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Gemütliche Behäbigkeit statt spätrömischer Dekadenz

914 Seiten hat das Werk des Demoskopie-Institutes Allensbach – und es listet penibel auf, wie sich die Deutschen selbst einschätzen. Die von Guido Westerwelle befürchtete „spätrömische Dekadenz“ ist nicht zu finden, wohl aber viel gemütliche Behäbigkeit: Zu Deutschland befragt, fällt den meisten die „schöne Landschaft, herrliche Natur“ ein, danach „Qualität, Genauigkeit“ und auf Platz 3 hat es „gutes Essen und Trinken“ geschafft. Am unteren Ende der Skala findet sich Reformfreudigkeit, Kinderfreundlichkeit sowie niedrige Steuern und Abgaben.

Kurz: Ein solides, aber auch todlangweiliges Land. Da wundert es dann auch kaum mehr, dass die meisten der Befragten finden, dass die besten Zeiten Deutschlands schon vorbei sind. Das ist eine Meinung, die auch bei den so genannten Eliten der Berliner Republik weit verbreitet ist. Ganz besonders schockierend ist, dass sogar etliche Minister der derzeitigen Regierung fernab der Mikrophone diese Ansicht vertreten – gerade diejenigen also, die eigentlich mit ihrer Politik dafür sorgen sollen, dass es uns allen künftig besser geht.

Wer aber glaubt, die besten Zeiten hinter sich zu haben, wird allenfalls verwalten, nicht aber gestalten. Genau das erleben wir zur Zeit – und es ist verheerend. Keine Begeisterung, nirgends. Das ist unfassbar angesichts einer Zeit, die dem Einzelnen mehr Gestaltungsmöglichkeiten denn je zuvor einräumt. Das Wissen der Welt ist per Internet auch im kleinsten Kaff der Republik abrufbar, die ganze Welt ist per Billigflieger leicht erreichbar und liegt all denjenigen zu Füßen, die sie erkunden wollen.

Doch offensichtlich scheint kaum jemand mehr hierzulande auf diese Erkundungstour gehen zu wollen. Stattdessen „herrliche Natur, Essen, Trinken, Genauigkeit“. Ein echtes deutsches Drama.

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11 Gedanken zu “Gemütliche Behäbigkeit statt spätrömischer Dekadenz;”

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    „ … erweckt der wirtschaftliche, und … soziale Zukunftshorizont keinen Optimismus für die Deutschen“

    Der Optimismus ersteht von einer Überzeugung am Erfolg, vom Willen sein eigenes Leben zu beeinflussen. Wenn es an Optimismus in Deutschland fehlt, sollte das bedeuten dass die Deutschen nicht mehr handlungsfähig sind?

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    Zum Thema:
    Je mehr ich innerlich auf den gepackten Koffern sitze, desto mehr finde ich Argumente „pro Deutschland“.
    Was Allensbach und andere als Langeweile diagnostizieren, interpretiere ich eher als hausgemachte Resignation. Hausgemacht von Gesellschaft und Politik.
    Wenn sich der Bürger gekränkt von der Realität zurückzieht, in die innere Emigration, sich nur noch mit Natur und kulinarischen Finessen beschäftigt, hat das sicherlich konkrete Gründe.
    Gerade die jüngere generation, bzw. schon „die jüngeren Generationen“haben stark das gefühl, „daß sie doch nichts machen können, gegen die da oben. Daß der Einzelne nichts verändern kann.

    Die Journalistin Bascha Mika hat das einemal in einem öffentlichen Gespräch treffend zum Ausdruck gebracht.
    Sie meinte, diese jungen Leute hatten nie das Erfolgserlebnis, wie z.B. wir 68-er, daß man etwas verändern kann, wenn man entsprechend beharrlich ist. Man sollte sie zu diesem Experiment anleiten und ermutigen, Veränderung zu wollen und durchzusetzen.

    Man kann tatsächlich etwas verändern, wenn man nur tatkräftig will. Das muß man aber auch erst wissen!
    Ein Handwerker hat uns das vor nicht all zu langer Zeit bewiesen, als er die Pendlerpauschale gekippt hat!
    Was our federal Angela bis heute immer noch beleidigt kommentiert.

    Also, die Deutschen sind nur teilweise eigenverantwortlich langweilig, oft werden sie obrigerseits zur Langeweile verdonnert.

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    Nicht ganz zum Thema:

    Deutschland mag ein wenig behäbig geworden sein, aber keineswegs langweilig!
    Wenn ich gelegentlich die Gräber meiner Vorfahren besuche, zur Grabpflege, führe ich oftmals einigermaßen irrwitzige innerlich Dialoge mit Ihnen. Da stehe ich z.B. am Grab des „besten Dekokraten von allen“ – wenn ich seinen vor Jahrzenten gemachten Prognosen, leider wieder einmal Recht geben muß – und frage ihn:
    „Wie konntest Du das schon vor Jahrzehnten voraussehen? Warst Du so superklug, oder hattest Du evtl. Insiderinfos, oder was?“
    „Papperlapp“, anwortet er mir „da, mach es bitte eine Nummer kleiner. Ich hatte Dir nur ein paar Jahrzehnte Lebenserfahrung voraus, Du bist jetzt im selben Alter, wie ich, als ich Dir meine Prognosen abgab. Es dauert eben seine Zeit, bis man anfängt die Welt zu verstehen.
    Und jetzt stör mich nicht weiter, ich führe gerade eine wichtige Debatte mit dem Allmächtigen, über den Beitrag von Frau Heckel und die Langeweile in Deutschland(vermutlich gemäß dem Motto – willst Du Gott zum Lachen bringen, erzähl ihm, was Du vor hast). Jetzt schaff weiter.“
    Ich schaffe weiter, gieße die Pflanzen, fege das Laub weg – und stelle mir meinen alten Herrn im Dialog mit den himmlischen Heerschaaren vor.
    Dies provoziert einen spontanen Lachanfall bei mir.
    Meine Grabnachbarin, derlei von mir gewöhnt, fragt grinsend: „Was hat Ihnen der alte Herr heute wieder erzählt?“
    „Er diskutiert gerade mit dem Allmächtigen, über die Langeweile in Deutschland“. Nun beben wir beide, zwei gestandene Weibsbilder, in einem gemeinsamen Lachanfall. Einige bieder ausschauende Herren mustern uns beide äußerst missbilligend. Was uns zu einem weiteren pubertären Lachanfall animiert.

    Anschließend aber unterhalten wir uns noch ganz ersthaft über den „Problemfall Deutschland“. Und stellen abschließend fest, langweilig ist es nicht mal auf den Friedhöfen der Republik, aber da gibt es ja weder eine Bannmeile, noch feste Redezeiten, noch ……

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    Deutschland war schon immer langweilig – das ist nicht neu! Zumindest seit 1870 ist es langweilig – zuvor hatten die deutschen Laender eine eregende Kulturepoche. Als es dann ein Deutsches Reich gab – verlor sich die Energie im Groessenwahn – man kaufte sogar die Northern Marianas welche die Amis den Spaniern geklaut hatten! Jetzt „sind wir wieder jemand“ zumindest am Wahrkan an der Grenze zu China, immerhin! Natuerlich gibt es gute Menschen in Deutschland – aber es ist meist ein kontakfuerchtendes, humorloses, pedantisches, wichtigtuerisches Volk. Und heute so traurig „ersatz-amrikanisiert“ noch abstossender als in New Yaaark & Las Vegas – denn der Ami zuckt die Achsel ueber diesen Klamauk der Unreifen und Lumpen- aber der „German“ nimmt das als ernsthaftes Vorbild von „hot, hip, in!“ Das sich jetzt die reifere Generation auf die Schoenheit der deutschen Landschaft besinnt – ist ein hoffnungvolles Zeichen – denn das „Reisen“ ist jetzt altmodisch geworden – auch in USA: Es gibt kein Abenteuer mehr, alles ist Global Standard mit den allgegenwaertigen „Brands“ (Marken), und alle sehen das Selbe im TV. Natuerlich erweckt der wirtschaftliche, und damit die soziale Zukunftshorizont keinen Optimismus fuer die Deutschen. Es gibt eine schoene lateinamerikanische Melodie „Bajate de esta nube“ – komm runter aus dieser Wolke: Die Deutschen sollten sich jetzt doch auf sehr nuechterne Zeiten vorbereiten.

  5. avatar

    Wenn man die Kontakte nicht nur auf das westliche Europa begrenzt, dann finden sich Reaktionen auf diesen Beitrag,die an die Substanz gehen, weil da ein Hauch von Wahrhaftigkeit zu spüren ist, den Allensbach nicht ohne weiteres fassen kann.

    Z.B.:Ein kurzes Zitat
    aus einem Lied von Jacek Kaczmarski (Polen)

    „S? ludy, co dojrza?y do ?mierci
    z r?k ludów, niedojrza?ych do ?ycia”
    „(Es gibt) Völker, die (schon) reif sind zu sterben
    von der Hand(anderer) Völker, die noch unreif sind zu leben…

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    @Liebe Frau Heckel:
    Wie sehr ich Sie schätze, dürfte ich schon zum Ausdruck gebracht haben, Sie gehören zu den beindruckendsten Frauen, der Nachkriegsgeneration. Daher nehme ich auch an, Sie wollten uns nur provozieren.
    Gerade war ich mit meiner 10 Jahre alten Lady(Mercedes) beim TÜV, und erlebte eine „Geschichte aus St.Olaf(Golden Girls). Geschlagene 2 Stunden verbrachte ich dort, aber nicht weil mein Auto so lädiert war,nein weil es dem Sachverständigen so gefallen hat, sich mit mir zu unterhalten. Das Ohr am Munde des Volkes, konnte ich mal wieder erfahren, daß unsere Republik alles andere als langweilig ist. Ich erfuhr, auch von anderen „zu Prüfenden“, was Sache ist, also sog. Insinderwissen, als auch, wie man sich in Deutschland fühlt, bzw, sich die Zeit vertreibt. Für mich eigentlich keine Überraschung.

    Der sog. Deutsche verbringt seine Freizeit nicht nur mit dem notgedrungenen Geldverdienen. In unserer Region haben wir grandiose Natur tatsächlich im Überfluss. Er setzt sich aktiv ein für genau diese Natur, er schleift seine Kinder unverdrossen in die Museen, und wir haben tatsächlich die besten Museen der Welt, wovon ich mich selbst in meiner sog. Jugend in Griechenland überzeugen konnte, wo die Schätze der Menschheit außerordentlich schlampig und undekorativ verwaltet werden.
    Der Deutsche versucht, auch heute noch, alles perfekt auf die Reihe zu bekommen – wenn es in Berlin einigermaßen provinziell zugeht,es ist nicht die Deutschlandnorm.
    Auch, wenn ich persönlich schon den Abschied von diesem Land genommen habe, die wunderbaren Möglichkeiten, die dieses Land hätte, wenn denn die Staatsgewalt nicht jede Äußerung von Freiheit und Kreativität vorsätzlich behindern würde, läßt mich noch immer zögern, endgültig den Abschied zu nehmen.
    Auch, wenn Sie anderer Meinung sind, wir sind immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – wenn Merkel und Westerwelle, oder andere austauschbare Größen, dies freiwillig zuließen.

    Ihre Landplage

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    Lieber Solidität und Langeweile als Spannung a la Griechenland ;).

    Daß die besten Zeiten vorüber sind, ist eine bittere Einsicht, die leider viel zu wenig verbreitet wird. Deutschland war von allen Allierten gehätscheltes Frontland im kalten Krieg. Diese Stellung hat es für immer verloren. Die letzten 20 Jahre hat Deutschland auf Pump versucht, den alten Lebensstandard zu halten. Die Staatsverschuldung hat in dieser Zeit um über 200% von etwa 536 Mrd auf 1655 Mrd zugenommen. Auf Dauer geht das nicht gut.

    Zum behäbigen Verwalten wird es daher nicht kommen. Dazu sind die Herausforderungen der Zukunft zu groß ;). Allerdings finde ich es schön, daß wir Deutschen uns am angenehmen Status Quo erfreuen. Wieso auch nicht? Zukunftspanik bringt auch nichts. Das Kartell der Schuldenmacher, das diese Republik im Würgegriff hat, wird wohl erst klug werden, wenn das Kind wie in Griechenland in den Brunnen gefallen ist. Die aufregenden Zeiten kommen also noch ;).

  8. avatar

    @Margaret Heckel.
    In der Tat ist es leider noch schlimmer, als Sie beschrieben haben. Weil die Begeisterung ist doch vorhanden – z.B. wenn Dieter Bohlen im Fernseher auftaucht oder „Big Brother“. Fehlende Reformfreudigkeit und Kinderfreundlichkeit -> ungesundes Schulsystem -> Bildungsniveau -> herrschende Geschmack- und Humorlosigkeit u. s. w. Und keine Zeit darüber nachzudenken – “gutes Essen und Trinken”. Toll!

  9. avatar

    Frau Heckel, Ihr Kollege Burchardt mahnt Bescheidenheit an, damit es keine Erdbeben mehr gibt. Kaum beschränke ich mich aufs Essen und Trinken in einer schönen Landschaft, ist es auch wieder nicht recht.

  10. avatar

    Frau Heckel, ich lese fast Wut aus Ihren Zeilen. Aber wenn man Deutschland von außen betrachtet, kommt man leider auch zu keinem anderen Ergebnis. In den Gesprächen mit meinen türkischen Freunden werde ich oft gefragt, was ist in Deutschland los. Wo ist die deutsche Kreativität, das Streben nach vorne?

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