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Gauck und Wassermann – „Malice in Kulturland“

Gastkommentar von Willi Jasper:

Mit Richard von Weizsäcker haben die Deutschen zweifellos eine große politische Persönlichkeit verloren. Die Nachrufe sind einhellig. Mit seinem Intellekt, mit seinen Reden und Anstößen habe er das Bild und das Bewußtsein der Republik geformt. Obwohl (oder weil) das Präsidentenamt nicht mit exekutiver Macht ausgestattet ist, habe er allein mit der Entwicklung von Gedanken Einfluß genommen. Das klingt wie bei allen Nachrufen etwas nach Überhöhung, doch vergleicht man Weizsäcker mit Vorgängern und Nachfolgern im Amt, dann nimmt man das hin. Vor allem heute, wo wir die unerträgliche Ahnungslosigkeit, Heuchelei und selbstgefällige Eitelkeit eines Herrn Gauck ertragen müssen, erinnern wir uns wehmütig an die Würde und Vernunft des Verstorbenen. Es war vor allem seine große Rede zum vierzigsten Jahrestag der deutschen Kapitulation, am 8. Mai 1985, die Weizsäcker zu einer überzeugenden politischen Leitfigur machte. Als er im Bundestag als oberster Repräsentant der Deutschen die „Niederlage“ eine „Befreiung“ nannte, war das damals noch für viele eine „schändliche“ Umdeutung. Unmißverständlich sprach er über die Ursachen von Krieg und Völkermord und – nicht zuletzt aus eigener Familienerfahrung – auch von der „Schuld“ der Eliten. Sie begann für ihn nicht erst mit Auschwitz, sondern schon „am 30. Januar 1933“.

Wie klar und eindeutig hob sich diese historische Vergangenheitsbewältigung Weizsäckers von dem hohlen und widersprüchlichen Pathos der jüngsten Auschwitz-Gedenkrede des Ex-Pastors Gauck ab. „Solange ich lebe“, klagte er, „werde ich darunter leiden, dass die deutsche Nation mit ihrer so achtenswerten Kultur zu den ungeheuerlichsten Menschheitsverbrechen fähig war. Selbst eine überzeugende Deutung des schrecklichen Kulturbruchs wäre nicht imstande, mein Herz und meinen Verstand zur Ruhe zu bringen.“ Da fragt man sich, ob unser Präsident denn ruhig schlafen könnte, wenn seine Berater ihm vom „Historikerstreit“ über die Kontinuität eines deutschen „Sonderwegs“ berichten würden und die berechtigten Vermutungen, dass es gar keinen „Kulturbruch“ in Deutschland gegeben hat? Gauck beschäftigt sich nicht mit dem Jahr 1933 und erst recht nicht mit dessen Vorgeschichte. Schon die Mentalität der Deutschen im Ersten Weltkrieg (z.B. der Jubel über die Versenkung des Passagierdampfers „Lusitania“) warf ein trübes Licht auf ihre Kulturtradition, die sich als Gegensatz zur westlichen Zivilisation definierte. Engländer und Amerikaner bezeichneten das deutsche Übel schon damals sarkastisch aber zutreffend als „Malice in Kulturland“. Dass Elemente des kriegerischen Expansionismus und mörderischen Antisemitismus Hitlerdeutschlands als „Keime des späteren Unheils“ im Kaiserreich bereits angelegt waren, hat als Zeitzeuge beider Systeme auch der Historiker Friedrich Meinecke früh erkannt und benannt.

Der leutselige Gauck möchte gern als volksnaher „Bürgerpräsident“ durchgehen, doch seine schlichten Freiheitspredigten offenbaren in erster Linie seine Verbundenheit mit elitären Interessen. Das gilt auch für sein Geschichtsbild. In seiner Auschwitz-Gedenkrede klammert er die Verantwortung der Eliten aus und erinnert stattdessen nur an die „Mitschuld des ´kleinen Mannes`, der sich einem verbrecherischen Führer verschrieben hatte“. Dass seine RedenschreiberInnen ihm dabei patchwork-Verweise auf Hannah Arendt und die Mitscherlichs untergejubelt haben ist besonders peinlich. Unser Präsident hat von ihnen sicherlich ebenso wenig gelesen und gelernt wie von dem „deutsch-jüdischen Schriftsteller Jakob Wassermann“, auf den er sich auch beruft. Ausgerechnet Jakob Wassermann unvermittelt und demonstrativ im Zusammenhang mit Auschwitz zu zitieren hat ein besonderes Geschmäckle. Wassermanns Rechenschaftsbericht „Mein Weg als Deutscher und Jude“ wird oft als Programmschrift für eine deutsch-jüdische Symbiose zitiert. Ausgeklammert wird dabei der tragische innerjüdische Konflikt. Wassermann verstand sich als Repräsentant der „westjüdischen Intelligenz“ und distanzierte sich in dieser ambivalenten Rolle auch wie alle „guten Deutschen“ von bestimmten Fremdbildern des Ostjudentums („keine menschliche Sympathie“, „vollkommen fremd“, „abstoßend“). Dafür wurde er nicht selten von Repräsentanten der deutschnationalen Kulturelite instrumentalisiert, von „Ostjuden“ aber, wie Joseph Roth zum Beispiel, verachtet. Außerdem hat man Gauck, in dessen Freiheitsformel die Sozialstaatsidee bekanntlich fehlt, nicht darüber informiert, dass in Wassermanns Romanen eine große Empathie für die Armen und Schwachen zu erkennen ist. Kurzum – man sollte das aktuelle Gedenken an einen großen Präsidenten verbinden mit eine kritischen Betrachtung eines kläglichen Nachfolgers. Und an seine Berater geht der Appell: Kontrolliert seine Reden gründlicher und gebt ihm andere Stichworte und Vorbilder!

Willi Jasper ist Autor und Literaturwissenschaftler in Potsdam

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4 Gedanken zu “Gauck und Wassermann – „Malice in Kulturland“;”

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    Sehr geehrter Herr Jasper,

    Unser Präsident zeigte auch in Gdansk, anlässlich seiner Rede zum Gedenken an den deutschen Überfall auf Polen, was er aus der Geschichte (auch) gelernt hat. Er hielt es für opportun, ausgerechnet an diesem Datum, Russland bezüglich seiner Ukrainepolitik zu attackieren und vor „territorialen Zugeständnissen“ zu warnen.

    Ansonsten ist Ihrer Kritik des Bundespräsidenten nichts hinzuzufügen.

    Mit freundlichem Gruß

    Stefan Trute

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    Weizsäcker hat in seiner berühmten Rede auch die Deutschen entschuldet, z.B. die Frauen sind plötzlich alle gleich, ob jüdisch oder deutsch:

    “Den vielleicht größten Teil dessen, was den Menschen aufgeladen war, haben die Frauen der Völker getragen.Ihr Leiden, ihre Entsagung und ihre stille Kraft vergißt die Weltgeschichte nur allzu leicht. Sie haben gebangt und gearbeitet, menschliches Leben getragen und beschützt. Sie haben getrauert um gefallene Väter und Söhne, Männer, Brüder und Freunde.Sie haben in den dunkelsten Jahren das Licht der Humanität vor dem Erlöschen bewahrt.Am Ende des Krieges haben sie als erste und ohne Aussicht auf eine gesicherte Zukunft Hand angelegt, um wieder einen Stein auf den anderen zu setzen, die Trümmerfrauen in Berlin und überall.”

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    Weizsäcker hat in seiner berühmten Rede auch die Deutschen entschuldet, z.B. die Frauen sind plötzlich alle gleich, ob jüdisch oder deutsch:

    „Den vielleicht größten Teil dessen, was den Menschen aufgeladen war, haben die Frauen der Völker getragen.Ihr Leiden, ihre Entsagung und ihre stille Kraft vergißt die Weltgeschichte nur allzu leicht. Sie haben gebangt und gearbeitet, menschliches Leben getragen und beschützt. Sie haben getrauert um gefallene Väter und Söhne, Männer, Brüder und Freunde.Sie haben in den dunkelsten Jahren das Licht der Humanität vor dem Erlöschen bewahrt.Am Ende des Krieges haben sie als erste und ohne Aussicht auf eine gesicherte Zukunft Hand angelegt, um wieder einen Stein auf den anderen zu setzen, die Trümmerfrauen in Berlin und überall.“

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