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Piraten: Nicht Freiheit wovon, sondern Freiheit wozu?

Die Piraten wollen von einer außerparlamentarischen Bürgerinitiative zu einer ernst zu nehmenden Partei werden. Das wird ein weiter Weg. Ich treffe bei der Jubiläumsfeier des Medienmagazins ZAPP einen prominenten Piraten, Rechtsanwalt in Münster, der mir, dem analogen älteren Herrn, die digitale Welt der Nerds erklärt.

Er ist sichtbar stolz auf einen Satz  folgenden Wortlauts, gesprochen auf einem der Parteitage: „Wir haben dort vorne einen Shitstorm-Kristallisationspunkt aufgestellt.“ Diesen Satz übersetzt er mir mit: „Redner begeben sich bitte an das Saalmikrofon.“ Das nennt er, sichtlich stolz, die nerdige Sprache der Piraten. Mir erscheint sie ein wenig pubertär, wie alle Jugend-Jargons.

Es geht rhetorisch zu wie bei Astrid Lindgrens Kalle Blomquist, dessen Clique sich vor Stolz auf ihre Geheimsprache nicht lassen konnte. Von Trollen ist die Rede, von den Shitstorms und Sockenpuppen wie anderen Vokabeln einer Blogger-Subkultur. Zum Teil sind das angemessene Begriffe aus einer anglizistischen Technosophie, die das Internet mit sich gebracht hat, zum Teil einfach jene exkludierenden Albernheiten, die jeden Jargon auszeichnen.

Pfadfindermentalität statt am Lagerfeuer jetzt im weltweiten Web, Pippi Langstrumpf online für Vernetzte. Wichtiger als diese Nabelschauen der Wikipedia-Schlauen ist aber ihre Sicht der Welt, auf die wirkliche Welt, in der sie nun Partei werden wollen. Es drängt sie in die Parlamente oder der Wähler treibt sie da hin. Wes Geistes Kind sind sie? Wie gehen sie mit Kritik um?

Hier hört man Überraschendes: „Die Medien verstehen die Piratenpartei nicht.“ Das sagt mir der Medienanwalt von den Piraten. Die Medien (gemeint wohl Zeitungen, die Holzklasse, und das TV, insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen) würden sich eine virtuelle Realität „herbeischreiben“. Die „unbedarften“ Journalisten seien durch die Piraten „überfordert“.

Die Presse versage, wo sie die Piraten kritisiere, „fundamental“. Die öffentlich-rechtlichen Redakteure folgten nur ihrem eigenen „Drehbuch“. Ihr Anliegen bestehe darin, ihre „altklugen Meinungen abzuarbeiten“. Sie „kleben Label an“, ja, „ignorieren tapfer“ und malen einen „Dämon auf den Monitor“. Journalisten seien von den Altparteien „eingetaktet“.

Man reibt sich die Augen: Das also ist die Argumentation der wahren Freunde der Meinungsfreiheit über ihre Kollegen, die nun möglicherweise traditionelle Presse sind, aber doch zweifelsfrei wichtige Repräsentanten eben dieser Meinungsfreiheit. Was ich hier von einem Piraten höre, das klingt genau wie die altbekannte reaktionäre Presseschelte mit einem fundamentalistischen Unterton.

Man muss fragen, welche Freiheit gemeint ist, wenn das Paradigma dieser demokratischen Kultur ausgerechnet die USA sind. Das hört sich so an:  „Die vorwiegend aus dem IT-Bereich stammenden Piraten huldigen dem Prinzip der Meinungsfreiheit, wie sie in fundamentaler Weise etwa in den USA gilt.“ Fundamental in den US of A?

Freedom of expression also, auch für offenkundig faschistische Ansichten einzelner Piraten. Na ja, sagt er, bei den Grünen habe es ja auch Pädophile gegeben. Der basisdemokratischen Struktur der Partei entspreche es, dass auch „geisteskranke Bewerber“ anträten. Da müsse die gescholtene Presse „die offensichtlich nicht repräsentativen Trolle nachvollziehbar gewichten“. Dem sei „die“ Presse aber nicht durchgehend nachgekommen.

Man lehne Machtmenschen, Selbstdarsteller und Lobby ab und setze auf das „Authentische“. Dass es „das“ Authentische immer nur als den Anschein des Authentischen gibt, dass es sich also um eine besonders glaubwürdige Inszenierung von Ressentiments handelt, das überfordert meinen Piraten-Freund.

Er belehrt mich: „Noch immer verstehen etliche Journalisten nicht, dass die Piratenpartei in erster Linie ein Betriebssystem testet und anbietet, um die ehrenwerte Idee der Demokratie ins Informationszeitalter zu überführen.“ Das klingt mir ein wenig funktionalistisch, das mit dem Betriebssystem. Aber geschenkt.

Wesentlich ist, dass die Piraten Zweifel daran erlauben, wo sie publizistisch stehen. Denn, da hat die gute alte Rosa L. einfach recht, Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.

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6 Gedanken zu “Piraten: Nicht Freiheit wovon, sondern Freiheit wozu?;”

  1. avatar

    Erratum:
    ..aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen abgekoppelt..
    => ..vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen abgekoppelt..
    (soviel zur sprachlich mentalen Suffiziens, ich gehe jetzt Steaks kaufen)

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    Die Ursache für die scheinbare Überheblichkeit der Piraten wir einem klar, wenn man sich deren Vorsitzenden Johannes Ponader in der vorletzten
    Maischberger-Show ansieht (ich ertrug das allerdings nur max. 20 min und musste wegklicken..):
    Da ist offensichtlich eine ganze Generation aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen abgekoppelt und ergeht sich in Überlegenheitsphantasien das „Netz“ betreffend. Warum auch immer. Nicht Generation Golf, auch nicht Generation Golf plus oder 30 plus, sondern Generation Pubertät plus.
    Die mentale Schlagkraft der linken Positionsträger erscheint mir insgesamt besorgniserregend geschwächt; vielleicht erbarmt sich ja die konsumfreudige Luxusdiscounterin Claudia Olbert(„es gibt keine Arbeitslosen, sondern nur Arbeitsverweigerer“) und spendiert dem Piraten-Vorsitzenden mal „ein Steak“, sowie „Brot und Butter“, damit er wieder zu Kräften kommt (würde sie bestimmt machen).
    Bei den anderen linken – ich weiß auch nicht..

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    „Parteitag“ („Convention“) – waere fuer Hollywood der Titel fuer einen Gespensterfilm, denn in „Amerikaaa“ ist das nicht eine Pfadfindertreffen wie im traeumerischen Germania. Eine deutsche Journalistin ist gerade in Tampa-Florida zur „Republican Convention“ and sie meinte, die Republicans haetten sich nicht auf Tampa festlegen sollen – weil doch immer Hurricane-Gefahr zu dieser Jahreszeit besteht. Also schrieb ich ihr einen Leserkommentar ueber die Republican Convention 1972 – zur selben Jahreszeit – in Miami (wo Hurrikane noch zerstoerender gewuestet haben). 1972 war die Republican Convention fuer die Wiederwahl (2. Amtsperiode) fuer Richard Nixon. 1972 bestand in USA eine riesige linke Bewegung – „the movement“ – und dieses Movement war auch nach Miami Beach gekommen um die Republican Convention zu laehmen. Das wiederum forderte die Anwesenheit von allen „Agencies“ (ueberall wurde „gefilmt“…). Der „Chief of Police“ in Miami Beach war der 275 Pfund Jude von New York – Rocky Pomerance welcher als „Street cop“ in Manhattan angefangen hatte. Die alten Kommunisten (damals waren alle in Miami Beach Juden von New York) murmelten: „Der war mit uns in New York“ (wahrscheinlich als junger Mann). Rocky Pomerance machte einen Pakt mit dem „Movement“: „Ihr koennt euch Flamingo Park einnehmen und keine Polizei kommt in den Park“. Die linken „Vietnam Veterans against the War“ sorgten fuer Ordnung im Flamingo Park. Als das „Movement“ den Zaun um das Convention Center abreisen versuchte, kam der Gegenangriff von der Polizei mit Traenengas. Rocky Pomerance als Legende steht vielfach im „Internet“ -auch ein Verbindung mit Richard Gerstein, 1.96 Meter gross, Bomberpilot ueber Deutschland 1944 (ein Auge verloren), Staatswanwalt fuer den Bezirk Miami-Dade. Richard Gerstein entdeckte den Fall „Watergate“ – die ex-CIA Einbrecher im Dienst von Nixon gegen die Democrats. Der Name „Gerstein“ erinnert mich aber an „E“ eine schoene, junge, blonde Deutsche: Sie kam als Turist nach USA und um das Englisch gruendlich zu lernen – und aus Abenteuerlust – arbeitete sie als Hausangestellte fuer wohhabende amerikanische Familien – erst in Kalifornien, dann in Miami: Darunter die Schwaegerin vom Staatswanwalt Gerstein. Der Staatswanwalt Gerstein wusste dass „E“
    illegal in USA verweilte und arbeitete und sagte zu ihr: „If you ever get problems with Immigration, let me know!“ — „E“ war eine der deutschen Weltmenschen/maedchen, voellig international und abenteuerlich herumreisend. Haette das endgueltige Werk schreiben koennen „Maenner der Welt“ – meinte einmal „Jan – eine schoene Florida Nacht geht verloren…“ Aber die „Latinas“ hatten mich schon nur auf ihre Stromspannung geschaltet…Kurz: Wer einen „Parteitag“ erlebt, kann was erzaehlen!

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    Es gibt sogar Pädophile bei der CSU – nur werden die dort nicht aus der Partei ausgeschlossen… Aber das ist ja nicht das Thema – interessanter finde ich die Fragestellung, warum man Kritik an traditionellen Medien (die ja zweifelsohne mehr Pressemitteilungen und dpa-Meldungen drucken als selbst zu recherchieren) gleich mit einer Bedrohung der Meinungsfreiheit gleichsetzen muss. Und da viele der traditionellen Holzmedien genauso wie Öffentlich-Rechtlichen (die Privaten sind hier natürlich aus dem Schneider mangels jeglicher Politikberichterstattung) keine (vor 23 Uhr laufende) vernünftige Berichterstattung über Piraten oder allgemein moderne Dinge hinbekommen, verdienen sie Kritik. Und immer wenn ich solche Texte lese, nährt sich weiter die Überlegung, doch mal den Piraten eine Stimme zu geben.

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