In Hamburg gibt es Ärger wegen der Schulreform. Schwarz-Grün will erstens das gemeinsame Lernen in der Grundschule von jetzt vier auf sechs Jahre verlängern. Und danach sollen die Eltern nicht allein entscheiden dürfen, auf welche Schule sie ihr Kind schicken wollen: auf das Gymnasium oder auf die aus Haupt-, Real- und Gesamtschule zusammengelegter Gemeinschaftsschule.
Um es vorweg zu bekennen: Ich bin aus vielen Gründen, pädagogischen wie politischen, für das längere gemeinsame Lernen. Und: wir haben damals unsere Tochter nach der vierten Klasse aus der (in Berlin sechsjährigen) städtischen Grundschule herausgenommen und in ein Privatgymnasium gesteckt. Die Entscheidung haben wir nie bereut.
Ein Widerspruch? Ja.
Ich möchte aber auch betonen, dass die Grundschule unserer Tochter nicht etwa in einem „Problembezirk“ lag; dass es nicht darum ging, unsere Tochter dem Einfluss von Migranten, Unterschichtkindern und was es sonst an Bürgerschrecklichem gibt zu entziehen. Die Grundschule lag in einem bürgerlichen Bezirk Berlins und wurde von braven Bürgerkindern besucht; an der Privatschule hingegen kam unsere Tochter mit Schickimickimädels einerseits, Kreuzberger Knaben andererseits in Berührung – also mit einem viel breiteren sozialen Spektrum als in der Grundschule. Doch das war auch nicht der Grund für den Wechsel.
Der Grund war: Die Lehrer an der Grundschule waren faul und haben den Kindern nichts abverlangt, die Lehrer an der Privatschule waren fleißig und haben was gefordert.
Die Frage also, welche Schule für ein Kind die beste ist, kann nicht ideologisch – nicht abstrakt – beantwortet werden. Kinder brauchen vor allem gute Schulen. Gute Schulen sind Schulen mit guten Lehrern. Gute Lehrer sind Lehrer, die Kinder lieben und sich mit dem, was sie tun, identifizieren. Gute Lehrer findet man vor allen dort, wo es eine gute Schulleitung gibt. Es gibt keine gute Schule ohne gute Schulleitung.
Kinder wiederum kommen nicht vorsortiert nach Gymnasium, Realschule und Hauptschule zur Welt. Wer selbst das Gymnasium besucht und es zu etwas gebracht hat, geht zwar selbstverständlich davon aus, dass sein Kind Gymnasialmaterial ist, aber statistisch gesehen ist das keineswegs wahrscheinlich. Dass es aber dennoch in Deutschland so ist, dass Akademikerkinder aufs Gymnasium gehen, Arbeiterkinder auf die Restschulen – das ist ein Skandal.
Das Problem in Hamburg ist folgendes: Die Initiative gegen die Schulreform verteidigt hauptsächlich das bürgerliche Privileg, seine Kinder nach vier Jahren auf das Gymnasium zu schicken. Das kann man nicht unterstützen. Der Schwarz-Grüne Senat wiederum will den Eltern jedes Recht nehmen, darüber zu entscheiden, welche Schule für ihre Kinder richtig ist. Das kann man auch nicht unterstützen.
In diesem sterilen Gegensatz bewegt sich der Kulturkampf in der Bundesrepublik Deutschland seit den Tagen Willy Brandts und der ersten Gesamtschulen. Die Bildungsreformer wollen die Eltern zu ihrem Glück zwingen. Die Eltern wollen nicht zu ihrem Glück gezwungen werden.
Warum beschränkt sich die Regierung nicht darauf, Bildungsstandards zu benennen und durch Prüfungen durchzusetzen? Ansonsten sollte sie den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Schulen fördern, am besten durch Bildungsgutscheine für Eltern, die sie bei jeder Schule – öffentlich oder privat, Grundschule, Gemeinschaftsschule oder Gymnasium – einlösen können. Wer viele Gutscheine einsammelt, bekommt viel Geld, wer wenige einsammelt, geht ein. Man wird staunen, wie viele Gymnasien auf diese Weise vom hohen Ross herunterkommen; wie viele Gemeinschaftsschulen ihr Niveau zu verbessern versuchen werden.
Die Mehrheit der Kinder wird die Nestwärme der sechsjährigen Grundschule suchen; andere werden früher fliegen wollen. Wie auch immer: Schüler und Eltern werden schon die für sie richtigen Schulen finden, wenn man sie nur lässt. Nicht nur in Hamburg. Kulturkampf ist Blödsinn: Lasst hundert Blumen blühen! Lasst hundert Schulen miteinander wetteifern! Das wäre eine echte Kulturrevolution.
Alan Posener: Die Mehrheit der Kinder wird die Nestwärme der sechsjährigen Grundschule suchen; andere werden früher fliegen wollen.
Es wird nicht ganz deutlich, wie weit Sie die Verbindlichkeit der staatlichen Grundschule mit obigem Satz (und überhaupt – sollen auch private Grundschulen in das Gutscheinsystem einbezogen werden?) einschränken wollen. So weit Sie es tun bzw. wollen, werden Sie damit den sozial-integrativen Charakter der Grundschule einschränken. Das Hauptschulproblem, das wir ohnehin schon haben, wird sich infoern auch noch in die Grundschule verlagern. Und das ist ungefähr das, was wir gar nicht gebrauchen können.
Kluge Analyse.
Aber solange die unfähige Politikerkaste, die für das katastrophale deutsche Schulsystem verantwortlich ist immer wieder gewählt wird wird sich nichts ändern.
Auch in Hamburg haben möglicherweise viele nur deshalb unterschrieben, um es „denen da oben“ mal zu zeigen ohne sich groß Gedanken gemacht zu haben über die Bildungspolitik im Allgemeinen.
Bis zur nächsten Wahl ist das alles vergessen.
Bravo, Herr Posener! Eine präzise Diagnose für’s Schulsystem Deutschlands. Schön dass es Leute gibt, die nicht nur ahnen das dieses Schulsystem krank ist sondern genau wissen warum es krank ist. Die Wahrheit kann so einfach sein wenn man tief genug und philosophisch
analysiert. Ob die deutsche Politik (z.B. Leute aus Bildungsministerium) diese Fähigkeiten besitzt – da bin ich mir leider nicht sicher…