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Medienschelte: Wie die Presse unerträglich verludert

Die Jungfrau geht auf den Strich. Wer in diesen Tage eine Zeitung ansieht, hält ein Souvenir, ein Erinnerungsstück in Händen; eine blasse Erinnerung an etwas, das einmal wichtig und erhaben sein sollte. Begründet wurde die Vierte Gewalt im Staate durch eine Reihe strikter Trennungen. So wichtig diese Scheidungen den Gründungsvätern schienen, so durchgängig sind sie heute aufgehoben.

Deklinieren wir das: Eine Zeitung gehört einem Verleger, der mit ihr Geld verdienen will. Deshalb bestand eine Redaktion früher darauf, von der Verlagsseite unterschieden zu sein. Zwischenzeitlich gab es gar Redaktionsstatuten, in denen diese Unabhängigkeit festgeschrieben wurde. Schnee von gestern. Gerade wurde ein Chefredakteur geschasst, weil sein greiser Verleger nicht mochte, wem er ein Interview gegeben hatte, weil dessen Haus ein Buch eben des Verlegers nicht gelobt hatte.

Der Verlag verdiente dereinst sein Geld mit den Verkaufserlösen und mit der Werbung, die er in seinem Medium zuließ. Die Redaktion legte Wert darauf, dass Anzeige als solche gekennzeichnet wurden. Heute finden wir alle Formen der Schleichwerbung und einen Reigen bunter Kooperationen, bei denen sich das Blatt mit Werbungstreibenden verbindet und verbündet. Der Begriff Schleichwerbung hat in dieser Melange längst seinen Sinn verloren. Er wird nichts mehr erschlichen. Alles geht.

Das Zeitzeugenprinzip ist gefallen. Den Inhalt des Blattes erfuhr die Redaktion früher durch ihre Korrespondenten oder die der Nachrichtenagenturen. Kluge, kritische, kundige Frauen und Männer vor Ort, mit allen Wassern gewaschen. Heute sind die Agenturen in den Händen derer, die man früher allenfalls als Werbungstreibende oder aber Gegenstand der Berichterstattung ertragen hätte: Politik und Wirtschaft.

Bloomberg: ein Broker, eine Agentur, ein Bürgermeister: staatsmonopolistischer Kapitalismus. Die wesentliche Grundlage der Medienberichte sind heute PR-Quellen. Manchmal scheinen sie auf, meist sind sie verborgen. Verleger sparen Geld, indem sie Redaktionen zwingen, PR zu nutzen; man weiß, dass diese dritten Zwecken dient.

In den Blättern sollte geschieden sein, was man Nachricht nannte und Kommentar. Dem Leser sollte klar werden, was wirklich passiert ist. Und was ein Kommentator dazu an Meinung vorzutragen gedenkt. Der Impuls sollte in seiner eigenen Meinungsbildung liegen, der des Lesers als Staatsbürger. Bild Dir Deine Meinung. Dieser Imperativ der Aufklärung ist heute zu einem Werbeslogan für eine Boulevardzeitung verkommen. Die neue Mischform heißt feature; sie verfolgt systematische die Vertauschung von Wirklichkeit und Wertung.

In den Blättern selbst findet nicht nur die betuliche Werbung statt, in der einem neuen Abo-Kunden eine Kaffeemaschine versprochen wird. Weite Teile sind Eigen-PR. Sie dienen nicht der Unterhaltung oder Information des Lesers, oder nur mittelbar. Vor allem dienen sie der Selbstdarstellung, des Herausstellens der eigenen Marke. Dabei wird Wettbewerb ausgetragen, also Geschäft gemacht. Eine Kampagne gegen einen vermeintlich oder tatsächlich korrupten Politiker kann am Ende auch eine Kampagne zur Darstellung des eigenen Markenanspruchs gewesen sein. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Man frage Wulff.

Die Blätter werden überbunt; es treibt sie die Manie, alle alten Grenzen zu überschreiten. Sie bieten zunächst ein Puzzle von Geschäft und Gesinnung, von Werbung und Wertung, von Unterhaltung und Manipulation. Dieses Nebeneinander verschränkt sich aber immer stärker zu einem Ineinander, das dem Leser kein Urteil mehr erlaubt, welcher Übung er sich bei der Lektüre aussetzt. Die Frage „Wem nützt, was ich da lesen?“ ist noch möglich, aber nur als rhetorische. Jedweder Quellenforschung ist durch die neue Qualität die Basis entzogen. Das zu Trennende hat sich in einer chemischen Reaktion so gewandelt, dass der Prozess nicht mehr umkehrbar ist. Man kann aus Eiern Rührei machen, aber nicht aus Rührei Eier.

Jüngst zeigten sich beim edlen Netzwerk Recherche in einer Runde der Chefredakteure selbst die wirklichen Spitzen der Branche unfähig, diesen Prozess der Verluderung begrifflich klar zu beschreiben. Ja, es gebe eine Boulevardisierung der Branche, aber man wolle keinen „trash“ in den Qualitätsblättern. Aha. Und dann kommen sie wieder die Floskeln, bei denen sich der alte Kant im Grab herumdreht: Aufklärung, Enthüllung. Auf die Frage nach der letzten großen Investigativen Leistung greifen die Helden nach Episoden ihrer Kindertage. Man verweist auf Barschel. Und auch zu Barschel kann man eine ganze Reihe von sehr ernsten Fragen stellen.

Schließlich: Die Grenzen zwischen Information und Desinformation fallen. Das ist keine Kleinigkeit mehr, man frage die Stasi, insbesondere ihre Opfer. Die Murdoch-Presse in England ist die Spitze dieser Bewegung. Ihr wird gerade wegen geheimdienstlicher Verfahren, insbesondere beim Ausspionieren und Abhören ihrer Opfer, der Prozess gemacht. Und die Leitende Dame der Murdoch-Blätter, die sehr schöne Rebecca Brooks, sagt ihrem Richter, sie verstehe sich als Journalistin, da dürfe man das. Warum pflegen selbst die übelsten Boulevardblätter den Aufklärungsmythos? Zwei Gründe: Um bessert im Trüben fischen zu können. Und um den Lesern ihre Niedertracht als erhaben darzustellen.

Die Verluderung der Presse hinterlässt den klassischen Leser in einem Zustand zwischen Wehmut und Zorn. Warum machten die alten Trennungsgebote Sinn? Nehmen wir das Beispiel der Sportwette. Man kann als Zuschauer auf den Ausgang eines Spiels wetten. Weil es ungewiss ist, wer heute gewinnt. Oder man kann ein Spiel spielen, um zu gewinnen. Alles ist vorbei, wenn die Trennung aufgehoben wird. In dem Moment, in dem die Spieler wetten und die Wetter spielen, bricht das System zusammen. Denn nun ist nicht mehr klar, ob der Spieler spielt, wie er gewettet hat und ob der Wetter gewettet hat, wie er spielen wird.

Die Aufhebung der Grenzen zwischen Verlag und Redaktion, zwischen Werbung und PR einerseits und Redaktion andererseits vernichten das Modell Presse. Wir alle sind Zeugen eben dieses Prozesses. Und verhalten uns paradox. Wir beklagen ein Phänomen, das wir selbst sind. Es ist wie mit jener Überschrift an der Autobahnbrücke, die ich las, als nichts mehr ging. Dort stand: „Du stehst nicht im Stau. Du bist der Stau.“

 

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4 Gedanken zu “Medienschelte: Wie die Presse unerträglich verludert;”

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    „Und dann kommen sie wieder die Floskeln, bei denen sich der alte Kant im Grab herumdreht: Aufklärung, Enthüllung.“
    Und wenn sie nichts finden, blasen sie einen Teppich zu überdimensionaler Größe auf. Über den Hintergrund erfährt der Leser rein gar nichts. Wieso kauft Niebel in Afghanistan einen Teppich?
    Dass er ihn dann nicht Linie fliegen liegt, versteht jeder, der seine Koffer genau betrachtet. Aber in der Maschine mit dem Teppich saßen auch Leute. Wurden denn deren Mitbringsel verzollt? Man erfährt nichts. Es geht nur um das Fertigmachen von Niebel über eine Bagatelle. Es fehlen der deutschen Presse einfach ein paar handfeste Affären aus Paris oder DC. Deutsche Politiker bieten nicht genug. Also muss ihr kleines Kreditchen und ihr kleiner Teppich ‚ran. Vermutlich deswegen macht Merkel lieber Urlaub in Templin. Da kann nichts schiefgehen. Man muss sich vorstellen, sie würde mit einer unverzollten Tischdecke aus Burano erwischt oder gar mit einem Rosenkranz aus Napoli! Das Theater! Schließlich kann doch nicht jeder eine Tischdecke aus Burano kaufen. Bis die letzte Schleckerfrau sich von ihrem zukünftigen Gehalt als KiTa-Tante einen unverzollten Teppich aus Afghanistan geleistet hat, wird das auf Niebel hängen bleiben. Sorry, Rita!
    Es kam schon der Vorschlag, allerdings aus der Politik, Niebel solle gehen. Von Broder kam, das Ministerium für Entwicklungshilfe solle gehen (Welt).
    Warum nicht der Zoll? Soll der Zoll gehen, damit wir alle im Ausland auf Schnäppchen gehen und bei amazon.com einkaufen können. Ohne Zollrechnung dabei.
    Wir wären glücklicher und Niebels neuer Afghane keine Affäre.
    P.S. Augstein fällt diese Woche auch nix ein.

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    Ich habe schon vor ein paar Jahren die Konsequenz aus dem gezogen, was Herr Kocks hier beschreibt: Ich habe das Abonnement meiner Lokalzeitung gekündigt. Wenn es das ist, was die Verleger wollen – bitte schön.

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    Die „Presse“ ist heute der „Fiaker“ im „Stau“! 95% des Inhaltes in der Tagespresse sind Blaehungen von abrutschenden Wichtigtuern. Besonders im Land der „Denker“ . In der Presse werden nur noch langfristige Meinungsfeldzuege inzeniert – vorwiegend von „Upstairs“ (In BRD die Grossindustrie, in USA von den Finanzgauklern, vom Vatikan der Pilgerzug zurueck ins Mittelalter, von Orthodoxlinks die Romantik des Kolchosengartensiedlervereins, von den „Machern“- „what’s in, in New Yaaark?“). In USA gibt es nur zwei Zeitungen welche noch „gelesen“ werden – NYT und Wash.Post – ansonsten ist die „action“ ohne Stau blitzschnell nur im Internet – durch die neuen „portals“ (Huffington Post, Politico, Foreign Policy, usw.) welche „mager“ funktionieren – ohne Ballast der „Zeitungen“. Beispiel „Foreign Policy“ web page – ganz schnell fuer einen Tag – die Ansichten/Weisheiten von Figuren welche wirklich hier und da und dort an „Geopolitik“ herumfingern in „Policy Associations“ welche dann den „Fahrern“ in Washington die Anweisungen fluestern. Also blitzschnell kann man in den Ring steigen zum Gegenschlag – den sie gerne einstecken weil dies fuer sie kalkuliert wichtiger ist um verschiedene Reaktionen sofort zuerkennen. (Also Leserkommentare wie Versuchskaninchen). Also direkt und blitzschnell. Aber auch ein Leserkommentar kann blitzschnell „global“ einschlagen: Schon ein Jahr vor der jetzigen „Wiederkehr“ der USA Macht nach Asien und der damit verbundenen ploetzlichen Sehnsucht fuer Beteiligung am „Law of the Sea“ – raste ein Leserkommentar ,geschrieben von mir, gegen das ‚British South Atlantic Empire‘ und im Bezug zum „Law of the Sea“ – dann irgendwie in verschiedene „blogs“ in Asien und in den Americas – manche mit asiatischen Schriftzeichen. Sogar bemerkt im „Pakistan Defense Forum“. „Only in America!“ – vor zwei Wochen ein Radioprogramm – Mittag- Leute mit Bildung welche nicht arbeiten muessen – Interview von einem ehemaligen Vizeausenminister ueber die NATO: „Die NATO weiss jetzt wirklich nicht was sie noch vollziehen sollte…“ und „Poland is landlocked and does not need submarines“. Sofort in den Ring gestiegen – ein e-mail an ihn gesandt (er wirkt in einer „policy foundation“) und Kopie an die Interviewerin: 1. Polen ist an der Ostsee – also nicht „landlocked“. 2. Die NATO wuehlt aktiv nach „Ausdehnung“ (cut the Atlantic-divide) – in den Suedatlantik-Suedamerika-West & Suedafrika: Studiere im Archiv der Konrad Adenauer Stiftung in Rio de Janeiro die „Debatten“ im Nov. 2010 und Nov. 2011 zwischen deutschen NATO Vertretern und dem Militaer Brasiliens (im Nov. 2011 sogar noch mit Leuten von „American University-Washington“ und „U.S.Marine Corps University“). Und habe den ex-Vize-Ausenminister auf die neue brasilianische „Amazonia Azul Tecnologia de Defesa“ aufmerksam gemacht welche die nuklaeren U-Boote baut und Uranium zu 20% rafinieren wird – damit die NATO „abgeschreckt“ wird von „Ausdehnung“ in den Suedatlantik. Seine Anwort kam in zehn Minuten: „Thanks!“ (von seinem Blackberry). Er war auch Professor an der U.S. Marine Akademie – wahrscheinlich jetzt zu alt oder ? Also jetzt – blitzschnell, mager, wach – nicht weiter ueber „Zeitungen“ nickern…

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