„Bin ich denn konservativ genug“?, lautete die Frage der heutigen Bundeskanzlerin als sie im Jahr 2000 den Vorsitz der CDU übernehmen sollte. „Lass das mal unsere Sorge sein“, sollen ihre Befürworter damals geantwortet haben. „Deine Aufgabe ist es, dass unsere Töchter und Söhne in Zukunft noch konservativ wählen“.
Als Parteivorsitzende und Kanzlerin hat Angela Merkel das Bild der CDU nach außen modernisiert wie keiner ihrer Vorgänger. Ergebnis ist zwar ein modernes Profil, insbesondere in der Familien- und Integrationspolitik. Das ruft (wieder einmal) die Kritiker auf den Plan. Pünktlich zur Klausur der CDU in dieser Woche werfen sie der Parteivorsitzenden fehlendes konservatives Profil vor. Das was heißt „konservativ“ im 21. Jahrhundert unter radikal veränderten Bedingungen? Der Volkspartei CDU und CSU scheint das gleiche Schicksal wie den beiden Großkirchen zu drohen, die ihre kulturelle und normative Deutungsmacht in der Gesellschaft längst verloren haben. Dass laut einer Mitgliederbefragung der CDU nahestehenden Adenauer Stiftung 80 Prozent der Mitglieder Angehörige einer christlichen Kirche sind, gerät in einer Zeit, in der es sich zunehmend gesamtgesellschaftlich genau andersherum verhält, zum Nachteil.
Das vermeintlich Paradoxe lässt dennoch hoffen: Obwohl die Kirchen leerer werden, sind Werte wie Familie, Solidarität und Engagement aktueller denn je.
Das Elend der Konservativen liegt im Unterlassen einer Neubegründung von Subsidiarität, Solidarität und Personalität. Einfacher formuliert: von Freiheit und Verantwortung unter den Bedingungen von Globalisierung und Individualisierung.
Konservative Politik war immer dann erfolgreich, wenn sie mit neuen Ideen in die Zukunft ging. Die Zukunft kann aber nur gewinnen, wer neugierig auf sie ist und wer daran glaubt und hart dafür arbeitet, dass gute, vielleicht sogar bessere Jahre, vor dem Land und seinen Menschen liegen.
Auf Neugierde müsste heute das Programm eines neuen Konservatismus setzen; ein Programm, dem es um die Bewahrung des Verteidigenswerten und den Aufbruch zu neuen Unfern gleichermaßen geht. Die Chance, auf eine moderne und liberale Art konservativ zu sein, war noch nie so groß wie heute.
Ein zeitgemäßer Konservatismus würde sich auf die Suche nach Antworten auf die gegenwärtige doppelte Krise begeben. Die Vertrauenskrise in Politik und Gesellschaft und die Wirtschafts- und Finanzkrise werfen mittel- und langfristig die Systemfrage in einem doppelten Sinne auf. Allgemein geht es um die Akzeptanz und Leistungsfähigkeit der Demokratie in schwierigen Zeiten, konkret um die Frage nach der Zukunft des deutschen Modells der Sozialen Marktwirtschaft.
Nach dem Traum einer sozialistischen Gesellschaft ist ein weiterer verblasst: Der Traum von der Selbstregulierung der Märkte und seiner Teilnehmer. Die unkontrollierte Freiheit des Kapitals hat die gesamte Welt in eine gigantische Krise geführt. Dieser Kapitalismus ist an einem Mangel an Verantwortung gescheitert. Seine Eliten haben sich vom Rest der Gesellschaft erst entkoppelt und dann verabschiedet.
Wie könnte eine moderne konservative Antwort aussehen? Eine solche müsste die Vorteile wohlfahrtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Mechanismen verbinden, ohne sie gegeneinander auszuspielen oder ein Modell zu bevorzugen. Eine neue konservative Antwort hätte einen Wandel des Zeitgeistes zum Ziel. Ein zeitgemäßes Modell der Sozialen Marktwirtschaft privilegiert gesellschaftliche Anstrengungen und nicht vererbtes Eigentum. Gemeinsame Verantwortung hat Vorrang gegenüber individueller Selbstbedienung und das Gemeinwohl steht über dem Egoismus Einzelner.
Ein so verstandener progressiver Konservatismus verfolgt drei Ziele: Die Bändigung der Märkte, die Vereinbarkeit von Wirtschaft mit der Lebenswelt der Menschen und die Verhinderung von Armut. Schon Adam Smith wusste, dass Märkte nur dann nachhaltig sind, wenn sie eingebettet sind in eine moralische Architektur. Erst die Freiheit von der Dominanz staatlicher Bürokratie, öffentlicher oder privater Monopole und ungezügelter Marktkräfte erlaubt die nötige Unabhängigkeit zur Bildung von Gemeinwohl und Autonomie und eine Vereinbarkeit vermeintlicher Widersprüche.
Ein moderner Konservatismus setzt vor allem auf die kleinen Einheiten. Die Stärke der kleinen und mittleren Unternehmen ist ihm mindestens ebenso wichtig wie das große Geschäft der Aktiengesellschaften. Der soziale Wohlfahrtsstaat und der neoliberale Marktstaat des 20. Jahrhunderts haben einen Markt ohne Wettbewerber und Aufsicht etabliert. Einen Kapitalismus ohne Eigentümer und Haftung. Gemein ist beiden eine Politik der ungedeckten Schecks zu Lasten nachfolgender Generationen. Kulturell haben beide Systeme, Sozialstaat und Marktstaat, die sozialen Lebenswelten kolonialisiert. Beide Modelle haben kein Rezept gegen die wachsende Armut, insbesondere von Frauen und Kindern und die zunehmende Wohlstandsverwahrlosung ganzer Schichten.
Hat das K-Wort in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft? Ja, weil die Menschen gerade in unsicheren Zeiten wie diesen Orientierung und ein neues geistiges Geländer suchen. Gefragt ist eine Balance aus Bewahren und Erneuern, aus Sicherheit und Freiheit, aus Zutrauen und Zumuten. Gefragt ist ein Konservatismus so neugierig und nachhaltig wie die Menschen und so kreativ wie der Wandel, wenn er gestaltet und nicht bloß hingenommen wird. Es spricht daher viel dafür, dass auf das sozialdemokratische 20. Jahrhundert ein konservatives Jahrhundert folgt. Ein Jahrhundert, in der Erneuerung zur Tradition wird.
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@aloe
Wafür, warum oder bei wem bedanken sie sich?
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Liest sich ja alles wunderbar, aber in der Praxis erhebt sich die Frage: Wie lange versucht die Menschheit bereits diesen Spagat und wie weit ist sie dabei bis heute vorangekommen?
Das Ergebnis mit z. B. Stichjahr 2009 läßt eher verzagen, denn hoffen! 🙁
@Daniel Dettling
Ihre Ideen für einen neuen Konservativismus lassen mich schmunzeln.
Was Sie hier reklamieren, hatten die konservativen Gründerväter unserer Republik bereits im Jahre 1947 erkannt, im Ahlener Programm, und den später nachfolgenden, Düsseldorfer usw. Diese Vorschläge waren weit progressiver, als das, was sie hier schildern. Die Vorgehensweise von Staat und Wirtschaft in den letzten ca. 25 Jahren waren kein Fortschritt, eher ein Rückschritt in eine Art, entschuldigen Sie bitte, Frühkapitalismus. Ich bin weder Sozialist noch Kommunist, also sollten Sie bei dem Begriff „Frühkapitalismus“ keine voreiligen Rückschlüsse ziehen.
Gerade habe ich ein altes Büchlein zu Rate gezogen, vom guten alten Blüm. Schon 1972 hatte er die Frage gestellt: Reaktion oder Reform, wohin geht die CDU?
Derartige Identifikationskrisen hatte diese Partei schon oft.
Wenn die alten Ideen der Konservativen modern umgesetzt werden, dann sehe auch ich eine große Chance, daß sich die CDU und auch ein Teil der Gesellschaft positiv entwickeln wird. Besonders, da so viele der ehemaligen Sozis „versehentlich“ konservativ geworden sind.