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Wer braucht seine Niere nach dem Tod?

Ok, Leute, lasst uns mal Tacheles reden: Es regnet, die Straße ist glitschig, ihr fahrt trotzdem mit 110 über die Bundesstraße. Der LKW auf der Gegenfahrbahn ist ganz plötzlich da. Und dann ist es vorbei. Mist. Zu früh. Echt blöd gelaufen.

Sinn macht so was niemals. Gerecht oder ungerecht ist es auch nicht. Am falschen Ort zur falschen Zeit. Die falsche Entscheidung getroffen.

Es ist also vorbei. Doch ist es das wirklich? Passiert die oben geschilderte Szene einer Spanierin, ist die Wahrscheinlichkeit doppelt so hoch als in Deutschland, dass im Tod des einen das Leben des anderen gerettet werden kann.

Denn in Spanien gilt die Widerspruchslösung bei der Organspende: Jeder ist ein potentieller Organspender – es sei denn, er entscheidet sich dagegen. Damit ist die Freiheit zu entscheiden hundertprozentig gewahrt. Doch die Zahl derer, die gerettet werden können, ist mindestens doppelt so hoch wie in Deutschland.

Wir hier haben die Zustimmungsregelung. Nur wer einer Organentnahme zu Lebzeiten zustimmt, kann nach seinem Tod noch Leben retten. Gerademal einer von fünf hier lebenden Menschen tut das.  Und so warten über zehntausend verzweifelte Menschen pro Jahr auf Spenderorgane. Sie müssen sich zwei- oder dreimal pro Woche in eine mehrstündige Dialyse schleppen, und werden am Ende doch nicht überleben. Sie kämpfen, doch ihr Kampf ist aussichtslos.

Nierenpatienten müssen jeden Schluck zählen, den sie trinken. Weil ihre Niere nicht mehr arbeitet, muss die Maschine ihr Blut waschen. Ein Weizenbier oder ein Apfelschorle auf Ex an einem heißen Sommertag ist für sie tabu. Am Anfang kommen sie mit der Dialyse noch zurecht. Doch schon nach wenigen Monaten wird sie zur Hölle auf Erden – und doch der einzigen Möglichkeit, um irgendwie zu überleben.

Viele Monate hat der Bundestag sich Zeit genommen, die Neuregelung der Organspende zu debattieren. Wer je miterlebt hat, wie ein Freund oder Verwandter nach einem Organversagen dem Tod ins Auge blickt, kann nur schwer verstehen, dass Menschen nach ihrem Tod an ihren Organen so festhalten, dass sie andere nicht mit der Gabe des Lebens beschenken wollen.

Ex-Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier hat seiner Frau eine seiner Nieren gespendet, damit sie weiterleben kann. Weil ihre Blutgruppen glücklicherweise passten. Aber auch, weil viel zu wenig Organe zur Transplantation zur Verfügung stehen.

Die humane Lösung wäre deshalb natürlich auch in Deutschland die Widerspruchslösung gewesen – so wie in Spanien, Portugal, Belgien, Österreich, Frankreich, Italien und Polen. Wer nicht spenden möchte, spricht sich dagegen aus. Alle anderen sind potentielle Spender – und retten so nach ihrem Tod Leben.

Doch der Bundestag hat anders entschieden: Nun soll jeder hier Lebende angeschrieben werden. Es bleibt bei der Zustimmungslösung, die so viele Menschenleben pro Jahr kostet. Zuerst im Jahr 2013, und danach in regelmäßigen Abständen wird jeder schriftlich aufgefordert, sich eine Meinung zur Organtransplantation zu machen. Man könne die Bereitschaft erklären, sie verneinen oder das Anschreiben einfach wegwerfen, erklärte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) laut Agenturmeldung.

So ist Deutschland also: Erklären. Verneinen. Wegwerfen.

Ganz prima. Es geht um Leben. Sie können gerettet werden. Oder sie können weggeworfen werden. Vielen Dank, Bundestag!

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8 Gedanken zu “Wer braucht seine Niere nach dem Tod?;”

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    @Parisien
    „Weiß jemand, was mit denen ist, die den Bogen wegwerfen?“
    Die bekommen einen neuen Bogen zum Wegwerfen zugeschickt. Föderales Subsidiaritätsprinzip (Ablaufschema): Problem erkannt -> deligiert -> bürokratisiert
    |Kann man bei der Durchsetzung Abgaben erheben?|
    1) Ja: -> Gründung einer neuen Behörde
    2) Nein: -> Appel von der heiligen Dreifaltigkeit Oligarchie – Politik – Bürokratie an die Moral der Bürger, denn bedenke: Wir können nur so moralisch sein, wie die, die uns wählen und wir sind ein freies Land mit freien Bürgern, die, wenn sie sich mal von der Bürokratie und den hohen Abgaben für unsere wohlgeschmierten Institutionen geknebelt fühlen sollten, immer bedenken sollten, daß wir die ganze Maschinerie mit deinen Steuergeldern nur deswegen gut geölt halten, um dir die Freiheit zu erhalten, die du immer weniger dabei hast. Das ist alternativlos.
    Und wenn dir ein überarbeiteter Mediziner das falsche Ersatzteil entfernt, weil es gerade gebraucht wird, muß eben den Krankenhäusern vorgeschrieben werden eine zweite Qualitätssicherungsabteilung einzurichten..

  2. avatar

    Forts.:
    Seit sich nach dem 2.Weltkrieg zeigte, welches Ausmaß die Vernichtung der eigenen Bevölkerung, hier vor allem der Juden, aber auch der UNNÜTZ erscheinenden Bevölkerungsanteile, hatte, traut niemand bei Verstand mehr seiner Regierung.
    Und seit Dr. Mengele und weiteren promovierten Ganoven dieser Art (siehe auch die Ausstellung der Charité in Potsdam über die Verbrechen der Pädiater) traut keiner mehr primär einem fremden institutionalisierten Arzt, also einem Krankenhausangestellten. Wenn der zu wenig verdient (KJN),traut man ihm noch weniger. Daher werden Sie in Deutschland niemals ein überwiegendes Ja zur Organspende kriegen.
    Weiß jemand, was mit denen ist, die den Bogen wegwerfen?

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    @Sigrid Voigt
    „Wenn 1 von 5 Leuten in Deutschland bereit ist, sein Organ zu spenden und es 12.000 Leute gibt, die auf ein Organ warten, dann fragt man sich, da ja in Deutschland Millionen Menschen wohnen: Wieso warten die ?“
    Das ist die „böse“ und berechtigte Frage an unser Gesundheitssystem, bei dem sich seit längerem herausstellt, daß es, privatwirtschaftlich-staatlicher Komplex organisiert, zu teuer und ungerecht ist. Das Vertrauen ist allerdings erschüttert angesichts der von Interessengruppen ausgehandelten zu hohen Preisen für Medikamente und Apparatemedizin und Auspressung des medizinischen Personals an Krankenhäusern (36 Std. – Schichten).

    Entsprechend bürokratisch reagiert, die Gesundheitsoligarchie, die sich alles, sehr wohl juristisch bis ins kleinste abgeklärt, risikoabwälzend, unterschreiben lässt.

    Ich werde mich der Zustimmung einer Organentnahme aus den genannten menschlichen Gründen nicht verweigern (auch um Organhandel angesichts eines Überschusses an Organen zu vermeiden erscheint das sinnvoll), aber die Frage nach der Berechtigung unseres uneffektiven Gesundheitssystems bleibt.

  4. avatar

    Liebe Frau Heckel!
    Wie nett von Ihnen, für die Ärztelobby, deren Funktionäre sich gerade eben mit einer saftigen Gehaltserhöhung hervortaten, wie auch für die Transplantationsindustrie- der Rubel rollt – zu schreiben.
    Wissen Sie, in diesem Land ist man seit Hitler misstrauisch. Man vermutet, dass mit Organspenderausweis schneller abgeschaltet wird und zwar i.d.R. beim Sohnemann, dem verunglückten Motorradfahrer von ca. 20J, an dessen Bett sich die Geier die Hand geben und Überzeugungsarbeit leisten, damit die Älteren noch ein bisschen länger auf Kreuzfahrt gehen dürfen. Erwachsenenorgane passen nicht in kleine Kinder, wohlgemerkt.
    Dass die Dialysepatienten ihre Getränke berechnen müssen, stimmt schon. Aber es ist nicht so, dass sie verdursten. Nur mit Ballermann wird es dann schwieriger.
    Lassen Sie es mich drastisch sagen, um auch mal einen Scherz der dunklen Art zu machen: Die Nazis und ihre Kinder haben Probleme mit dem Abtreten, weil sie auf ihre alten Tage fürchten, dass sie in die Hölle kommen. Scherz beiseite:
    Gute Regelung – man kann nein sagen. Was Steinmeier gemacht hat, steht jedem offen.

  5. avatar

    Ich bin nicht für eine Organspende. Ausnahmen ala Steinmeier lasse ich gelten … Organe spenden kann nur der lebende Mensch. Organe eines Leichnams können für eine Transplantation nicht verwendet werden. Das sollte man schon bedenken. Wer möchte lebend – freiwillig? – für tot erklärt werden?

  6. avatar

    Hallo, real ist das Thema ORGANSPENDE keines, das man hier eben mal kurz kommentieren kann/ sollte. Es geht real gar nicht um Patienten mit Nierenschäden. Ich fragte mich gerade selbst : Wenn 1 von 5 Leuten in Deutschland bereit ist, sein Organ zu spenden und es 12.000 Leute gibt, die auf ein Organ warten, dann fragt man sich, da ja in Deutschland Millionen Menschen wohnen: Wieso warten die ? Und meiner Meinung nach hat Politik nicht an den Körper von Menschen zu gehen – jeder trifft selbst eine Entscheidung–wenn er sich ausführlich informiert hat – also auch bestätigt findet, dass auch der Hartz IV- Empfänger mit einer Niere versorgt wird oder gar der Obdachlose–dann kann man auch von irgendeiner MORAL und ETHIK reden- ansonsten : … … …

  7. avatar

    Ein sehr guter Artikel! „Nierenpatienten müssen jeden Schluck zählen, den sie trinken.“, schreiben Sie. Das war mir gar nicht bewußt. Das mag naiv sein. Ich schätze aber, millionen anderer geht es ebenso.

    Die vom Bundestag beschlossene deutsche Regelung ist leider nur eine der üblichen Kompromisse. Das mag bei Steuergesetzen sinnvoll sein, bei Fragen um Leben und Tod in vielen Fällen eher fatal.

    PS: Ich habe seit einiger Zeit einen Organspenderausweis.

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