Ein Idioten-Argument: Europa ist nicht Amerika! Allen deutschen Provinzseelen sind die USA (die sie nicht kennen) eine Nation aus einem Guss, ein ganzheitlicher Kontinent sui generis. Wer mal drüben war, weiß, dass die Vielfalt erschlagend ist. Und weite Regionen die Bundeshoheit nur widerwillig anerkennen, wenn überhaupt. Selbst der Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten ist noch spürbar.
Man spricht, glaubt der deutsche Michel, dort allenthalben englisch, genauer amerikanisch. Und er wundert sich, dass der Taxifahrer in New York nur Spanisch kann. Einheitlich ist in den USA nur die Währung, aber dieses Argument passt angesichts der Euro-Krise gerade nicht ins Bild. Europa, das sollen keine Vereinigten Staaten sein. Vielleicht sind wir es aber schon?
Die US of A, das ist ein föderales Konglomerat von widerwillig zusammengehaltenen Regionen, in denen die Zentralstaatlichkeit nach wie vor ein Politikum ist. Es herrscht unter dem Schirm der bundesstaatlichen Regelungen ein Gewirr regionaler Eigenheiten. Man weiß nicht mal so genau, wie viele Sterne die Nationalflagge gerade hat. Wie in Europa.
Es gibt einen wesentlichen Unterschied: die Idee von Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die amerikanische Idee ist ein Gründungsmythos, der bis heute das Einwanderungsland zusammenhält. Menschen unterschiedlichster Völker schwören auf diese Idee einer neuen Freiheit. Und unterhalb der Idee stoßen sich die Dinge hart im Raum. Von Europa aber gibt es nicht mal eine Idee.
Dabei wäre es ganz einfach. Man muss nur historisch bewandert sein. Alles eine Frage der Bildung. Europa, das sind jene Kulturnationen, die sich rund um den Mittelmeerraum gebildet haben. Das liegt nicht an der guten Luft und den schönen Stränden, sondern an der Logistik: Nur über die Seefahrt fanden sich die Völker. Deshalb ist Europa dem Wesen nach mediterran. Europa ist eine lateinische Idee.
Zum Mittelmeer, dem in der Mitte, zählen freilich auch die an den Rändern: Das ist für die Gründerzeit dieses edlen Erdteils rund um das Mittelmeer in Richtung Asien natürlich auch das Schwarze, Kaspische und Asowsche. Und in Richtung Norden zählen wir die atlantischen Küstenregionen und die Ostsee hinzu, soweit die Wikinger kamen. Die nautische Dimension mag nicht überraschen, sie deckt sich mit den Karten, die wir bis heute pflegen.
Zu Europa gehörten für den kundigen Thebaner, der weiß, wo Karthago liegt und Kyrene, natürlich auch das heutige Nordafrika und Ägypten, der Vordere Orient. Alle drei großen monotheistischen Religionen sind europäisch: das Judentum, die Christenheit und die Muslime. Man vergisst zu leicht, dass Spanien eine bedeutende Zeit an Allah glaubte. Der Konflikt zwischen Israel und den Anrainern ist, wir haben es immer gewusst, ein europäischer.
So reicht also Europa historisch von der griechischen und römischen Antike bis an die französische und die englische Revolution, den Westfälischen Frieden, die Niederschlagung des italienischen und deutschen Faschismus, weiter zur Rückkehr Russlands aus der Sowjetunion oder der Befreiung des Baltikums oder der Eigenstaatlichkeit Palästinas und den bürgerlichen Revolutionen in Nordafrika und dem Vorderen Orient.
Sprachlich ist dies ein recht einheitlicher Raum. Man spricht irgendeine Version des Indogermanischen. Ausnahmen in diesem oder jenem Reitervolk bestehen fort. Integrationsnotwendigkeiten bestehen ferner noch gegenüber den muslimisch geprägten Regionen, da sie sich selbst sehr lange separatistisch verstanden haben. Das legt sich aber, wie man in Berlin oder Manchester oder Istambul lernen kann.
Warum ist Europa lateinisch? Ich habe meinem Freund Schorsch (rheinisch für Giorgio; gemeint ist der venezianische Professore Agamben) jetzt eine gute Stunde zugehört. Es war kurzweilig (Essen bei Nöthel’s, dem Nachfolger des Hummerstübchens in Düsseldorf) und will ich es nun auf den Punkt haben. Er sagt: „dolce far niente“. Das hält er für den Kern der Lebensart in bei Italienern, Franzosen, Spaniern, Griechen und zur Not noch bei Portugiesen. Er glaubt, dass hier die Kraft einer neuen Leitidee, ja, einer Hegemonialkultur liegt.
Natürlich leidet er unter dem protestantischen Deutschland „der“ Merkel, die sich wie alle Migranten aus dem Osten anglo-amerikanischer gebe als die Anglo-Amerikaner selbst. Schorsch nennt das Überkompensation. Aber das sei der Vorteil eine Leitkultur, man könne auf ihre Attraktivität setzen. Die anderen kämen dann schon. Das lateinische Reich habe jede Chance gegen das slawisch-asiatische und gegen das anglo-amerikanische, findet der Herr Professor.
In der Wirtschaftsordnung stellt sich mein venezianischer Freund eine Mischung aus Markt- und Planwirtschaft vor. Jetzt gerate ich endgültig ins Grübeln, was der Herr Neomarxist mir da vorträgt. Er hat viel, zu viel Heidegger gelesen, geht mir als erstes durch den Kopf. Dann merke ich, dass er die italienischen Verhältnisse der Schattenwirtschaft für vorbildlich hält: unter staatlichem Schutz kleinteilige Konkurrenz. Und ich raune: „la mafia non esiste…“Beim Dessert angelangt, liegt mir die lateinische Reichsgründung schwer im Magen.
Nein, Europa muss wohl noch auf eine plausible Idee seiner selbst warten. Darf ich das hier und jetzt als Wettbewerb ausschreiben und die Debatte eröffnen?
JA ZU DEN VEREINIGTEN STAATEN VON EUROPA:
Wovor habt ihr eigentlich Angst ?? Die Vereinigung Europas würde doch Österreich nicht auslöschen! Um diese Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen bedarf es eines geeinten Europas das mit einer Stimme spricht! Die derzeitige EU ist ein Gebilde aus Chaos, Geldgier und Korruption. Und
Antidemokratisch noch dazu.
Wir brauchen ein „Europa der Regionen“. Bestehend aus: Einem starken Europaparlament, welches über den nationalen Parlamenten steht, welches unter
Einbeziehung möglichst vieler direktdemokratischer Elemente für die Bürger arbeitet. Um zu verhindern dass einige Bundesstaaten über das Wohl eines anderen entscheiden brauchen wir hier natürlich auch Gesetze welche die Souveränität einzelner
Bundesstaaten sicherstellen. (In den USA funktioniert das ja auch irgendwie sonst hätten die das totale Chaos.) Zu allen anderen Belangen wie zB. die Strafgesetzgebung, die Strassenverkehrsordnung, der Tier-und Umweltschutz etc. etc. brauchen wir eine Europaweit einheitliche Gesetzgebung.( Unsere österr. Politiker schaffen das ja nicht mal österreichweit, zB. Jugendschutz. Und letztendlich eine europäische Verfassung in der Werte wie Menschenrechte und Demokratie verankert sind.
Als die Welt noch sooo gross und das schnellste Fortbewegungsmittel die Eisenbahn war machte die Errichtung von Nationalstaaten durchaus Sinn um den Bürgern Frieden und Sicherheit zu gewährleisten, da war es noch hilfreich sich von „Dem da draussen“ abzuschotten und eigene Lebensregeln aufzustellen. Jetzt allerdings ist die Welt für den menschlichen Horizont geschrumpft hin zu dem was sie wirklich ist: Ein einziger, kleiner, Planet unter wahrscheinlich Milliarden von Planeten. (930 schon nachgewiesen). Nationalistisches Denken, wie das die Rechten so gerne praktizieren, ist hier nicht mehr hilfreich sondern eher ein Klotz am Bein hin zu Frieden, Freiheit und Wohlstand. Die Bürger dieser Welt sollten zusammenhalten um Probleme wie Hunger, menschenverachtende Weltansschauungen wie den Islam, Umweltprobleme, kommunistische oder faschistische Regierungen, etc. lösen zu können. Ein „Bundesstaat Europa“ ist ein erster Schritt auf dem richtigen Weg.
Zum Abschluss:
Ich liebe meine Heimat, bin stolz hier leben zu dürfen. Wo die Luft noch rein und die Wasser noch klar sind. Eine Heimat mit bewegter Geschichte,
von der Urzeit vor ca. 60- 70 mio. Jahren (ein Inselreich mit subtropischem Klima, wovon heute noch viele Fossilien zeugen.), über die Erstbesiedelung durch den Menschen in der Steinzeit über die keltische Kultur hin zur Neuzeit. Ich liebe es am gr.Phyrgas zu stehen und das Land unter mir in satten Sommerfarben strahlen zu sehen. Ich liebe es aus klaren Gebirgsquellen zu trinken wenn ich Durst habe. Und noch vieles mehr.
Doch das ist kein Nationalstolz, das ist Liebe zur Heimat. Das sind zwei Paar Schuhe. Nationalstolz und das daraus resultiernde nationalistische Denken bedingen ein Einigeln im eigenen Land und natürlich auch eine Abschottung nach Aussen hin. (EU-Austritt, zurück zum Schilling, Grenzen dicht machen,….) Wer das wohl fordert?? 🙂 In der Vergangenheit der richtige Weg, aber in der heutigen Zeit wo ich in sekundenschnelle Nachrichten rund um den Globus verschicken kann dumm und dämlich.
Es gibt einen sehr gewaltigen Unterschied zwischen den USA und Europa: Die Zahl der Opfer, die die USA für ihren „way of life“ zu bringen bereit sind. Jährlich 16.000 Tote durch Schußwaffengebrauch im „Homeland“ in Friedenszeiten (!) ! Das sind doppelt so viele Opfer, wie zu Zeiten des Vietnamkriegs gefallene GIs.
Wenn das kein engagierter Glaube an eine Staatsidee ist! Darwin hätte seine Freude am lebenden Modell.
Lächerlich mutet da geradezu die Greinerei auf hohem Niveau in Europa an!
Faszinierend an den USA ist, dass egal in welcher Region man nachfragt, Joe & Jane Average immer antworten werden, dass sie im besten Land der Welt leben, „die da in Washington“ aber ein Haufen Leute vom übelsten Schlage sind.
Insofern geben uns die USA doch ein Beispiel für die Lösung europäischer Probleme: Lokale Aufmerksamkeit, Eindämmung der überbordenden zentralen Regulierungswut.
Nichts ist den Menschen – auch in einem vereinten Europa – näher, als ihre Nachbarschaft, nichts macht Europapolitik unglaubwürdiger, als die Festlegung des Krümmungsgrads einer Banane. Respektvoll die kulturellen Unterschiede in das Gesamtbild einfügen und das Ergebnis wertschätzen. Das können wir lernen. Und das heisst nicht, „dolce far niente“, das reicht nur zur Facette.
Ansonsten gehen mir die Amis sowas von auf den Sack mit ihrem Nationalgetue und ihren Knarren zu jeder Gelegenheit. Aber was soll’s, auch unter ihnen gibt es nicht nur „sone“.
@ Kocks
Oh je, sie haben ein riesiges Gebiet abgesteckt und auch gleich die Variationsmöglichkeiten dargestellt.
Katholisch/Protestantisch/Orthodox/Islamisch. Keltisch/Germanisch/Slawisch – Indogermanisch. Nord/Süd, Orient/Okzident.
Die Idee einen Wettbewerb auszuschreiben führt zum Kern: im Grunde wünschen sie sich eine Marke. Kraftvoll wie Porsche, intellektuell wie Bionade , dynamisch wie Adidas. Im Grunde beliebig, mit etwas Retro Chic. Wie jede aktuelle Identität. Da liegen sie auch nicht ganz falsch, das meine ich ohne jede Ironie. Vielleicht sollten wir das wirklich dem Marketing überlasen, wer pappige Milchschnitte zu einer warmen Kindheitserinnerung machen kann, kann auch das. Europa zu einer coolen Marke machen.
Die Menschen, die diesen Raum bevölkern, teilen die gleichen Sorgen und Träume: Cholesterinprobleme und Fußball. Das ist für eine Region dieser Größe nicht wenig. Den Rest vom Branding überlassen wir dem Marketing von Apple.
Ich uneterstelle ihnen, dass es ihnen im Detail ziemlich egal ist, sie möchten das Ergebnis. Ich wäre beim Kickoff-Meeting dabei.
Als Wettbewerbsbeitrag reiche ich mein Buch „Imperium der Zukunft“ ein, in dem vieles von dem, was Sie da schreiben, drin steht. Und in dem sehr genau erklärt wird, warum Europa nicht Amerika ist. Amerika ist ein Nationalstaat, Europa eben ein Imperium.Ähnlich – und doch anders – Hans Bollmann in „Lob des Imperiums“: Das westliche Imperium bestehe aus Amerika, dem neuen Rom, und Europa, dem eine ähnliche Funmktion zufalle wie damals Griechenland.
Soll wohl Ironie des Professor Kocks sein, die schwerste im Internet.
Er will eine Diskussion.
Das Amerika, von dem er spricht, existiert so nicht mehr. Es wird so zusammengehalten, klar, aber in der Bevölkerung, vor allem der roten Staaten, gibt es Sezessionsbestrebungen.
Der spanisch sprechende „Taxifahrer“ gehört schon mal ab und zu, zumindest im Südwesten, zu einem mexikanischen Drogenkartell, das auch bei Schusswaffenverbot selbstredend Schusswaffen hätte, so wie aktive Basismafiosi überall auf der Welt. Ab und zu bringt der liebe Spanischsprechende, auch gern die, schon mal jemanden aus Groll um, hier auch die Kinder Lucia und Leo Krim, Upper West Side, New York.
Die jüdische Bevölkerung (ca. 3%) ist auseinandergedriftet in z.B. AIPAC und z.B. J-Street.
Die Muslime machen auch mal Ärger.
USA happy together ist doch wohl Wunschdenken.
Aber was sie sehr gut können, ist diskutieren.
Die USA sind ein Beispiel dafür, dass zuviel Pochen auf happy-together scheitert.
Die erfolgreichste Nation zurzeit ist China, relativ homogen.
@ Klaus Kocks:
Selten solchen Quatsch gelesen:
„Alle drei großen monotheistischen Religionen sind europäisch: das Judentum, die Christenheit und die Muslime. Man vergisst zu leicht, dass Spanien eine bedeutende Zeit an Allah glaubte. Der Konflikt zwischen Israel und den Anrainern ist, wir haben es immer gewusst, ein europäischer.“
Der Islam kommt aus Medina/Mekka, Arabien. Spanien wurde unterworfen von Mauren. Karthago lag auf dem afrikanischen Kontinent. Und die Attacken der Palästinenser hängen Sie bitte schön nicht uns Europäern an. Die Israelis kommen aus Europa, Nordafrika und Russland, Asien.