von Ursula Engelen-Kefer, langjährige stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist auf dem besten Weg, ihre Arbeitsmarktpolitik vollends „ad absurdum“ zu führen: Die Finanzierung der großzügigen „Geldgeschenke“ an die Kommunen -als Gegenleistung für die Übernahme der Kinderpakete und die Annahme des Hartz IV Kompromiss im Bundesrat- soll aus den Taschen der Bundesagentur für Arbeit genommen werden.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat dafür ein leicht nutzbares Pfand: Seit 2007 erhält die Bundesagentur für Arbeit einen Mehrwertsteuerpunkt (damals knapp 6,5 Milliarden Euro) als Gegenleistung für die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Von 2008 bis 2010 ist der Beitragssatz zur BA -auch als Teil der Konjunkturpolitik in der Wirtschaftskrise- weiter auf 2,8 Prozent abgesenkt, seit 1.Januar allerdings wieder auf 3,0 Prozent angehoben worden. Die Verringerung von 6,5 auf 2,8 Prozent entspricht einer Entlastung der Beitragszahler -Arbeitgeber und Arbeitnehmer- von 30 Milliarden Euro im Jahr.
Dies ist ein beachtlicher Beitrag zur Förderung der Konjunktur. Infolge der hohen Ausgaben für die Kurzarbeit zur Bekämpfung der Beschäftigungskrise und Verhinderung von Arbeitslosigkeit erwartet die BA in diesem Jahr ein Defizit von etwa 5 Milliarden Euro und 2012 von noch einmal 2,2 Milliarden Euro. Würde der Anteil an der Mehrwertsteuer -wie von der Bundesregierung geplant- reduziert, steigt das Defizit der BA weiter an.
Im Rahmen der 2010 beschlossenen Kürzungsmaßnahmen der Bundesregierung muss die Arbeitsmarktpolitik bis 2014 um 16 Mrd. Euro zusammengestrichen werden.
Im Klartext heißt dies: Kürzungen bei den arbeitsmarktpolitischen Eingliederungs- und Beschäftigungsmaßnahmen für Arbeitslose und dabei insbesondere für schwer vermittelbare, Alleinerziehende, gering Qualifizierte, Ältere, Behinderte und Migranten.
Gerade die Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit im Februar 2011 zeigt deutlich die negativen Auswirkungen. Zwar ist die Arbeitslosigkeit insgesamt erheblich zurückgegangen. Allerdings ist sie für die Langzeitarbeitslosen auf dem überdurchschnittlich hohen Niveau von etwa 900 000 geblieben und hat für die „Erwerbsfähigen“ in Hartz IV sogar noch weiter zugenommen.
Bereits 2010 hat der Bundesfinanzminister in die Kasse der BA gegriffen und die nicht genutzten Mittel aus der Insolvenzumlage der Arbeitgeber von über 1 Milliarde Euro aus dem Haushalt der BA 2011 „abgeschöpft“. So soll es jetzt weitergehen. Wolfgang Schäuble ist entschlossen, die den Kommunen versprochenen Mittel für die Grundsicherung der Rentner -ab 2013 von 3,5 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr- aus dem Mehrwertsteuer-„Pfand“ der BA zu finanzieren.
Die Leidtragenden sind in jedem Fall die Arbeitnehmer und Arbeitslosen – entweder als Beitragszahler oder als diejenigen, deren Leistungen bei Arbeitslosigkeit und in der Arbeitsmarktpolitik weiter gekürzt werden. Dabei ist die BA schon mit dem sogenannten Eingliederungsbeitrag von etwa 5 Milliarden Euro im Jahr für die hälftigen Ausgaben der Arbeitsmarktpolitik für die Langzeitarbeitslosen belastet.
Dabei war einer der wesentlichen Gründe für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, dass eine saubere Trennung der Finanzierung des aus Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanzierten Versicherungssystems ALG I und des steuerfinanzierten „Fürsorgesystems“ ALG II erreicht werden müsse.
Der Anteil der Arbeitslosen die noch Arbeitslosenversicherungsleistungen ALG I erhalten, ist inzwischen auf 35 Prozent gesunken. Obwohl Arbeitnehmer grundsätzlich aus ihrem Einkommen Beiträge zur BA leisten müssen, haben sie immer weniger Anspruch auf die Arbeitslosenversicherungsleistung ALG I. Vielmehr müssen sie in das an ihrer Bedürftigkeit gemessene Hartz IV und ALG II System absteigen.
Dieser soziale Abfall ist durch die schwarz-gelbe Bundesregierung noch einmal verstärkt worden. Im Rahmen des 8o Milliarden schweren Kürzungspaketes sind die Ausgleichszahlungen beim Übergang von ALG I in ALG II gestrichen worden.
Darüber hinaus müssen die Arbeitnehmer durch den ungenierten Griff der Bundesregierung in die Kassen der BA immer mehr für Hartz IV zahlen. Diese ungerechten Verschiebemanöver werden weiter erheblich verschärft, wenn der BA zusätzlich der hälftige Mehrwertsteuerpunkt abgenommen wird.
Frau von der Leyen hat hierzu bereits medial die Begleitmusik geliefert. Schließlich sei der Mehrwertsteuerpunkt für die BA in finanziell schwierigen Zeiten zur Verfügung gestellt worden. Dass damit eine Beitragssatzsenkung finanziert wurde, erwähnt sie mit keinem Wort.
Zudem ist sie auch davon überzeugt, dass Demographie und Fachkräftelücke einen wahren Run der Arbeitgeber auf Langzeitarbeitslose und sonstige schwer vermittelbare Arbeitslose hervorrufen wird. Es würden dann erheblich weniger arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erforderlich – ein weiteres Einsparpotential für den Bundesfinanzminister. Die Realität auf dem Arbeitsmarkt unterscheidet sich allerdings erheblich von dieser medialen Propaganda.
Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer war über ein Vierteljahrhundert stellvertrende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Dieser Kommentar ist zuerst auf der Webseite der promovierten Ökonomin erschienen. Im Herbst 2009 legte sie ihre Biographie „Kämpfen mit Herz und Verstand“ vor.
Sicher wäre die unentwegt zunehmende Zahl der Langzeitarbeitslosen von größerem Interesse, wenn sich irgend ein bekanntes Gesicht, was auf irgend eine Art und Weise davon betroffen ist, damit verbinden ließe. Ohne solche Beispiele bleibt das Thema viel zu anonym. Obwohl jeder um die reele Gefahr weiß, womöglich eines Tages zu den Langzeitarbeitslosen dazu zugehören. Zum Teil liegt es in der unzureichenden journalistischen Aufarbeitung begründet. Einfach stelle ich mir das auch nicht vor, daraus eine Geschichte zu machen. Es kommt eben auf die richtige Portion Mitgefühl an.