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Merkels Wendemanöver – griechische Tragödien in der Vorwahlzeit

Leise und verlässlich sein, den eigenen Vorteil häufiger mal zu Gunsten des großen Ganzen opfern und das eigene Gewicht stets nicht vollends in die Wagschale werfen – die deutsche Europapolitik stand viele Jahre unter der Maxime der Bescheidenheit.

Helmut Kohl hat diese Leitlinien in den 1980er Jahren entscheidend geprägt, wollte so den Nachbarstaaten die Angst vor der deutschen Wiedervereinigung, vor einem neuen wilhelminischen Großreich zwischen Rhein und Oder nehmen. Er hatte Erfolg: Mitterand und Thatcher gaben schließlich, wenn auch mit Bauchschmerzen, dem neuen deutschen Staat ihren Segen. Seitdem sind zwanzig Jahre vergangen, die vereinigte Bundesrepublik ist fest in europäische Strukturen integriert, germanisches Weltmachtstreben ist wohl auch bei kritischster Betrachtung der deutschen Außenpolitik nicht zu konstatieren. Dennoch hat die Kohlsche Leitlinie lange überlebt.

Der größte Nettozahler der EU schwieg stets vornehm. Ob es um fragwürdige britische Beitragsrabatte oder um polternd-dilettierende Regierungsmitglieder frisch integrierter östlicher Nachbarstaaten ging, von deutscher Seite ging stets nur vornehmste Zurückhaltung aus. Anfang dieses Jahres schien sich dies zum ersten Mal grundlegend zu ändern, Merkels ‚Nein’ zum Bail-Out für die Griechen war ein echtes Novum, die ehemalige politische Ziehtochter Kohls gab europapolitisch plötzlich die Eiserne Lady.

Die Folgen jahrelanger eklatanter Misswirtschaft und abenteuerlicher Bilanzierungstricks auf Kosten des deutschen Steuerzahlers sozialisieren, ein korruptes System mit Finanzhilfen künstlich am Leben zu erhalten – all dies sollte es mit Merkel nicht geben.

Dramatisierende Berichte über die vermeintlich schlimmen sozialen Folgen eines griechischen Staatsbankrotts konnten die Kanzlerin ebenso wenig erweichen wie antiamerikanisch-nationalistische Töne, die schädlichen US-Einfluss in der EU durch die Hintertür des Internationalen Währungsfonds kommen sahen.

Dafür gab es Beifall, von vielen Seiten. Hart erwirtschaftetes Geld in einen Abgrund aus Günstlingswirtschaft zu schütten statt es in Bildung und Infrastruktur zu investieren, dies war und ist der Öffentlichkeit nicht begreifbar zu machen. Formaljuristisch befand sich die Kanzlerin ohnehin im einzig möglichen Fahrwasser, Hilfszahlungen für die Griechen wären schlicht ein eklatanter Bruch des einschlägigen Maastrichter Vertragswerks.

Eine neue deutsche Europapolitik schien geboren, selbstbewusst und doch fernab jedweden großspurigen Nationalismus. Doch es kam wie in der klassischen griechischen Tragödie. Deren Determinanten sind Widersprüche, Wendungen und Paradoxien, der einst glückliche Held muss in einem Abgrund aus Konflikten bestehen, doch egal was er unternimmt, in tragischer Ironie naht die Katastrophe.

Merkels Wendung begann Mitte April, das einstmals felsenfeste ‚Nein’ fing an zu bröckeln. Flankiert von ein wenig Geschrei des kleinen Koalitionspartners wurden erste Konzessionen gemacht, kategorische Entscheidungen entpuppten sich plötzlich als bloß taktische Manöver, gefahren allein um einem populistischen Provinzfürsten den Machterhalt zu sichern. Im Widerspruch zu allen früheren Entscheidungen wollte man der griechischen Günstlingswirtschaft nun doch wieder auf die Füße helfen, ein wenig Balsam für das ökonomische Schmuddelkind des Euroraumes.

Damit war das Konfliktfeld eröffnet. Juristisch ist die Entscheidung zumindest fragwürdig, kommunikativ ist sie ein Desaster: Die eiserne Kanzlerin steht plötzlich als eine Wahlkampfhelferin von Jürgen Rüttgers Gnaden da, die es mit der Wahrheit und Standhaftigkeit nicht allzu genau nimmt, wenn es darum geht einem Parteifreund die Pfründe zu sichern.

Merkels Ansehen ist beschädigt. Weit schlimmer nimmt sich aber noch aus, dass ausgerechnet sie als Vorsitzende einer konservativ-wirtschaftsliberalen Regierung dazu beigetragen hat, die ökonomische Büchse der Pandora zu öffnen. Wir erinnern uns, einst schuf Göttervater Zeus eine junge Frau und gab sie Epimetheus, dem Bruder des Aufklärers Prometheus zur Gefährtin. Rachsüchtig wie er war, gab er der Dame ein Gefäß zur Hand, in welches er alle Übel dieser Welt hineingab; einmal entwichen war ihrem Spuk nicht mehr beizukommen.

Ganz Ähnliches droht nun auch gegenwärtig. Um im literarischen Bild zu bleiben: die Katastrophe naht mit tragischer Ironie heran. Was als Hilfe und Stabilisierung gedacht ist, wird zum fatalen Signal: Misswirtschaft und kreative Buchführung bleiben folgenlos, es findet sich immer ein netter Nachbar der die Scherben nächtlicher Orgien auf seine Kosten beseitigt.

Was man heute Griechenland zugesteht, kann man morgen anderen Euroländern nicht verweigern, das großartige Projekt eines gemeinsamen Währungsraumes verkommt zur Stützgemeinschaft windiger wirtschaftspolitischer Spekulanten. Es ist müßig darüber zu rätseln, wer als nächster um Finanzhilfe ersucht, der Präzedenzfall ist geschaffen.

Die einstige Heldin Angela Merkel ist gefallen, ihre politische Glaubwürdigkeit und Autorität sind beschädigt, der Zweifel an ihrer ökonomischen Vernunft ist gesät. Der Streit um europapolitische Leitlinien und finanzielle Hilfen für verschuldete Euroländer gerät für die Kanzlerin zu ihrer ganz persönlichen griechischen Tragödie.

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11 Gedanken zu “Merkels Wendemanöver – griechische Tragödien in der Vorwahlzeit;”

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    Lieber Herr Kocks,
    jetzt sind wir schon bei angeblichen 125 Milliarden,laut unseren Politikern, andere, sich ebenfalls als gut unterrichtete bezeichnend reden von 165 Milliarden in den nächsten 3 Jahren für Griechenland.

    Portugal summt auch schon leise und Spanien und Irland werden folgen.
    Ob Frau Merkel das dem dummen Volk noch ungestraft verkaufen kann, das wage ich zu bezweifeln. Wo bei uns doch sogar schon das Geld fehlt die Straßen auch nur noch notdürftig zu flicken.

  2. avatar

    @Dr. Strebel:
    Ich rede gar nicht von den „lächerlichen“ 40 Milliarden, eher von den „Wetten“, die Spekulanten über den Absturz Griechenlands abgeschlossen haben. Da geht es nicht mehr zweistellig her, das wissen auch Sie.

    Daß Europäische Regierungen sich nicht scheuen, aus taktischen Erwägungen heraus, die Bürger so zu täuschen, spricht lediglich für deren Frechheit und Skrupellosigkeit.

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    Rita E. Groda schrieb: Es sind die Deutsch-Griechischen Bankenverquickungen, und das wissen auch bestimmt Sie. Mit Spekulationen in Griechenland wurde ganz schön Geld gemacht – wir können tatsächlich momentan und leider nicht viel anders

    40 Milliarden sind bei einer Bilanzsumme von geschätzen 2 bis 3 Billionen insgesamt für die deutschen Banken ein Betrag im unteren Prozentbereich. Weniger Geschäft mit Griechenland würde politisch wohl schon böses Blut hervorrufen ;).

  4. avatar

    Es geht doch gar nicht um Griechenland.

    Es geht schon wieder um die gleichen Bankster, die schon die letzte Wirtschaftskrise verursacht haben.
    Die Kreditvergabe an ein Land wie Griechenland ist natürlich riskant, entsprechend waren die Zinsen, die Gewinnmargen und letztlich die Boni der Beteiligten.

    Jetzt platzen die Kredite, die Gewinne sind schon abgeschöpft und der Normalbürger darf die Zeche zahlen. Weil das äußerst unpopulär ist wird es jetzt nicht als Bankenrettung, sondern als Rettung für unsere griechischen Partner und den ganzen Euro-Raum verkauft.

    Solange der Dummwähler weiterhin dumm wählt wird sich daran nichts ändern.

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    Wenn am Ende auch wieder etwas zu dramatisch („die einstige Heldin Angela Merkel ist gefallen“), im Kern stimme ich Ihnen zu. Andererseits: ohne Kocks’schen Wortwitz und etwas Dramatik wäre die Lektüre deutlich weniger unterhaltsam.

  6. avatar

    Büchse der Pandora, war einmal.

    Die Gegenwart lautet : riesiges schwarzes Loch

    Der Beitrag vergisst leider nur, dass man bei der EZB noch nicht weiß, wie man nach einem „haircut“ die „abgeschnittenen Haare“ medienverträglich entsorgen könnte, ohne all zu Gedöns aufkommen zu lassen.

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    @Herr Kocks:

    Dies konnte man am 9.4.1010 bei Spiegel onlien lesen:
    „Deutsche Kreditinstitute haben mehr als 40 Milliarden Euro an griechischen Staatsanleihen in ihren Portfolios. Für den Fall, dass der südeuropäische Staat zur Umschuldung seiner Kredite gezwungen wäre, müssten die Banken hierzulande hohe Abschreibungen vornehmen. Im Falle einer Pleite würden sie sogar auf wertlosen Papieren sitzen. Das könnte die deutschen Institute wiederum in arge Probleme bringen – denn auch die staatlich gestützten Konzerne Hypo Real Estate (HRE) und Commerzbank haben Geld an Griechenland vergeben. Im Extremfall müsste der deutsche Steuerzahler sie und andere erneut stützen. Das in Athen gesparte Geld würde dann nach Frankfurt fließen …………..

    Quelle: Spiegel online,
    kompl. Artikel unter link:
    http://www.spiegel.de/wirtscha.....36,00.html

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    @Lieber Kocks,
    Sie sind doch kein ökonomischer No name. Ihre griechische Tragödie ließt sich, wie immer, gut und ist ausnehmend unterhaltsam.

    Der tatsächliche Grund für den Präzedenzfall sind weder die von der Politik angeführten Waffenexporte, noch eine Gefährdung der Währungsstabilität. Es sind die Deutsch-Griechischen Bankenverquickungen, und das wissen auch bestimmt Sie. Mit Spekulationen in Griechenland wurde ganz schön Geld gemacht – wir können tatsächlich momentan und leider nicht viel anders, auch Frau Merkel dürfte das, schon zu Zeiten ihres angeblich „eisernen Widerstands“ bekannt gewesen sein.
    Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Der nächste Hilferuf eines maroden Staates wird nicht auf sich warten lassen. Sollen wir wetten wer es sein wird – ich hätte da schon eine Anregung.

    LG Ihre Rita E. Groda

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