Sind die Grünen eine Volkspartei? Gar die einzig erfolgreiche? Es reiben sich Politiker, Journalisten und Meinungsforscher die Augen. Ein Umbruch im Zeitgeist wird prophezeit – die Bio-Republik breche an.
Mich plagen Zweifel. Dem genialen Publizisten Vijai Sapre („Effilee“, eine Zeitschrift für Kulinaristik, mit einem Journalismus, den man ansonsten nur im „New Yorker“ findet) verdanke ich die kühne Frage: „Wie braun ist bio?“ Der Hamburger Kulinarist bezieht das natürlich nur auf den kleinbäuerlichen Lebensmittelkult der Bio-Fans, aber die Frage hat etwas. Ich weiß nur noch nicht, was. Und dann stolpere ich über einen Satz zu Renate Künast, der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, die in der Hauptstadt als Regierende Bürgermeisterin in spe antritt. Es geht darum, dass sie erwägt, die Regelung umzustoßen, nach der in Berlin junge Lehrer als Angestellte besoldet werden und nicht schon zum Karrierestart in die Tretmühle eines Berufsbeamtentums hineingebettet werden.
Künast zögert, lese ich, weil ja Beamte die Kernunterstützer dieser Partei seien. Ja, glaubt man das?
Mehrwertsteuersenkung nicht für Hoteliers wie bei der FDP, jetzt bei den Grünen dicke Bezüge lebenslang für Beamte?
Generationsbedingt kenne ich viele Spitzenpolitiker der Grünen noch aus der Zeit, in der sie als studentische Revoluzzer im Kommunistischen Bund Westdeutschland den Sieg im Volkskrieg ersehnten und die allgemeine Volksbewaffnung forderten.
Jetzt sind die Grünen die Klientelpartei für Berufsbeamte, die Sesselfraktion unter den Erwerbstätigen? Ich suche Rat bei einem Demoskopen, Professor Manfred Güllner; ebenso kühn wie der Hamburger Kulinarist. Er sagt: „Die Grünen sind eine Klientelpartei für eine Minderheit.“ 40 Prozent der Beamten des höheren Dienstes präferieren die Grünen.
Der Demoskop glaubt, dass die aktuellen Zahlen von 20 bis 24 prozentiger Zustimmung für die Körnerfresser-Fraktion im deutschen Parteisystem durch ein vorübergehendes Parken der Stimme seitens frustrierter SPD- und CDU-Anhänger zustande kommen. Eine Stärke der Grünen liegt sicher in der Schwäche der klassischen Volksparteien SPD und Union und dem Verpuffen der FDP.
Sieht man die Größe der Lager links und rechts nicht nur nach dem Anteil an den abgegebenen Stimmen, sondern an der Anzahl aller Wahlberechtigten, liegen sie jeweils nur bei 20 Prozent. Absolute Mehrheiten gehören unwiderruflich der Vergangenheit an, vielleicht sogar regierungsfähige Mehrheiten.
Denn das ist allen Demoskopen klar: Die Volksparteien sind in sich zusammengefallen. Der Kulinarist Sapre denkt an ein Soufflee, jenes zarte Gebilde, das, falsch aus dem Ofen gehoben, in sich zusammenfällt und nur noch aussieht wie ein pappiges Plätzchen. Und Forsas Güllner weiß, dass das Phänomen der Implosion der Volksparteien, dieser Kartenhauseffekt des Ermattens, struktureller Natur ist.
Man muss den Grünen nicht misstrauen wie der Gourmet und der Zahlenakrobat, aber auffällig ist schon, dass sie nicht so richtig zu sagen wissen, wofür sie eigentlich stehen. Noch schlimmer ist, dass auch ihre potentiellen Wähler eben dies nicht wissen, gleichwohl aber angetan sind.
Und damit sind wir beim Kern: Alle Parteien wandeln sich. Sie sind künftig keine wert- und gesinnungsgetriebenen Tendenzbetriebe mehr, die man mit Attributen wie rechts und links messen könnte. Auch ehedem so schwere Vokabeln wie bürgerlich oder sozialliberal sagen nichts mehr.
Man vertritt alles, von dem man denkt, dass es eine Mehrheit der Menschen insgeheim denkt; so geht Populismus. Am klarsten zeigt das in der Union der Zorn der letzten Konservativen alten Schlages gegen die Merkelisierung, denn die neue Generation der Konservativen verkörpern Ursula von der Leyen, Norbert Röttgen und Karl Theodor zu Guttenberg (vulgo: Agent 007). Den fränkischen Popstar als Kriegsminister einmal außen vor gelassen, von der Leyen ist so schwarz wie rot, so wie Röttgen so grün wie schwarz ist.
Parteien werden funktionale Machtverteilungsgemeinschaften. Mehrheitsfähig sind sie nur noch, wenn sie präsidiale Führungspersönlichkeiten anbieten. Populistische Gebilde, die mit wohlbekannten Models an ihrer Seite angeben oder dem Wüstenritus „Bunga Bunga“ oder einem messianischen „Yes, we can.“
Wir sind auf dem Weg in die Demoskopie-Demokratie, fürchtet Merkel. Nein, wir sind auf dem Weg in die Demagogie-Demokratie. Und jetzt reden wir dann doch über KTG. Ein politisches Genie der neuen Zeit, der uns, nur ein Beispiel, ein Söldnerheer verkauft, indem er sich flott kleidet, stets mit Gottessegen auf den Lippen im Vagen rezitiert und bübisch lächelt.
Die Demagogie-Demokratie will unterhalten sein. Dann stimmt die Stimmung wieder. Monarchen werden geliebt, von Untertanen, von den neuen grünen Untertanen, die überall mitreden wollen, aber nichts entscheiden und rein gar nichts verantworten. Das ist es, was die Körnerfresser verkörpern: Alle dürfen mitreden, niemandem droht die Verantwortung. Der linke Marsch durch die Institutionen, den die heutigen Grünen einst begannen, hat genau hier seinen epochalen Triumph gefunden: Öko-Hedonismus mit Pensionsgarantie. Eine Republik von Staatsbestallten und Fürsorgeempfängern, die sich ihren gemeinsamen Traum von freilaufenden Hühnern erfüllen.
„Unsere Leitkultur ist das Grundgesetz, mit all seinen Rechten und Pflichten“, zeigefingerte der Bundesvorsitzende von B´90/Die Grünen, Cem Özdemir, jüngst der „Süddeutschen Zeitung“ gegenüber: Einmal mehr manifestiert sich mit diesem Satz das besonders in dieser Partei gewollt festgesetzte Selbstmißverständnis unserer Nation. Gewollt. Warum? Weil die Grünen das sind, was sie – derzeit zumindest – öffentlich nicht sein können und dürfen: Ein wert- und gesinnungs- wie entrüstungsautomatisch motivierter Tendenzakteur. Inmitten einer bang erahnten, nicht zwanzigprozentigen Wirklichkeit. Sie zwingt – zu sehen. Sie erfordert – zu denken. Denn sie zeigt, daß unsere Verfassung in einem geistigen Begründungszusammenhang samt seiner quasi phänotypischen Übersetzung steht, daß es also hierzulande keine Multi- und Monokultur, gleichwohl eine – Leitkultur gibt. Dies wirft Fragen auf. Viele Fragen. Ist das Grundgesetz nur vor besagtem Hintergrund zusammenzusehen und zusammenzudenken, ist es in diesem Kontext überhaupt erst auslegend zu verstehen, dann ergibt sich insbesondere eine, sich durch bedrohliche Relevanz für den grünen Gesellschaftsvertrag auszeichnende Frage: Ist vor allem der Islam resp. seine theologischen Lesarten als Träger weiter Parallelgesellschaften in diesen Verfassungszusammenhang integrierbar? Anders formuliert: Ist die Kreuzbergrepublik Deutschland vertretbar, wählbar? Sind die Grünen überhaupt – zumutbar? Die Sozialdemokratie jedenfalls sollte dieser Fragestellung anders als mit Parteiordnungsverfahren begegnen.
Wer keine Lust hat, Körner oder Bio-Lebensmittel zu essen oder Verbraucherinformationen in Beipackzettelgröße zu lesen, soll es lassen. Niemand will ihn dazu zwingen. Andere haben dazu Lust, und sie sollen es können, ohne dass man mit irgendwelchen Wettbewerbsnachteilen der Lebensmittelindustrie herumfuchtelt. Das ist so derartig simpel, dass es bereits langweilig ist.
Komplizierter scheint es bei der Verbeamtung von Lehrern in Berlin. Aber auch nur scheinbar. Es reicht es nicht, den langweiligen Prinzipienreiter zu geben und alle Beamte außer Polizisten für überflüssig zu erkären. Das Geheimnis dieses umstrittenen und scheinbar so weltanschaulichen Problems liegt in der schlichten Tatsache begründet, dass verbeamtete Lehrer mehr Geld bekommen als ihre angestellte Kollegen. Wesentlich mehr Geld. Das ist alles, das ist das ganze Problem. Und weil andere Bundesländer ihre Lehrer verbeamten, wandern die Lehrer aus Berlin ab, so dass nicht mehr genug übrig bleiben. Das nennt man Wettbewerb.
Jetzt ergeben sich nach den Gesetzen der Logik genau zwei Möglichkeiten: Entweder belässt man den Angestellenstatus der Lehrer, wie er ist, und erhöht die Bezüge und Leistungen derart kräftig, dass genügend Lehrer dableiben, oder man führt die Verbeamtung der Lehrer wieder ein. Rein theoretisch gäbe es sogar noch eine dritte Möglichkeit, nämlich die Verbeamtung von Lehrern in allen Bundesländern abzuschaffen, aber das ist, wie gesagt, rein theoretisch.
Wenn Frau Künast ihren Vorschlag zur Re-Verbeamtung der Lehrer in Berlin aufrecht erhält, macht sie hier also kein Ideologiegefecht, sondern schlichte Realpolitik im Interesse der Schüler.
Lieber Herr Kocks, ich war am Anfang des Textes sehr gespannt darauf, was die Frage „Wie braun sind die Grünen?“ haben soll. Am Ende haben Sie’s mir nicht gesagt. Dann versuche ich’s einmal selbst: Die Frage hat etwas ausgesprochen Abgeschmacktes, Unwitziges und, nun ja, Demagogisches.
Gedanklich folge ich ihnen gerne.
Nicht in ihrer Wortwahl wie Körnerfresser!
Die GRÜNEN waren mal eine Ökopartei!
Heute sind sie eine reine Protestpartei.
Protestler sind in ihrer Wahrnehmung eingeschränkt,
darum haben sie nicht im Kopf ,welches moralisches Weltbild die GRÜNEN im Kopf haben!
Wer von der jetzigen Regierung enttäuscht ist,
sucht Ersatz!
Es gäbe viel aufzuzählen,was diese Regierung für einen Zick-Zack-Kurs veranstaltet hat!
Das Volk geht fast alles mit und verzeiht sehr viel.
Nicht die ständige Ungerechtigkeit zwischen dem normalen Volk und den Unternehmen.
Das Volk hat das Gefühl, es wird überall reingelegt oder überfahren.
Da nutzt es auch nicht aufzuzählen wie blöd die Grünen sind!
Wir alle können froh sein,wenn sie nicht auf die „Rechte“ Seite wechseln.
Die Grünen wären gut beraten ihren ästhetischen Firlefanz, der zur Ästhetisierung in der Politik führt, führen soll (?), abzubauen und zu reduzieren, zumindest zu überdenken. Die Vergangenheit (braun) lässt grüßen. Das Auftreten der Grünen kürzlich im Bundestag „ganz in schwarz“ und mit Kreuzchen am Revers lässt Zweifel aufkommen, ob hier noch Subjekte auftreten oder kollektiver Kasperleverstand exerziert wird. Ich bin froh, dass ich mit meiner Wahrnehmung nicht alleine bin, Herrn Kocks sei Dank.
Wem gelingt es besser, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, als einem Demagogen? Dennoch, so meine ich, dass unterschieden werden müsste, zwischen einer an bildungspolitischen Zielen ausgerichteten Erwägung (beamtenrechtlicher Werdegang für Junglehrer) und einer einfachen bedingunglos gewährten Vergünstigung für Hoteliers durch Mehrwertsteuersenkung. Aber wenn man meint, es könnte nicht schlimmer kommen, dann gibt´s noch einen oben drauf. Politische Kontrahenten als Körnerfresser zu verunglimpfen halte ich für einen äußerst nachlässigen unachtsamen Umgang. Nicht unbedenklich.
„…Die Demagogie-Demokratie will unterhalten sein. Dann stimmt die Stimmung wieder. Monarchen werden geliebt, von Untertanen, von den neuen grünen Untertanen, die überall mitreden wollen, aber nichts entscheiden und rein gar nichts verantworten…“
Gut zusammengefasst!