Nun war er gefordert. Nun musste er beweisen, dass er mehr kann als Freiheits-Ostalgie und Herummäkeln an anderen – am Wort seines Vorgängers etwa, der Islam gehöre zu Deutschland, oder am Wort der Bundeskanzlerin, die Sicherheit Israels gehöre zur deutschen Staatsräson. An Angela Merkel hatte Bundespräsident Joachim Gauck im Sommerinterview des ZDF zudem kritisiert, sie erkläre ihre Europapolitik nicht ausreichend. „Sie hat nun die Verpflichtung, sehr detailliert zu beschreiben, was das bedeutet.“
Nun, Gauck hätte wissen müssen, dass solche detaillierten Erklärungen nicht Merkels Sache sind; wie ihrem Mentor Helmut Kohl geht es ihr um „das, was hinten rauskommt“. Ist das postdemokratische Politik? Ja, es ist postdemokratische Politik.
Als der Bundespräsident nun selbst eine Rede zu Europa ankündigte, waren daher die Erwartungen hoch. „Gauck wird Merkels Schweigen brechen“, wusste etwa schon vorher der Unternehmensberater und Initiator der „Bürger für Gauck“-Initiative Christoph Giesa bei „zeit online“.
Um es vorwegzunehmen: Das hat er nicht getan. Wir wissen nach der Rede, dass Gauck für mehr Europa und gegen einen Austritt Großbritanniens ist. So weit, so – nun ja, Staatsräson. Was Gauck über die Eurozone, die Währungspolitik, die Bankenunion, die Austeritätspolitik, den Weg zu Wachstum und Wohlstand in Europa usw. denkt, wissen wir aber genauso wenig wie vorher. Und auch über mögliche Schritte zur politischen Union – und ob die überhaupt wünschenswert ist – hat der Bundespräsident ebenso wenig gesagt wie über die Erweiterungs- und Nachbarschafts-, die Energie- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.
Nicht einmal zur transatlantischen Freihandelszone fand er ein Wort.
Er ist als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Dem entsprechend hat seine Rede keinerlei Wirkung gehabt. Stell dir vor, es ist Gauck, und keiner hört hin.
Hier ist der Wortlaut:
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/02/130222-Europa.html
Die Rede fing allerdings verheißungsvoll an. Gauck stellte fest:
„Die Krise hat mehr als nur eine ökonomische Dimension. Sie ist auch eine Krise des Vertrauens in das politische Projekt Europa.“
Man könnte auch sagen, und Gauck hätte sagen müssen: eine Krise des politischen Projekts Europa. Denn ein Projekt ohne Vertrauen steckt wohl in der Krise. Gauck führte weiter aus: „Für mich ist dieser Tag auch Anlass, neu und kritischer auf meinen euphorischen Satz kurz nach meiner Amtseinführung zurückzukommen, als ich sagte: ‚Wir wollen mehr Europa wagen.’ So schnell und gewiss wie damals würde ich es heute wohl nicht mehr formulieren.“
Worin besteht nun diese Krise genauer? Gauck rekapitulierte die Geschichte der europäischen Einigung seit der Montanunion: Die Schaffung immer größerer Felder der wirtschaftlichen Integration, die ihrerseits dann als scheinbarer Sachzwang eine immer engere politische Integration erforderlich machen – das, was ich das „System Monnet“ genannt habe, und als dessen Höhepunkt die Euro-Einführung und die aus ihr folgende Finanz- und Transferunion gelten muss, an der Merkel und Co. gerade basteln.
Gauck stellte fest: „Lange Zeit brachte diese pragmatische Methode das Projekt Europa tatsächlich voran. Heute sind wir nun allerdings gezwungen, diese Art des Vorgehens grundlegend zu überdenken.“
Das ist eine bemerkenswerte Passage. Zumal in Verbindung mit Gaucks Feststellung: „Einst waren ja die europäischen Staaten Großmächte und Global Players. In der globalisierten Welt von heute mit den großen neuen Schwellenländern kann sich im besten Fall ein vereintes Europa als Global Player behaupten…“
Richtig.
In meinem Buch „Imperium der Zukunft“ habe ich 2007 ebenfalls den Anspruch Europas, global zu agieren, und die Notwendigkeit, das System Monnet zu überwinden, zusammengedacht: „Das geht so lange gut, bis es schlecht geht. (…) Will die Europäische Union jedoch als ‚starker Akteur’ auftreten und die internationale Ordnung des 21. Jahrhunderts ‚entscheidend mitbestimmen’, wie Kanzler Schröder es formulierte, dürfte die Politik der Unsichtbarkeit, die Politik des leisen Tatsachenschaffens hinter den Kulissen – also hinter dem Rücken der Bürger – schnell an ihre Grenzen stoßen.“ (S.218)
So kam es auch, und zwar mit der Euro-Krise, die genau deshalb eine Krise des europäischen politischen Projekts ist.
An dieser Stelle hätte Gauck nun Tacheles – oder meinetwegen Klartext – reden müssen. Und an dieser Stelle kniff er.
Zunächst sprach er über die europäische Wertegemeinschaft: „Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Menschenrechte, Solidarität.“
Gewiss doch, das sind schöne Werte. Aber sie sind nicht an die EU gebunden. Norwegen verwirklicht sie, ohne Mitglied der EU zu sein, die Schweiz auch. Diese ‚Werte verbinden uns auch mit den USA.
Wie aber soll ein Europa, das der Demokratie verpflichtet ist, seine Institutionen weiter entwickeln, die schon jetzt ein demokratisches Defizit aufweisen? Wie lässt sich die weitere wirtschaftliche und politische Integration der Eurozone oder gar der ganzen EU mit dem Erhalt und der Erweiterung der Rechte der Bürger vereinbaren? Das sind ganz praktische Fragen, und auf sie muss es praktische Antworten geben. Hierzu aber schwieg der Präsident.
Diese Fragen könnte man konkret für fast jeden Punkt dieses Wertekanons durchdeklinieren. Müsste man. Dazu wusste Gauck aber nichts zu sagen.
Interessanterweise meinte Gauck: „Der europäische Wertekanon ist nicht an Ländergrenzen gebunden, und er hat über alle nationalen, ethnischen, kulturellen und religiösen Unterschiede hinweg Gültigkeit. Am Beispiel der in Europa lebenden Muslime wird dies deutlich. Sie sind ein selbstverständlicher Teil unseres europäischen Miteinanders geworden.“ Nun ja, „selbstverständlich“ ist das nicht, wie man etwa an Büchern wie dem Bestseller von Thilo Sarrazin feststellen kann; doch wichtiger als die Frage der hier lebenden Muslime ist die Frage der in mehrheitlich muslimischen Staaten wie Albanien, dem Kosovo oder gar der Türkei lebenden Menschen: Gehören sie als „selbstverständlicher Teil unseres Miteinanders“ (wer schreibt solche Sätze eigentlich?) zu einem Europa, das nationale, religiöse und ethnische Grenzen transzendiert? Dazu schwieg Gauck.
Stattdessen verlegte sich Gauck auf das, was deutsche Redner oft tun, wenn ihnen die Ideen ausgehen: Auf die Alliteration. „Sehr geehrte Damen und Herren, mehr Europa fordert: mehr Mut bei allen! Europa braucht jetzt keine Bedenkenträger, sondern Bannerträger, keine Zauderer, sondern Zupacker, keine Getriebenen, sondern Gestalter.“
Das klingt nach FDJ-Fahnenappell.
Und es ist Unsinn. Natürlich braucht Europa nicht nur „Bannerträger“, sondern auch „Bedenkenträger“. Natürlich braucht Europa Zauderer. Vielleicht hätten wir die Eurokrise vermeiden können, wenn sich die Bedenkenträger und Zauderer gegenüber dem Bannerträger und Zupacker Kohl durchgesetzt hätten.
Diesem im Geiste des Totalitarismus vorgetragenen Angriff auf Leute, die lieber nachdenken, bevor sie ins Unglück rennen, ließ Gauck ein Zitat folgen, das ebenfalls totalitärem Geist entspringt: „Ich würde nicht in allen Einzelheiten so weit gehen wie die Autoren des ‚Manifests für eine Neugründung Europas’, aber ich hege große Sympathien für die Überschrift, die sie über ihr Manifest gestellt haben und unter der sich die Unterstützer sammeln. Sie lautet: ‚Frage nicht, was Europa für dich tun kann, frage vielmehr, was du für Europa tun kannst!’ Wir wissen alle, dass das eine Adaption eines noch berühmteren Satzes ist, aber diese Einstellung würde uns gewaltig voranbringen.“
Nein, würde sie nicht.
Ja, der Satz stammt ursprünglich von John F. Kennedy. Das macht ihn nicht besser. Wie ich in meiner neuen Biographie Kennedys, die in dieser Woche erscheint, erkläre, entstammt er einem Denken, das bereits der junge Kennedy in seinem Bestseller „Why England Slept“ (1940) formulierte: In der Auseinandersetzung mit einem totalitären Feind müsse auch die Demokratie „vorübergehend auf ihre demokratischen Privilegien verzichten … Das hieße freiwilliger Totalitarismus.“
Im Kalten Krieg forderte Präsident Kennedy nun mit dem berühmten Satz aus seiner Rede zur Amtseinführung eben jenen freiwilligen Totalitarismus ein. Dazu schreibe ich: „In die Unabhängigkeitserklärung der USA hat Thomas Jefferson den Grundsatz geschrieben, es sei Aufgabe des Staates, seinen Bürgern ‚Life, Liberty and the Pursuit of Happiness“ zu garantieren. Das gilt 1961 nicht weniger als 1776. Hundert Jahre nach der Sklavenbefreiung warten 22 Millionen Bürger schwarzer Hautfarbe immer noch darauf, dass ihnen der Staat ihre Rechte als amerikanische Mitbürger verschafft. Andere Minderheiten – wie etwa Schwule – werden vom Staat aktiv verfolgt. Frauen sind weit davon entfernt, im Arbeitsleben und der Familie als gleichberechtigt anerkannt zu werden. In vielen Teilen der USA herrscht Armut. Alte und Arme haben keine Krankenversicherung. Diesen Menschen muss die Aufforderung Kennedys, nicht zu fragen, was ihr Land für sie tun kann, wie Hohn in den Ohren klingen.“ (S.96)
Immerhin befanden sich die USA damals tatsächlich in der Auseinandersetzung mit einem starken, atomar bewaffneten kommunistischen Gegner. Selbst in der Situation war Kennedys Wort aber falsch. Bezogen auf Europa heute – etwa im Angesicht einer Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent und mehr in einigen südlichen Ländern der Union – ist es völlig indiskutabel. Besonders aus dem Mund eines Mannes, der es benutzt, um die Verantwortung für eine wegweisende Vision von sich zu weisen, nachdem er andere wegen des Fehlens dieser Vision kritisiert hat.
Zum Glück meint es Gauck nicht so. Er fand vermutlich nur, es klinge gut. Am Ende lief seine Rede auf zwei Mini-Vorschläge hinaus: Alle Bürger Europas sollten eine gemeinsame Sprache sprechen, was die meisten jungen Europäer ohnehin tun, und was längst Beschlusslage ist. Und: „Vielleicht könnten ja unsere Medienmenschen, könnte unsere Medienlandschaft so eine Art europafördernde Innovation hervorbringen, vielleicht so etwas wie Arte für alle …“
„Unsere Medienmenschen“! Man sieht, die DDR lebt, jedenfalls in der Sprache ihrer früheren Bürger. Arte für alle? Bitte nicht. Das jetzige Programm ist schlecht genug. Und der Kontinent hat schon gemeinsame Sender: BBC etwa, und CNN.
Das war’s aber schon an konkreten Vorschlägen aus dem Schloss Bellevue.
Angela Merkel wird’s zufrieden gewesen sein. DER wird sich so schnell nicht wieder zu Europa melden, wird sie sich denken. Was, wie wir gesehen haben, wiederum auch nicht so schade ist.
@ Roland Ziegler: Nord Korea ist teilweise ein „career opportunity project“ fuer die CIA, State Dept., Pentagon. Nord Korea sorgt fuer den BEDARF in Washington fuer „long term career opportunities“. Also die Kim Dynastie ist der notwendige boese Bulle im spanischen Stierkampf – eine ganze Industrie. Auch China und Russland haben lieber ein „unwestliches“ Nord Korea an ihren Grenzen – als einen „Partner“ des „Westens“. Deshalb ist niemand wirklich am Ende dieser Tragoedie interessiert. Leider – aber „business is business“ – und auch die USA und Germany wollen lieber kein noch groessere Exportkonkurrenz von einem grossen, vereinigten Korea.
@ Lyoner
Bei mir kommen hier mehrere Dinge zusammen:
1. Ich gucke ohnehin nicht fern und erst recht nicht Ausschnitte auf youtube und bin ein reiner Leser mit einem erheblichen Misstrauen gegenüber der Macht von (einseitig ausgesuchten, gelegentlich auch montierten) Bildern.
2. Warum sollte mich eine Dokumentation von ehemaligen Gedeimdienstleuten aus Israel mehr interessieren als eine von BND-Leuten? Geheimdienstleute interessieren mich lediglich in literarisch ansprechender Form so wie z.B. Smiley in John Le Carré-Romanen. Ich weiß nicht, ob sie nach langem anerzogenen Verbergen noch Geschichten erzählen können, auf die man sich verlassen kann.
3. Manche Länder haben Doppelagenten. Ob Israel dazu gehört, weiß ich nicht.
4. Am wichtigsten: Ich interessiere mich zur Zeit überhaupt nicht für Israel und habe festgestelt, dass das nicht die schlechteste Einstellung ist. Die Israelis kommen sicher ohne mein Interesse aus und generell ohne das ins Pathologische gehende Interesse des Michels.
@ Roland Ziegler
Sie schreiben „Ich weiß jetzt nicht, was da bei den israelischen Geheimdiensten los ist, aber die Aussagen der dortigen Mitarbeiter werden sich analog zum BND kaum auf die israelische Politik und den israelischen Staat übertragen lassen.“
Das ist jetzt eine Hypothese. Wollen Sie die nicht überprüfen. Das ist in diesem Falle ganz leicht zu machen. In nur 90 Minuten.
@ Parisien
Die Deutschen sind oft nicht besonders geschickt darin, Originaltitel adäquat ins Deutsche zu übersetzen. Halten Sie sich hier lieber an den englischen Titel „The Gatekeeper“ (http://de.wikipedia.org/wiki/G.....rschung%29). Dieser entspricht mehr der Intention und dem Sinn der Doku.
Was die „Desinfektion“ angeht – vielleicht kommen Sie noch darauf, was ich damit sagen will. Wenn nicht, können Sie mich Anfang der nächsten Woche nochmals befragen.
Alan Posener, wollen Sie das?
http://www.welt.de/politik/deu.....hland.html
Macht das Europa stark? Verteidigen Sie dieses „kleines Freiheitsexperiment“? „Es muß sich alles ändern, damit es bleibt, wie es ist.“?
@KJN: …ja, was man von Nordkorea hört, ist extrem beunruhigend; dieses Land dürfte sicherlich die weitaus größte Bedrohung des Weltfriedens darstellen. Komischerweise wird immer nur über den Iran bzw. Israel diskutiert. Nordkorea wird vielleicht in sich zusammenbrechen, hoffen wir, dass zu diesem Anlass keine Apokalypse veranstaltet wird.
@Lyoner: Über Geheimdienste haben wir hier doch noch gar nicht gesprochen? Soweit ich erinnere habe ich bislang nur gewisse BND-Verstrickungen in der NPD-Szene kommentiert. Die gehen uns hier sehr etwas an, zumal die Herrschaften von unseren Geldern bezahlt werden. Wer manche bezahlte BND-Mitarbeiter unter die Lupe nimmt, wird feststellen, dass die sich von NPD-Nazis nicht mehr unterscheiden lassen. Deshalb wird die deutsche Politik aber nicht von Nazis unterwandert oder gar bestimmt. Ich weiß jetzt nicht, was da bei den israelischen Geheimdiensten los ist, aber die Aussagen der dortigen Mitarbeiter werden sich analog zum BND kaum auf die israelische Politik und den israelischen Staat übertragen lassen.
@ KJN
ich habe sie vollständig gesehen. Auch das Argument, das Sie hier vorbringen. Wieso ist ein Urteil aus Deutschland anmaßend? Im übrigen ist das eine israelische Dokumentation und keine deutsche. –
Was die Irren von Nordkorea angeht – was schlagen Sie vor? Was tun?
@ Lyoner
Nun ja, man kann aus dem Titel Rückschlüsse ziehen. Das mit der Desinfektion kapier ich nicht.
@ Parisien
Oder sind Sie ein agent provocateur, der jede vernünftige erkennungsdienstliche Behandlung von Antisemitismus dadurch torpediert, indem er sie lächerlich macht?
@ Parisien
Ich bin ja ein Seemann, der nicht so leicht zu erschüttern ist durch Antisemitismusdefinitionen. Was Sie jedoch veranstalten, schlägt dem Fass den Boden aus. Sie sehen die Dokumentation nicht, fühlen sich jedoch berechtigt, diese vorab als antisemitisch zu qualifizieren. Für Sie noch mal: hier kommen 6 emeritierte Schin Bet Chefs zu Wort, die über die Politik der Besatzung und ihre Effekte sprechen. – Ich prognostiziere Ihnen: Es wird bald die Zeit kommen, wo Sie sich desinfizieren müssen, bevor Sie sich berühren (http://www.youtube.com/watch?v=s4c-mNlR-1A)
@ Roland Ziegler
Ich hatte aus früheren Diskussionen geschlossen, dass Sie sich ein genaueres Bild über Sachverhalte machen, über die Sie sprechen. Und über Israel und die Besatzungspolitik haben wir doch schon ausgiebig diskutiert.
@Parisien
„Aflatoxine…Häme gegen Bio-Bauern“ usw.
Ich verfolge das Thema (auch auf achgut.de) nicht, weil mich das eigentlich nicht mehr interessiert, denn diese Geschichten wiederholen sich ständig. Dennoch ein paar grundsätzliche Erwägungen dazu:
Natürlich sind industrielle Erzeugung von hochqualitativen Nahrungsmitteln und die Distribution über leistungsfähige Discounter ein Segen. Hunger in Europa ist Vergangenheit und auch Harz4-Empfänger können sich, wenn sie wollen, gesund ernähren. Die industrielle Produktion von Lebensmitteln machte systematische zentrale Lebensmitteluntersuchung mit modernen Methoden organisatorisch erst möglich. Verfeinerte Analysenmethoden lassen immer mehr finden. Wer viel sucht, findet auch viel. Alles kann prinzipiell in Allem nachgewiesen werden. Aflatoxine (Schimmelpilz-Stoffwechselprodukte) entstehen eigentlich immer, wo’s feucht ist und was vergammeln kann. Insbesondere, wenn Oberflächen groß sind (Pulver, Gewürze, Futtermittel). Man laufe durch den Wald im Herbst und atme tief durch… Und wenn ich manche Kühlschränke nach dem Öffnen so rieche, wird mir schlecht. (Das riecht nicht nur nach Pilzen, sondern oft genug nach E coli.) Das Zeug ist also überall und bekanntlich nur durch trockene, kühle Lagerung zu verringern (nicht zu verhindern). Trotzdem können wir damit leben. Was wir nicht können, ist die Flut der chemisch-analytischen Information bewerten. Wir bewerten und optimieren und zu Tode. (Eine meiner wesentlichen Kritikpunkte an den Grünen und deren saturierter Klientel.) Die wirkliche Gefahr liegt im Sozialen. Ich finde es menschenunwürdig, ganzen Altersgruppen (und Generationen) zu verweigern, von ihrer eigenen Hände Arbeit zu leben. Das sage ich aller hiesigen Arbeitsmarkt-Propaganda zum Trotz. Statt Optimierungswahn in allen Bereichen bezahlte Arbeit für alle. Daher Dezentralisierung, die technisch problemlos möglich ist. Im Kapitalismus. Gerne ein andermal mehr dazu.
@Lyoner
Die Doku habe ich gesehen. Ich hoffe Sie auch, ich meine vollständig. Incl. der Aussage, daß nicht erwischte Terroristen noch soundsoviele Opfer in der israelischen Bevölkerung verursacht haben. Das Urteil aud Deutschland (und anderen Ländern) ist anmaßend.
Die Kims in Nordkorea übrigens bedrohen derzeit Millionen von völlig unschuldigen Menschen damit, sie nuklear zu verbrennen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir gefällt diese Entwicklung gar nicht..
@ Lyoner
„M.E. ist es eine Schande, wenn wir diesen armen Teufeln – jedes Einzelschicksal ist bedauerlich – entweder Zuwanderung in Prostitution, Sweatshops, Arbeiterstrich, Bandenkriminalität bzw. Einwanderung in unsere Sozialsysteme anbieten.“
Das ist die Realität, die man außerhalb des Elfenbeinturms der „Gestalter“ beobachtet. Und ein besserer Lebensstandard über Sozialhilfe? Niemand hat denen erklärt, dass wir auch höhere Lebenshaltungskosten haben und ein höherer Lebensstandard in allen Ländern weltweit sich nur über eine Zunahme an Bildung verwirklichen lässt und lediglich in der nächsten oder übernächsten Generation.
Einseitige, m.E. antisemitische, Dokumentationen tue ich mir nicht an.
@Lyoner: Habe ich nicht. Das Thema interessiert micht nicht besonders.
Chavez ? Die Castros ? Cesar Chavez (1927-1993) organisierte die Landarbeiter in der vom ihm and Dolores Huerta gegruendeten, erkaempften, und verteigten „United Farm Workers“ eine teilweise blutiges Ringen ueber Jahrzehnte in der USA fuer soziale Arbeitsbedingungen fuer die Landarbeiter welche schon seit 100 Jahren in USA fast ausschiesslich von erst Mexican-Americans und heute von Immigranten von Mexiko and Central-Amerika vollzogen wird: In USA gibt es keinen Salad, keine Aepfel, keine Tomaten ohne das tagelange Buecken und Schleppen der indianischen „Hispanic/Latinos“. Auch kein Gefleugel oder Rindfleisch. Auch die wenige wirklichen arbeitenden „Cowboys“ sind „Hispanic“. Die Castros sind kommenden Figuren im linken Fluegel der Democratic Party: Julian Castro der fortschrittliche Buergermeister von San Antonio/Texas, und sein Zwilling, Joaquin Castro jetzt Abgeordneter im U.S. Congress. Die Zwillinge, 38, haben beider Doktor-Jura Titel von U.S. Universitaeten. Ihre Mutter, Rosa Castro war eine politische Kaempferin fuer die Rechte der „Tejanos“ (Mexican-American) in Texas – wo bis 1965 fast aehnliche Segregation und Diskriminierung gegen die „Hispanics“ bestand, wie im „South“ gegen die Schwarzen. Getrennte Wohngebiete und separate mindertige Schulen. Ausschluss vom lokalen politischen Rechten. Verfolgung durch die Polizei und FBI und „Texas Ranger“ gegen „Hispanic“ Activisten. Die Grossmutter kam von Mexiko. —Cesar Chavez der Landarbeitergewerkschaftler genau so wie die beiden Castros in Texas sind genetisch Indianer -im Typ identisch mit den „Native Americans“ in USA – welche zur Haelfte im Suedwesten gleichzeitig „Hispanic“ und „Native“ sind wie die Lipan Apache im Sueden von Texas.— Chavez in Venezuela -war auch hautptsaechlich Indio: Er nannte sich „El Indio de Barinas“. Wie die Mehrzahl der Venezolanos hatte er auch etwas afrikanische Abkunft, welche sich durch das „harte Haar“ erkenntlich machte. Auch Simon Bolivar, sein Vorbild hatte etwas afrikanische Abkunft Am Anfang nach 1500 fuer viele Jahre gab es doch keine weisse Frauen – nur Indianerinen und spaeter Mestizinen (indianisch-weiss, und auch mit etwas Schwarz). Simon Bolivar war nur der Anfuehrer fuer die Befreiung von Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru (teilweise) welche damals auch Bolivien einbezog. Argentinien und Chile, und teilweise Peru wurden unter der Anfuehrung von San Martin, der Argentinier, erschkaempft. Ungefaehr 1808-1827. Gefangene wurden von beiden Seiten nicht gemacht. Saebel und Lanzen waren die vorhandenen Waffen. Brasilien die portugiesische Haelfte Suedamerikas wurde erst 1822 unabhaengig: Der Trohnfolger Portugals wurde Kaiser der unabhaengigen Brasiliens – ohne Traenen und ohne Kampf… Venezuela und Teile Kolumbien gehoerten zwischen 1528 und 1547 den Welser in Augsburg. Aber die Indios und das Klima habe die starken Deutschen dann von Suedamerika abgeschreckt. Von „Neu-Nuernberg“ steht keine Pfosten mehr aber „Federmann“ ist in Kolumbien noch ein Strassennahme. —Venezuela ist ein Land mit musikalischen Talent – sieh mal die Videos unter „ALMA LLANERA“ : „Ich singe, ich traeume, ich liebe, ich weine…“ das Leben erklaert in einem genialen Satz – nicht trocken wie „To be or not to be, that is the question!“ Das zeigt den emotionalen Unterschied zwischen Nordeuropaern und Latioamericanos…
Alan Posener schreibt „Arte für alle? Bitte nicht. Das jetzige Programm ist schlecht genug.“
Alan Posener, machen Sie Arte deshalb so mies, weil er solche Dokumentationen zeigt?
In der Arte-Videothek
Töte zuerst! (The Gatekeepers)
http://videos.arte.tv/de/video.....51110.html
Parisien, haben Sie diese Doku gesehen?
Sie, KJN? Sie, Roland Ziegler? Sie, EJ? Sie, Rita E. Groda? Sie, derblondehans? Sie, Silke? Sie, Angela Merkel? Sie, Moritz Berger? Sie, Jean-Luc Levasydas? Sie, Marit? Sie, Jan Volens? Und Sie?
@ Alan Posener
Ich will nochmal auf Ihre Ausführungen zurückkommen, auf die ich möglicherweise zu schnell und zu heftig reagiert habe:
„“Da scheint es mir lohnenswert, unser kleines Freiheitsexperiment zu verteidigen. (Und verteidigen heißt ja, siehe Lampedusa: ggf. alles ändern, damit sich nichts ändert). Und das geht nur, wenn Europa stark ist. Dass dazu der Euro nötig ist, habe ich nicht gesagt, und davon bin ich immer weniger überzeugt. Bekanntlich habe ich Sarrazins Euro-Buch gelobt. Wohl aber die Zuwanderung.”
Ich gehe davon aus, dass Ihnen klar war, dass „Lampedusa“ sowohl der Name des Schriftstellers Tomasi di Lampedusa, den Sie zitieren (das vollständige Zitat „Es muß sich alles ändern, damit es bleibt, wie es ist.“), ist, als auch die Insel, von der wir in den Nachrichten dann hören, wenn wieder mal arme Teufel, Desperados gestrandet, ersoffen oder interniert sind, die nach Europa kommen wollen.
Sie wissen, dass ich Ihnen unterstelle, eine schöne Seele, ein Gesinnungsethiker, etwas, was man in noch unschuldigen Zeiten einen Luftmenschen nannte, zu sein. Sie sind kein Verantwortungsethiker, schon gar kein politischer Pragmatiker. Nun mag ich mich täuschen und Ausführungen übersehen haben, in denen Sie die Ermöglichung einer adäquaten Politik der Zuwanderung und Integration, die sowohl den Einwanderer als auch den nicht ganz unrelevanten Eingesessenen dient, dargestellt und begründet haben. – Oder ist das der „unsichtbaren Hand“ überlassen? M.E. ist es eine Schande, wenn wir diesen armen Teufeln – jedes Einzelschicksal ist bedauerlich – entweder Zuwanderung in Prostitution, Sweatshops, Arbeiterstrich, Bandenkriminalität bzw. Einwanderung in unsere Sozialsysteme anbieten. Bevor ich hier also eine Spiegelfechterei mit einer angenommenen Position ausfechte, wäre es nicht nur für mich, sondern auch das werte Kommentariat von Starke Meinungen hilfreich, wenn Sie da entschieden deutlicher werden könnten – und nicht schwurbeln würden. Erst dann kann man mit beiderseitigem Gewinn kritisieren.
Was den Pastor Gauck und Ihr Mißvergnügen an ihm angeht – ich möchte Sie daran erinnern, dass ich hier für eine Kampagne „Sloterdijk for President“ geworben habe. Ich hatte gehofft, dass ein einflussreicher Publizist wie Sie das Thema in die politische Debatte in der WELT-Gruppe einbringt. Pustekuchen. Sich nicht rühren – aber dann meckern.
@Parisien
… echt, nicht so streng Parisien, APo übt noch. Seinen Weg hat er gefunden. Oder?
APo: ‚Ich stehe mitten im Leben und schwebe nicht im siebten Himmel. Als Journalist bin ich vor allem mit handfesten Alltagssachen befasst und nicht mit irgendwelchen Wolkenkuckucksheimen. Ich bin ja nicht über Nacht vom Atheisten zum Katholiken geworden, ganz abgesehen davon, dass ich ja noch gar nicht katholisch bin, obwohl ich mir wünschte, katholisch werden zu können.‘
@ Alan Posener
„Wass die Kirchen angeht, so sehe ich nicht, dass ich sie überzogen kritisiere. Ein Beispiel?“
Bin ich jetzt zu faul für. Muss also Ihre Scharfenberg-Prägung enttäuschen. Vielleicht übernimmt das jemand, aber die Kirche ist ja hier nicht Thema.
@ KJN
Ja, der ist Realist. Es ging mir mehr um ‚Aflatoxine wären gut, wenn sie von einem Bio-Bauernhof gekommen wären wie die tollen Sprossen aus Bienenbüttel.‘ Mir ist da zuviel Häme gegen Biobauern. Außerdem glaube ich, dass der Bevölkerungsteil, der ausschließlich Bio-Produkte isst, sehr klein ist und daher vernachlässigt werden kann.
Im Energiesektor dagegen halte ich eine gewisse Häme für angebracht.
Lieber Parisien, vielleicht können wir die Sache mit dem Maoismus abschließen, indem ich auf die Autobiographie von Arthur Koestler verweise, der in seinen verschiedenen Inkarnationen – revisionistischer Zionist, Kommunist, Antikommunist – auch psychische Konstanten von Nähe und Flucht, Anziehung und Abstoßung, Askese und Hedonismus entdeckte. Ich würde bestimmte Konstanten in meinem Charakter (zum Beispiel eine anhaltende Bewunderung für arbeitende Menschen) nicht mit meinem früheren Maoismus in Verbindung bringen, sondern den Maoismus mit diesem Charakterzug, der vielleicht seinerseits eher ein Produkt der Schulfarm Insel Scharfenberg ist, wo uns der Adel der körperlichen Arbeit gepredigt wurde. Mein Hang zum Radikalismus prädatiert ebenfalls meinen Maoismus und hat meines Erachtens viel mehr mit dem Rock’n’Roll als mit der Politik zu tun. Und so weiter. Ich will Sie nicht langweilen.
Wass die Kirchen angeht, so sehe ich nicht, dass ich sie überzogen kritisiere. Ein Beispiel?
Nachtrag: Nicht alles aus Brüssel finde ich schlecht. Wenn z.B. die Wettbewerbshüter Quasimonopolisten wie Microsoft oder die deutsche Energiewendelobby mit ihrer Subvention für Großverbraucher aufs Korn nimmt, finde ich das perfekt! Oder wenn weltweit gültige Antidiskriminierungsstandards (keine Bewerbungsfotos) auch in Deutschland eingefordert werden. Das zu kommunizieren wäre was für Gaucks Rede gewesen.
Lieber regt man sich über heilige Kühe auf, wie das das heilige deutsche Wasser, das angeblich auf Weisung von Brüssel privatisiert werden soll. Soll’s nicht. Lediglich sollen öffentliche Auftraggeber auch in diesem Zusammenhang korrekt ausschreiben.
@Parisien: Bei Achgut finden sich m.E auch allzuviele Wunschdenker. Aber der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, der ab und zu dort schreibt, macht auf mich fachlich einen guten Eindruck. Ein Realist.
Parisien: Aber was Sie von Ihrem früheren Maoismus beschreiben, hat doch vielleicht andere Gründe.
Erstens wirken Sie gelegentlich so, als seien Sie vom Maoismus nie ganz losgekommen.
… tja, das ist ‚BRD‘.
Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn zeigte beim Neujahrsempfang der SPD ein kleines, rotes Bändchen, in der linken Szene als „Mao-Bibel“ bekannt, und zitierte daraus den Ratschlag: ‚Fest entschlossen sein, keine Opfer scheuen und alle Schwierigkeiten überwinden, um den Sieg zu erringen.‘
Wer rot/braun oder grün oder rot/braun und grün wählt, wählt Täter.
Mao Tse-tung und seine kommunistische Verbrecherbande, verantworten (mindestens) 45 Millionen ermordete Menschen.
Lieber Herr Posener,
vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort.
Die ganze Sache hat zwei Seiten. Ich bin der Meinung, dass man insgesamt und in der Rechtssprechung auf eine nachsichtige, verzeihliche Gesellschaft stößt. Manchmal schlägt das auch in die andere Richtung aus und muss wieder besser austariert werden, denn ohne eine passende Strafe, die vor der Verzeihung steht, kommt ja niemand in Versuchung, überhaupt etwas zu bereuen. Und wenn Täter nicht adäquat bestraft werden, kommen wir nicht in Versuchung, ihnen später zu verzeihen. Selbst Jesus ließ keinen einfach so davonkommen. Er wies ihn auf die Dringlichkeit der Veränderung hin.
Aber was Sie von Ihrem früheren Maoismus beschreiben, hat doch vielleicht andere Gründe.
Erstens wirken Sie gelegentlich so, als seien Sie vom Maoismus nie ganz losgekommen.
Zweitens scheint mir, dass ein rüder Ton zwischen Journalisten verschiedener Prägung herrscht, den wir, seit es Blogs gibt, sehr genau mitkriegen und zu dem Sie gelegentlich ein Quentchen beigetragen haben.
Drittens erscheint mir die Tendenz, im Notfall (wenn die Argumente nicht reichen) jemanden auf seine frühere Existenz reduzieren zu wollen, unübersehbar.
Ich nenne das Hauen und Stechen.
Sie wissen ja, dass ich gegen die Achguten nichts habe, da ich einiges von ihnen lerne. Und in der Energiekritik gehe ich konform. Aber gelegentlich bin ich genervt, wenn ich darauf hingewiesen werde, dass ich mir dort mein Essen genausowenig aussuchen kann wie auf der Gegenseite. Nur nebenbei: Essen und unser Privatleben sind sehr persönliche Dinge. Wir Europäer, die es sich leisten können, essen gern Sachen, die aus der Nähe kommen und deren Herkunft wir überblicken können. Es tut mir leid, dass manche Leute das nicht können. Und ich empfinde es genauso als Gleichmacherei, wenn wir Übrigen marché-, farmshop- und Bioshop-Besucher das auch tun sollen. Das nur nebenbei.
Ansonsten habe ich den Eindruck, dass der rüde Ton sich zurückentwickeln könnte, weil es dann auch entsetzlich langweilig damit wird. Vorübergehend war das ganz lustig. Und Aussetzer müssen erlaubt sein.
Ich erkläre mir manche überschießende Kritik Ihrerseits an den christlichen Kirchen ganz anders: Durch einen hyperkritischen Geist, der natürlich im Unterbewusstsein immer die Kooperation der Kirchen an der Shoah gespeichert hat wie auch das Schicksal der eigenen Familie, von Kollegen Ihres Großvaters wie Liebermann und Familie und generell aller. Das Unterbewusstsein ist vorsichtig, und wir wissen alle, dass es großen Institutionen um Macht geht, und dass sie, wenn sie wieder Macht wittern, unberechenbar werden können.
Zu unserer heutigen Situation fielen mir gestern König Midas sowie das Midas-Syndrom ein.
@Alan Posener
Um den letzten Schluss der Weisheit geht es mir weiß Gott nicht (weil es den nicht gibt) sondern auch mir um das – wie Sie so schön schreiben – „kleine Freiheitsexperiment“ Europa. Und das hängt leider allzustark vom wirtschaftlichen Überleben der „Masse“ ab (-> Griechenland). Da beunruhigen (mindestens) 40 % Jugendarbeitslosigkeit in Hauptexportmärkten Deutschlands (denn die Maschinenlieferungen nach China hören irgendwann auf). Tatsächlich haben deutsche Firmierungen (bewusst gewählt der Begriff -> Fertigungstiefe) weltweit Erfolg, aber derzeit geht es darum, Kompetenz im Land zu halten, auf allen Ebenen, handwerklich, wie wissenschaftlich. Das geht bei zu erwartenden Exportflauten nur mit funktionierendem Binnenmarkt und da reicht der um München herum nicht aus.
Ich will nicht allzusehr langweilen, aber zur Erläuterung ein Beispiel: Vorletzte Woche hatte ich ein längeres Gespräch (privater Rahmen) mit einem Physiker und Orthopäden (emer. Medizinprof.): Der hatte – während seiner Lehrtätigkeit – Patente für ein Verfahren entwickelt und angemeldet, wo an Gelenken sehr kleine Sender angebracht werden, die genau geortet werden können und datentechnisch Bewegungsmuster liefern. Es wurden wohl über Jahre Bewegungsmuster gesammelt und ausgewertet, was zu orthopädischer Expertise hinsichtlich Arthrose führte. Der Drittmittelzuschuss wurde gestrichen, weil der Gesprächspartner auf der Leistungsfähigkeit seiner Methode gegenüber etablierten röntgendiagnostischen Methoden gegenüber der Pharmaindustrie beharrte. Er kaufte nach seiner Emeritierung seine Patente zurück und gründete eine Beratungsfirma, die international z.B. von Fußballclubs nachgefragt wurden. Insbesondere sehr erfolgreiche deutsche Clubs (@Lyoner) kündigten sehr bald die Verträge, um ihr aktives Personal nicht über Gebühr zu verunsichern. So – in etwa – sollte man sich m.E. auch Lobbyarbeit in Brüssel vorstellen. Das ist nicht viel besser, wie der „chinesische autoritäre Kapitalismus“, nur raffinierter. Verhinderung von Fortschritt = Akkumulation von Vermögen der Privilegierten = Stillstand. Das ist Untergang. M.E.
@Parisien:
„Insgesamt kann man sich hier bis zu einer Grenze ausleben, was einen langfristig etwas gütiger macht.“
Das geht mir genauso, wobei ich bei mir „friedfertiger“ passender fände. (Achgut ist eine Satireveranstaltung. Dieter Nuhr subsummiert das in etwa. Ich mag Satire.)
@Lyoner
Meine Güte, Sie persönlich werden durch Zuwanderung von Menschen, die die Sonne etwas besser aushalten, nicht ersetzt. Sie können aber Ihre Immobilien vermieten. Denken Sie an das Römische Reich (> 1000 Jahre). Die besten Römer waren nachher Germanen…
Lyoner ./. APo : Von der Ökonomie Ihrer “Zuwanderungsgewinne” haben Sie eh keine Ahnung.
… doch, doch … hat er wohl. Daher.
…zum Vorhalten der Vergangenheit: Das ist mir schlicht ein Rätsel. Wer nie etwas falsch gemacht hat, wird kaum je etwas richtig machen. Man muss sich mit dem auseinandersetzen, was die Leute heute sagen; was sie von heute aus zu dem sagem, was sie früher gemacht haben. Was sie früher gesagt haben, ist ihr persönliches Problem.
Das westeuropäische Modell des Kapitalismus – eine liberaldemokratische Spielart mit vergleichsweise hohem Sozialstaatsanteil – wird nicht nur durch andere kapitalistische Modelle gefährdet – denen man die EU entgegenstellen möchte – , sondern auch durch einen inneren Prozess, bei dem aus vorläufigen, wild gewachsenen Entscheidungsinstanzen ebendie dunklen und autoritären Kräfte zu entstehen drohen, denen man gerade eine menchenfreundlichere Alternative entgegenhalten will. Das ist die Ironie: Die EU nimmt im Eifer des Konkurrenzkampfes allmählich die Züge der Modelle an, die man doch eigentlich bekämpfen wollte. die Gefahr: Am Ende hat man gesiegt und ist die dominierende Wirtschaftsmacht der Welt, aber man hat sich zu Tode gesiegt u. der Patient ist tot.
Zumindest verliert die EU zunehmend und in einem kritischen Maß Zustimmung in den eigenen (!) Bevölkerungen. dieses Problem ist drängender als die in Frage stehende Global-Player-Rolle.
@ Alan Posener
Sie schreiben „Da scheint es mir lohnenswert, unser kleines Freiheitsexperiment zu verteidigen. (Und verteidigen heißt ja, siehe Lampedusa: ggf. alles ändern, damit sich nichts ändert). Und das geht nur, wenn Europa stark ist. Dass dazu der Euro nötig ist, habe ich nicht gesagt, und davon bin ich immer weniger überzeugt. Bekanntlich habe ich Sarrazins Euro-Buch gelobt. Wohl aber die Zuwanderung.“
Zwei Interpretationsmöglichkeiten:
1. Sie haben nicht alle Tassen im Schrank.
2. Ihre Argumente sind ein Trojanisches Pferd. Fürchtet die Danaer, auch wenn Sie Geschenke bringen.
Von der Ökonomie Ihrer „Zuwanderungsgewinne“ haben Sie eh keine Ahnung. Bei mehr Zeit schreibe ich dazu ausführlicher.
@ Parisien: Ob man GG wirklich seine Waffen-SS-Mitgliedschaft verziehen hätte? Ich war als junger Mann Maoist. Ich habe das selbst in meinen Wikipedia-Eintrag geschrieben, eben aus jenen Überlegungen heruas, die Sie anstellen, und die ich eigentlich für richtig halte. Aber wann immer irgendjemand mir eins auswischen will und argumentativ nicht weiter weiß, kommt er mit meiner maoistischen Vergangenheit.
Und nicht nur irgendwelche Heinis. Hier zum Beispiel ist Alexander Gauland, der bei der Besprechung meiner Papst-Streitschrift (über die man weiß Gott verschiedener Meinung sein kann!)wohl nicht ganz zufällig mit den jüdischen Polemikern Heine und Harden einsteigt und dann auf des Autors linksradikale Vergangenheit zu sprechen kommen „muss“:
http://www.dradio.de/dkultur/s.....t/1044655/
Jedenfalls kann ich die Angst GGs vor seinen AchsoGuten Mitbürgern nachvollziehen. Hier nimmt sich das linksgute und rechtsgute Pack gar nichts. In anderen Ländern gilt es als wichtig, oder doch immerhin als interessant, eine Vergangenheit zu haben; in Deutschland ist das eher ein Problem, wovon auch Joschka Fischer ein Lied singen konnte.
@ Alan Posener
Würde mich freuen, wenn Sie und Rainer Werner das auch mal lesen und besprechen würden:
http://www.welt.de/kultur/lite.....rgang.html
@ KJN et Roland Ziegler
Vielen Dank für die Blumen.
Insgesamt kann man sich hier bis zu einer Grenze ausleben, was einen langfristig etwas gütiger macht.
Calley ließ mich über GG nachdenken. Der Vorteil für Calley’s Seele war, dass die ganze Sache öffentlich wurde und er vor Gericht gestellt wurde.
Hätte jemand frühzeitig GG’s Teilnahme an der Waffen-SS aufgedeckt, hätte er sich viel mehr damit auseinandersetzen müssen, wäre ein ganz anderer Mensch geworden und vielleicht durch diesen Auseinandersetzungsprozess ein noch besserer Schriftsteller. Er hätte nie Moralapostel gespielt. Man hätte ihm verziehen, weil er 17/18 gewesen war. So gesehen ist es in einer Gesellschaft, die Chancen auf moralische Rehabilitation bietet, besser, wenn man sich mit solchen Vorgängen wie Kriegsverbrechen, Beteiligung, outet oder entdeckt wird. Man wird mit der ganzen Breitseite seines eigenen Versagens konfrontiert wie auch mit dem Los der Mittäterschaft in jugendlichem Leichtsinn, und im Laufe des Lebens wird einem bewusst, dass man auch selbst als Mittäter Opfer seines Systems wurde. Deswegen ist es vor allem bedauernswert, dass dem Nobelpreisträger das nicht klar war. Mit Anklagen gegen Israel sollte er daher vorsichtiger sein. Die Israelis, die an Kriegsverbrechen beteiligt sind, werden nämlich vor Gericht gestellt und sind daher in einer besseren Position. Wer an die Perfektion glaubt, die uns leider täglich vorgegaukelt wird, ist schon verloren. Die christliche Religion liegt hier näher an den Realitäten, ausgehend von Sündenfall. Wäre die Türkei christlich, würde sie sich längst ihrer Schuld am Genozid an den Armeniern gestellt haben und wissen, das es nicht das Ende nicht ist, wenn Völker sich zu ihren Sünden bekennen.
@ Parisien: ich „bestätige wieder einmal“ Ihre Vorurteile, weil Sie nicht richtig lesen. Ich sage ja nicht, dass Deutschland Global Player werden soll; sondern ich rede von Europa. Kleiner, aber wichtiger Unterschied. Bitte erst lesen, dann denken, dann schreiben. Das nützt auch Ihnen.
Man sollte die Bedeutung der EU für den Erhalt des westlichen Modells nicht unterschätzen. Das mag Ihnen (und KJN?) nicht als der Weisheit letzter Schluss erscheinen, und das kann es auch gar nicht sein. Aber die realen Alternativen sind nicht ein grünes Wolkenkuckucksheim der glücklichen Bio-Bauern, obwohl ich den AchGut-Furor gegen alles Grüne, wie Sie wissen, nicht teile, sondern: Chinesischer autoritärer Kapitalismus (eine Wiederbelebung jenes Korporatismus, den Leo XIII predigte); Russischer Autokratismus; Islamischer Internationalismus. Da scheint es mir lohnenswert, unser kleines Freiheitsexperiment zu verteidigen. (Und verteidigen heißt ja, siehe Lampedusa: ggf. alles ändern, damit sich nichts ändert). Und das geht nur, wenn Europa stark ist. Dass dazu der Euro nötig ist, habe ich nicht gesagt, und davon bin ich immer weniger überzeugt. Bekanntlich habe ich Sarrazins Euro-Buch gelobt. Wohl aber die Zuwanderung. Dass nämlich ein Kontinent, der für andere anziehend ist und gelernt hat, mit kultureller und ethnischer Differenz umzugehen, langfristig besser da steht als die konfzianisch-xenophoben Gesellschaften Ostasiens, müsste auch – ja gerade – einem konservativen Katholiken wie Ihnen einleuchten.
Von allen diesen Überlegungen bei Gauck nichts, stattdessen „Frag nicht…“-Geschwurbel. Das ist der Skandal, auf den ich hinweisen wollte. Aber da sind wir uns ja einig.
@Parisien: ja, mir gefällt es auch, was Sie hier schreiben. Auch wenn Sie dann wohl leider nicht als Mekulis Singa in der Südsee waren, hat Ihnen Ihre Auszeit doch gut getan.
@Alan Posener: „Ich glaube nicht, dass Dezentralisierung der Arbeitsmärkte die Lösung ist, wenn andererseits immer mehr Firmen global agieren.“
Doch. Einen Grund nennen Sie selbst: „..bietet Europa mit Schengen, der Abstimmung der Ausbildungsgänge und der gegenseitigen Anerkennung der Berufsabschlüsse einen…guten Rahmen.“ D.h. es kann prinzipiell überall alles produziert werden, auch weil Produktionsmittel immer kleiner und billiger werden (CNC-Fräsen, 3d-Drucker). Warum das (derzeit noch) nicht so ist, hat andere Gründe. Z.B. daß eine internationale Konkurrenz am Arbeitsmarkt bestimmten Interessen in der Wirtschaft (noch) zu Pass kommt, insbesondere der Großindustrie. „..wenn andererseits immer mehr Firmen global agieren.“ Hier muss man genauer hinsehen: Welche Firmen agieren global? Die, die nicht produzieren, sondern produzieren lassen, wo die Marke mehr wert ist, als die Produktionsstätte, das Produkt (Apple, Daimler-Benz, Coca Cola..). Präzision zu produzieren allerdings erfordert Perspektive und Lebensqualität. Qualität erfordert Bodenständigkeit. In China bewundert man die „deutsche Schraube“. Und: Unternehmen brauchen Märkte (-> Keynes). Die Chinesen bedienen z.B. Afrika, weil die gelieferten Produkte entsprechend billig sind, d.h. ein Markt auf unserem Niveau noch entwickelt werden muss. Ich selber habe da viel Lehrgeld bezahlt; allein das Halbzeug (ohne Produktion) wäre noch zu teuer z.B. für Ghana gewesen. (Daß man (nicht ich) da versucht hat, mit Mikrokrediten zu arbeiten, war keine saubere Sache..). Die Märkte brechen aber auch in Europa weg, wenn die Regionen zu schwach werden. Das ist z.B. Folge falscher Förderpolitik (hochsubventionierter Straßenbau, Pendlerpauschale).
Ein vielschichtiges Problem. Der „flexible Arbeitnehmer“ ist aber eine alte Lösung, die nur weh tut und niemandem nützt. Heute braucht keiner mehr umzuziehen, um zu lernen, wie man einen Chip programmiert (letztlich auch produziert). Von anderen Dienstleistungen und Produkten ganz zu schweigen. Und warum z.B. ein Physiker, der mal automatische Lagerbeschickung programmiert hat, im nächsten Job angeblich nicht „optimal“ Routen für Mobilfunk projektieren kann, kann mir niemand wirklich erklären. Die Wirtschaft läuft da kollektiv Chimären hinterher. Weil niemand mehr wirklich Ahnung hat. Und schon gar nicht die in Brüssel. Das ist der Skandal. Es braucht daher „kreative Zerstörung“ (->Schumpeter).
@Parisien: Gefällt mir, was sie hier schreiben.
OT
Man muss Menschen bedauern, die sich von Ausbildern und Systemen zu Falschheiten und Grausamkeiten anleiten lassen, und man muss langfristig Menschen von Systemen unterscheiden, wenn sie Reue und Einsicht zeigen. Daher muss man Breivik nicht bedauern, aber möglicherweise diesen hier:
„There is not a day that goes by that I do not feel remorse for what happened that day in My Lai. I feel remorse for the Vietnamese who were killed, for their families, for the American soldiers involved and their families. I am very sorry….If you are asking why I did not stand up to them when I was given the orders, I will have to say that I was a 2nd Lieutenant getting orders from my commander and I followed them—foolishly, I guess.“
http://en.wikipedia.org/wiki/William_Calley
Und jetzt eine Frage: Könnte es sich bei dem Photo um eine Montage handeln? Das Mädchen hat die Füße nicht auf dem Pedal und sieht nicht ängstlich aus. Wird jetzt übertrieben? Schöne Grüße, ein Skeptiker vor dem Herrn. Gestern noch die USA kritisiert, jetzt die große Skepsis vor der Übertreibung:
http://www.welt.de/politik/aus.....ossen.html
Erratum:
Statt
weicht aber keinen mm davon ab, dass die Grundvoraussetzung falsch ist.
weicht aber keinen mm davon ab, weil er nicht zugibt, dass schon die Grundvoraussetzung falsch war.
Manche kommen in jedem System klar, siehe auch:
http://www.welt.de/politik/deu.....erper.html
Wir Zauderer und Skeptiker sind doch bloß Gescheiterte oder „Unmoderne“ (Uncoolheit suggerierender Kampfbegriff). Das Ganze kann die Literatur wieder verbessern. Kein besserer Pfeffer als Zynismus.
…das mit dem Rauswerfen des IWF aus Island scheint falsch zu sein; diesen Teilsatz bitte gedanklich streichen.
Jeder, wie APo, kämpft für seine Idealvorstellungen oder seinen Arbeitgeber oder seine Bosse. Er bemerkt Demokratiedefizite, weicht aber keinen mm davon ab, dass die Grundvoraussetzung falsch ist.
Ein Kernphysiker, der mit falscher Grundvoraussetzng eine Kettenreaktion erzeugen will, kriegt kein Ergebnis.
1. Politische falsche Grundvoraussetzng: Die Völker wollten Währungs- oder auch Einwanderungseuropa. Nein, wollen sie nicht. Sie stimmten in zwei Ländern mit non gegen den Vertrag von Lissabon. Resultat: keine weiteren Abstimmungen.
2. Wirtschaftswachstum: Daran glaubte mancher, aber nach Anstieg der ALo-Zahlen merkte auch der letzte Trottel am blauen Meer des Südens, dass mit „Wachstum“ die Zunahme der Richesse von Managern, Bankern, Fireminhabern und Aktionären gemeint war außerdem das Zubetonieren auf Kredit um jeden Preis.
3. Zuwanderung: Statt qualifizierter Arbeitskräfte kamen unqualifizierte Arbeitskräfte, deren Kinder gern nach der neunten Klasse Hauptschule auf Sand laufen.
Das ganze Konstrukt ist eine Chimäre. Das muss schon daran scheitern, dass ein Gescheiterter nicht mal mehr Bauer machen kann, weil die Landwirtschaft industrialisiert wurde. Fischen bringt auch nix, alles mit Schleppnetzen vorgefischt. Den Rest klaut der hochgezüchtete Kormoran. Das ist weltweit zum Scheitern verurteilt, auch in China. Menschen sind viel tüchtiger als Systeme, wie man an den Isländern sieht (danke, RZ!), die sich mit ihrer eigenen Hände Arbeit (danke, b.) selbst aus dem Schlamassel befreien.
In der Anti-Bio-Ecke von achgut macht man sich gerade an die Verteidigung von Aflatoxinen. Geht’s noch? Davor wurde Pferdefleisch gelobt im Vergleich zu dieser widerlichen Biokost. Nee, es geht wirklich nicht, dass es noch biologisch fabrizierende Kleinbauern gibt. Das passt nicht zum System, dass wir alle lieben sollen, Gauck hat’s gesagt. Wir sollen es lieben. Zwangsheirat. Gut, es ist nicht ganz so schlimm, wie überredet zu werden, den „totalen Krieg“ zu lieben. Aber Zwangsheirat ist es trotzdem.
Pastor Gauck:
Europa ist der Herr dein Gott.
Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
…damit kein Zweifel aufkomt: Ich bin FÜR die EU und FÜR den Euro. Aber es würde auch ohne gehen, wenn es sein muss (nur wesentlich anstrengender…)
@Alan Posener: „Unser Weg“ ist doch der Weg des Westens: die liberale Demokratie. Die lässt sich sowohl mit als auch ohne die EU verwirklichen. Und es sieht derzeit so aus, als würde die EU sich in eine Richtung entwickeln, in die wir nie wollten. Wir wollen nämlich unseren liberaldemokratischen Weg weitergehen, statt in Richtung China abzubiegen. Was uns abhanden zu kommen droht, ist Transparenz, Ehrlichkeit und Mitbestimmung. Stattdessen haben wir eine von nationalen Interessen geleitete Politik, die sich als Europapolitik verkauft: doppeltes Spiel, falsche Flagge. Deshalb wirken solche empathischen Bekenntnisse wie von Gauck auch ahnungslos oder gar heuchlerisch: Es ist eben doch ein „deutsches Europa“ oder jedenfalls deutsch-französisches Europa, das da gefahren wird; da helfen alle Beteuerungen des Gegenteils nichts. Die Zahlungen, die „wir“ im Rahmen der Staatenrettungen tätigen, landen umgehend wieder bei „uns“, jedenfalls bei unseren Banken, denn das sind die Gläubiger, die in erster Linie gerettet werden sollen. „Wir Europäer“, sofern wir nicht Banken sind, gehen leer aus und können nichts bestimmen. Kein Personal, keine Geldverteilung. Dies ist unser Problem, das wir lösen müssen, bevor wir uns Gedanken darüber machen, wie unsere Außenpolitik sein soll und ob wir für andere beispielhaft sein können oder nicht.
Bisher sind wir es jedenfalls nicht, stattdessen z.B. die Schweiz oder Island: winzige, unabhängige Staaten mit innovativen politischen Ideen. Island hat seine Banken pleite gehen lassen, den IWF rausgeworfen und sich über ein Referendum neu erfunden; die Schweiz hat über ein Referendum das Aktienrecht revolutioniert. Im September wird es darum gehen, ob die 1:12-Regelung eingeführt wird oder nicht (-> kein Mitarbeiter einer Firma darf mehr als das Zwölffache desjenigen verdienen, der am wenigsten verdient). Leistung darf sich also weiter lohnen, aber nicht mehr als um den Faktor 12. Das ist eine sehr gute Sache. Weder Island noch die Schweiz interessiert es sonderlich, ob nun alle Wirtschaftsbosse die Fliege machen, wie alle bei solchen Gelegenheiten immer glauben; die ziehen das einfach durch, weil sie es so wollen und für richtig halten. Diese Haltung finde ich bewundernswert.
@ Alan Posener
So wie ich meine Landsleute einschätze, wollen sie nicht die größte Industriemacht der Welt sein, und mittelfristig werden das ohnehin wieder die USA oder China sein.
Ich schätze meine Landsleute eher so ein, dass sie gemocht werden wollen und nicht tolerieren, dass man sich benimmt wie ein Boche.
Außerdem hätten sie gewiss wenig dagegen, wenn man Industrie exportiert, z.B. in die Mittelmeerländer oder nach Frankreich, statt immer weiter zu wachsen und dafür Zuwanderung zu brauchen, zumal qualifizierte Zuwanderer nicht immer gern nach Deutschland kommen. Zuwanderer brauchen Land und Industrie auch. Es geht meinen Landsleuten höllisch auf den Keks, wenn hier alles zubetoniert wird. Wenige qualifizierte Zuwanderer haben Lust, mit Kindern in ein solches Schulsystem einzuwandern, und dass unsere Mentalität nicht die charmanteste ist, wird immer wieder bewiesen. Daher gehen auch Sie an den Wünschen europäischer Bevölkerungen vorbei, die gewiss wenig dagegen hätten, wenn Siemens oder BMW ihnen neue Arbeitsplätze in ihr Land bringen.
Sie bestätigen mir einmal mehr, dass Sie die deutsche Hybris, der stärkste sein zu wollen, die uns schon zweimal zum Verhängnis wurde, unterstützen.
Darüber hinaus: Eine Großmacht ist eine Großmacht ist eine Großmacht. Großmächte haben Land. Großmächte sind Russland, die USA und China. Indien und Brasilien können welche werden, aber nicht das kleine Europa wie auch wohl kaum der Iran.
Indogermanen scheinen Großmaul mit Großmacht zu verwechseln und träumen nie aus.
Bravo! Exzellenter Beitrag!
Die italienische Wahl und deren Ergebnis hätte unserem BP eigentlich Entscheidendes nahebringen können:
1. Wir haben keine Alternative also wählen wir das am weitesten von allem Bisherigen entfernte – Grillo.
2. Wir haben keine Alternative aber wollen uns keinesfalls durch die Eurokraten ruinieren lassen – Berlusconi, wenn auch für einen Großteil mit Schmerzen.
Was heißt dies vor dem Hintergrund der „Euro“krise – die eigentlich zuvorderst eine deutschlandinitiierte Krise ist, haben wir uns doch in Lohndumping ergangen und damit endgültig zu einem Europa der Fluchtgeschwindigkeiten beigetragen -: es grassiert die schiere nackte Angst!
Wer heute noch bräsig auf Bewährtes vertraut und meint, schwäbische Mauschelei (unzulässige Verniedlichung, aber so sind sie halt, die Schwaben) kann es richten hat die divers ergangenen Weckrufe nicht gehört: Nullzins, Gelddruckerei, Bürgschaften für Zichtilliarden, nix hülft so recht. Nun auch noch ein demokratisches quasi Plebiszit in Italien! Demnächst auch wieder auf den Straßen Athens, Madrids und Lissabons plus zuwandernder Dörfer aus Bulgarien und Rumänien (inklusive Pfarrer übrigens).
Und der BP wiegt sanft das Haupt des Menschenfischers – der Job wäre übrigens gerade vakant – und hebt leicht irritiert die Krisenaugenbraue … „Uups?! Apokalypse?“.
Mit Rezepten, die zur Krise führten, kann die Krise nicht bewältigt werden. Und wenn wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen, dann müssen wir spätestens jetzt aus der Krise führen lernen. Doch dazu bräuchte es Unternehmer, keine Manager. „Krisenmanager“ – mein Vorschlag für das Unwort des Jahres!
Roman, wo biste, wenn wir Dir brauchen?!
@ Roland Ziegler: Wir sind nun einmal der größte Markt der Welt und die größte Industriemacht der Welt, außerdem haben wir den höchsten Lebensstandard der Welt. Das heißt, wir sind im hohen Maße von Energielieferungen, Rohstoffen, Exportmärkten und Zuwanderung (u.a.) abhängig, und das ist auch gut so. Autarkie ist nicht erstrebenswert, Handel bringt Wandel. Wir sind also ein Global Player und wollen es bleiben, weil es uns nicht gleichgültig ist, ob der Rest der Welt unserem Weg folgt oder dem Chinas oder des Iran. Europa wird umso eher – zusammen mit den USA – das Gesicht der Welt im 21. Jhdt. mit bestimmen können, desto stärker es in jeder Hinsicht ist. Das heißt, die Überwindung der ökonomischen Krise ist genauso wichtig wie die Überwindung der politischen Lähmung und die Schaffung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
@ KJN: Ich glaube nicht, dass Dezentralisierung der Arbeitsmärkte die Lösung ist, wenn andererseits immer mehr Firmen global agieren. Es wird ohne eine größere Flexibilität der Arbeitskräfte nicht abgehen, und dafür bietet Europa mit Schengen, der Abstimmung der Ausbildungsgänge und der gegenseitigen Anerkennung derr Berufsabschlüsse einen – einen! – guten Rahmen. Man kann sich auch über die Bürokraten in Brüssel aufregen, aber Fakt ist: Wenn die sich auf eine bestimmte Maßnahme zur Marktregulierung einigen, dann hat das mehr Gewicht, als wenn, sagen wir, Slowenien und Belgien das alleine machen. Mir scheint also, man darf das kind Europa nicht mit dem Bade – Ärger über Demokratiedefizite – auskippen. Hier ist ein Problem, und es muss gelöst werden. Nicht, indem „sich jeder einbringt“ und schon gar nicht, indem man aufhört zu fragen, was Europa für einen tun kann, wie es der Ex-Pfarrer und Ex-Ossi Gauck gern hätte (er wiederholt das auch im Spiegel dieser Woche), sondern indem man verlangt, dass Europa mehr für einen tut, und sich überlegt, wie das politisch zu bewerkstelligen ist.
… tatsächlich eine Rede – nicht der Rede wert.
Gauck hätte Prof. Dr. Carlo Schmid plagiieren sollen, dann wäre er ‚in die Geschichte eingegangen‘. Meine Erlaubnis hätte er. Meinetwegen auch ohne “Anführungszeichen“. … muhahaha!
‚Um einen Staat im Vollsinne zu organisieren, muß die Volkssouveränität sich in ihrer ganzen Fülle auswirken können. Wo nur eine fragmentarische Ausübung möglich ist, kann auch nur ein Staatsfragment organisiert werden.‘
Mehr können wir nicht zuwege bringen, es sei denn, daß wir den Besatzungsmächten gegenüber was aber eine ernste politische Entscheidung voraussetzen würde Rechte geltend machen, die sie uns heute (immer noch nicht, meine Anmerkung) noch nicht einräumen wollen.
Das müßte dann ihnen gegenüber eben durchgekämpft werden.
Solange das nicht geschehen ist, können wir, wenn Worte überhaupt einen Sinn haben sollen, keine Verfassung machen, auch keine vorläufige Verfassung, wenn vorläufig lediglich eine zeitliche Bestimmung sein soll. Sondern was wir machen können, ist ausschließlich das Grundgesetz für ein Staatsfragment…
Wenn man einen solchen Zustand nicht will, dann muß man dagegen handeln wollen.
Aber das wäre dann Sache des deutschen Volkes selbst und nicht Sache staatlicher Organe, die ihre Akte jeweils vorher genehmigen lassen müssen. Das Grundgesetz für das Staatsfragment muß gerade aus diesem seinen inneren Wesen heraus seine zeitliche Begrenzung in sich tragen.
Die künftige Vollverfassung Deutschlands darf nicht durch Abänderung des Grundgesetzes dieses Staatsfragments entstehen müssen, sondern muß originär entstehen können. Aber das setzt voraus, daß das Grundgesetz eine Bestimmung enthält, wonach es automatisch außer Kraft tritt, wenn ein bestimmtes Ereignis eintreten wird. Nun, ich glaube, über diesen Zeitpunkt kann kein Zweifel bestehen:
an dem Tage, an dem eine vom deutschen Volke in freier Selbstbestimmung beschlossene Verfassung in Kraft tritt.‘
Außerdem meinte Prof. Dr. Carlo Schmid vor dem Parlamentarischen Rat am 08. September 1948 zum Schluss:
‚Ein geeintes demokratisches Deutschland, das seinen Sitz im Rate der Völker hat, wird ein besserer Garant des Friedens und Wohlfahrt Europas sein als ein Deutschland, das man angeschmiedet hält wie einen bissigen Kettenhund!‘
Was mich wundert ist dass Herr Gauck bei seiner Ideensuche für Europa auf einen langweiligen Fernsehkanal kommt, statt auf das viel spannendere und naheliegendere – weil politische – Beispiel Island. Dort wurde eine neue Verfassung mithilfe von Bürgerbeteiligung und Neuen Medien ausgearbeitet:
http://www.ftd.de/politik/euro.....07410.html
Könnte das nicht ein Vorbild für Europa sein?
@ Alan Posener
Vielen Dank auch für Ihre Ausführungen über die Kritischen, die Zauderer, die Gauck offensichtlich ein
Dorn im Auge sind.
Seine Ausführungen über England sind zwar höflicher, aber dennoch ähnlich einzuordnen wie Steinbrücks Bemerkungen über Italien. Eher werden die Engländer 52. Bundesstaat der USA, als dass sie sich von Deutschen sagen lassen, wo’s lang geht.
Als vorläufiger Profiteur von dem unerwünschten Konstrukt sollte Deutschland lieber kleine Brötchen backen. Der Respekt vor anderen Ländern ist erschreckend gering und lässt unberücksichtigt, dass wir den nächsten potenziellen Krieg auch verlieren würden.
Ich finde Ihre Kritik ebfs. berechtigt und schätze Ihre mutigen Ausführungen über totalitäten Geist. Wir können noch eine Scheibe drauflegen, finde ich:
Nach der Niederlage in Stalingrad forderte Göbbels in der Sportpalastrede die Deutschen ebfs. auf, alles für Deutschland zu geben und Entbehrungen für die Fortführung des Krieges in Kauf zu nehmen.
Wir können uns vorstellen, dass einige Verläufe inclusive der Vernichtung jüdischen Lebens besser gewesen wären, wenn Deutschland nach der Niederlage der sechsten Armee den Krieg eingestellt und um Verhandlungen gebeten hätte.
Man muss also Rufe an die Bevölkerung, etwas für den Staat zu tun, wohl als besonders kritische Entwicklung betrachten.
@ „‚Frage nicht, was Europa für dich tun kann, frage vielmehr, was du für Europa tun kannst!’“
Solche Sätze waren mir schon immer suspekt: Appelle für „Gemeinschaft“ sind immer Appelle von Mächtigen, die „Gemeinschaft“ (deren Umfang, Grenzen, Rechte und Pflichten) definieren. Und zwar genau dann, wenn sie nicht mehr weiter wissen, also dem Untertanen, dem „Wähler“ nichts mehr anderes zu bieten haben.
Worum geht’s aber in Brüssel? Um Drahtzieherei der bekannten Interessengruppen. Daran ist zunächst nichts Schlechtes, denn auch Energiekonzerne, Großfirmen, Staatskonzerne, Organisationen, wie der Städtetag, Staatsbürokratie, Parteien, NGO’s usw.) sind ja zunächst von uns allen genau dafür beauftragt worden, denn sie erfüllen ja einen Bedarf. Sie haben sich aber von unseren Interessen abgekoppelt – haben Eigeninteresse, Eigenleben. Dafür bietet die repräsentative Demokratie die beste Grundlage, weil deren Vertreter sich steuern („beraten“) lassen.
Und genau hier ist der Punkt, wo die Unfreiheit, der Totalitarismus beginnt: Nicht „pursuit of happiness“ des Individuums ist Ziel der Politik, sondern die Erhaltung der o.a. Systeme. Und dafür werden Schulden am Finanzmarkt gemacht. Derselbe Finanzmarkt, der unsere Renten sichert und dessen dafür (durchaus erforderliche) Volatilität durch überbezahlte Finanzmanager gesichert wird.
Die 40 Prozent (oder mehr) Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa sind ein Menetekel: Die kommen auch hierhin, wenn erstmal Spanien ccc und Frankreich bbb gerated wird. Dann geht nur noch Inflation. Nicht jetzt, aber dann.
Abhilfe? Lokale Binnenwirtschaft, Dezentralisierung der Arbeitsmärkte (ähem.. Arbeitsmarkt? Schaffung eines Arbeitsmarktes, das ist was mit Angebot und Nachfrage). Wie? Ich will mich nicht unbeliebt machen..
Ich finde Ihre Kritik in fast allen Punkten berechtigt, v.a. am Satz, dass man sich fragen solle, was man für Europa tun könne. Tatsächlich ist es umgekehrt: Europa sollte sich z.B. verstärkt fragen, was es für die südeuropäischen Arbeitslosen tun könnte.
Weniger verständlich sind mir dagegen Ihre Bemerkungen zum „Global Player“. Europa möge ein solcher werden, sagt Gauck und schreiben auch Sie. Warum denn? Inwiefern ist das denn ein Problem? Es würde doch reichen, wenn Europa seine inneren Angelegenheiten vernünftig regelt.
Ansonsten predigt Gauck, was man als Einzelner tun könne bzw. solle: „mache dies-und-das“, „sei so-und so“. Sein Thema, die Krise, ist aber ein Problem der politischen Struktur. Die Struktur sollte „wachsen“, das hat er richtig dargestellt; Frau Merkel nennt das „Auf Sicht fahren“. Manchmal aber entsteht Wildwuchs, das ist der Fall, und es handelt sich nicht um eine Zier-, sondern um eine Nutzpflanze. Da muss man als Präsident schon sagen, dass, wo und wie welche Schere angesetzt werden soll. Wenn man das nicht weiß, was ich verstehen kann, sollte man das trotzdem in den Mittelpunkt rücken. Z.B. duch solchen Fragen: Wann und in welchen Ländern soll ein Volksentscheid her? Was genau soll dieser klären? Oder brauchen wir den nicht, und wenn, warum nicht? Mit welcher politischen Strukturreform ließe sich die Begeisterung, die Gauck zurecht sucht, denn entfachen?
Apropos Arte. So mies ist der Sender nicht. Heute abend 20:15 Uhr
der israelische Dokumentarfilm
Töte zuerst!
Der israelische Geheimdienst Schin Bet
http://www.arte.tv/de/die-ehem.....09314.html
Ein Muss für alle mehr oder weniger besonnenen Freunde Israels.
Wer aus einem eher unterbelichteten Freund Israels ein mehr erleuchteter werden will, kann dieses Exerzitium ergänzen durch den israelischen Dokumentarfilm
Das Recht der Macht
(http://videos.arte.tv/de/video.....40786.html)
Nur noch 13 Stunden in der Videothek von Arte zu sehen! Letzte Chance!
Bei Zeit zur Sache mehr.