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Dunkle Wolken über Bullerbü – die schwedische Musterdemokratie auf ressentimentgeladenen Abwegen

Fremdenfeindlichkeit und rassistische Ausfälle in einem EU-Staat, da fallen einem zunächst die gegenwärtigen Eskapaden Nicolas Sarkozys ein: In Zeiten innenpolitischer Krisen und kleinerer persönlicher Demütigungen (dieser Tage zitiert eine größere deutsche Tageszeitung die Präsidentengattin mit dem wenig staatstragenden Ausspruch ‚Monogamie langweilt mich’) gibt der Sohn ungarischer Immigranten den Superbullen im Kampf gegen die Roma.

Doch nicht von ihm soll hier die Rede sein. Auch die gegenwärtige italienische Regierung, sonst häufiger mal für ein xenophobes Abenteuer zu haben, ist diesmal außen vor. Der Ort des Geschehens liegt viel weiter im Norden, es handelt sich um das traditionsreiche Königreich Schweden. Der Beobachter reibt sich zunächst verwundert die Augen.

Schweden, das idyllische Paradies des sozialdemokratischen Egalitarismus, das Land von Bullerbü und Köttbullar als Hort der Fremdenfeindlichkeit?

Dass kann doch nicht sein. Das nordische Land ist gemeinhin bekannt als Heimstatt der Progressiven: Einheitsschule und  Frauenquote sind hier längst keine Utopien mehr und ein jeder kennt das genaue Gehalt seines Nachbarn. Die dort in den späten 1960ern entstandenen Romane von Maj Sjöwall und Per Wahlöö waren für eine ganze Generation von Krimilesern prägend, linke Kritik an der Sozialdemokratie, verpackt in spannenden Geschichten rund um sinistre kapitalistisch-faschistische Komplotte, das war neu, das war innovativ, das formte das Schwedenbild nachhaltig.

Und nun soll ausgerechnet von dort der ewig-gestrige Ungeist ausgehen? Leider ist dem so und das Übel kommt zudem auch noch in Doppelgestalt daher. Da wäre zum einen die Partei der Schwedendemokraten, die in ressentimentgeladenen Spots Stimmung gegen Immigranten macht und sich als Hüterin des schwedischen Volkes geriert.

Naturgemäß weist man jeden Rassismusverdacht weit von sich und spielt sich lieber als Opfer linker Medien und einer allgemeinen Verschwörung auf. Die gesellschaftliche Absolution erhoffte man sich schließlich von der jüdischen Minderheit, deren Schutz vor diabolischen Mohammedanern man zu garantieren versprach, doch diese lehnte mit dem Hinweis auf die ‚menschenverachtende Ideologie’ der Partei dankend ab.

Und dennoch, glaubt man den Demoskopen, dann haben die neurechten Wirrköpfe gute Chancen darauf, die Hürde für einen Einzug in den Reichstag zu überspringen. Keine schönen Aussichten und dennoch, für sich allein genommen kein Grund für Alarmismus.

Das sich gerade die sozial Deprivierten um populistische Rattenfänger scharren ist kein neues und beileibe kein schwedisches Phänomen. Hinzu kommt in dem skandinavischen Land jedoch die breite politische Debatte rund um Zionismus und Judentum.

Kaum ein Thema hat zwischen Schonen und Lappland derartige Konjunktur wie die jüdische Ansiedlung am östlichen Mittelmeer. Der populäre und stets rotweinselige Krimiautor Henning Mankell steht mit seiner munteren Kreuzfahrt zur Hamas dabei nicht weit im Abseits, er wankt vielmehr im politischen Mainstream umher.

Seit Jahren schon wird in den Läden des staatlichen Alkoholmonopols Wein von den Golanhöhen als ‚Made in Israeli occupied Syrian territories’ vermarktet (darüber, wie der politisch korrekte Schwede Königsberger Klopse und Südtiroler Schinkenspeck kennzeichnet ist dem Verfasser leider nichts bekannt) und außerhalb der arabischen Welt ist die Empörung über israelische Innenpolitik auch kaum irgendwo so groß wie in Stockholm.

Auch im aktuellen Wahlkampf überbieten sich bürgerliche und progressive Kräfte mit Maßnahmenkatalogen gegen zionistische und ultraorthodoxe Gefahren, parteiübergreifend möchte man endlich in Schweden massenhaft auftretende Phänomene wie Schächtung und Brit Mila ächten und für die Rechte stets bedrohter Palästinenser eintreten. Diese obsessive Beschäftigung mit (vorsichtig ausgedrückt) doch eher entfernten Themen verwundert.

Die Geschichte kennt weder große jüdisch-schwedische Schismen noch eine innige Völkerfreundschaft zwischen Nordmännern und Palästinensern, es drängt sich hier viel mehr der Verdacht auf, dass das große Ideal einer brüderlichen Bullerbü-Idylle durch die Konstruktion eines gemeinsamen Feindes erhalten werden soll, frei nach dem Motto Pipi Langstrumpfs: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

Ordinärer Rechtspopulismus und Ressentiments am Rande des Antisemitismus haben Einzug gehalten in die Tagespolitik einer einstigen europäischen Musterdemokratie, eine Trendwende im Zeitgeistigen hat sich vollzogen: nach „Idioten kaufen einfach alles“ (IKEA) jetzt IWEA: „Idioten wählen einfach alles!“ Der Himmel über unserem sozialdemokratischen Utopia hat sich verdunkelt.

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Ein Gedanke zu “Dunkle Wolken über Bullerbü – die schwedische Musterdemokratie auf ressentimentgeladenen Abwegen

  1. avatar

    @Lieber Herr Kocks: Ich finde es sehr erfreulich, daß auch Sie sich mit der Veränderung der Sozialdemokratie, und nicht nur das, in unseren Nachbarländern etwas beschäftigen.
    Ich fand Ihren Beitrag nicht undifferenziert – überhaupt einmal wieder, wie gewohnt, extraordinär.

    Jetzt hätte hätte ich Ihnen einmal einen Vorschlag zu machen, zu einem ganz anderen Thema.
    Als Sie beratend bei VW tätig waren, hat sich das Image von VW in kürzester Zeit ungemein positiv entwickelt, Sie wirkten dort ungemein kompetent.
    Könnten Sie sich nicht einmal bei unserer Regierung bewerben, als Berater für Stil und Pressefragen?
    Die Bewertung der regierenden Koalition, was Hypo Real betrifft, und somit auch die eigene Position, da die Regierung ja nicht ahnungslos war über die neuerlichen Apanagen der Manager, ist nicht nur schrecklich“unsensibel“, sondern eine ungeheure Frechheit den Bürgern gegenüber. Eine kompetente Beratung ihrerseits könnte unsere Volksverräter vielleicht davor bewahren, daß das Volk womöglich irgendwann einmal die Bannmeile überwindet ………………
    Lassen Sie sich meinen Vorschlag doch bitte einmal durch den Kopf gehen.
    Liebe Grüße die Landplage

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