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Der Euro, das Mysterium, und Mutti, die Märchentante

Im Universum des Dummschwätzens, das unsere Zeit prägt, taucht gelegentlich ein wahrer Satz auf, der wie ein Blitz die Nacht erhellt: „Eine Staatsschuldenkrise lässt sich nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen. Die Schuldentragfähigkeit der Griechen wurde nur auf dem Papier hergestellt. Das gilt für die ganze Euro-Rettung: Der Wunsch hat sich als Wirklichkeit maskiert.“ Unser Schicksal wird von einem Mysterium bestimmt, das wir als Euro-Krise wahrnehmen, aber nicht wirklich verstehen. Politik als Opium für das Volk.

Den klugen Satz schrieb der Herausgeber des Handelsblattes, Gabor Steingart, mir morgens um sechs Uhr  in einer Mail, mit der er sein Blatt anpreisen will. Gut gebrüllt, Löwe. Ich sage das, obwohl ich keine historisch gewachsene Zuneigung zu diesem Menschen empfinde. Als er noch beim Spiegel war, ging er mir gelegentlich auf den Geist. Insbesondere, wenn er sich samstagmorgens bei mir in rüdem Ton beschwerte, dass eine Info, die er von mir hatte, auch woanders stand, wozu ich nun wahrlich nichts konnte. Aber damals war die Welt noch halbwegs in Ordnung.

 

Wir wissen heute nicht mehr, ob wir in der europäischen Finanzpolitik das Zusammenspiel vernünftiger Akteure erleben oder ein Spektakel reiner Unvernunft. Die ökonomischen Prozesse haben spätestens seit der Finanzkrise eine geisterhafte Unheimlichkeit angenommen. Täglich werden uns  neue Rätsel aufgegeben, die in ihrer Folge als immer unlösbarer erscheinen. Chimären und Chiffren, Mysterien, die sich der Entzifferung entziehen, bestimmen die Nachrichten. Wo Klarheit in Euro und Cent herrschen sollte, treiben Geister Spuk. Und jene Experten, die das leugnen, sind zeitgleich untereinander tief uneinig und morgen ohnehin wieder anderer Meinung.

 

Als Geisterseher in diesem Irrsinn tritt ein Kulturwissenschaftler auf. Joseph Vogl beschreibt in seinem brillanten Buch zum „Gespenst des Kapitals“, wie wir mit der Herrschaft der Finanzmärkte in einen „irrationalen Überschwang“ treiben, in dem wir keinen sinnstiftenden Schlüssel mehr zu den gewaltigen Umbrüchen haben, die aus dem Ökonomischen das Soziale ruinieren. Das Narrativ für Sinn und Regeln in der ökonomischen Welt scheint verschwunden. Wenn in weiten Teilen Europas die Hälfte der nachwachsenden Generation ohne jede Chance auf Arbeit ist, verwerfen wir unsere Zukunft. Daran können nicht mal Zyniker zweifeln. Das ist aber zur Eurorettung leider nötig, lernen wir. Alternativlos, in Merkel-Deutsch.

 

Im Casino-Kapitalismus treibt der Spekulant das Geschehen. Das ist ein Böser; so wie ein Banker ein Guter und ein Investmentbanker ein Schuft ist. Märchenstunde für Doofe. Die Krise ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel; so einfach ist das. Früher war der Spekulant für jeden Lateiner ein „speculator“, ein Seher: so wurden die römischen Wachposten genannt, die auf den Limestürmen Ausschau hielten, ob sich wieder die Barbaren nähern. Der Späher von heute sieht aber nichts mehr. Der Spekulant lebt von blinden Wetten. Das ist der Kern des gesamten Finanzmarktes, ein allseitiges Wettgeschäft, das jede Verbindung zur Realwirtschaft abgelegt hat. So definiert der schon gelobte Vogl ein Termingeschäft:  „Jemand, der eine Ware nicht hat, sie weder erwartet noch haben will, verkauft diese Ware an jemanden, der diese Ware ebenso wenig erwartet oder haben will und sie auch tatsächlich nicht bekommt.“ Das ist aber nur das halbe Elend. Darauf, dass das  gutgeht, schließt jemand eine Versicherung ab, gegen die jemand wettet, der glaubt, dass es schiefgehen muss. Wenn diese Blase platzt, darf Papa Staat die Rechnung zahlen.

 

Der Markt regelt gar nichts in dieser Welt, außer dass er dem vagabundierenden Wahnsinn irgendwann ein Ende setzt. Ich finde in einem Antiquariat in Goslar, das ein belesener Ossi führt, die Bände 23 bis 25 der Werkausgabe der Herren Marx und Engels und erwerbe sie in alter Sentimentalität. Marx beschreibt den Fetischismus des Kapitalismus mit einer Verselbstständigung, die man ansonsten nur aus religiösen Spinnereien kenne. Die Beziehungen der Menschen zueinander nähmen die „phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen“ an: „Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten…“ (MEW 23,86) Im Fetischismus unterwerfen sich die abergläubischen Menschen den angenommenen Kräften des irrational Bösen, das sie sich zuvor selbst geschaffen haben. Und dann der Jahrhundertsatz: „Sie wissen das nicht, aber sie tun es.“ (MEW 23,88) Das Motto meiner Generation: Lire le capital…

 

Mutti rettet nicht den Euro, sondern versucht sich durch eine internationale Staatsschuldenkrise zu lavieren, in der das Schicksal der Staaten in die Händen der Spekulanten gelegt worden ist. Man höre den irischen Bankern zu, wie sie über Mutti reden, und lerne. Diese Jungs haben die Macht. Bittere Weisheit: Wir können nicht mehr ausgeben, als wir arbeiten, auch nicht in der griechischen Sonne oder bei spanischem Wein. Demokratie geht nicht auf Pump. Und genau dies verwischt das Wahlgeschenke-Konzept der CDU erneut. Taktisch klug, weil es die Sozis in die hässliche Rolle der Nein-Sager drängt. Denn der Wähler will Muttis Märchen hören.  Uff.

 

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4 Gedanken zu “Der Euro, das Mysterium, und Mutti, die Märchentante;”

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    Neulich in NEULAND. Was wird eigentlich aus Merkels Blackberry? Schon darüber nachgedacht? Ich hätte noch ein Bosch-Telefon aus 1988, vielleicht abhörsicher, weil deutsches Innenleben… Wir bleiben dran. Aber was würden die Wähler sagen, wenn sie auch die Wahrheit von Merkel über NAS-Abhörleitungen mitverfolgen könnten? Das Kapitel ist noch nicht geschrieben…

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    Wie es also so um Merkel bestimmt ist, kann man offensichtlich nicht Bestimmtheit sagen. Wie gestern in der FAZ zu lesen war, gab es beim Obama-Besuch in Berlin am Abend im Schloß Charlottenburg noch ein Kammerkonzert mit zwölf Streichern. Unter anderem wurde „spiel mir das Lied vom Tod“ gegeben. Unbekannt blieb, wer hier das Programm zusammengestellt hatte, der Gast oder die Gastgeberin. Die Anwort darauf wohl auch ein anderes Kapitel …

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    Merkel ist keine Märchentante, sie ist die MärchenFEE, die Ninifee des deutschen Protestantismus. Wasch ihr den Pelz aber mach sie nicht nass. Alles beglückt sie, palavern als kommunikatives Handeln, Diskurs als Offenbarung, sehr beliebt in diesen Kreisen, oder den Gefallenen ihr uneingeschränktes Vertrauen aussprechen. Der Oberpastor Gauck stiehlt ihr zwar mittlerweile ein bisschen die Schau und ist damit ein Konkurrent im Herzen der einfach Denkenden und Betörten geworden, aber Ninifee denkt pragmatisch. Wenn ich nicht die uneingeschränkte Doppelnull-Eins sein kann, dann eben die eingeschränkte Doppelnull-Eins, das macht mir doch nichts aus. Wo sie das gelernt hat? Das sollte sich doch also herum gesprochen haben? Sie stammt von dort, wo es „Anspruchsbutter“ gab, will sagen, Butter, die auch im freien Handel Margarine sein durfte. Sonntags gabs dort auch von Zeit zu Zeit Gültigebutter, also Butter, die sich auch nach ernährungswissenschaftlicher Zertifizierung als Butter erwiesen hatte. Die Idee mit der Butter findet Ninifee auch heute noch toll. Unser Anspruchs-Super-Benzin kann im Handel auch als E10 auftreten, also es ist nicht alles falsch, was Pragmatiker so alles drauf haben. Ninifee hat Wissenschaft in Ossiland studiert und weiß deshalb, wie Pragmatismus geht, und der ist im Protestantismus bekanntlich auch zu Hause, und der Wille zu glauben ungebrochen, womit sie ihrer Wählerschaft ja so nahe ist. Sie glaubt an den Euro, sie glaubt an die EU, und wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg eben zum Propheten. So einfach ist das, Glaube kann eben doch Berge versetzen. Ninifee weiß das und deshalb wird sie auch weiterhin die Märchenfee 001 bleiben, schon weil so viel über sie geschrieben wird. Aber das ist ein anderes Kapitel…

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    „Denn der Wähler will Muttis Märchen hören.“

    Ist es nicht so, dass von den relevanten Parteien einfach kein anderes erzählt wird? Ich habe den Eindruck, das Volk ist schon etwas weiter als die Märchen der Wahlkämpfer. So wie damals bei Verteidigungsminister Jung und dem Krieg in Afghanistan.

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