu Recht schrieb, anders als die Tiere mit Bewusstsein handeln. Und der Inhalt des Bewusstsein ist eben mehr als das „bewusste Sein“.
@KJN
„So nach dem Motto: Hartz-IV-Kinder haben ohne Smartphone keine Teilhabe am sozialen Leben. Mir ist das alles, und das betrifft eben auch Augstein, zu wenig Berücksichtigung eines freien Willens. Will die Linke Bestand haben, muss sie Selbstkritik üben, sich über ihr Menschenbild im klaren werden.“
Ja, genau das. Aber dann sollte sie vehementer für die Bereiche eintreten, die unkommerziell frei machen: Bildung & Gesundheit. Vergleichen sie die Studiengebührenfrage (100% Mittelschichtsproblem), Mindestlohn und Migration (beides Mittelschichtsängste) mit der Energie, die für mehr und bessere Lehrer in der Grundschule aufgebracht wird.
Am Ende deutet der Oberlinke die Mittelschichts-Wutbürger in Unterschicht um. Wenn das mal kein Klassenkampf ist.
O, danke für den Hinweis. Schlecht geschrieben, aber vielleicht auch nicht ganz als Idee durchgekaut:
Armut (im westlichen Sinne, d.h. eingeschränkte Konsumfähigkeit – nicht Hunger) ist auszuhalten. Armut ist keine Krankheit, niemand soll wegen Armut verurteilt werden und auch ein Leben abseits der Konsumgesellschaft ist lebenswert. Wir können und wollen uns das nur nicht mehr vorstellen. Relative Armut ist eben nur relativ zur Mittelschicht und da die öffentliche Gesellschaft von der Mittelschicht dominiert wird (was ja vollkommen ok ist), scheint nur die Teilnahme an der Mittelschicht als Teilnahme an der Gesellschaft. Verschiedene Lebensentwürfe, eine Entwicklung durch Lebensalter oder gar über Generationen (zB bei Migranten) werden als misslungene Integration oder Parallelgesellschaft diskreditiert, als Scheitern interpretiert, auf jeden Fall pathologisiert. Mit 20 mal kiffen ist ja noch voll Che-mässig, mit 30 sollte man doch „sein Ding“ gefunden haben (übersetzt:60Stunden Tag, aber nur, weil man das schon immer so wollte), mit 40 sollte man schon über alle Papa-Insignien verfügen, aber, natürlich muss man dann so tun, als wären sie unwichtig (ja klar,jetzt rede ich auch von mir und meiner peer group). Was eine individuelle Leistung ist, der Aufstieg, wird zur gesellschaftlichen Norm und wehe dem, der da nicht mitmachen will oder es nicht kann. Leider steht man sofort unter Verdacht, ein Zyniker zu sein, wenn man darauf hinweist, dass das Lebensglück nicht vom Geld abhängt (im Westen, im Libanon bestimmt mehr), auch dann nicht, wenn man nicht freiwillig drauf verzichtet. Ich kenne viele working poor unter Migranten, aber nicht eine Sekunde würde ich behaupten ,diesen Menschen würde etwas fehlen, sie wüssten etwas nicht besser oder sie würden etwas nur denken, weil sie kein Auto haben. Manche wissen, dass es leichter wäre, wenn sie westlicher wären, aber sie gehen lieber putzen oder fahren Pakete, weil sie da nämlich am ehesten so leben können, wie sie es wollen. Mit Bart, fünfmal beten und eben nicht integrieren müssen. Die Meisten (der working poor, die ich kenne)sind mit ihrem Leben im Großen und Ganzen zufrieden, sie wünschen sich nur mehr Optionen für ihre Kinder.
Nichts gegen das Bürgertum – alles prima. Aber es kann nicht sein, dass alles außerhalb für kaputt erklärt wird und dass die Bürgerlichen alles andere nicht mehr aushalten können. Augstein&Co unterstelle ich nämlich genau das.
Es gibt aber Momente, da darf Armut kein Kriterium sein, denn dann wird es eine gesellschaftliche Krankheit: Kinder und Gesundheit. Da brauchen wir Staat, so richtig viel. Damit möchte ich den Punkt Studium ausdrücklich ausklammern. Gesundheit ist in Deutschland zwar teuer, funktioniert aber als Breitensport. Bei Kindern sieht es anders aus. Wir wissen, dass viele Kinder aus verschiedenen Gründen intensiv betreut werden müssen, sollen sie in die Lage versetzt werden, irgendwann eine Wahl haben zu können (20Kinder aus 10Nationen sind für einen Lehrer zu viel). Oder die Fähigkeit, ihr Leben trotzdem lebenswert zu gestalten, wenn sie keine Wahl haben (das nehmen mir die Liberalen nicht ernst genug). Der Kampf gegen den Neoliberalismus ist eigentlich ein Kampf gegen die Facetten des Lebens. Es gibt kein richtiges Leben im falschem – das ist der Zynismus der Linken. Wenn man so denkt, ist es auch einleuchtend, dass Arme latent unzurechnungsfähig sind.Praktisch: Wir sollten nicht über Mindestlohn debattieren, der wird als notwendige finanzielle Untergrenze für ein bürgerliches Leben in der Mittelschicht fehlinterpretiert wird. Auch von der FAZ, die glaubt, ihn deswegen für Migranten abschaffen zu dürfen. Wir sollten, bei den zehntausenden von Kindern, die bald eingeschult werden, ohne die Sprache zu können und deren Eltern auch mit Geld nicht wüssten, wie sie Kindern Optionen verschaffen könnten, massiv in Schulen investieren. Zumal sie, da wir keine Wehrpflicht haben, der letzte Ort sind, an dem wir von einem WIR sprechen können, d.h. Gesellschaftsverträge schließen können.
@KJN
„… sollte sie andererseits auch mal damit anfangen, selbst den Menschen nicht nur als homo oeconomicus zu sehen. Z.B. in immer neuen Armutsberichten, die die Armut im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen betrachten. So nach dem Motto: Hartz-IV-Kinder haben ohne Smartphone keine Teilhabe am sozialen Leben.
Mir ist das alles, und das betrifft eben auch Augstein, zu wenig Berücksichtigung eines freien Willens.“
Armut lediglich als „gefühlter“ Zustand, Resultat „linker“ Propaganda? Da werden viele Hartz-4-Empfänger und Mindestlöhner aber erleichtert aufatmen! Ich finde Ihre Argumentation, “ relative“ und „absolute“ Armut gegeneinander auszuspielen, arrogant und zynisch.
Lieber Stefan Trute, ich habe mal als Gesamtschullehrer gearbeitet. Ich kann die These von KJN aus eigener zigfacher Beobachtung bestätigen. Es waren oft die ärmsten Kinder, die – etwa wenn es darum ging, ihren Geburtstag auszurichten – am großzügigsten waren. Die fröhlich und unbekümmert waren. Und resilient: die Dinge ausgehalten haben, die ich nicht ausgehalten hätte.
Gleichzeitig wissen wir, dass Armut objektiv krank macht; dass der Stress und alles, was dazu gehört, bei armen Menschen höher ist als bei reichen, die auch, rein statistisch gesehen, glücklicher sind.
Wie man Statistik und Einzelfall zusammenbringt, das ist wichtig: „Die da unten“ muss man, glaube ich, als Besitzer von Potenzial betrachten, nicht als defizitär. Großes Thema.
Ich sehe den Rentier-Kapitalismus nur als eine Seite der Medaille. Die andere ist die Automatisierung, die das beflügelt. Richtig viel Geld wird infolge dessen nicht mit individueller Arbeit erwirtschaftet, sondern mit Bereitstellung von Investitions- und Risikokapital an Unternehmen, die nur mit dem Neuesten des Neuen an Technik konkurrieren können. Das läuft doch auf die Frage von Henne und Ei hinaus. Es ist die Frage, wo man ansetzt: Mit der Beschränkung des Kapitalverkehrs z.B. durch höhere Kapitalerstragssteuer oder mit einer Maschinensteuer auf weitere Automation. Beides also eine Begrenzung des Wachstums, die ich gefühlsmäßig (aus einer eher physikalischen Sichtweise) gut finden würde, ohne Öko-Untergangsszenarien zu bemühen, auch weil ich diese Begrenzungen gar nicht so sehe.
Aber ich sehe eine ganz andere Begrenzung in den Menschen selber, die nämlich individuell arbeiten und sich entwickeln wollen – und zwar mit sichtbaren Ergebnissen und nicht nur allein mit Finanz- und Statusgewinn. Das Vorstandmitglied ist vielleicht genau so unglücklich, wie der Dispatcher bei Amazon. (-> Entfremdung der Arbeit, Marx).
Wenn die Linke aber beklagt, daß der Mensch ökonomisiert und kapitalisiert wird..
(wer das mal ausführlich hören mag hier:
http://www.deutschlandfunk.de/....._id=331480 )
.. sollte sie andererseits auch mal damit anfangen, selbst den Menschen nicht nur als homo oeconomicus zu sehen. Z.B. in immer neuen Armutsberichten, die die Armut im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen betrachten. So nach dem Motto: Hartz-IV-Kinder haben ohne Smartphone keine Teilhabe am sozialen Leben.
Mir ist das alles, und das betrifft eben auch Augstein, zu wenig Berücksichtigung eines freien Willens. Will die Linke Bestand haben, muss sie Selbstkritik üben, sich über ihr Menschenbild im klaren werden.
In der Tat, Klaus J. Nick, das Problem der Linken (ein Problem der Linken) ist ja, dass sie – wie Augstein in seinem Essay vorexerziert – die Ökonomie verabsolutiert. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, behauptete – völlig zu Unrecht – Karl Marx. Nur darum kann sie – gemäß dem Gesetz des Spiegelbilds – glauben, eine ökonomische Lehre – der Liberalismus, ob mit oder ohne „Neo“ – sei automatisch auch eine gesellschaftliche und politische Lehre. Wer also – sagen wir – gegen den Staat als Unternehmer sei, müsse auch gegen den Staat per se sein. Wer in der Wirtschaft das leristungsprinzip vertrete, müsse das auch gesamtgesellschaftlich tun. Und so weiter. Es handelt sich um eine Projektion, würde Sigmund Freud sagen. ich persönlich halte die wirtschaftliche Agenda der Linken (nicht zu verwechseln mit der Linkspartei) keineswegs für abgearbeitet; einige Forderungen, die ich noch vor zehn Jahren für überflüssig hielt, wie zum Beispiel eine Vermögenssteuer, halte ich jetzt für sehr relevant. Was die Mechanisierung angeht, so ist meine Definition menschenunwürdiger Arbeit: „eine Arbeit, die auch ein Roboter erledigen könnte“.
@Alan Posener
Was meinen Sie, wo ich vielleicht überzogen habe? Vielleicht berücksichtige ich Pikettys Analyse (zuviel Kapitalakkumulation, zuwenig staatliches Gegengewicht) zu wenig.
Ich habe nicht gesagt, dass Sie überzogen hätten, Klaus J. Nick. Aber in der Tat sehe ich die Wiederherstellung eines Rentier-Kapitalismus, wie ihn Piketty beschreibt, und der natürlich das Gegenteil ist von dem, was der Liberalismus will, als eine der Hauptgefahren unseres Jahrhunderts.
Herr Posener, sind Sie ein Soros-Aktivist?
http://www.spiegel.de/politik/.....60384.html
Sie wieder, Herr Kaufmann? Diesmal als „Dresdener“? Oder irre ich mich?
https://www.youtube.com/watch?v=2MYYx41LkK4
Der Sascha, der ist arbeitslos, was macht er ohne Arbeit bloß?
Er schneidet sich die Haare ab und pinkelt auf ein Judengrab
Im Artikel von Augstein steht nichts anderes drin, als dass das die normalste Sache der Welt sei.
Wir können gerne über die neuen Dienstleistungsbimbos und ihre Situation sprechen. Wie die Menschen leben, was man ändern kann etc. Da würde mir einfallen, die Institutionen zu stärken. Wer so einen Job und Kinder hat, wird seines Lebens nicht mehr froh und das könnten wir schnell ändern. Und da greift auch die Kritik an den Liberalen, dass sie von Eigenverantwortung und Wahlfreiheit sprechen, was ganz schnell nach Kuchenessen bei fehlendem Brot klingt und in den meisten Fällen auch genau so dämlich gemeint ist. Schule ist Staat und es kommt sofort bei den betroffenen an. Und Zukunft gäbe es noch dazu. Dagegen wehren sich die Bildungsbürger, weil sie und ihre Brut von der jetzigen Situation profitieren. Die quatschen dann über Studiengebühren, aber was die Prekären platt macht, ist die Klassenfahrt in der 6.Klasse oder dass sie, selbst wenn sie wissen, was Kultur für Kinder ist, schlicht keine Kohle dafür haben. Woher soll Ludmila aus dem Osten oder Chantal aus der Platte wissen, was der aktuelle Bildungskanon ist? Wahlfreiheit ?Bullshit! Sozialismus? Wenn dabei Menschen erzogen werden, die in die Lage versetzt werden, wählen zu können – gerne! Ferienlager – immer her damit! Der Sozialismus ist an vielen Sachen gescheitert, aber nicht am Ferienlager. Da könnten wir mal so richtig Geld reinstecken und vielen Menschen viele Sorgen abnehmen. Was treibt denn eine moldawische Staatsanwältin (in dem zitiertem FAZ Artikel) dazu, in Germanien Kloschüsseln zu polieren? Gucci? Oper? Fast immer stehen Kinder dahinter. Wann tut Armut weh? Bei Krankheit und mit Kindern. Beides könnten wir ganz schnell ändern.
Geht es bei Augstein darum? Oder bei der Linkspartei? Im Grunde geht es doch nur einen Anteil am Konsumkuchen, Gerechtigkeit ist die Größe dieses Kuchens und lebenswert ist ein Leben dann, wenn man mittelstandsmäßig mitkonsumieren kann. Und die Verbitterten sind die, die Angst haben, nicht adäquat mitkonsumieren zu können. Sagen wir es doch mal ganz ehrlich: Mit Mindestlohn und ohne Kinder kann das Leben ganz prima sein. Aber nur dann, wenn man nicht darunter leidet, nicht im Leben in Namibia gewesen zu sein. Nur dann, wenn man das Leben auch dann als sinnvoll erachtet, wenn man nicht in einer Spießer-Mittelstandssiedlung lebt. Augstein meint: „Sie erkennt im Menschen nur den Homo oeconomicus und entkleidet ansonsten alle Begriffe ihres Inhalts. Würde, Freiheit, Gerechtigkeit – das bedeutet alles etwas anderes.“ Ja, was denn? Linkssein als die ultimative Spießigkeit! Mittelstand als Lebenszweck – nein danke.
„Es ist ein System, das alle nicht ökonomischen Werte negiert, das alles Öffentliche verächtlich macht, das die Intellektuellen nicht braucht und den Bürger als Citoyen nicht schätzt. Und was bleibt davon, wenn es das einzige Versprechen, das ihm eigen war, nicht hält: das Versprechen des materiellen Wohlstands? Nichts.“ Der ultimative Alptraum: Keine Bühne für den Klugscheißer, das bedeutet totalen Nihilismus. Oder Faschismus, mindestens. Was ist denn mit denen, die nicht in die Öffentlichkeit wollen, die Intellektualität nicht interessiert, die ihr Ding machen und das mit dem Citoyen anstrengend finden? Dass dahinter der Materialismus lauert, ist schlicht nicht wahr. Man kann am Konsum nicht teilnehmen, sein Ding machen und nie eine Zeitung lesen und trotzdem ein fantastisches Leben haben.
„Was sollen dann den Versagern in diesem System noch die Appelle an Pflicht und Grundgesetz und Mitgefühl?“ Na, der hat ja echt eine gute Meinung von den Neobimbos.Kein Urlaub in Namibia, keine Moral?
Entweder ich habe etwas falsch verstanden, lieber Stevanovic, oder Sie widersprechen sich: Im ersten Absatz Ihres Kommentars erklären Sie, dass Armut weh tut, jedenfalls wenn man Kinder hat, und dass dort der Staat helfen muss; im zweiten Absatz aber mokieren Sie sich über die Vorstellung, die Abgehängten seien irgendwie unterprivilegiert. Ganz verstanden habe ich die SWtoßrichtung jedenfalls nicht; vielleicht können sie präzisieren.
Der Kapitalismus (‚Neoliberalismus‘) versucht doch ständig, sich selber abzuschaffen, durch Kartellbildung, oligarchische Strukturen, staatliche Förderung und Institutionen. Die einflussreichen Institutionen der ‚Linken‘, Umwelt-NGOs, Gewerkschaften, geschweige denn Betriebsräte, kümmern sich doch seit langem allerbestenfalls in Solidaritätsbekundungen um Arbeitslose, Aufstocker, Obdachlose und andere Verlierer des Wirtschaftssystems. Stattdessen arbeiten sie an den immer höheren Standards mit, die Gründern das Leben so schwer machen.
Die Würde ist nicht durch Neoliberalismus gefährdet, sondern durch das Gefühl, nicht dazu zu gehören oder, noch schlimmer, das Gefühl zu bekommen, es nicht aus eigener Kraft schaffen zu können. Hier liegt der Gedankenfehler vieler Linker, eben auch von Jakob Augstein: Nicht ‚der Neoliberalismus‘ grenzt aus, sondern bestimmte Eliten, die in den Institutionen und Verbänden sitzen, die viel zu viel Macht haben und die z.B. durch immer kompliziertere Regularien verhindern, daß sich auch, sagen wir ‚einfach ausgebildete Leute‘ selbständig machen. Und die auch nur ohne einen Anflug von Zweifel die griechische Wirtschaft auf Jahrzehnte abgewürgt haben. Die Linke ist schon viel zu sehr Bestandteil dieses Systems der Abschottung des Arbeitsmarktes, der nur noch durch Niedriglöhner mit Wohnsitz in Polen oder weiter östlich unterlaufen werden kann, derweil in Deutschland z.B. die kommunalen Abgaben steigen und steigen. Daß Linke, wie Augstein oder andere auf Abstraktes („sozioökonomische Begriffe“) projezieren, statt mal nach der schwindenden Autonomie des Einzelnen zu fragen, wenn durchaus lobenswerterweise „Würde, Freiheit und Gerechtigkeit“ als bedroht gesehen werden, liegt wohl in der linken DNA. Statt unsere Institutionen ganz konkret darauf zu verpflichten die Reißleine zu ziehen und ihre Ressortegoismen, die Ursache für die komplizierten Regularien sind, hintenan zu stellen (z.B. keine neuen Stellen /Pfründe mehr), wird romantische Klassenkampfrhetorik gepflegt. Che-Guevara-Poster im Keller, akademische Stelle im öffentlichen Dienst und Porsche-Cayenne in der Garage.
Ja, die Demokratie ist gefährdet, weil viele, allzuviele den Kontakt zur Realität verloren haben.
Ja, die „Ängste“ sind berechtigt, aber Links wie Rechts projezieren.
Stimme nicht in allem zu, lieber Klaus J. Nick, aber Sie haben bestimmt Recht, dass der Gegensatz „oben-unten“ oder „Kapitalbesitzer – Proletarier“ wenn nicht abgelöst, so doch überlagert wird durch den wichtigeren Gegensatz „drinnen – draußen“, „Jobbesitzer – Prekariat“. Und dass dieser Gegensatz nicht nur durch die Entwicklung des Kapitalismus (und ich würde sagen: der Technik), sondern ebensosehr durch das Wuchern der staatlichen und quasi-staatlichen Bürokratie gefördert wird.
Kindergarten!
Wenn der Jakob sagt, dass der Neoliberalismus faschistoide Züge haben kann, sage ich, dass der Jakob selber faschistoide Züge hat.
Und weil wir hier alle auf deutsch schreiben (mit kleinen Ausnahmen), sind wir alle kleine Nazis!?
68er, das ist unter Ihrem Niveau. Schade. Ich hätte erwartet, dass Sie Augstein klug verteidigen. Vielleicht geht das aber auch gar nicht, und da verfallen Sie aus Verzweiflung in Pegida-Sprech.
Augstein mag Unsinn verbreiten, daß wäre nicht das erste mal.
Aber daß er es schaffen könnte die Demokratie zu zerstören, dafür ist er trotz Millionenerbes zu unbedeutend.
Er darf halt ab und an was schreiben für Papas Blättchen, aber ernst nehmen tut in doch dort wohl keiner. Er wird angesichts der Eigentumsverhältnisse (höhere Steuern für leistungsloses Einkommen wie erben hätte schon was für sich)halt als notwendiges Übel angesehen.
Lieber Don Geraldo, Sie haben Recht, meine Überschrift ist etwas zu plakativ. Sie müsste lauten: „Wie Jakob Augstein der Neuen Rechten bei der Delegitimierung der Demokratie beispringt“.
Es gab auch in der Weimarer Republik aufgeregte Leute, die einfach mauerten – jede vernünftige Kritik am realen Kapitalismus und an der realen Demokratie ignorierten oder stigmatisierten – und dadurch die Besserung der Verhältnisse blockierten. Letzten Endes haben auch diese Leute zum Untergang Weimars beigetragen.
Lieber Stogumber, Sie reden über Dinge, die Sie offenbar nicht verstehen oder nicht ausreichend recherchiert haben, und das ist schade. Lesen sie mal meine Besprechung von Thomas Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“, das ich ohne Wenn und Aber als „Jahrhundertbuch“ gewürdigt habe. Lesen Sie meine Besprechung von Joseph Stiglitz‘ „Der Preis der Ungleichhheit“. Lesen Sie mein Interview mit Maria Mazzucato. Lesen Sie meinen Beitrag über die Manager hier auf „Starke Meinungen“. Ich gehöre bestimmt nicht zu den Leuten, die „jede vernünftige Kritik am realen Kapitalismus und an der realen Demokratie ignorierten oder stigmatisierten“. Aber es gibt vernünftige Kritik und unvernünftige Kritik. Und weder Piketty noch Stiglitz noch Mazzucato – um nur diese drei prominente Kritiker zu nennen – würde behaupten, der „Neoliberalismus“ sei eine „totalitäre Ideologie“, die Freiheit und Menschenwürde zerstöre und den Faschismus heraufbeschwöre. Wenn hier einer undifferenziert argumentiert, so sind Sie es.
Vielleicht hat er ja ein Hirntumörchen 😉
Wenn ich mir anschaue, wel eine Macht die Lobbyisten in der EU haben, kann ich Augstein leider nicht gut widersprechen.
Stimmt. Alles.
„es verwundert nicht, dass er auch hier den Pegida-Leuten – „Putin, hilf!“ näher steht als den Demokraten im Land.“ Augstein soll mit dem Goldenen Orwell ausgezeichnet werden.