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Luther: Eine Abrechnung

In der „Welt am Sonntag“ habe ich eine gekürzte Fassung dieses Textes veröffentlicht.

http://www.welt.de/print/wams/kultur/article126354217/Wider-Luther.html

Die Kürzungen waren durch das Zeitungsformat bedingt, ich habe sie selbst vorgenommen und finde, dass der Text in mancher Hinsicht dadurch gewonnen hat. Jedoch könnte es den einen oder anderen Leser interessieren, die ursprüngliche Fassung zu lesen.

 Am 31. Oktober 1517 schlägt der Augustinermönch Martin Luther 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags soll die ganze Welt  den Beginn der Reformation und das Wirken des Reformators feiern. Wie Luther nach dem Willen der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) heute gesehen werden soll, fasst die Luther-Botschafterin der EKD, Margot Käßmann, in ihrem neuesten Buch so zusammen: „Luthers Freiheitsbegriff hat große Konsequenzen nach sich gezogen. ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’ als Parole der französischen Revolution hat im Gedanken der Freiheit eines Christenmenschen durchaus Wurzeln. Am Ende ist der Bogen bis zur Aufklärung zu spannen.“ („Mehr als ja und Amen“, E-Book, Loc. 441)

 

Ich will gar nicht der Frage nachgehen, ob eine Pastorin heute die Französische Revolution, die in die physische Vernichtung ganzer Klassen mündete, als Vorbild hinstellen sollte. Man kann – ja muss – jedoch auch einen anderen Bogen spannen:

– Von Luthers Nationalismus und Hass auf Rom hin zur bis heute nachwirkenden Spaltung Deutschlands und Europas und dem Abschlachten seiner Bevölkerung in den Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts.

– Von Luthers Fürstenhörigkeit über die Niederschlagung des Bauernkriegs hin zur fatalen Verbindung von Thron und Altar und von Staat und Kirche in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts.

– Von Luthers wüster Hetze gegen alle Gegner zur unseligen Tradition der Unduldsamkeit in der Politik.

Von Luthers rasendem Antisemitismus hin zum antisemitischen Wahn der Nazis.

 

Luther ist sicher der größte Prophet seit Mohammed. Er ist jedoch weder Freiheitsapostel noch Vorläufer der Aufklärung. Er verkündet vielmehr eine fundamentalistische Buchgläubigkeit und die Absage an die Vernunft. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ Das ist der Schlachtruf aller Selbstgerechten, die Unglück über die Menschen bringen.  Christenmenschen und Nichtgläubige müssen begreifen: Frei sein bedeutet heute, sich von Luther und der Lutherlegende zu emanzipieren.

 

Zehn Thesen wider Martin Luther:

 

1. Luther ist kein Aufklärer, sondern ein Gegenaufklärer. Er setzt der Renaissance und dem Humanismus einen religiösen Fundamentalismus entgegen. 

Ende des 15. Jahrhunderts führen die Wiederentdeckung der Antike, das Studium des Aristoteles, aber auch die Verweltlichung der Kirchenhierarchie dazu, dass sich in der europäischen Elite ein toleranter religiöser Skeptizismus breit macht, am besten verkörpert in den Humanisten um Erasmus von Rotterdam. Dieser Bewegung gegenüber vertritt Luther eine fundamentalistische, buchgläubige Intoleranz, die jeden Kompromiss ablehnt: „Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig!“

Die Vernunft hasst Luther und bezeichnet sie als „des Teufels Hure“. Die neue Astronomie des Kopernikus lehnt er ab, weil sie der Bibel widerspricht: „Der Narr will mir die ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde!“ (Woraus folgt, dass sich die Sonne um die Erde bewegen muss und nicht umgekehrt. Selbst immanent-theologisch ist das ein schwaches Argument.)

Wo Bibel und Verstand einander widersprechen, ist Luther immer für die Schrift und „will doch meinen Verstand gefangen nehmen unter den Gehorsam Christi“. Luther ist zwar weder der einzige noch der radikalste religiöse Fundamentalist am Ausgang des Mittelalters. Aber er verhilft dem Fundamentalismus zum Sieg über den aufklärerischen Humanismus und bereitet somit den Weg für die katholisch-fundamentalistische Gegenbewegung  und für die Religionskriege, die Europa verwüsten.

 

 

2. Luther hat die Kirche nicht reformiert, sondern gespalten und den Hass gegen alle gepredigt, die sich ihm nicht unterwarfen.

In der Lutherlegende fungiert der Wittenberger Mönch als Reformer, der nur durch die heftige Reaktion der Amtskirche in die Rolle des Religionsstifters gedrängt wurde. Das stimmt nicht und verkennt übrigens Luthers düstere Größe als Begründer einer neuen Kirche. 

Lange vor Luther gibt es Menschen, die auf Reformen in der Kirche drängen. Seit dem 13. Jahrhundert erheben sich immer wieder Stimmen gegen den Machtmissbrauch der Päpste und Bischöfe, gegen Aberglauben und Volksverdummung, für eine Kirche, die sich auf die ursprüngliche Botschaft des Jesus aus Nazareth besinnt: John Wycliffe in England und Jan Hus in Böhmen, Vertreter des Konziliarismus wie Jean Gerson aus Paris, zu Luthers Lebzeiten die Nominalisten und Humanisten. Manche – wie Hus – werden  zu Märtyrern einer unduldsamen Kirchenobrigkeit. Jedoch zeichnet sich im 16. Jahrhundert eine breite Bewegung für eine Reform der Kirche ab.

Luther jedoch will keine Reformen, sondern eine „Reformation“: eine Neu-Formierung und Überformung der gesamten Kirche gemäß seiner eigenwilligen Auslegung der Schrift.  Darum antwortet er auf die Unduldsamkeit der Kirche selbst mit Unduldsamkeit, bezeichnet die „Römer“ als „Ketzer und gottlose Rottengeister“. Den wahren Christen ergehe es in der katholischen Kirche „nicht anders, als wären wir beim Türken gefangen“. Der Papst selbst sei der „Antichrist“ im Dienst des Teufels: „Wenn wir Diebe mit dem Galgen, Räuber mit dem Schwert und Häretiker mit dem Feuer bestrafen, warum werfen wir uns nicht umso stärker mit allen unseren Waffen auf diese Herren der Sündhaftigkeit, diese Kardinäle, diese Päpste und diesen Sumpf römischer Sodomie, die unablässig die Kirche Gottes befleckt, und waschen unsere Hände in ihrem Blut, um uns … zu befreien“? Dieses Programm eines Religionskriegs, eines Protestantischen Dschihad, ist wörtlich gemeint.

Im Bewusstsein der nahenden Endzeit will Luther keine Reformen. Er steuert zielgerichtet auf die Gründung einer eigenen, radikalen „Kirche Gottes“ zu.

 

 

3. Luther hat die befreiende Botschaft des Protestantismus in ihr Gegenteil verkehrt.

Der befreiende Kern der christlichen Botschaft lautet: Jesus ist für die Sünden der Menschen gestorben. Die Rechnung mit Gott ist beglichen. Diese Botschaft hat der Augustinermönch Luther bei Augustinus und Paulus wiederentdeckt. Der Mensch muss nicht Gutes tun, um dem Gericht Gottes zu entgehen; weil er Gnade erlangt hat, ist er frei, Gutes zu tun.

Doch würde diese Botschaft, konsequent zu Ende gedacht, auch die Entlassung der Menschen in die völlige Freiheit bedeuten. Kirche, Pfarrer, Liturgie, Sakramente, ja der Glaube selbst wären überflüssig. Und genau diese Befreiung will Luther ebenso wenig wie sein Lehrer Augustinus, der große Pessimist der Antike, den übrigens auch Joseph Ratzinger als „Zeitgenossen“ verehrt. Luther will das genaue Gegenteil: die totale Unterwerfung des Menschen, das ganze Leben als Buße.

Hier kommt ihm seine Prädestinationslehre zur Hilfe: Gott hat – da allmächtig und allwissend – längst beschlossen, wer Gnade erlangt und wer nicht. Nur wer glaubt, könne die Gnade erlangen. Aber wie erkennt der Christ, ob sein Glaube ausreicht? Woran erkennt der Christ seine Rettung? Gerade daran, dass er sich ständig mit der Frage quält, ob er gerettet ist. So bringt die frohe Botschaft der Freiheit durch Luther den unfrohen, unfreien Protestanten hervor, auf verquere Weise stolz auf seine eigenen inneren Dämone.

Wie Luther schreibt: „Das ist die höchste Stufe des Glaubens, zu glauben, jener (Gott) sei gütig, der so wenige selig macht, so viele verdammt; zu glauben, er sei gerecht, der durch seinen Willen uns so, dass es nicht anders sein kann, verdammenswert macht, dass es scheint…, er ergötze sich an den Qualen der Unglücklichen und als sei er mehr des Hasses als der Liebe wert.“

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: einen Gott lieben, der die gewaltige Menschheit zu ewigen Qualen verdammt, das ist „die höchste Stufe des Glaubens“.

Zu Recht schrieb Karl Marx 1845: „Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft als Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat die Menschen von der äußeren Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum inneren Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz in Ketten gelegt.“ Das ist übrigens das Rezept jeder totalitären Bewegung.

 

 

4. Luthers Judenhass hat nachhaltig den Protestantismus geprägt.

„Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird … die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zu völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt.“ So bejubelte der evangelisch-lutherische Landesbischof Martin Sasse aus Eisenach die Pogrome der Reichskristallnacht. Und er fuhr fort: „In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.“ (Martin Sasse: Martin Luther und die Juden – Weg mit ihnen!“, Freiburg 1938)

Dass Luther „als Freund der Juden begann“, ist ein Gerücht. Dass er einer der größten Antisemiten seiner Zeit war, ist zweifellos richtig. So stammt von ihm eine der ersten Formulierungen der Mär von der„jüdische Weltverschwörung“. Luther schreibt: „Die Juden begehren nicht mehr von ihrem Messias, als dass er ein weltlicher König sein solle, der uns Christen totschlage, die Welt unter den Juden austeile und sie zu Herren mache.“

Auch die Losung „die Juden sind unser Unglück“ findet sich bereits bei Luther wieder: „Ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist`s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unser Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen. Das ist nichts anderes. Da ist kein menschliches Herz gegen uns Heiden. Solches lernen sie von ihren Rabbinern in den Teufelsnestern ihrer Schulen.“

Und schließlich entwirft Luther ein Programm der Enteignung der Juden, der Zerstörung ihres religiösen kulturellen Lebens und der Einweisung in Arbeitslager, das erst vom Nationalsozialismus umgesetzt wurde: „Erstlich, dass man ihre Synagoga oder Schulen mit Feuer anstecke…  Und solches soll man tun unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien … Zum anderen, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben dasselbige drinnen, was sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder einen Stall tun … Zum dritten, dass man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein … Zum vierten, dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren … Zum fünften, dass man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe. … Sie sollen daheim bleiben … Zum sechsten, dass man … nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold und lege es beiseite zum Verwahren. (Denn) alles was sie haben (wie droben gesagt) haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren Wucher. Zum siebten, dass man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen … Man müsste ihnen das faule Schelmenbein aus dem Rücken vertreiben.“

Luthers Ausfälle gegen die Juden sind keine vorübergehende oder einmalige Entgleisung. Sie sind auch nicht dem „späten Luther“ zuzuschreiben, im Gegensatz zum angeblich judenfreundlichen jungen Luther, von dem – leider, leider! – keine judenfreundlichen Schriften überliefert sind. In den Juden sieht Luther den Inbegriff all dessen, was ihm verhasst ist: Gottesmörder, Kosmopoliten, Freigeister, Geldleute. Zu Recht sagte der Nazi-Propagandist Julius Streicher bei seinem Prozess vor dem Nürnberger Militärtribunal: „Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank“, wenn er noch lebte.

Dorthin gehört er aber auch heute.

 

5. Luther identifiziert den Wucher mit dem Judentum und begründet ein bis heute wirksames Misstrauen gegen die Marktwirtschaft im deutschen Protestantismus.

Es ist kein Zufall, dass man gemeinhin Luthers Kampf gegen den Ablass auf den Kampf gegen den Ablasshandel reduziert. Luther hat zwar jede Art von „Werkgerechtigkeit“ kritisiert. Doch die Vorstellung, sich ausgerechnet durch Geld von Sünde freizukaufen, erscheint deutschen Protestanten – und auch vielen Katholiken und Konfessionslosen – besonders abscheulich. Warum?

In seinem kleinen und großen „Sermon vom Wucher“ und in der Schrift  „Von Kaufshandlung und Wucher“ wendet sich Luther gegen zwei Grundlagen der Marktwirtschaft: die Bildung von Preisen am Markt und die Verwendung von Kredit zur Finanzierung von Geschäften. Im Grunde genommen lehnt Luther jeden Handel ab; der Handel mit Geld jedoch gilt ihm als Teufelswerk, das er mit „dem Juden“ und „jüdischer Nichtarbeit“. identifiziert. Die Titelblätter seiner drei Werke gegen den Geldhandel zieren Bilder geldgieriger Juden.

Interessanterweise identifiziert der Protestantisch getaufte Karl Marx, den ich oben als Kritiker Luthers zitiert habe, in seiner Schrift „Zur Judenfrage“ wie Luther das Judentum mit dem Schacher. Luther habe „den wahren Charakter des altmodischen Wuchers und des Kapitals überhaupt erfasst“, sagt Marx, nämlich seinen „jüdischen“ Charakter, weshalb die kapitalistische Gesellschaft im Grunde jüdisch geprägt sei.

Auch in der Nazi-Ideologie wird in der Nachfolge Luthers zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital unterschieden. Der Einfluss dieser protestantischen Wirtschaftsethik ist noch heute wirksam, etwa im Misstrauen gegen das „Finanzkapital“ oder „die Wall Street“, oder in der Kritik am „Heuschreckenkapitalismus“ ausländischer Investoren (Franz Müntefering) oder an „anstrengungslosem Einkommen“ (Guido Westerwelle). Rechte wie Linke befolgen weiterhin das Luther’sche Muster, zwischen „ehrlicher“ Arbeit und unehrlichem Geschäft zu unterscheiden. 

 

6. Luthers Hetze gegen die aufständischen Bauern begründet die Autoritätshörigkeit des deutschen Protestantismus.

Luther tritt in einer Situation auf, da die deutschen Fürsten, Ritter, Bürger und Bauern „los von Rom“ wollen und möglichst das Eigentum der Kirchen und Klöster an sich ziehen wollen. Daher genießt Luther, der gegen „die Knechtschaft ruchlosen Gewinns“ – also des Gewinns der Kirche – wettert, deren Schutz. Im Gegenzug verpfändet er die Religion an die Machtinteressen der Fürsten, bis es zum Augsburger Religionsfrieden kommt: „Cuius regio, eius religio“: Der Landesherr bestimmte die Religion seiner Untertanen.

Aus dem Gegensatz von Staat und Kirche im Mittelalter wird die Staatskirche der Neuzeit. Aus der „babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ unter dem Papst die babylonische Gefangenschaft unter den Fürsten.

Darum muss Luther die Demokratie ablehnen: „Der Esel will Schläge haben, und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein. Das wusste Gott wohl; drum gab er der Obrigkeit nicht einen Fuchsschwanz, sondern ein Schwert in die Hand.“

Der große demokratische Aufstand des 16. Jahrhunderts, die wahre Vorläuferin der von Bischöfin Käßmann beschworenen Französischen Revolution, vergleichbar dem „arabischen Frühling“, ist der Deutsche Bauernkrieg. Ursprünglich sind die Forderungen der Bauer und der mit ihnen verbündeten Bürger und Ritter gemäßigt. Luther jedoch ruft zum Kreuzzug, zum Dschihad „wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ auf. „Man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“

Das haben die konterrevolutionären Fürstenarmeen denn auch getan. Das Scheitern der Bauern begründet Deutschlands politische Rückständigkeit auf Jahrhunderte.

 

7. Luther gibt dem Teufel- und Hexenwahn Auftrieb

Noch heute wird dem Besucher auf der Wartburg der Tintenfleck gezeigt: Zeugnis davon, dass Luther sein Tintenfass gegen den Teufel geworfen haben soll, der ihn „belästigte“. Anekdoten beiseite, ist Luther von der Allgegenwart böser Geister im Auftrag des Satans überzeugt.

Insbesondere glaubt er an Hexerei und Hexen und befürwortet deren Verfolgung: „Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, was bisweilen ignoriert wird, sie können nämlich Milch, Butter und alles aus einem Haus stehlen… Sie können ein Kind verzaubern… Auch können sie geheimnisvolle Krankheiten im menschlichen Knie erzeugen, dass der Körper verzehrt wird… Schaden fügen sie nämlich an Körpern und Seelen zu, sie verabreichen Tränke und Beschwörungen, um Hass hervorzurufen, Liebe, Unwetter, alle Verwüstungen im Haus, auf dem Acker, über eine Entfernung von einer Meile und mehr machen sie mit ihren Zauberpfeilen Hinkende, dass niemand heilen kann … Die Zauberinnen sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder … Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.“ Die Hexenverfolgung ist kein mittelalterliches Phänomen, sondern nimmt in der frühen Neuzeit zu. Und zwar nicht in erster Linie bei den „rückständigen Katholiken“: Tatsächlich ist die Hexenverfolgung in den protestantischen Teilen des Reichs nicht zuletzt aufgrund dieser Einstellung Luthers in der Regel schärfer als im katholischen Teil.

 

8. Luthers Hexenwahn steht auch in Verbindung mit seiner Abwertung der Frau

„Wer mag alle leichtfertigen und abergläubischen Dinge erzählen, welche die Weiber treiben. Es ist ihnen von der Mutter Eva angeboren, dass sie sich äffen und trügen lassen.“ So Luther über das, was spätere Frauenhasser den angeborenen Schwachsinn des Weibes nennen werden.

Die Lutherlegende macht großes Aufheben um seine Heirat mit der entlaufenen Nonne Katharina von Bora. Damit habe der Reformator die Frau aufgewertet. Jedoch kann man die Sache auch so sehen, dass mit der Auflösung der Klöster durch die Reformation die Frauen einen Ort verlieren, an dem sie vor männlicher Zudringlichkeit und männlicher Herrschaft sicher sind. Fortan ist ihr Platz – in jeder Hinsicht – unter dem Mann: „Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.“

 

9. Als Endzeitprophet ist Luther ein Verkünder der Unduldsamkeit

Luthers Ausgangspunkt ist das Recht jedes Christenmenschen, die Schrift selbst auszulegen. Doch diese scheinbar liberale Haltung konterkariert er, indem er jeden   Meinungsstreit zu einem Kampf zwischen Gut und Böse erklärt, zwischen absolut richtig und unrettbar falsch. So hat er dem Sektierer- und Eiferertum Tür und Tor geöffnet.

Wie jeder Radikale will Luther zurück zu den Wurzeln der Religion. Doch indem er die Schrift zur einzigen Quelle der Wahrheit erklärt, hat er dem religiösen Fundamentalismus den Weg bereitet.

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“: so schallt es aus tausend Kirchen und Sekten, aus Moscheen und Synagogen. Der Kompromiss ist die Grundlage gesellschaftlichen Zusammenlebens in einer pluralistischen  Gesellschaft. Doch Luther geht es nicht um die Errichtung einer zukunftsfähigen Gesellschaft, sondern um die Vorbereitung auf die Endzeit. Luther will keinen Prozess der gesellschaftlichen Befreiung einleiten, keinen „Bogen“ irgendwohin spannen, schon gar nicht zur Aufklärung oder zu einer Revolution gegen Fürsten und König, wie Bischöfin Käßmann wider besseres Wissen behauptet. Er will vielmehr angesichts des kommenden Weltenendes die Menschen Gottes Willen unterwerfen.

Der Chiliasmus, die Vorstellung, das Ende der Welt, wie sie kennen, stehe bevor, ist die Rechtfertigung aller Gegner ernsthafter Reformpolitik, die ja auf lange Sicht angelegt ist. Luther hat der pluralistischen und reformorientierten, individualistischen und permissiven, marktwirtschaftlich und demokratisch angelegten Demokratie des Westens nicht mehr zu sagen als sein später Nachfolger Ayatollah Khomeini.

 

10. Luthers große Tat des Kampfs gegen den Ablasshandel ist in Wirklichkeit eine Untat.

Aber Luthers Kampf gegen den Ablasshandel ist doch gerecht? Die 95 Thesen sind doch ein gerechtfertigter Protest gegen die Ausbeutung der Angst der Menschen durch gewissenlose Geschäftemacher im Namen der Religion? Darin sind sich heute Protestanten, Katholiken und Konfessionslose weitgehend einig, obwohl die katholische Kirche noch heute Ablässe gewährt. Und Luther hat nicht nur den Handel mit Ablässen, sondern die ganze Ablasspraxis kritisiert. Er will ja die Menschen gerade nicht aus ihrem Sündenbewusstsein entlassen.

Was bedeutet der „Ablass“? Im Mittelalter lehrt die Kirche, dass sie durch das Leben und Sterben der Heiligen und Märtyrer einen „Gnadenschatz“ aufgehäuft habe, an dem ihre Mitglieder durch gute Werke teilhaben könnten. Es liegt also in der Macht des einzelnen Menschen, durch eine gute Lebensführung der Hölle zu entgehen. Nur im Rahmen dieser Ökonomie der Gnade ist auch der Ablasshandel zu verstehen. Durch ihn konnten sich die Menschen von der Höllenangst freikaufen.

Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Der Sünder bekommt einen Teil seiner Strafen – beziehungsweise seiner Zeit im Fegefeuer – erlassen; der Papst bekommt die Mittel zum Bau des Petersdoms und zur Förderung der Künste. Es handelt sich um eine Art Lebensversicherung für die Zeit nach dem Tod. Und wie in der heutigen Sozialversicherung gab es damals progressive Sozialtarife: Auch der Arme konnte mit seinen bescheidenen Mitteln die Gewissheit ewigen Lebens erlangen; der Reiche musste dafür mehr bezahlen.

Nun kann man das alles zusammen mit Teufel, Tod und Hölle als Aberglaube abtun. Aber die Menschen haben sich damals angesichts ihrer kurzen Lebenserwartung, angesichts von Pestepidemien und Elend an die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod geklammert. Kirche und Ablass gaben ihnen Hoffnung, trotz Sünden dem Gericht Gottes zu entgehen.

Luther wettert jedoch nicht nur gegen den Handel mit Ablassbriefen, sondern gegen den Sündennachlass selbst. Dagegen setzt Luther in seiner allerersten These die Forderung, „das ganze Leben solle Buße sein.“ Luther will die Menschen nicht von ihrer Angst vor Tod und Hölle befreien, sondern diese Angst zum ständigen Lebensbegleiter der Menschen machen, sie instrumentalisieren, um sie Gott und seinem Sprecher Luther zu unterwerfen.

Dass der Mensch von sich aus nichts tun könne, um der Verdammnis zu entgehen, dass er – so wörtlich – „ein Stück Scheiße“ sei, ist ja der zentrale Glaubensartikel Luthers, das Gegenstück zur Lehre von der unverdienten Gnade Gottes. Indem er den Menschen die Möglichkeit nimmt, sich von der Strafe freizukaufen, unterwirft er sie einer totalitären Auffassung von der Pflicht eines Christenmenschen: „Daher bleibt die Strafe, solange der Hass gegen sich selbst – das ist wahre Herzensbuße – bestehen bleibt. … Aufrichtige Reue begehrt und liebt die Strafe. Die Fülle der Ablässe aber macht gleichgültig und lehrt (die Strafe) hassen …“

Du bist nichts, Gott / die Partei / dein Volk ist alles: Es ist nicht wahr, wie etwa die Anhänger Benedikts XVI. behauptet haben, dass der Egoismus den Kern des Totalitarismus bildet. Im Gegenteil: Jede totalitäre Ideologie betont die Unterwerfung und Erniedrigung, ja die Auslöschung des Individuums. So auch Luther.

Selbsthass als Herzensbuße – was für eine unmenschliche Lehre!

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75 Gedanken zu “Luther: Eine Abrechnung;”

  1. avatar

    Darüber hinaus fragt man sich, was Damen wie Käßmann antreibt, wenn sie die französische Revolution preisen. Ist es Dummheit oder Unkultur oder aber der Hass (Neid) auf alles Katholische? Hier einige „Wohltaten“ der französischen Devolution:

    Aynard, einer der von Ur-Evangelen so verhassten Banker, brachte die Abtei von Fontenay wieder auf einen sakralen Stand, nachdem die Revolution sie entweiht und die Erben von Mongolfier dort eine Papierfabrik betrieben hatten:

    In 1906 Edouard Aynard, an art-loving banker from Lyon, bought the abbey and commenced its restoration which was complete by 1911. Edouard’s descendents continued to work on the abbey and it remains in the Aynard family to this day. In 1981 the abbey became a UNESCO World Heritage Site.
    http://en.wikipedia.org/wiki/Abbey_of_Fontenay

    Bei diesem Juwel wurde die Hälfte zerstört inklusive des Daches:
    http://en.wikipedia.org/wiki/Jumièges_Abbey

    Hier ist fast alles zerstört:
    http://en.wikipedia.org/wiki/C....._buildings

    Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Soweit zu den überaus großen Werten der Französischen Revolution.

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    @Parisien: Das stimmt, der Petersdom ist ein Juwel und wohl aus dem Ablasshandel entstanden, aber im Grunde bedeutet das doch nur, dass auch aus einem Misthaufen etwas Schönes entsteht. Der heutige Ablasshandel ist allenfalls eine Metapher.

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    @ Alan Posener
    Bravo!
    Er geißelte sich, sie geißeln sich (Schitten in Iran). Selbstmordattentäter dürften auch nicht ohne Selbsthass sein.
    Sebsthass und Weltabgewandtheit müssen vielleicht zwangsläufig zu Antisemitismus führen, da Lebenslust und Lust an Erfolgen wie auch der dazu passende Humor Juden eigen zu sein scheinen.
    Ohne Luther hätten wir die säuerliche deutsche Neid-auf-den-Nachbarn-Kultur vielleicht nicht, wären fröhlicher und gelassener und hätte möglicherweise die Gefahren des NationalSOZIALISMUS 1932/33 besser erkannt. Heute würden wir besser erkennen, welch immense Bedrohungen in reinlichem Denken wie fundamentalem Wahhabismus liegen, und hätten keine Pastorinnen, die schwafeln „Nichts ist gut in etc.“, aber dabei vornehmlich an die USA denken, weil sie mit Taliban beten gehen wollen.

    @ Roland Ziegler
    „Der Ablasshandel ist einfach Humbug, egal ob er glücklich oder unglücklich macht.“

    Es entstand aber daraus der Petersdom, immerhin ein Juwel. Der heutige Ablasshandel dagegen scheint mir nichts zu hinterlassen außer Rapsmais, Solarzellen, potthässlichen Kleinwagen und Einöde.

  4. avatar

    Wo ein vor 500 Jahren lebender Mönch so einseitig mit heutigen Maßstäben beurteilt wird, ist es auch nicht weit zu Straßenumbenennungen. Vereinzelt tauchen schon Forderungen danach auf.

  5. avatar

    Err.:Wieso sich (zunächst) die antihumanistischen Aufklärer durchsetzen,..
    => Wieso sich (zunächst) die antihumanistischen Revolutionäre durchsetzen,..
    ..womit wenigstens das Wichtigste korrigiert wäre..

  6. avatar

    Die Frage ist doch die, wie ein sich selbst als gar nicht so menschenfreundlich gebender Religionsstifter von seiner Gemeinde interpretiert wird. ich denke, es bringt diese Gemeinde wenig weiter, wenn das Bld des Stifters verklärt wird. Hamed Abdel Samad interpretiert ja wohl genau das in seinem neuen Buch ber den Islam. Bei alldem sollte m.E. nicht vergessen werden, daß für die Religion, die da gestiftet wurde, offensichtlich ein Bedarf existierte,sonst hätte sie sich ja nicht durchgesetzt. Also: Kritisiert die Religionsstifter, aber nehmt die Gläubigen ernst.
    Die zweite Frage, die sich zumindest mir stellt, ist, warum sich weder Wyclif noch Hus durchgesetzt haben, sondern, der reaktionär-konservativ-antihumanistische Luther. Und zwar nachdem die kirchliche Elite bereits anfing, wenn auch langsam, aufklärerische Ideen in ihre lehre zu implementieren. Wieso sich (zunächst) die antihumanistischen Aufklärer durchsetzen, hat m.E. Machiavelli bereits hinreichend erläutert. Auf das (dazu komplementre) Verhalten des einfachen Volkes (des Stammtisches etc.) bezogen, heißt das doch wohl, daß das einfache Volk (nach aller Aufklärung) noch nicht in der Lage ist, seinen eigenen Willen eigenständig zu formulieren und immer wieder auf das allzu Plakative, die einfache Lösung und Projektionen (Sündenböcke) zurückgreift – oder?
    Es hängt also (abermals) vom Menschenbild ab, ob man hier autoritäre Führung anstelle einer nicht vorhandenen ‚Vernunft des Volkes‘ einfordert oder dem Aufbegehren – auch wenn es noch so unvernünftig erscheint – einen Raum lässt.
    Aktuelles Beispiel ist das neue Buch von Akif Pirincci und das Unbehagen so vieler, die sich an dem Menschenbild des gender mainstreaming stören. Denn auch die Gefahr, in totalitäre Denkmuster zu verfallen, wenn man die Vernunft auf seiner Seite wähnt – und da braucht man noch nicht mal auf so leicht zu durchschauende Persönlichkeitsstrukturen, wie die der Putin-Versteherin* Alice Schwarzer zu verweisen. Ich meine: Wer die Moderne, den Fortschritt verteidigen will, sollte auch aufpassen, nicht selber dabei reaktionär bzw. totalitär zu werden.

    * die Putin-Sympathie ist auch eine Projektion: mit Sympathie für Russland hat das nichts zu tun.

  7. avatar

    R.Z.: Die obsessive Beschäftigung kommt daher, dass das Verbrechen der Nazis und die Ursachen dieses Verbrechens nach wie vor sehr beunruhigend sind, …

    … so is‘ es!

    Wiki: ‚Zensur ist ein restriktives Verfahren von in der Regel staatlichen Stellen, um durch Massenmedien oder im persönlichen Informationsverkehr vermittelte Inhalte zu kontrollieren, unerwünschte beziehungsweise Gesetzen zuwiderlaufende Inhalte zu unterdrücken und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass nur erwünschte Inhalte veröffentlicht oder ausgetauscht werden. Oftmals wenden insbesondere totalitäre Staaten Zensur an.‘

    Daher!

  8. avatar

    Viele der vorgetragenen Thesen erscheinen mir in einzelnen Details schief, sind aber im Großen Ganzen weitgehend nachvollziehbar und in meinen Augen berechtigt. Luther ist keineswegs vorbildtauglich. Dass er zu rel. hoher Bekanntheit gelangte, liegt nicht in der oft zweifelhaften Qualität theol. Schriften begründet, sondern in ihrer polit. Wirkung. Inwiefern Details schief sind, würde für ein solches Medium zu viel Text erfordern.

    Ich habe beide Versionen auf Facebook gerne geteilt. Diskussionen haben sie dort keine ausgelöst. Sie könnten allenfalls in meinen Augen für orthodoxe Lutherfans oder ev. Theologen von Interesse sein. Denn dass Luther tatsächlich viele Menschen dazu veranlasste, sich tiefer mit seinem Werk und Leben auseinanderzusetzen, bezweifele ich erheblich.

    Ich schätze seine Bibelübersetzung. Von Sympathie für Luther kann bei mir keine Rede sein.

  9. avatar

    @Alan Posener: Berechtigte Frage, die ich mir auch schon gestellt habe, als das Thema Antisemitismus in der Auseinandersetzung zwischen Per Leo und Ihnen aufkam. Ich hab das da nur aufgegriffen. Die obsessive Beschäftigung kommt daher, dass das Verbrechen der Nazis und die Ursachen dieses Verrbechens nach wie vor sehr beunruhigend sind, zumindest für mich. Ich bin wohl zu sehr in Fahrt gekommen und habe zu viele Beiträge geschrieben und damit das Thema verzerrt, das tut mir leid.

  10. avatar

    Nichts gegen Sie, Roland Ziegler, aber von meinen zehn Anklagepunkten gegen Luther diskutieren wir mittlerweile nur einen, und den auch nur am Rande, sondern stattdessen allgemein über den Antisemitismus, der weiß Gott ein langweiliges Thema ist.
    Woher kommt diese obsessive Beschäftigung mit den Juden? Warum sind die anderen Punkte, die mindestens genauso wichtig sind wie Luthers Antisemitismus, hier nicht (mehr) Gegenstand der Diskussion?

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    Wenn man die Menschen in Herren- und Untermenschen aufspalten will, kann man dazu ein beliebiges Merkmal nutzen. Wenn es einen verbreiteten religiösen Antisemitismus bereits gibt, nimmt man eben den; das bietet sich an. Hätte es genügend Menschen mit schwarzer Hautfarbe gegeben, hätte man womöglich die genommen. Irgendwen findet man immer. Zur Not nimmt man die Menschen mit Körpergröße unter 1,50 oder über 2 m (Zwerge und Riesen).

  12. avatar

    Der religiöse Antisemitismus war ja, wie oben vielfach erwähnt, überall in Europa verbreitet. In Frankreich war er sogar stärker als in Deutschland, hat Per Leo gesagt. Die Vorstellung, dieser Antisemitismus wäre eine Art „Holocaust light“, ist falsch. Die anderen europäischen Staaten haben nicht „ein bisschen Holocaust“ veranstaltet, sondern gar keinen. Sie teilten mit Deutschland denselben religiösen Antisemitismus, aber wurden von Nazideutschland durch einen Abgrund getrennt.

  13. avatar

    Ich glaube, die Nazis waren viel eher vergleichbar mit bestimmten amerikanischen Siedlern oder Soldaten, die es sich zum Spaß machten, ein paar Indianer abzuknallen. Oder mit den 800 000 Tutsi, die umgebracht wurden, weil sie den Hutu als Ungeziefer galten. Hier gibt es viel stärkere Verbindungslinien als zum Antisemitismus von Luther.

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    @Moritz Berger: Das Gleiche ist es nicht. Man kann beides „Antisemitismus“ nennen, muss dann aber unterscheiden zwischen religiösem und rassistischem Antisemitismus. Im religiösen Antisemitismus wird das Judentum als Irrlehre abgelehnt und samt seinen Vertretern als falsch, gefährlich, ketzerisch, sündhaft, teuflisch usw. verfolgt.
    Im rassistischen Antisemitismus geht es nicht um irgendeine Lehre, sondern um den Menschen. Hier werden z.B. Schädel oder IQs vermessen, was Luther völlig fern gelegen hätte. Der Untermensch stellte für den Herrenmenschen bereits durch seine Existenz eine Bedrohung dar, weshalb man ihn aus Herrenmenschensicht ausrotten musste – nicht nur die Prediger oder die Gläubigen, sondern alle: Kinder, Alte, Frauen… Menschen jüdischer Abstammung galten als Ungeziefer. Man erstellte also Abstammungsbäume. Das wäre Luther unter keinen noch so phantastischen Umständen eingefallen.

    Es gab auch früher immer schon antisemitische Pogrome, bei denen man alles ausrottete, dessen man habhaft werden konnte. Insofern kann der religiöse Antisemitismus den rassistischen sozusagen entzünden. Das waren aber kurzzeitige, begrenzte Ereignisse, ein Blutrausch. Sozusagen Übersprungshandlungen. So wie die (natürlich harmloseren) Fankriege nach bestimmten Fußballspielen.

    Wenn man die Ausfälle Luthers gegen den Papst und die römische Kirche mit seinen antijudaischen Ausfällen vergleicht, kann man starke Ähnlichkeiten in der Wortwahl feststellen. Luther war ein Fundamentalist, da hat Her Posener recht, und er eiferte und geiferte gegen alles, was nicht seiner Meinung war. Aber ein Programm zur Ausrottung von Menschen (d.h. eliminatorisch-rassistischer Antisemitismus) lag ihm – im Gegensatz zu seinem Programm zur Ausrottung von Irrlehren aller (!) Art – fern. Er wäre entsetzt gewesen, wenn er geahnt hätte, wer seine Ausfälle beerben würde. Denn die Nazis haben den religiösen Antisemitismus beerbt und ihre böse Erbschaft in eine Monstrosität umgewandelt.

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    Antisemitismus ist ein böses, unsinniges Motiv, aber das Motiv kann die Morde der Nazis nicht erklären. Es liefert nur einen Baustein. Leute morden aus allen möglichen Motiven, auch aus sehr nachvollziehbaren, sogar guten Motiven. Umgekehrt hegen die Leute mitunter die bösartigsten Gedanken und Motive, ohne je zu morden.

    Beim Mord gibt es eine Grenzüberschreitung, beim Massenmord eine massenhafte Grenzüberschreitung. Es gibt normalerweise auch bei gröbstem Übelwollen eine Scheu – ein wirkungsvolles moralisches Verbot – , Hand an ein anderes Leben zu legen.

    Den Nazis ist diese Scheu irgendwie abhanden gekommen. Das heißt aber nicht, dass sie ohne Moral wären – dann wäre ihnen das Leben der Juden egal gewesen – ; sie handelten nach ihren Maßstäben „gut“ und stellten dabei die vorgängige Moral auf den Kopf. Sie verfolgten die Juden akribisch, um sie zusammenzutrieben und zu töten. Nur so – als moralische Menschen, die einer pervertierten Moral frönen – kann man sich lustige Massenmörder, die nach der Tat noch fröhlich einen heben, zusammenreimen.

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    Wie wiederholt geschrieben, ist Antisemitismus ein Terminus, der in der Neuzeit ‚geschaffen’ wurde. Übrigens kommt Antisemitismus auch ohne Gojim, Nichtjuden, aus. Marx sei ‘Dank’.

    Antisemitismus, wie er von der sogenannten ‚Reformation‘ begründet, findet sich auch als ‚Katalysator‘ in den Marx-Engels-Lenin-sozialistischen Schriften wieder. Auch als Diffamierung und Agitation gegen die Lehren der Kirche Christi. Adolf Hitler und die NSDAP waren Sozialisten.

    Daher!

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    BvG: Untersuchungen haben ergeben, dass Protestanten gebildeter sind als Katholiken. Man spricht von einem Lesevorsprung von einem Jahr.

    … jau! … teilen Sie uns doch die Quelle ihrer bahnbrechenden Erkenntnis mit.

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    @Roland Ziegler

    Ist letztlich der Antijudaismus von Martin Luther nicht ein anderes Wort für den Antisemitismus?

    Und:

    Der Antisemitismus bestand schon lange vor dem Naziregime.

    Siehe auch die Judenzählung von 1916:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Judenz%C3%A4hlung

    Siehe auch den Bäder-Antisemitismus:

    http://de.wikipedia.org/wiki/B.....semitismus

    Siehe auch die “ Berufsverbote “

    „Die Juden bildeten um 1800 in den meisten Ländern Mitteleuropas die größte nichtchristliche Minderheit. Sie gehörten überwiegend zur Unterschicht, da ihnen im Mittelalter Grunderwerb und Ackerbau, die Mitgliedschaft in Handwerkszünften und Kaufmannsgilden sowie der Aufstieg in den Adel verboten waren“
    aus:
    http://de.wikipedia.org/wiki/A.....Minderheit

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    Untersuchungen haben ergeben, dass Protestanten gebildeter sind als Katholiken. Man spricht von einem Lesevorsprung von einem Jahr.

    Eine Ursache kann Luthers Ansatz sein, die Bibellektüre nicht dem katholischem Klerus allein zu überlassen.

    Der deutsche brain belt geht über Sachsen und Franken nach Schwaben – protestantisch geprägte Gebiete.

    Höhere Bildung schlägt sich nicht zwingend in größerem wirtschaftlichen Erfolg nieder. Für Industrialisierung müssen Bodenschätze, Handelswege und rechtliche Rahmenbedingungen zusammenkommen, die Konfession der jeweiligen Bevölkerung ist mE nicht so entscheidend.

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    Im Artikel oben steht das entscheidende Zitat: „Solches lernen sie von ihren Rabbinern in den Teufelsnestern ihrer Schulen.“ Was die vermeintliche Bösartigkeit der Juden ausmacht, ist für Luther angelernt, nicht angeboren.

    Der Untershcied zu den Nazis liegt m.E. in der Abkehr vom Grundsatz, dass vor Gott/“an sich“ alle Menschen gleich sind. Luther schimpfte auf Juden, weil ihm ihre Religion als gefährliche Irrlehre und demzufolge auch ihre Lebenspraxis als schädlich erschien. Aber ihre Seelen waren für ihn nicht minderwertig.

    Das war bei den Nazis anders: Da waren die Juden keineswegs gleichartig, sondern von existentiellem Übel; ungeziefergleich. (Kurz gesagt.) Dieser Unterschied macht einen tiefen Abgrund aus.

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    Von Luthers Antijudaismus zum Antisemitismus der Nazis liegt vielleicht nur ein Schritt, aber der führt direkt in den Abgrund. Man muss erklären, warum dieser Schritt trotzdem getan wurde.

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    warum hat sich luther eigentlich gerade in deutschland durchsetzen können? bestimmt das sein vielleicht doch das bewusstsein?

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