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Intellektuelle Taschenspielertricks: Benedikt vor dem Bundestag

Der den meisten Lesern dieses Blogs bekannte Kommentator EJ hat mir geschrieben: „Bilanz des Papstbesuchs: Benedikt beflügelt APOs Karriere.“ Da ist etwas dran. Dabei möchte ich keinesfalls als berufsmäßiger Papst-Basher Karriere machen.

So interessant ist Josef Ratzinger nun auch nicht, auch wenn die halbe Intelligenzia Deutschlands vor ihm auf den Knien liegt, was aber nur etwas über deren geistige Beschränktheit aussagt. Gerade dieses sacrificium intellectus macht es freilich nötig, die Ansprache des Papstes vor dem Bundestag

http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/benedict/rede.html

kurz zu kommentieren. Danach würde ich mich gern wieder anderen Themen widmen, wozu ein 14-tägiger Aufenthalt in Israel beginnend nächste Woche sicherlich einige Anregungen liefern dürfte.

Die Rede Benedikts XVI. galt der Verteidigung des „Naturrechts“, aus dem die katholische Kirche ihre Vorstellung dessen ableitet, was Recht und was Unrecht ist. Zum Beispiel die Vorstellung, die Homosexualität sei eine „objektive Störung im Aufbau der menschlichen Existenz“, weil sie der zweigeschlechtlichen „Natur“ des Menschen widerspreche. Der Papst plädierte dafür, dieses Naturrecht – und nicht das von ihm kritisierte „positivistische Rechtsverständnis“ und die Erkenntnisse der Wissenschaft  – wieder zur Grundlage der Gesetzgebung in Deutschland zu machen. Ein Ansinnen, das der säkulare, pluralistische Staat entschieden zurückweisen muss. Aber dazu gleich mehr.

 

Der Papst begann seine Rede typischerweise, indem er seinen Lehrmeister Augustinus zitierte, der Ende des 4. Jahrhunderts fragte: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“ Benedikt, für den Augustinus nicht eine aus seiner Zeit heraus zu verstehende historische Gestalt, sondern, wie er immer wieder sagt, „ein Zeitgenosse“ ist, hat in seiner Rede diese Aussage des Augustinus in keiner Weise relativiert. Er sagte vielmehr, die Nazidiktatur habe gezeigt, wie wahr die Aussage des Augustinus noch heute sei. Nun ist sicher ein Staat, in dem die Willkür herrscht,  „nichts anderes als eine große Räuberbande“. Aber wer den Nationalsozialismus im Gebäude des deutschen Reichstags anprangert, hätte doch auch sagen müssen, dass die Nazis erstens mit legalen Mitteln – mit den Mitteln des Rechts also – an die Regierung kamen; dass sie mit legalen Mitteln – mittels eines Ermächtigungsgesetzes des Reichstags, zu dem das katholische Zentrum seine Hand hob, und gegen das allein die SPD votierte – eine faktische Diktatur errichtete; und dass erst nach dieser christlich beförderten Selbstabschaffung der Demokratie die Pervertierung des Rechts möglich wurde.

 

Augustinus kannte die Demokratie nicht. Er sprach über das Römische Imperium. Tatsächlich sind Demokratie und Rechtsstaat die sichersten Bollwerke dagegen, dass der Staat zur „Räuberbande“ verkommt. Das Eine ist ohne das Andere wenig wert. Es ist bezeichnend, dass der Papst Rolle der Demokratie bei der Rechtsfindung und Rechtsverteidigung in seiner Rede nicht erwähnte. Denn die Kirche hat aus dem Naturrecht nie die Forderung abgeleitet, dass alle Menschen an der Leitung der Angelegenheiten des Staates – oder gar der Kirche! – beteiligt sein sollten. (Und zwar deshalb, weil es zur „Natur des Menschen“ gehört, dass sie verschiedene Fähigkeiten haben.)  Daran schon erkennt man die Problematik des Naturrechts, das der Papst – ausdrücklich nicht als Oberhaupt des Vatikanstaats, sondern als „Bischof von Rom“ – dem deutschen Parlament als Rechtsgrundlage nahelegte.

 

Woher kommt aber die Demokratie? Benedikt hat die Frage nicht beantwortet, weil er sie erst gar nicht gestellt hat. Er behauptete aber:

 

„Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas.“

 

Das ist keine neue Idee, vielmehr wiederholt Joseph Ratzinger diese Behauptung immer wieder. Dabei ist sie so offenkundig unsinnig, dass man sich fragt, warum es nicht wenigstens im Bundestag ein Gemurmel gab, als er sie auch dort vorbrachte. Denn jeder Abiturient weiß, dass die Kultur Europas – Deutschlands zumal – ebenso stark wie von „Jerusalem, Athen und Rom“ von der Stammeskultur der Germanen geprägt wurde. Und jeder Student der Jurisprudenz lernt schon im ersten Semester, dass unser heutiges Recht aus der „Begegnung“ (um mit Ratzinger zu reden) von germanischem und römischem Recht stammt. Man muss kein nationalistischer Romantiker sein, um zu erkennen, dass es gerade die Gewohnheitsrechte der Individuen und Kollektive innerhalb der germanischen „Räuberbanden“ waren, die – in der Renaissance neu formuliert als gott- oder naturgegebene „Freiheitsrechte“ – eine Grundlage der modernen Demokratie bildeten; dass die Vorstellung der Verfassung als eines „Gesellschaftsvertrags“ zwischen Stamm und Fürst, Volk und Regierung, der vonseiten des Volks zu kündigen ist, wenn die Regierung nicht dem Volkswohl dient, ein im germanischen Stammesrecht wurzelnder Gedanke ist, der in der Aufklärung – am prägnantesten in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung – neu formuliert wurde. Ich will das Germanentum nicht zu sehr strapazieren, auch weil es geschichtlich verschiedentlich missbraucht wurde; aber Benedikt missbraucht „Jerusalem, Athen und Rom“, wenn er den germanischen Beitrag zur abendländischen Kultur unterschlägt – und wenn er verschweigt, dass sich die Christen zu Zeiten des Augustinus häuslich im Römischen Reich eingerichtet hatten und dessen Staatsrecht, das eben keine demokratische Kontrolle und kein Gewohnheitsrecht kannte, zur rücksichtlosen Unterdrückung aller anderen Religionen – sprich der Religionen der Mehrheit – benutzten. Diese Unterschlagung und Geschichtsfälschung sollte einem im Hinblick auf Benedikts Absichten zu denken geben.

„Wie erkennt man, was recht ist?“ fragte Benedikt im Bundestag. Dann folgte eine zunächst verblüffende Antwort: „In der Geschichte sind Rechtsordnungen fast durchgehend religiös begründet worden: Vom Blick auf die Gottheit her wird entschieden, was unter Menschen rechtens ist. Im Gegensatz zu anderen großen Religionen“ jedoch „hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben.“

Das ist zwar nicht ganz richtig: wenn man etwa an die Verfolgung von Hexen und Ketzern, an die Sonderregelungen für Juden, Frauen usw. denkt, wird man kaum leugnen können, dass hier ein besonders übler Teil der Rechtsordnung „vom Blick auf die Gottheit her“ gestaltet wurde. Wenn wir aber um der Auseinandersetzung Willen zugestehen, dass es so ist, wie Benedikt behauptet: Warum ist das so? Warum haben die Christen nicht von der Offenbarung her eine Art Scharia verhängt? Weil die Christen  als Minderheit im Römischen Reich gar nicht die Rechtsordnung gestalten konnten. Als das Christentum nach der konstantinischen Wende zur Staatsreligion avancierte, hat es das römische Recht für seine Zwecke in Bewegung gesetzt. Typischerweise erklärt Ratzinger dieses geschichtliche bedingte – also zufällige – Faktum zu etwas Wesentlichem: „(Das Christentum) hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft…“

Das klingt gut und erinnert an die Regensburger Rede, in der Benedikt ebenfalls zu meinen schien, die Religion müsse der Vernunft entsprechen. In Wirklichkeit allerdings meint er, die Vernunft müsse der Religion entsprechen. Denn der Satz von den „wahren Rechtsquellen“ setzt er wie folgt fort: „ den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt.“ Womit intellektuell der Zirkelschluss vollzogen ist, eine für Benedikt geradezu konstitutive Gedankenfigur: Das Christentum leitet das Gesetz nicht aus der Gottheit ab, sondern aus der Vernunft, die sich aber aus der Gottheit ableitet. Taröööh!

„Von dieser vorchristlichen Verbindung von Recht und Philosophie geht der Weg über das christliche Mittelalter in die Rechtsentfaltung der Aufklärungszeit bis hin zur Erklärung der Menschenrechte und bis zu unserem deutschen Grundgesetz, mit dem sich unser Volk 1949 zu den ‚unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt’ bekannt hat“, erklärte Benedikt. Nun, wie wir gesehen haben, „geht der Weg“ ganz wesentlich in der Spätantike über die Verbindung von römischem und germanischem Recht infolge der germanischen Eroberungen römischen Territoriums; und überhaupt „geht“ da überhaupt kein Weg; sondern kämpfen da Menschen, oft in blutigen Kriegen und Bürgerkriegen, für ihre Freiheitsrechte, fast immer übrigens gegen die mit den Machthabern verbündete katholische Kirche, die bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil die Demokratie als „Irrlehre“ verdammte. Auch daran selbstkritisch zu erinnern hätte dem Pontifex Maximus nicht schlecht angestanden; aber da er das nicht tut, müssen wir es im Namen der geschichtlichen Fakten – das Wort „Wahrheit“ hat er endgültig verdorben – für ihn tun.

Nun kommen wir, wie versprochen, zum „Naturrecht“. Es war ja der Anspruch der Kirche, wie Benedikt XVI sagte, dass sie statt auf eine Offenbarung „auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen“ verweise. Das Christentum ist, wie Joseph Ratzinger bei anderer Gelegenheit in der Sorbonne gesagt hat, „eine physikalische Religion“. Das heißt: Es ging aus von der völligen Übereinstimmung zwischen seinen Lehren und den Erkenntnissen etwa eines Aristoteles über die Natur. Damit das so bleibe, durfte sich die Naturwissenschaft freilich nicht anmaßen, Aussagen über die Natur zu machen, die dem widersprechen konnten, was das Christentum behauptete. Noch einmal, und anders formuliert: gerade weil das Christentum „wissenschaftsgläubig“ war (und in Gestalt Benedikts noch ist), musste es die Wissenschaft zensieren. Galileo Galilei wurde ja nicht deshalb von der Inquisition verfolgt, weil er  das kopernikanische System verteidigte; der Vatikan selbst benutzte längst die Tabellen des Kopernikus zur Berechnung der Sternen- und Planetenbahnen usw. Galilei wurde verfolgt, weil er durch Beobachtung der Wirklichkeit beweisen zu können meinte, dass Kopernikus eine Aussage über die objektive Struktur der Natur machte. Seit Galilei ist das kirchliche „Naturrecht“ eben nicht mehr „Naturrecht“, sondern ein Recht, das sich auf die kirchliche Interpretation der Natur stützt. Wenn etwa die Biologie nachweist, dass homosexuelles Verhalten in der ganzen Natur verbreitet ist, also zum Spektrum natürlichen sexuellen Verhaltens gehört, dann erwidert die Kirche, zum „Wesen“ der menschlichen Natur gehöre nach der „schöpferischen göttlichen Vernunft“ aber die Zweigeschlechtlichkeit; niemals könne aus einer bloß „positivistischen“ Beobachtung dessen, was ist, abgeleitet werden, was sein soll. Das Beispiel Homosexualität ist nur ein besonders augenfälliges und absurdes Beispiel für das „Kopf-ich-gewinner-Zahl-du-verlierst“-Theologie Benedikts, die am „Naturrecht“ festhalten, aber die wissenschaftliche Erkenntnisse über die Natur nicht als eine Grundlage des Rechts akzeptiert, wenn sie der Offenbarung der Kirche widersprechen. Wie er vor dem Bundestag sagte:

„Ein positivistischer Naturbegriff, der die Natur rein funktional versteht, so wie die Naturwissenschaft sie erklärt, kann keine Brücke zu Ethos und Recht herstellen, sondern wiederum nur funktionale Antworten hervorrufen. Das gleiche gilt aber auch für die Vernunft in einem positivistischen, weithin als allein wissenschaftlich angesehenen Verständnis. Was nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist, gehört danach nicht in den Bereich der Vernunft im strengen Sinn. Deshalb müssen Ethos und Religion dem Raum des Subjektiven zugewiesen werden und fallen aus dem Bereich der Vernunft im strengen Sinn des Wortes heraus. Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewusstsein weithin der Fall –, da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt. Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist, zu der dringend einzuladen eine wesentliche Absicht dieser Rede ist.“

Und im Sinne dieser Einladung habe ich mich dazu geäußert. Der Papst bringt es fertig, in ein und derselben Rede einerseits zu behaupten, das Christentum betrachte traditionell „Natur und Vernunft“ als Grundlagen des Rechts, andererseits aber zu klagen, wo die Religion dem Bereich des Subjektiven zugeordnet würde und Naturwissenschaft und Vernunft herrschten, seien „die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt“. Dass kein Kind zu rufen wagt: Der Papst ist nackt!

Ich will mich nicht einmal mit der Bemerkung aufhalten, in einem Land, in dem eine ausdrücklich christliche Partei die Kanzlerin stellt, wirkt die Behauptung, hierzulande würde nur nach „positivistischer“ Vernunft entschieden, absurd. Wo lebt der Papst eigentlich? (Gut, in Italien. Man würde gern aus seinem Mund ein selbstkritisches Wörtchen zur wirklich „dramatischen Situation“ des Rechts dort erfahren, wo die Kirche – und Benedikt selbst – maßgeblich zur Installierung der Regierung Berlusconi beigetragen haben.) Ich will – frisch ausSchweden zurück – nur auf eine interessante Tatsache verweisen: Dort, wo die Kirchen den geringsten Einfluss haben und der Anteil der Atheisten an der Bevölkerung am höchsten ist, also in den skandinavischen Ländern, sind jene Gesellschaften entstanden, in denen sich nach allen bekannten Parametern des Glücks am besten lebt; in denen der Staat am ehesten jener „civitatis dei“ entspricht, die Augustinus auf Erden für unerreichbar hielt, und am wenigsten jener „Räuberbande“, die er während eines Großteils der Geschichte des christlichen Europa zweifellos war und in vielen Teilen der Welt noch ist. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

 

 

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67 Gedanken zu “Intellektuelle Taschenspielertricks: Benedikt vor dem Bundestag;”

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    @derblondehans: Auf den Gedanken, dass die kommunistische Strafjustiz in der DDR sich nicht mal um das von ihnen selbst geschaffene ’Recht’ scherte, willkürlich Menschen aburteilte … (Ihr Zitat)

    Gesehen habe ich es auch, da sie damit aber einen sehr wunden Punkt getroffen haben, bekommen Sie diesmal keine persönliche Geschichte. Die DDR-Volkskammer beschließt am 28.6.1979 eine Verschärfung des politischen Strafrechts (Staatsschutzdelikte sowie Zoll- und Devisenvergehen). Haben Sie gesehen Benedikt XVI. ist auch dabei. Was könnte er sagen? Ach wär sie nur katholisch, dann könnte sie beichten, bekäme unsere Absolution. Was könnte ich Ihnen sagen? Menschliche Schwäche und vieles mehr.

    Auch das kaum jemand ’Anstoß’ an ’Recht und Gesetz’ der ’DDR’ nahm – ist falsch. Das wissen Sie auch. Sonst gäbe es das Regime noch. (Ihr Zitat)

    Dafür hat es aber auch einen Entspannungsprozess geben müssen, um eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zustande zu bekommen. http://de.wikipedia.org/wiki/K....._in_Europa

    Sicher, es gab auch die Kirche in der DDR, die Opposition möglich machte.

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    Kerstin Sie rennen offene Türen ein (oder sind immer noch ‚DDR‘. Was ich eher glaube.)

    Kardinal Ratzinger 1996

    ’Die Frage, wie das richtige Verhältnis zwischen Kirche und Staat beschaffen sein muß, muß natürlich immer neu gestellt werden. Solange es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, daß die Grundwerte des Christentums auch Vorgabe für die Gesetzgebung sind, kann eine relativ nahe Verflechtung von Staat, Gesellschaft und Kirche durchgehalten werden, gibt Sinn und steht der Freiheit der Religion nicht entgegen. Aber wenn da keine Überzeugungen mehr dahinterstehen, kann natürlich eine zu starke institutionelle Verflechtung zur Gefahr werden. Deswegen bin ich nicht grundsätzlich dagegen, daß man in entsprechenden Situationen auch zu stärkeren Trennungsmodellen schreitet. Es hat insgesamt der Kirche eher gutgetan, daß sie sich nach dem Ersten Weltkrieg aus den staatskirchlichen Systemen lösen mußte. Die zu starken Verbindungen sind ihr immer schlecht bekommen. Insofern, denke ich, müssen die Bischöfe in Deutschland ganz realistisch überlegen, welche Formen der Verbindung von Staat und Kirche wirklich von innen her durch Überzeugungen gedeckt und dadurch fruchtbar sind, und wo wir nur Positionen aufrechterhalten, auf die wir eigentlich kein Recht mehr haben. Eine solche Bestandsaufnahme ist sicher angebracht und nötig.‘

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    @Alan Posener: Die Quellen, aus den vor allem im 19. Jh. aber auch bis 1945, als der Terminus „germanisches Recht“ oder schlimmer darauf sich berufend „deutsches Recht“ noch nicht rechtens in Mißkredit geraten war, sind rar. Das meiste sind romanische Quellen – mit Caesar wurden wir bspw. im Lateinunterricht traktiert – und schilder kriegerische Auseinandersetzungen mit Stämmen, die man geographisch – nicht ethnisch – als Germanen zusammenfaßte. Im 3. Jh. gibt es wenige von nicht Landesfremden verfaßte Quellen (Runenschrift), im 6. Jh. sind es vor allem dort lebende Romanen, die mündliche Überlieferung aufschreiben, oft sind diese eher sagenhaft. Aus dem 19. /20.Jh sind einige Rechtsgeschichte mittlerweile als Scans bei google book zugänglich. Über die Inhalte dürften Sie eher erschrecken und den Papst dagegen als hellstleuchtende Aufklärung preisen. Was schriftlich überliefert wurde, steht immer schon unter dem Einfluß lateinischer Autoren, abgesehen auf archälogische Zeugnisse, die partiell etwas aus rituelle Stätten oder den Things erschließen lassen.

    So hat es ein mir immerhin sympathischen Grund, wenn Benedikt sich nicht auf kollektivistisches, antiliberales Recht der sog. „Germanen“ bezieht. Manchmal muß man halt bedenken, daß wenn man auf den Papst zeigt, man nicht vergessen darf, daß drei Finger auf einen zurückzeigen.

    Die synchrone Geschichtsbetrachtung Benedikts läßt sich schlecht aus der Perspektive einer diachronen kritisieren. Ernst Troeltsch unterscheidung von absoluten und relativen Naturrecht, die auch Blochs „Naturrecht und menschliche Würde“ aufgreift wäre die bessere Wahl, um das absolute Naturrechts des Augustinus als Apologetik zu kritisieren, die das irdische Jammertal verklärt. (Die Haltung Blochs zu den Moskauer Prozessen, die im Grunde seine eigene Philosophie verrät: „Kein Kampf, nichts Gutes ohne Rußland“ zu kritisieren, rennt so sehr eine offene Tür ein, daß ich vielleicht noch ergänze, daß Bloch Stalin für einen Jüngling hielt, der „sich so vieler Feinde zu entledigen hat und sich ihrer so hart entledigt.“, also alles andere als blind war, was da sich zutrug und es auch im privaten Zimmer verteidigte, wie der Briefwechsel mit Schumacher zeigt. Selbst sein Sohn Jan-Robert verteidigte nichts daran. Und das Naturrechtbuch korrigiert seine früheren Urteile in einer Weise, die sicher Benedikt entgegenkommen. Wenn der Papst in den Reichstag eingeladen wird, muß man sich allerdings auch nicht wundern, wenn der Papst kommt. Die Positivismuskritik, einschließlich der Kritik an Kelsen, zu widersprechen, dürfte in die Hose gehen. Anders als die Carl Schmitts hat diese kein antisemitischen Ober- und Untertöne. Die finden wir dann eher in den Wahnvorstellungen eines Weltsouveräns und wenn sich auf Völkerrecht heute vor allem gegen Israel berufen wird und stützt den antikapitalistischen Wahn einer Weltverschwörung des Judentums. Da laß ich den Papst reden und denke Der Kavalier genießt und schweigt. Wenn das Unrecht in die Form positiven Rechts gegossen wird, wird die abstrakte Negation des Naturrechts (das ja bei den Katholen auch ein Recht auf Widerstand einschließt und nicht nur wie im GG zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung) gar nichts bringen.

    Das Recht – auch Rechtsnormen sind ja kontrafaktische Verhaltenserwartung und kein Naturgesetze – hat immer ein überschießendes Moment, was man leicht einsieht, wenn man bedenkt, daß die Gleichheit vor dem Recht mehr ein Desiderat ist als bereits verwirklicht. Und nachdem man die Gesetzgebung von Nuttenkanzler Schröder nach zehn Jahren überprüft und sie zu Protest geht, für die Huren haben sich Verbesserung gar nicht eingestellt, dürfte man nach Maßstäben fragen, ob eine faktische Rechtsnorm der Gerechtigkeit entspricht oder nicht. Die bundesrepublikanische Verfassung, das Grundgesetz, hatte ja auch naturrechtlich Momente. Allerdings hat Naturrecht ein Geschichte, so wie ja auch die Sexualmoral.

    Wo man Sexualfeindschaft und Sexualunterdrückung gern dem Katholozismus oder dem Christentum allgemein zuschreibt, muß man – etwa Jos van Ussels „Sexualunterdrückung. Geschichte der Sexualfeindschaft.“ zur Kenntnis nehmend – das auch, wenn man den Papst kritisieren will, zurückweisen. Der Ursprung sind gar nicht christliche Vorstellungen, sondern die sozioökonomischen Bedingungen bei der Verbürgerlichung der westlichen Gesellschaften, es ist eine negative Auswirkung des Prozesses der Zivilisation im Sinne von N.Elias. Daß das Erotisch ins Neurotische sich verwandelt, ist schon bei Paulus ein nicht aus der „religiösen“ Tradition stammendes Element. Die Kritik Schalom Ben Chorins daran verweist ja an die erotische Dimension etwa des Hohen Liedes. Augustinus Civitas Dei, XIV c. 16 schildert einen Orgasmus, den heute so mancher vermissen dürfte. Das 14. Buch spricht dafür, daß er mehr als eine abstrakte Vorstellung vom „Aufruhr des Fleisches“ hatte als manche Männer, die heute ihrem Penis nachrennen und sich wohl mit dem Koranischen „Das Weib ist das Saatfeld des Mannes“ gern anfreunden würden.

    Die Geschichte der Christlichen Philosophie hat so seine Paradoxien. Bei der Bekämpfung des lateinischen Averoeismus wurden die bislang gar nicht so verbreiteten Thesen des radikalen Aristotelismus in überspitzter Form vom Bischof von Paris veröffentlicht. Tempier verdanken wir ihre Verbreitung. Die These, daß Religion und Vernunft in Einklang sein sollen, vertreten von Thomas dem Aquinaten, hatte die Konsequenz, daß mehr das, was Thomas ablehnte, von ihm gefördert wurde, der radikale Nominalismus höhlte die ständische Ordnung aus und antezipierte eine bürgerliche.
    Da verbeiß‘ ich’s mir den Papst zu schalten, wenn er den Einklang von Religion und Vernunft einklagt, der sich theologisch begründen lasse. Ratzinger war da wohl den Thomisten näher als sonst. Beim Versuch der Rechtfertigung ist nicht zum erstenmal das in die Brüche gegangen, was verteidigt werden sollte. Beim Nazismus klappt sowas natürlich nicht, weil da gar nicht ein Anspruch auf Autonomie und Konsistenz erhoben wird, das ist bloße Weltanschauung. Die Absurdität der Thesen sind ja geradezu darauf angelegt, daß man hinter den Phrasen die Drohung vernimmt und das Versprechen von der Beute was abzubekommen.
    Die Papstreden sprechen ja schon aus sich heraus für eine problematisch gewordenen Zustand, der gerechtfertig werden müsse und höhlen das aus, was sie glorifizieren. Da muß man nun wirklich nicht mehr für Spott sorgen, sondern die Durchführung fordern. Hic Rhodus, hic salta. Ist zwar nicht der Rhodus, sondern das Stöckchen, aber einen großen Sprung kann man schon erwarten. Besser als ein volksgemeinschaftliche Renaissance germanischen Rechts. (Daß dieses ein gewisse Rolle spielt etwa im BGB – während die Verordnung zum „Eigentum“ römisch sind, sind die zum „Besitz“ „germanisch“ – gebe ich ja durchaus zu. Uwe Wesel (Juristische Weltkunde 92ff) hat ja mal das von Savigni auf die Spitze getriebene Abstraktionsprinzip schön kritisiert, mit dem Juristen bis heute gequält werden. Das Römische Recht war da simpler und Savigni ging da ganz unhistorisch und in fehlerhafter Auslegung mit dem Römischen Recht um. Benedikt ist da simpler gestrickt und man sagt ihm nach, daß er einen Vorkoster mitnimmt, wenn er Jesuiten besucht. Von deren Seite mußte er ja ein Kritik zur Kenntnis nehmen, daß er mit dem Ausweichen in die Bequemlichkeit irrationaler Entscheidung anstelle von rationaler Gotteserkenntnis aus der Sackgasse des neuzeitlichen Nihilismus gar nicht herauskäme.
    Da scheint sich in der Reichstagsrede Benedikts eine Wende vollzogen zu haben, jedenfalls Ansprüche, die Ratzinger nicht hätte erfüllen können, ohne dem Positivismus das Feld zu überlassen. Schauen ma mal, wie er sich auf dem glatten Eis bewegt.)

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    @ Kerstin

    (1)Lobbyismus/i>: Sie haben dafür kein Verständnis. Ich auch nicht. Aber unser Unverständnis ist schwer justiziabel zu machen. Sie können dem, wie Sie richtig sagen: unabhängigen Richterkollegium verbieten, bestimmte Interessenverbände zu treffen, den Unternehmerverband z.B. Aber wollen Sie auch, dass die Richter die Sozialverbände nicht treffen? Sollen Sie z.b. auch keine biomedizinische Ethikkommission treffen? Und wie wollen Sie‘ mit Amnesty oder diversen Umwelt-Lobbys halten? Usw. usf. Heißt: Sie müssten, wenn Sie’s rechtsstaatlich ordentlich machen wollten, die Richter von allen möglichen Informationen abschneiden, sofern sie von Lobbygruppen präsentiert werden. Ist das zweckmäßig? Oder Sie müssen für die Kirchen einen Sonderstatus definieren. Stellt sich die Frage: Wie? Und stellt sich die Frage, ob Sie auf Umwegen damit den Kirchen nicht genau das liefern, was die Kirchen gerne wollen.

    (2) So funktionierte doch nicht nur die DDR … OK. Wenn die kirchlichen Innenverhältnisse so sind, wie sagen (und ich glaube, dass sie mindestens partiell – in bestimmten Hierarchie-Strängen, in bestimmten Frömmigkeits-Milieus – so bzw. ähnlich sein können), welche Konsequenz wollen sie daraus ziehen? Verbieten? Doch wohl eher nicht. Oder?

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    EJ: Das war ein mindestens sehr ungeschicktes, wenn nicht viele Bürger kränkendes, im Sinne ihres Jobs: ein kontraproduktives Verhalten der Verfassungsrichter. (Mehr aber auch nicht.) Den Wunsch des Papstes, die Verfassungsrichter zu treffen, habe ich als (leicht) vermessen und als den Eindruck seiner Bundestagsrede störend empfunden. (Ihr Zitat)

    Es geht nicht um Kränkung. Es zeigt, wie stark Religion und Staat noch verbunden sind. Der Papst hat in seiner Bundestagsrede über Recht und Unrecht gesprochen und dabei seine Vorstellungen dargelegt. Dann trifft er sich mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichtes, dafür habe ich kein Verständnis.

    „Papst Benedikt XVI. hat mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts über Berührungspunkte zwischen Glauben und Gesetz gesprochen.“ Quelle: http://www.rhein-zeitung.de/na.....11580.html

    Das nenne ich Lobbyismus , so etwas darf es für mich nicht in einer unabhängige Institution mit ihren unabhängigen Mitarbeitern geben. Religion gehört für mich ausschließlich ins Privatleben.

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    @KJN: „Die zwangsläufigen Folgen davon kennen wir noch nicht (vielleicht eine Müllpolizei, Ökowacht oder schlimmeres..).“ (Ihr Zitat)

    Wirklich nicht? Ich weiß nicht ob die Folgen zwangsläufig sind, doch sollte man sie dringend berücksichtigen. Ich habe vor längerer Zeit schon einmal geschrieben:

    Beim Lesen des Buches Schalet von Sammy Gronemann habe ich den Sinn des Mülltrennens ernsthaft hinterfragt. Das Buch schrieb Sammy Gronemann 1927, er starb 1952 in Tel Aviv.

    Alles in einen Sack!

    „Auf einem Postamt in der Dorotheenstraße zu Berlin sieht ein Freund eines Tages mit Erstaunen …, wie ein Postbeamter mit einem Sack an den Briefkasten herantritt, auf dem mit großen Lettern geschrieben steht:

    Sendung nur für Berlin und Umgebung,

    die Briefe aus diesem Kasten darein leert und dann sich dem anderen Kasten zuwendet, der verkündet, dass in ihn nur

    Sendungen nach auswärts

    geworfen werden sollen. Den Inhalt dieses Kastens füllt er in denselben Sack, schüttelt ihn tüchtig,
    …. Wozu sind denn da die Inschriften angebracht, wenn alles in einen Sack kommt? ….
    Die Aufschriften sind nur fürs Publikum da. Das soll zur Ordnung erzogen werden.“

    Gekürzt.

    Gut, ich trenne auch Müll, muss man aber daraus eine Glaubensfrage machen. Schrecklich.
    Ich schrieb: Ich war entsetzt und bin bald verzweifelt. So erzieht man zu Denunziantentum, totaler Kontrolle und Gleichmachung.

    Totale Kontrolle, das sind nicht nur staatliche Einrichtungen, sondern das ist dann jeder Bürger. Als ich in Kiew war, ist mir so etwas passiert. Zunächst fand ich die Geschichte eigentlich nur amüsant. Das war sie aber gar nicht. Also:

    Wir wollten für Weihnachten ein wenig Wein und Sekt für eine Feier kaufen. Da zu dieser Zeit Alkohol nur in speziellen Geschäften und nur für Personen älter als 21 Jahre verkauft wurde, bin ich gegangen. Als die Verkäuferin kassieren wollte, ging in der Schlange hinter mir eine Diskussion darüber los, ob ich denn schon 21 Jahre alt wäre. Ich gab meinen Pass der Verkäuferin, aber auch dies reichte nicht, es wurde immer unangenehmer, bis ich meinen Pass auch den anderen zeigte. Da ich nichts zu befürchten hatte, fand ich es erst einmal lustig. Wenn aber jeder Bürger sich an diesen Kontrollsystem beteiligt, weil es doch für ihn nur die eine Wahrheit gibt, wird es richtig unangenehm für Andersdenkende, vor allem auch für politisch Andersdenkende, in jeder Hinsicht.

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    @ Kerstin: Parallelgesellschaften

    Ja. Das wäre, bei – aus kirchlicher Sicht – halbwegs optimierten Verhältnissen (z.B in Dtld. Verzicht auf staatliche Privilegien), vermutlich in gewissem Umfang die Folge. Dass sich die Verhältnisse in diesem Sinne irgendwie flächendeckend in Deutschland und Europa „optimieren“ lassen, glaube ich aber eher nicht. Religion und Kirchen sind in Europa ganz anders in die Geschichte eingewoben als z.B. in den USA. Sie werden sich, wie auch immer, eher weiter mit der Geschichte Deutschlands und Europas verändern als z.B. durch päpstlichen Wunsch oder Befehl. Das ist der Preis, den Religion und Kirchen in Europa für das europäische – verstehen Sie das Wort auch als Metapher, bitte: Staatskirchentum zu zahlen haben. Die Rede des Papstes vor dem Bundestag (und seine parallelen pastoralen Bemühungen) verstehe ich als den ironisch-tragischen Reflex genau darauf.

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    @EJ: Jetzt habe ich die Probleme der Eltern und Kinder beschrieben, es gibt aber noch eine andere Seite: die Mächtigen. Ich hatte schon einmal geschrieben:

    Gleich nach der Wende habe ich zwei Bücher gelesen, von 1) Hans-Joachim Maaz „Der Gefühlsstau“ und von 2) Wolfgang Leonhard: „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ und angefangen dieses System zu verstehen.

    „Die ganze DDR glich einem Riesentempel pseudoreligiösen Kult: gottgleiche Führerverehrung, Heiligenbilder und Zitate ihrer Lehren, Prozessionen, Massenrituale, Gelöbnisse, strenge moralische Forderungen und Gebote, verwaltet von Propagandisten und Parteisekretären mit priesterlicher Würde.“ 1)

    Das entscheidende Wirkprinzip des real existierenden Sozialismus war Gewalt: Es gab die direkte offene Gewalt durch Mord, Folter, Schießbefehl, Inhaftierung und Ausbürgerung, und es gab die indirekte Gewalt durch Rechtsunsicherheit, Repressalien, Drohungen, Beschämungen, durch Indoktrination und durch ein System von Nötigung, Einschüchterung und Angst 1)

    … bis der Mechanismus der Selbstversklavung und Selbstzerstörung gesichert war. 1)

    So funktionierte doch nicht nur die DDR, so funktionieren für mich abgeschlossene Systeme. Die Mächtigen, die den Macht- und Wahrheitsanspruch haben, müssen diesen auch erhalten. Dafür gibt es dann Lügengeschichten von der moralischen Überlegenheit. Um das aufrecht zu erhalten, wird auch mal über Verfehlungen hinweggesehen. Eine große Rolle spielt sicher auch die Geheimhaltung und Vertuschung. Die „Propagandisten und Parteisekretären“ haben Privilegien, die sie nicht verlieren wollen. Überzeugung spielt natürlich auch eine Rolle, außerdem sind auch die „kleinen“ Mächtigen wieder Abhängige. Das macht erpressbar. Das ist ein Kreislauf, der jedes Recht außer Kraft setzt.

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    @EJ: Aus meiner Sicht ein wohlbedachtes Unternehmen, dass mit dem auffällig “orthodoxen” Zusammenhalten (wenn nicht Zusammentreiben) seiner Schäfchen zusammenstimmt: ‘Ihr lebt jetzt in Fährnissen der Demokratie. Zusammenbleiben!’ (Ihr Zitat)

    Wie soll das aussehen? Mündet dieses Zusammenhalten in Parallelgesellschaften mit ihren eigenen Gesetzen und Regeln. Soll das die Zukunft sein? Geschlossene Gesellschaften für die der Staat unter Umständen zwar bezahlen darf, aber kaum Kontrolle ausüben kann. Oben habe ich geschrieben, da wünsche ich den Opfern (Missbrauch) sehende Eltern, dies reicht aber nicht, man braucht auch handelnde Eltern, Eltern denen das Wohl ihrer Kinder wichtiger ist als irgendeine Ideologie oder Religion. In geschlossenen Gesellschaften, damit meine ich auch Abschottung, mit eigenem Moral- und Rechtsempfinden existieren gleichzeitig Abhängigkeiten der Kinder und der Eltern gegenüber den Mächtigen. Werden Eltern handeln, wenn sie selbst abhängig sind? Werden Eltern handeln, wenn sie selbst durch solch ein System geschult wurden? Glauben Sie, dass in einem geschlossenen System Selbstkontrolle funktioniert und es keinen Machtmissbrauch (psychische, physische Ausbeutung oder gar Kindesmissbrauch) gibt? Ich nicht! Und noch etwas. Wenn alle das gleiche Machen, weil es nur eine Wahrheit gibt, und manche Fragen einfach nicht gestellt werden, dann gibt es auch keine Korrektur.

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    … ich kopiere mich selber. *rofl*

    Das Märchen vom (theologischen) ‘Antijudaismus’ ist lächersam. Das das Missionsgebot aus Mt. 28,19, gerade auch für das eigene Volk des HERRN gilt, kann nicht ernsthaft in Frage gestellt werden, denn wenn die Juden nicht der Erlösung durch Christus bedürften, dann wäre das gesamte Neue Testament schlicht überflüssig.

    Jede Religion, die etwas auf sich hält, muss sich für die einzig wahre halten, da sie ansonsten qua Selbstaufgabe überflüssig ist – was dem deutschen Protestantismus faktisch schon widerfahren ist.

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    @ Kerstin: Es wird sich an der Karfreitagsfürbitte nichts ändern und auch nichts an dem Verhältnis zu den Juden.

    Das nehme ich ebenfalls an.

    Trotzdem halte ich Ihre Interpretation der Erwähnung Kelsens für eine Überinterpretation. Ihre Lesart lässt den sachlich-thematischen Zusammenhang (Naturrecht vs. Rechtspositivismus), in dem Kelsen seinen sachlichen Platz hat, gänzlich unter den Tisch fallen. Man kann die Erwähnung Kelsens auch völlig sachlich legitimiert lesen. Gegenüber der sachlich-„natürlichen“ Lesart halte ich Ihre Interpretation für zu spekulativ und weit her geholt.

    (Sie meinen z.B., dass der Papst meine: Du bist und bleibst Jude. Du kannst dich nicht selbst machen. Das würde genau die Judenmission, die gerade von Ratzinger befürwortet wurde, ad absurdum führen. Stellt Ratzinger als Papst die Judenmission, weil hoffnungslos, jetzt ein? Das wäre theologisch eine Sensation! – Gibt die Papst-Rede das wirklich her? Meinen Sie das im Ernst?)

    Für Ihre These spricht aus meiner Sicht vorläufig nicht mehr als der Generalverdacht des Antijudaismus. In dem steht die Kirche allerdings zu Recht. Der Nachweis für den Einzellfall ist trotzdem immer konkret und stringent zu führen.

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    @KJM: Ja, Sie haben schon recht: Es besteht permanent die Gefahr, dass sich die Demokratie als Oligarchie davonschleicht, wenn man nicht aufpasst. Das ist an vielen Stellen wohl auch schon geschehen. Aber wie gesagt: M.E. ist es eine qualitative, keine quantitative Frage, ob ein System noch demokratisch ist oder schon nicht mehrt.

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    @Kerstin

    ‚Hans’ – als Name, kommt aus dem biblischen, den hebräischen und bedeutet etwa soviel wie: Gott ist gütig. 😉

    Auf den Gedanken, dass die kommunistische Strafjustiz in der DDR sich nicht mal um das von ihnen selbst geschaffene ’Recht’ scherte, willkürlich Menschen aburteilte und ermordete, kommen Sie wohl, nach nunmehr 22 Jahren Untergang des Verbrecherregimes, nicht – mhmmm?

    Auch das kaum jemand ’Anstoß’ an ’Recht und Gesetz’ der ’DDR’ nahm – ist falsch. Das wissen Sie auch. Sonst gäbe es das Regime noch. Das mögen Sie bedauern. Ich nicht.

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    @ Kerstin

    Mein treuer Diener Waldenstein ist einer meiner eifrigsten Radzurückdreher. Er ist auch ein weltweit anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der turiner Grabtuchwissenschaften. Nur wer sein geniales Meisterwerk:

    „Neueste Erkenntnisse über das Turiner Grabtuch“

    http://www.weltbild.de/3/14634.....schreibung

    gelesen hat, kann ermessen, welch tiefschürfende Rede ich letzte Woche im Bundestag gehalten habe.

    Hier ein echtes MUST für meine treuen Papamaniacs:

    http://gloria.tv/?media=93281

    Tuet Buße und kasteiet Euch!

    Euer Papa mit den roten Schuhen

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    @Roland Ziegler
    „Demokratie ist nicht Diktatur, auch nicht die Diktatur der Mehrheit.“
    Das sagen Sie so fröhlich, aber wenn ich beobachte wie sich Meinungen offensichtlich gleichschalten lassen und mit welchen Konsequenzen, dann habe ich eben das Bedürfnis, gegen „Oligarchie“ anzureden:
    Ende der 1980er hatten wir in der Industrie „Total Quality Management“ mit der Konsequenz, daß die Hälfte der dt. Industrie ausverkauft wurde, in den 90ern stand bei der „Führung“ auf einmal „der Mensch im Mittelpunkt“, angestellte studierte Fachidioten mussten in psychologische Managementseminare um den Mitarbeitern „lean Management“ (Mehrarbeit+Entlassungen) schmackhaft zu machen und jetzt haben wir halt „Nachhaltigkeit“ die den Kindern bereits in der Schule (danke @Kerstin) infiltriert wird. (Bei Kindern hört für mich allerdings der Spaß auf.) Die zwangsläufigen Folgen davon kennen wir noch nicht (vielleicht eine Müllpolizei, Ökowacht oder schlimmeres..). Westliche Demokratien sind sehr anfällig für solche Moden, Programme und Manipulationen. Ich komme auch jetzt wieder zum Thema: Da ist die Sehnsucht nach einer verläßlichen Autorität groß und die Leute freuen sich, wenn der Papst etwas für sie nachvollziehbares sagt – ach was sage ich, überhaupt etwas sagt, was auf den ersten Blick nicht allzu weh tut.
    @derblondehans
    ..‘Ranschmeißen’ an den Grünen haben Sie, werter KJN, aber nicht verstanden
    Ich denke, letzteres beantwortet auch in etwa Ihren Einwand. Sie sehen, ich vergesse nix, aber statt mir nach Art der Piusbrüder zu sagen, ich wäre nur zu doof (stimmt ja auch manchmal) den Papst zu verstehen, hätten Sie mir auch auf die Sprünge helfen können, z.B. wie,
    @Alan Posener, der zu Recht darauf hinwies, daß Benedikt natürlich kein Anhänger von Thomas von Aquin ist, der mit der Scholastik das erste Denksystem nach Art der heutigen Wissenschaft begründete. Letztere wird mir von den mir bekannten „katholischen Taliban“ aber immer als die Weltsicht aufgetischt, die sich mindestens mit der heutigen messen kann, wahrscheinlich, weil sie nicht ergebnisoffen, nicht empirisch (also rein deduktiv) ist.

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    @derblondehans: „… Ihr Mut imponiert. Sicher haben Sie in der DDR auch gegen die Umformung von Kindern zu realsozialistischen Mustermenschen, die zu Tausenden wie wilde Tiere in Heimen eingepfercht waren, Ihre Stimme ‘erhoben’. „

    Jetzt kommt meine persönliche Variante. Ich war sehend, aber nicht handelnd. Kinderheime habe ich nicht gesehen. Aber folgendes:

    Als Lehrling in der chemischen Produktion habe ich gesehen, wie man in der DDR mit Häftlingen umging. Bei meiner Arbeit musste ich manchmal durch einen solchen Bereich. Sie arbeiteten häufig an gesundheitsschädlichen Arbeitsplätzen, so waren sie doppelt bestraft. Jeden Tag kamen mehrere Busse mit Frauen. Es war für mich beängstigend und hatte auch etwas Disziplinierendes. Diese Frauen hatten relativ geringfügige Straftaten begangen, so hat man mir erzählt. Dabei muss man sicher berücksichtigen, dass es in der DDR andere Straftatbestände gab als heute.
    Für mich waren sie nach Recht und Gesetz verurteilt, also war es richtig, obwohl ich mich dabei sehr unwohl fühlte. Ich habe es sogar manchmal erzählt, es hat mich sehr beschäftigt, kaum jemand nahm Anstoß daran. Das Recht und die Gesetze sind Teil des Gesamtsystems.

    Deshalb braucht es eine unabhängige Institution wie das Bundesverfassungsgericht, das die unveräußerlichen Menschenrechte schützt und Gesetze außer Kraft setzen kann.

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    @ Kerstin & derblondehans: Erst Erwachsen mit 30 ? 1964 wartete ich im Konsulat Panamas in San Jose/Costa Rica auf ein Visum. Ein Lateinamerikaner welcher auch dort wartete, meinte: „Das Lebens eines Mannes ist zwischen 30 und 50: Vor 30 weiss man nichts und nach 50 kann man nichts!“

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    Was kann man in den Amerikas von dem Besuch des ‚Heiligen Vaters‘ im ‚Reich‘ lernen ? Ja, der German von heute ist „ueberamerikanisiert“ – sogar die Neo-Nazis sind „americanized“. Aber schau mal – das Ur-Reich ist noch im ewigen Hintergrund: Das Treffen im Augustinerkloster im Erfurt – nach 500 Jahren – und noch ist die Spaltung vollkommen. Die Wiedervereinigungfeier nach 1989, war im 1000 Jahre alten Dom in Manguncia/Mainz. Also da ist noch ein ewiges sich nicht modisch veraendertes Deutschland – und wer weiss nicht, wie nach dem spaeteren Ende des „Amerikarausches“ wieder eine selbstaendige mitteleuropaeische Kultur bluehen koennte…

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    @EJ: Ihre Frage zu Hans Kelsen.

    Der Papst sagte:
    Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit. (Papstrede)

    Wer ist er? Das sagt er uns im nächsten Abschnitt.

    Der große Theoretiker des Rechtspositivismus, Kelsen, hat im Alter von 84 Jahren, …

    Er ist Hans Kelsen, dessen Vornamen er nicht mit ausspricht. Warum nicht? Weil es ein deutscher Vorname ist? Hans Kelsen stammte aus einer jüdischen Familie, geb. in Prag 1881.

    “… wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit .

    Du bist und bleibst Jude. Du kannst dich nicht selbst machen.

    „Über die Wahrheit dieses Glaubens zu diskutieren, ist völlig aussichtslos“, bemerkt er dazu.5

    Mit 5 zitiert er Waldstein. Dies ist in der Redefassung auf Bundestag.de nicht zu erkennen. Wolfgang Waldstein, geb. 1928 hat Aktionen „zum Erhalt der alten Tridentinischen Messe“ gestartet. http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Waldstein

    Der Papst hat Wolfgang Waldstein gleich drei Mal zitiert:
    3 Vgl. W. Waldstein, Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft (Augsburg 2010) 11ff; 31-61.
    4 Waldstein, a.a.O., 15-21.
    5 Zitiert nach Waldstein, a.a.O.. 19.

    Die Tridentinische Messe enthält die Karfreitagsfürbitte für die Juden, die der Papst erst 2008 neuformuliert hat. http://de.wikipedia.org/wiki/K....._die_Juden

    „Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, …

    Meine Interpretation: Es wird sich an der Karfreitagsfürbitte nichts ändern und auch nichts an dem Verhältnis zu den Juden.

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    @ Martin Blumentritt: Wie sich im einzelnen die Beziehungen zwischen römischem und germanischem Recht gestalteten, mag strittig sein, aber dass es nicht angeht, den Beitrag des letzteren zur Rechtskultur Europas unter den Tisch fallen zu lassen, finde ich auch nach Lektüre Ihrer Ausführungen richtig. Und natürlich hat diese Auslassung bei Ratzinger ihren Grund, denn das germanische Recht wurzelt weder in Jerusalem noch in Athen, weder im „jüdisch-christlichen“ Glauben noch in der griechischen Vernunft. Und damit ist der Gedanke, nur aus dieser Verbindung könnte der Maßstab dessen, was Recht ist, entstehen, hinfällig. Das Gewohnheitsrecht ist nämlich vor jeder Kodifizierung da. Dass Sie Bloch zitieren, überrascht nicht. Auch Ratzinger zitiert ihn gern, etwa Blochs Kritik an Galilei. Kurz nachdem er Stalins Schauprozesse verteidigt hatte, verteidigte Bloch auch den Prozess gegen Galilei, weil ja für uns Menschen tatsächlich die Erde im Mittelpunkt der Welt immer bleibe und bleiben müsse, worauf die Kirche als für die menschliche Regelung der Dinge zuständige Institution (sozusagen Vorläuferin der bolschewistischen Partei) auch mit Nachdruck hinzuweisen das Recht, ja die Pflicht gehabt habe.(Die genaue Formulierung wollen Sie bitte meinem Papst-Buch entnehmen, das ich gerade nicht zur hand habe.) Ich sehe jedenfalls überhaupt nicht ein, weshalb man dem Christentum mit Bloch zugute halten soll, dass es ein Element des Utopischen in die Rechtsprechung einführt. Das Recht ist nicht dazu da, Utopien zu verwirklichen. Und auf die Utopie, die Bloch vorschwebte und Ratzinger vorschwebt, kann ich gern verzichten. Das genau ist es, was ich mit dem Undemokratischen, ja Antidemokratischen in allen politischen Äußerungen Ratzingers meine.

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    @derblondehans: Zum Glück haben Sie ja mal geschrieben, dass man erst mit 30 Jahren Erwachsen ist. Danke! Es gibt für mich natürlich noch weitere Gründe.

    * Wenn man gelehrt bekommt, dass das so richtig und notwendig ist, dass es nötig ist, weil die Eltern sich nicht kümmern können.
    * Außerdem hat man, denke ich, auch nicht immer den vollen Überblick über die Situation im Land, die persönliche Wahrnehmung ist ja nicht so groß.
    * Wenn es keine Einrichtungen der Korrektur gibt, wie Medien, Vereine und Opfergruppen.
    * Wenn alle mitmachen.
    * Solche Einrichtungen sind ja auch nicht immer öffentlich.

    Haben Sie den dritten Teil der Entweder Broder – Die Deutschland-Safari gesehen? Ich war entsetzt und bin bald verzweifelt. So erzieht man zu Denunziantentum, totaler Kontrolle und Gleichmachung.

    Also die Medien haben natürlich für mich einen außerordentlich wichtige Funktion in der Gesellschaft.

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    @ Kerstin

    Wenn der Papst meint, dass in Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, spricht er zunächst einen durchaus geläufigen Gedanken aus. In unserem Grundgesetz ist dieser Gedanke so berücksichtigt worden, dass die Grundrechte der demokratischen Mehrheitsentscheidung weitgehend entzogen sind. Artikel 2 bis 19 genießen besonderen Schutz. Sie sind zwar nicht nicht, aber nur sehr schwer änderbar. Artikel 1 und 20 sind gar nicht änderbar, auch nicht durch eine noch so einhellige Mehrheitsentscheidung.

    Natürlich schwingt in der Äußerung des Papstes noch ein anderer Gedanke mit. Die Würde des Menschen mag in einem unveränderbaren, jeder Mehrheitsentscheidung entzogenen Artikel der Verfassung/ des Grundgesetzes garantiert sein. Aber worin besteht die zu schützende Würde des Menschen im konkreten Einzel- bzw. Konfliktfall genau? Für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stellt sich die Frage ebenso. Heißt: Die in dürren Worten niedergeschriebene Grundrechte bedürfen in jedem Falle der Interpretation.

    Sicher hat der Papst auch im Zusammenhang der Interpretation der Grundrechte das Mehrheitsprinzip in Frage gestellt. Welche Bedeutung man dieser Infragestellung des Mehrheitsprinzips zuschreibt, hängt aber davon ab, in welcher Position man den Papst sieht. Stellt er das (ausgestaltende/ interpretatorische) Mehrheitsprinzip „von außen“ in Frage , liegt es nahe anzunehmen, dass er uns eine bestimmte Ausgestaltung bzw. Interpretation der Grundrechte „von außen“ zwangsverordnen will. (Denken Sie beispielsweise an die Gesetzgebung zur Abtreibung und zur Sterbehilfe und etwa zum Arsenal unserer biomedizinischen Möglichkeiten sozusagen dazwischen!)

    Stellt der Papst im Zusammenhang der Interpretation der Grundrechte das Mehrheitsprinzip jedoch „von innen“, also als Demokrat in Frage, weist er damit auf die besondere „ethische Relevanz“ solcher Grundrechte interpretierenden und ausgestaltenden Mehrheitsentscheidungen hin und empfiehlt Katholiken bzw. Christen sich an die einschlägigen katholischen/ christlichen Vorgaben zu halten. Er tut dann zwar genau das, was sein Job als (oberster) Priester seines Herrn ist: Er verlangt eine christliche Entscheidung seiner Schäfchen. Dabei bleibt er aber dennoch „drinnen“ und Demokrat, auch wenn er sicher darauf hinaus will, dass die Maßstäbe für alle Entscheider der demokratischen Mehrheitsentscheidung irgendwo außerhalb liegen.

    Was Kelsen betrifft: Ich glaube nicht, dass dem Papst wegen der Erwähnung Kelsens irgendwie judenfeindliche oder antisemitische Absichten unterstellt werden können. Wen hätte er sonst nennen sollen? Die Erwähnung Kelsens ergibt sich so „natürlich“ aus dem rechtsphilosophischen Zusammenhang, dass man dem Papst eher antijüdische oder antisemitische Tendenzen unterstellen könnte, wenn er Kelsen nicht erwähnt hätte. Kelsens Reine Rechtslehre ist der Antipode des Naturrechts.

    Nach seiner Bundestagsrede unterstelle ich dem Papst, wie gestern schon angedeutet, dass er „von innen“, als Demokrat gesprochen hat. Trotzdem hat mich die Bereitschaft der Verfassungsrichter, sich mit dem Papst zu treffen, ebenfalls irritiert. Das war ein mindestens sehr ungeschicktes, wenn nicht viele Bürger kränkendes, im Sinne ihres Jobs: ein kontraproduktives Verhalten der Verfassungsrichter. (Mehr aber auch nicht.) Den Wunsch des Papstes, die Verfassungsrichter zu treffen, habe ich als (leicht) vermessen und als den Eindruck seiner Bundestagsrede störend empfunden.

    @ Martin Blumentritt: Ein Stück weit liefert seine Rede auch eine Selbstkritik von Benedikt an Ratzinger.

    Genau so! Und wenn man Inhalt, Ort und Sprache („Gedanken … vorlegen“, „Überlegungen“) dazu nimmt, war es geradezu schon eine Kehre: Ratzinger ist als Papst in der politischen Wirklichkeit des Westens angekommen. Aus meiner Sicht ein wohlbedachtes Unternehmen, dass mit dem auffällig „orthodoxen“ Zusammenhalten (wenn nicht Zusammentreiben) seiner Schäfchen zusammenstimmt: ‚Ihr lebt jetzt in Fährnissen der Demokratie. Zusammenbleiben!‘

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    @Kerstin

    … Ihr Mut imponiert. Sicher haben Sie in der DDR auch gegen die Umformung von Kindern zu realsozialistischen Mustermenschen, die zu Tausenden wie wilde Tiere in Heimen eingepfercht waren, Ihre Stimme ‚erhoben‘.

    Oder? … wussten Sie davon (etwa) nix?

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    @ Hannes: Weitgehend. d’accord. Aber ich muss wiederholen: In meinem Beitrag steht doch gar nicht, dass der Papst gegen die (liberale) Demokratie ist, obwohl das stimmt: Er ist, das hat er wiederholt gesagt, für eine Demokratie, die sich von der Theologie leiten lässt. Mein Beitrag ist eine Auseinandersetzung erstens mit dem „Naturrecht“ als der von der katholischen Theologie vorgegebenen Grundlage für die Gewissensentscheidungen der Abgeordneten, und zweitens mit der Frage, inwieweit die Demokratie – richtig, Hannes, die liberale Demokratie, oder wie man es hierzulande weniger glücklich formuliert, der demokratische Rechtsstaat – aus sich heraus in der Lage ist, zu entscheiden, was Recht und Unrecht ist. Meine kühne Behauptung ist nun, dass Lincoln Recht hatte. „You can fool all of the people some of the time…“ etc., aber nicht „all of the people all of the time“. Wenn das nicht stimmt, dann haben wir allerdings ein Problem. Denn die liberale Demokratie setzt, bei allen Checks und Balances und bei allem Misstrauen gegen das Volk, das laut Hamilton „a great beast“ ist, am Ende auf die Weisheit der Massen, oder wie Jefferson sagte, darauf, dass „the people, rightly informed“ richtig entscheiden werden. Darum beginnt die Verfassung der USA mit den Worten: „We, the people…“ People hier als Citoyens, wohlgemerkt, als Bürger, nicht als „Volk“. Es führt hier wirklich zu weit, aber ich möchte darauf hinweisen, dass die beste Diskussion um den Widerspruch zwischen Demokratie und Liberalismus über 200 Jahre alt ist und sich in den Federalist Papers findet. Die Diskutanten kommen ohne Naturrecht im katholischen Sinne und ohne Gott aus, allerdings spielt das germanische – spezeill angelsächsische – Gewohnheitsrecht, wie ja schon in der englischen Revolution, aus der die Pilgerväter hervorgingen, eine interessante Rolle. Und ich fürchte, Jospeh Ratzinger hat dieses Gründungsdokument der liberalen Demokratie nicht einmal gelesen.
    @ Kerstin: Danke für die gut informierten und höchst informativen Beiträge. Der Papst-Angriff auf Kelsen war in der Tat perfide.
    @ KJN: Ich glaube nicht, dass man Benedikts Auffassungen als „scholastisch“ bezeichnen kann. Thomas von Aquin ist im Vatikan heute persona non grata. Augustinus ist angesagt. So jedenfalls die Klage vieler (auch hoher) Kirchenleute mir gegenüber.

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    @justrecently: Genauso ist es, er vereinnahmt die Widerstandskämpfer. Für die Gegenwart kann ich es aber auch so verstehen: Auch ihr Nichtchristen seid mir Willkommen, wenn ihr Widerstand leisten wollt gegen das für den Papst existierende Unrecht. Ihr müsst nur dem Gesetz der Wahrheit folgen.

    „Wenn Heiden, die das Gesetz (die Tora Israels) nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie… sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, daß ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab…“ (Röm 2,14f). (Papstrede)

    Die Vereinnahmung der Widerstandskämpfer fand ja nicht nur in der Papstrede, sondern findet oft genug in den Medien oder gar in der Politik statt. Wenn ich nur an den Film über Stauffenberg denke. Jedes Jahr zum 20. Juli wird Stauffenberg und seine Gruppe als großer Held gefeiert. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass das missglückte Attentat gegen Hitler erst 1944 stattfand, als bereits erkennbar war, dass Deutschland den Krieg verliert. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Wehrmacht an der Seite Hitlers gestanden. Schlimmer noch, sie haben Hitler mit in seine Position geholfen.

    Warum hat den Hindenburg Hitler zu Reichskanzler gemacht?:
    Als aus Kreisen konservativer Adliger auch noch argumentiert wird, man werde mit Hilfe der Reichswehr und erstarkter christlich-konservativer Kräfte die NSDAP in Schach halten, schmilzt Hindenburgs Widerstand zusammen,… Quelle: Chronik des 20. Jahrhunderts

    Bereits am 20. März 1933 wird in Dachau das erste Konzentrationslager der NS-Zeit eröffnet. http://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/

    Das Ermächtigungsgesetz war auch möglich, weil es massiven Terror gegen Andersdenkende gab. Viele Reichstagsabgeordnete vor allem der KPD und SPD mussten fliehen oder waren bereits verhaftet.

    Als mein Großvater im September 1940 aus der Emigration über die Schutzhaft im Sicherungslager Schirmeck-Vorbruck http://de.wikipedia.org/wiki/S.....k-Vorbruck nach Deutschland zurückkehrte, wurden gerade große Siege in Westeuropa gefeiert.

    Wenn ich solche Filme sehe, frage ich mich oft: Welchen Zweck hat das? Ich habe dann das Gefühl man will uns den Adel hier wieder politikfähig machen.

    Es gab im Übrigen mehrere Attentate auf Hitler. Die scheinen aber nicht ins Konzept der Medien zu passen. Am 8. November hat der Kommunist und einfacher Handwerker Georg Elser ein Attentatsversuch unternommen. Er war ein erklärter Kriegsgegner. Der einfache Mensch sah voraus, welche kriegerischen Entwicklungen auf unser Land zukommen würden.

    Ich will hier auch noch eine persönliche Bemerkung machen. Nicht alle Mitglieder meiner Familie waren Widerstandskämpfer, sie waren einfache Leute. Mancher Familienangehörige ist als einfacher Wehrmachtssoldat im Osten gefallen. Aber darum geht es letztlich nicht, sondern es geht um den Umgang mit der Geschichte und ihre Instrumentalisierung in den Medien.

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    „„Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas.“

    Das ist keine neue Idee, vielmehr wiederholt Joseph Ratzinger diese Behauptung immer wieder. Dabei ist sie so offenkundig unsinnig(…) (J)eder Abiturient weiß, dass die Kultur Europas – Deutschlands zumal – ebenso stark wie von „Jerusalem, Athen und Rom“ von der Stammeskultur der Germanen geprägt wurde.“

    Da ist dem Papst doch ein wenig mehr Recht zu geben, indem man bedenkt, daß die in den germanischen Nachfolgereichen des Imperium Romanum etwa von der Mitte des 5. bis ins 9. Jahrhundert hinein vorliegenden Rechtsaufzeichnungen bereits von der germanisch-abergläubischen Rechtskultur mit der römisch- christlichen geprägt war. Sie standen nie isoliert nebeneinander seit der germanischen Landnahme(Wobei germanisch eine geographische kein ethnisch Bezeichnung zu sein hat, wenn man keine deutschtümelnde Geschichtsmythen fabrizieren möchte). In lateinscher Sprache abgefaßt – sei es das Edictum Theorerici, Codex Euricianus und was auch immer im 5.-7. Jh. sei es das Pactus Legis Alamnnorum oder Lex Ribuaria im 7. – 9. Jh. stellen sie eine Durchdringung mündlicher Rechtstradition sowohl auf ehemals römischen bzw. alemannischen oder fränkischen Boden dar.

    Daher findet man in deutschtümelnden Apologten germanischen Rechts auch immer Hinweise, wie, daß das römische Recht – wie sie sagen – „mit Feuer und Schwert aufgezwungen“ sei. Und man beklagt den Individualismus des römischen Rechts, den Hannes Stein ja als liberal-republikanisch gegen ein volksgemeinschaftlich-demokratische Tradition, durchaus verständlich, verteidigt.

    In seiner Sozialgeschichte des Naturrechts schrieb Stefan Breuer: „Auch eine kritische Theorie der Religion kann nicht umhin, Hegel zuzustimmen, der im Christentum eine, wenn auch unvollkommene Manifestation des Allgemeinen in der Geschichte sieht, deren Geschäft seit Christi Geburt ’nur‘ noch darin bestehe, ‚daß die Religion als menschliche Vernunft erscheine, daß das religiöse Prinzip, das dem Herzen des Menschen inwohnt, auch als weltliche Freiheit hervorgebracht werde.‘.“

    Nicht zuzustimmen – aus einer Perspektive – Kritischer Theorie ist allerdings der idealistische These, die die Präponderanz des Allgemeinen nur behauptet und voraussetzt und nicht historisch begründet. Auch marxistisch kann dem Papst durchaus Recht gegeben werden, wenn er auf den kulturellen Überschuß der jüdischen und christlichen (bitte nicht mit Bindestrich zusammenziehen und den Gegensatz ignorieren, um nicht päpstlicher als der Papst zu sein) Tradition zu pochen. Der – mit Bloch zu sprechen – utopische Gehalt dieser Tradition ist gegen Rechtspositivismus und Kelsens „Verdrängung der Souveränität“ durchaus festzuhalten, will man nicht bestätigen, was bloß ist.
    Karl Heinz Haag hat Ratzingers irrationale Auffassung – in Metaphysik als Forderung rationaler Welterkenntnis – triftig kritisiert, wenn dieser den christlichen Glauben in einem „luftleeren Raum“(Glaube und Zukunft) ansiedelt, der dann nirgendwo in der Wissenschaft Bestätigung findet.

    Ein Stück weit liefert seine Rede auch eine Selbstkritik von Benedikt an Ratzinger. Und so gesehen hat das Parlament eine Rede gehört, die – bei aller Kritik, die sie verdient – das überragt, was sie sonst zu hören gewohnt sind.

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    @Hannes Stein/KJM: Demokratie ist nicht Diktatur, auch nicht die Diktatur der Mehrheit. Zumindest was wir heute darunter verstehen. Es ist Zufall, wer zur Mehrheit und wer zur Minderheit zählt; dieser Zufall darf für die Regierungsform nicht entscheidend sein. Diktatur / Oligarchie / Demokratie liegen nicht auf einer Ebene, sie lassen sich nicht rein quantitativ (d.h. hinsichtlich der Zahl derjenigen, die an der Macht partizipieren) unterscheiden. Bei der Demokratie sind prinzipiell alle Staatsbürger an der Macht beteiligt, woraus automatisch so etwas wie Minderheitenschutz folgt. Aus dem Minderheitenschutz folgen dann weiter die Individualrechte. Moderne Demokratie impliziert also Minderheitenschutz und Individualrechte. Natürlich gibt es liberalere und weniger liberale Spielarten, aber wogegen Sie anreden, ist eigentlich Oligarchie.

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    @Moritz Berger: „… dass der Papstbesuch über 30 Mill Euro gekostet hat“

    Das ärgert mich vielleicht als Steuerzahler. Gleichzeitig halte das für ein riesiges Ablenkungsmanöver, das vom eigentlichen Thema ablenken soll. Wie viel Einfluss der Kirche braucht der Staat? Es gibt ein riesiges Aufregen und anschließend machen alle weiter wie bisher.

    Wie laufen denn die Diskussionen in diesem Land: Irgendwer fühlt sich persönlich getroffen, dann gibt es einen Medienhype, der dann samt Thema verschwindet.

    Solche Verbrechen sind ganz sicher keine Peanuts, die Opfer haben mein ganzes Mitgefühl. Kinder müssen vor solchen Übergriffen beschützt werden. Dafür ist Aufklärung notwendig. Wenn der Papst sich mit vereinzelten Personen hinter verschlossenen Türen trifft, ist das lediglich eine Geste.
    Wieso hat es so lange gebraucht, bis eine solche Richtlinie herausgegeben wurde?

    Rom weise noch einmal „unmissverständlich“ auf die notwendige Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden hin. „Ich freue mich, dass der Heilige Stuhl (…) unsere Arbeit anerkannt hat“, sagte Zollitsch.

    Die Anzeigepflicht entfällt nur dann ausnahmsweise, wenn das Opfer es ausdrücklich wünscht. Quelle: Vatikan gibt Richtlinien vor http://www.n-tv.de/politik/Vat.....45546.html

    Da wünsche ich jedem Opfer starke und sehende Eltern. Das Problem war doch schon viel länger bekannt.

    „Selbstkritisch äußerte sich der Erzbischof zur Rolle der Oberhirten im Missbrauchsskandal: „Wir wissen, wo wir versagt haben. Wir haben als Kirche die Probleme zu spät wahrgenommen. Aber wir haben daraus gelernt.“ Quelle: http://www.n-tv.de/politik/Bis.....33151.html

    Das soll ich jetzt glauben? : Wir haben als Kirche die Probleme zu spät wahrgenommen.
    In der Politik wäre in einem solchen Fall ein Rücktritt fällig.

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    @Alan Posener
    Agnostiker, ja – das muß ein Wissenschaftler wohl nolens volens sein. Erstere und Religion: Zwei verschiedene paar Schuhe. Zumindest was die von Benedikt betriebene scholastische Auffassung von Gottesglauben betrifft, in der die „Vernunft“ bemüht wird und die ich ablehne. Wenn „etwas“ in mir glauben will oder soll, dann bestimmt nicht aufgrund irgendwelcher „vernünftiger“ Argumente.
    @ak
    Auch Zustimmung, „Wahr – Falsch“ nur bei der Logik und in axiomatischen abgeschlossenen Denksystemen überhaupt. Die Naturforschung ist aber per se mit Unsicherheiten behaftet, was vielen nicht klar ist und daher treibt mich das, was Sie mit Scientology angeführt haben um, bzw. genauso, was
    @Hannes Stein
    schreibt, nämlich, daß Mehrheiten wissenschaftsgläubig sein könnten, die mir, der ich vielleicht im Einzelfall glaube, es besser zu wissen, allzu viel vorschreiben.
    Ich weiß, daß ich nicht der einzige bin, der diese Befürchtungen hat und ich kenne einige, die mittlerweile in Benedikts Kirche „das kleinere Übel“ sehen, bei der Sorge um individuelle Freiheiten. Genau das hat, so vermute ich,
    @EJ
    in einem seiner früheren Kommentare zum Thema „Benedikt“ sagen wollen, als er von einem Korrektiv schrieb, daß die kath. Kirche liefere. Gehen Sie, EJ, nicht zu hart ins Gericht; ohne „APO“ (und natürlich Benedikt) gäbe es diese Diskussion gar nicht, die einiges von Gedanken abbildet, die bereits an „besseren Stammtischen“, aber in den Medien so nicht vorkommen.

  30. avatar

    An alle

    Wenn ich mir überlege, dass der Papstbesuch über 30 Mill Euro gekostet hat, dann enthalte ich mich hier jeglicher Diskussion über die Rede von Benedikt.

    Soviel zu den philosophischen Ausführungen.

    P.S. Es ist keinem der hier in diesem und im vorherigen Artikel zum Papstbesuch aufgefallen, das die Gespräche mit den Opfern der Pädophilie hinter verschlossenen Türen stattgefunden haben.

    Aber man bewundert die Rede von Benedikt im Bundestag.

    Aber für intellektuelle Florettfechter sind die Opfer nur peanuts !!!

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    @EJ: Tatsächlich macht der Papst sich (gerade über das von Ihnen jetzt kritisierte Naturrecht) sowohl die Erklärung der Menschenrechte als auch das deutsche Grundgesetz und damit den demokratischen Staat zu eigen. (Ihr Zitat)

    EJ da muss ich Ihnen jetzt widersprechen.

    Der Papst sagte:
    Wir Deutsche wissen es aus eigener Erfahrung, daß diese Worte nicht ein leeres Schreckgespenst sind. Wir haben erlebt, daß Macht von Recht getrennt wurde, daß Macht gegen Recht stand, das Recht zertreten hat und daß der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde – zu einer sehr gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte. ….

    Dann folgte sofort:

    Aber daß in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offenkundig….

    Er hält die Demokratien für zu schwach und geht davon aus, dass sie in eine Diktatur abgleiten. Er lehnt sie ab. Als Beispiel diente ihm der Nationalsozialismus. Hitler ist aber nicht durch das Mehrheitsprinzip an die Macht gekommen, sondern durch Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde. Dem folgten die Notverordnung vom 28. Februar 1933 und das Ermächtigungsgesetz am 31. März 1933.

    Der “Papst” zitierte den jüdische Rechtsphilosoph Hans Kelsen, der in den 20er Jahren aus seinem Amt als Verfassungsrichter verdrängt wurde, weil er den Einfluss der Kirchen auf das staatliche Recht zurückdrängen wollte, mit dem Hinweis, dass dieser „den Dualismus von Sein und Sollen aufgegeben“ haben soll. (Zitat Papstrede)

    „Kelsens wissenschaftliche Hauptanliegen war die Methodenreinheit, die keine Vermischung von Gefühlen mit juristischen Fragen zulässt. Sein Glaube an eine hierarchische Rechtsordnung bekräftigt das Legalitätsprinzip, das verhindern will, dass Verordnungen Gesetzesbestimmungen aufheben oder Gesetze der Verfassung widersprechen.

    Daraus folgte auch sein Eintreten für einen mächtigen Verfassungsgerichtshof als „negativer Gesetzgeber“, der Gesetze aufheben kann, wenn sie gegen die Verfassung verstoßen. Was damals revolutionär war und in vielen Demokratien mit Skepsis aufgenommen wurde, ist heute weltweit akzeptiert, sagt Olechowski. Quelle: http://derstandard.at/12671321.....eschichte-
    Fruehes-Exil-ohne-versoehnliche-Heimkehr

    Der kirchenkritischen Staatsrechtler Horst Dreier ist gar nicht erst zum Richter des Bundesverfassungsgerichtes gewählt worden. http://www.zeit.de/2008/07/Dreier

    Mit Befremden musste ich nun noch zur Kenntnis nehmen, dass der Papst nach seiner Rede im Bundestag auch noch mit Richtern des Bundesverfassungsgerichtes zusammentraf. (Quelle: http://www.tagesspiegel.de/pol.....28808.html)

    Was bitte soll ich davon halten?

  32. avatar

    @ APO: Benedikt will die Demokratie nicht formal aufheben. Das habe ich auch nie behauptet. Er will sie inhaltlich aushöhlen.

    Deshalb die Vergleiche mit Nazis, Kommunisten, Teheran usw. usf. Das ist so klar, dass sich alle inhaltliche Diskussion erübrigt. (Ich dummes Dummerchen! Gleich morgen gehe ich und lasse mich noch mal alphabetisieren!)

    Abschließend nur noch eine Laien-Frage zum (brillanten!) Stil Ihrer Argumention. Wie ist Ihre Akrobatik angemessen bezeichnet: Einfach nur als „Fallrückzieher“? Oder als „Sprung vom 10-Meter-Brett in’s leere Becken“? Was würden Sie für eine angemessene Bezeichnung halten?

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    Ob der Papst gegen die Demokratie ist, weiß ich nicht. Aber ich bin gegen die Demokratie. Ich will zB nicht, dass irgendein Mob per Abstimmung darüber bestimmen darf, was ich zum Frühstück esse.
    Ich bin also gegen Demokratie, allerdings bin ich dann doch wieder für LIBERALE Demokratie (die sich, dies nur nebenbei, am besten in Form einer konstitutionellen Monarchie verwirklichen lässt; Ausnahmen wie die Vereinigten Staaten bestätigen die Regel, wobei die USA unter einem Demokraten wie Andrew Jackson deutlich illiberal waren — ask the Cherokee). Das Wesentliche an der liberalen Demokratie ist aber gerade eben das liberale, nicht das demokratische Element: dh, es gibt gewisse Rechte, die auch durch Mehrheitsentscheidungen nicht gekippt werden können.
    An diesem Liberalismus hatten germanische Horden nicht den geringsten geistesgeschichtlichen Anteil. Insofern bin ich froh, dass Joe Ratzinger sie mit Missachtung gestraft hat.

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    @Alan Posener:“Dort, wo die Kirchen den geringsten Einfluss haben und der Anteil der Atheisten an der Bevölkerung am höchsten ist, also in den skandinavischen Ländern, sind jene Gesellschaften entstanden, in denen sich nach allen bekannten Parametern des Glücks am besten lebt;“

    Die Quislinge und Breviks bestätigen doch ganz sicher Ihre These!

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    @KJN:
    Wahrheitsaussagen gibt es in der Wissenschaft nur (oder sollte es nur dort geben!) in der Mathematik und der formalen Logik. Wissenschaft mit Wahrheitsanspruch sollte man mit der bei der Stiftung Warentest üblichen Formel bedenken „führt zur Abwertung“, weil sie gerne zur Weltanschauung ausartet (interessanterweise beruft sich eine der absurdesten religiösen Bewegungen mit ihrer Eigenbezeichnung gerade auf Wissenschaft: Scientology). Ansonsten geht es um Erkenntnis, und die ist zwangsläufig beschränkt und vorläufig, also genau das, was der Papst per definitionem nicht ist.

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    Man kann die Bundestagsrede von Ratzinger, inklusive Nebelkerzen,Rauchbomben und Blendgranaten, drehen und wenden – wie man will. Es gibt nur eine zentrale, dogmatische Argumentationslinie darin, die alles sagt: Kein wahres Recht, kein wahres Gesetz, keine wahre Gerechtigkeit – keine Verfassung, keine Moral, keine Wertegesellschaft – ohne Gott, ohne den einen Gott. Erkannt, weitergetragen, eingelöst nur vom Christentum, dem rein(en) katholischen. Daneben gibt es nichts, was Ursache und Ziel wäre, keine Vernunft, kein Wille, keine Erkenntnis – außerhalb davon. Dagegen hilft nur der Exorzismus von Atheisten, die sich für Gottes Söhne halten!

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    @ EJ: ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, nicht genau gelesen zu haben. Wie wär’s mit einem zweiten Versuch? Kleiner Hinweis: Benedikt will die Demokratie nicht formal aufheben. Das habe ich auch nie behauptet. Er will sie inhaltlich aushöhlen.
    @ KJN: Interessant. Ich glaube, die meisten Wissenschaftler sind philosophisch gesehen Agnostiker, was ja auch streng wissenschaftlich die einzig konsequente Haltung ist. Übrigens ist auch Richard Dawkins Agnostiker. Der Atheismus ist eigentlich nur eine Arbeitshypothese, abgeleitet aus „Occams Rasiermesser“, also der Forderung, die denkbar einfachste Erklärung für denkbar viele Phänomene zu suchen.

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    @KJN

    … das mit den ‚Ranschmeißen‘ an den Grünen haben Sie, werter KJN, aber nicht verstanden … die ‚Grünen‘ selber selber auch nicht … nun ja … ich versteh‘ die ‚Grünen‘ auch nicht … nicht wirklich …

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    @Alan Posener
    Gerade weil offensichtlich „die halbe Intelligenzia Deutschlands vor ihm (Benedikt) auf den Knien liegt„bedanke ich mich für Ihren „kurzen“ Kommentar, denn „gerade weil das Christentum „wissenschaftsgläubig“ war (und in Gestalt Benedikts noch ist), musste es die Wissenschaft zensieren“ – und tut es m.E., wenn auch indirekt, noch heute:
    Der Wissenschaftsgläubigkeit der Kirche entspricht spiegelbildlich der Atheismus vieler Wissenschaftler, als wenn sie nicht wissen könnten, daß ihre eigene Tätigkeit durch einen Wahrheitsanspruch ihren Sinn verliert.
    So springen Atheisten über das Stöckchen, daß ihnen mittelalterlich-scholastisch argumentierende Christen hinhalten.
    Das hat hierzulande zur Folge, daß Folgen wissenschaftlicher Forschung (Gentherapien, lebensverlängernde Maßnahmen, PID etc.) ohne Kirche(n), Ethikräte etc. nicht ausreichend in der Wissenschaft diskutiert werden. Genau hier hat sich Benedikt mit seiner Rede weiterhin gut positioniert und seine Hauptwaffe ist und bleibt, wie bei allen Fundamentalisten, der Kulturpessimismus. Die absolut notwendige Diskussion über „Folgeabschätzung“ naturwissenschaftlicher Anwendungen bleibt hier stecken – und Benedikts ‚Ranschmeißen‘ an die Grünen kommt nicht von ungefähr: Gleich und gleich gesellt sich halt gern.

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    Guter Artikel, insb. die Eingangsbemerkung, dass man dem Pontifex Maximus maximale Aufmerksamkeit geschenkt hat und jetzt langsam ablassen könnte, gefällt mir.

    Die vom Papst funktional genannten Verifikationsversuche zielen auf die Frage, wann bestimmte Aussagen richtig sind, d.h. „was der Fall ist“. Der Ethos zielt darauf, was gut ist, was man deshalb erreichen will, was also „der Fall sein sollte“. Dass die Fragen, „was der Fall ist“ und „was der Fall sein sollte“, eng miteinander verbunden sind, ist offensichtlich. Beide Fragen gehören zum Bereich der Vernunft im allerengsten Sinn; hier fällt nirgendwo etwas heraus.

    Zum Naturrecht: Dieser Begriff nützt wenig, denn es stellt sich sofort die Frage, was denn das Naturrecht ist, woraus es besteht. Gibt es z.B. etwas, das „wider die Natur“ ist? Wenn ja, warum gibt es das denn überhaupt? Ist nicht alles, was es gibt, Masssenmorde inbegriffen, im Einklang mit der Natur, aus ihr heraus entstanden und damit naturrechtlich gerechtfertigt?

  41. avatar

    @ Alan Posener

    Enttäuschend, APO! Viel Text! Aber (gezielt) vorbei an Ihrem zentralen Vorwurf gegen den Papst! Weil Sie Ihren Vorwurf nicht halten können!

    Sie schreiben in Ihrem Papstbuch (S.22 oben, 1.Aufl.), dass der Papst „nicht nur die innerkirchliche Demokratie ablehnt, sondern die Demokratie schlechthin.“ Sie haben diesen Vorwurf seitdem ständig wiederholt. Er ist wesentliches Moment Ihrer päpstlich beflügelten Karriere.

    Und nu‘? Nix dazu!

    Obwohl er das weder als Papst noch als Staatsoberhaupt des Vatikans hätte tun müssen, ja, es auf dem Staatsbesuch des vatikanischen Staatsoberhaupts sogar befremdlich klingt, spricht Benedikt ausdrücklich von „unserem deutschen Grundgesetz“, also auch seinem Grundgesetz. Tatsächlich macht der Papst sich (gerade über das von Ihnen jetzt kritisierte Naturrecht) sowohl die Erklärung der Menschenrechte als auch das deutsche Grundgesetz und damit den demokratischen Staat zu eigen.

    Benedikt XVI.: Von dieser vorchristlichen Verbindung von Recht und Philosophie geht der Weg über das christliche Mittelalter in die Rechtsentfaltung der Aufklärungszeit bis hin zur Erklärung der Menschenrechte und bis zu unserem deutschen Grundgesetz, mit dem sich unser Volk 1949 zu den „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ bekannt hat.

    Ganz abgesehen davon, wie historisch „richtig“ dieses Darstellung ist, sie gibt – gerade weil der Papst für das Naturrecht wirbt, das Menschenrechte und freiheitlich demokratische Grundordnung impliziert – ein eindeutiges und unüberhörbares Signal. Und das nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass Benedikt sozusagen in umgekehrter Richtung zusätzlich noch den aus seiner Sicht größtmöglichen Verzicht leistet:

    Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben.

    Nachdem Sie zuvor Ihre Stimme sehr laut erhoben haben, sprechen Sie Ihre – zum Ausgleich lange – Predigt jetzt in den Winkel, APO. „Der den meisten Lesern dieses Blogs bekannte Kommentator EJ“ ist enttäuscht, APO.

  42. avatar

    Ich find toll das in Schweden, einem Land in dem Katholiken in der Unterzahl sind, vor fast genau einem Jahr eine katholische Bildungseinrichtung, das ‚Newmaninstitutet‘ als die erste katholische Bildungsstätte seit der Reformation im 16. Jahrhundert, eröffnet wurde.

    Ein erfreuliches Zeichen zwischen Schweden und der katholischen Kirche.

    (Der englische Kardinal John Henry Newman (1801-1890), der der neuen Hochschule den Namen gibt, gehört zu den herausragenden Gestalten in der Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts. Mit 44 Jahren trat er als anglikanischer Theologe zum Katholizismus über. 1847 wurde er zum Priester geweiht, 1879 von Papst Leo XIII. zum Kardinal ernannt.)

    Ich bin ein Süd-Schwede. 😉

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