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Warum ein Freitod so erschüttert – und doch jeder ein Recht darauf hat

Robert Enke soll Selbstmord verübt haben. Schon das Wort „Selbst-Mord“ beeinhaltet eine ungeheuerliche moralische Bewertung. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben. Auf sein Leben. Und jeder Mensch sollte ein Recht haben, sein Leben zu beenden, ohne dass die Gesellschaft ein Recht haben sollte, dies zu bewerten.

Die Einordnung ist oft Ausfluss der eigenen existentiellen Angst. Die monotheistischen Weltreligionen haben sich diese Angst zu nutze gemacht und wollen – scheinbar – den Menschen helfen, indem sie die Beendung des eigenen Lebens als Sünde charakterisieren – nach dem Motto „Gott hat das Leben gegeben und nur Gott kann das Leben wieder nehmen“.

Besonders erschüttert ein Freitot dann, wenn ein Vorbild, ein scheinbar starker Mensch, sich dafür entscheidet. Fußballer gelten als unsensibel, als Helden in der Brandung, als unerschütterlich. Wie kann ein erfolgreicher Mann, der sogar Nationaltorwart ist, sich sowas antun? Und was tut er uns damit an?

In unserem Land leben immer mehr Menschen, die medizinsich die Diagnose Depression bekommen. Erst seit wenigen Jahren akzeptieren wir diese Diagnose als einen echten Krankheitsbefund. Die vermeintlichen Ratschläge „Reiß Dich doch zusammen“ und „Dein Leben ist doch wunderschön“ sind hilf- und sinnlos für die Betreffenden. Lebensmüdigkeit wird zum Alltagsphänomen. Wie Grippe oder Bandscheibenschäden.

Psychiater wissen, dass Depressionen ernst genommen werden müssen. Sie können tödlich enden. Aber nicht jeder Selbstmörder muss depressiv gewesen sein. Es gibt viele Gründe, warum ein Mensch nicht mehr leben will oder kann.

Jeder Mensch muss einen Anspruch auf Respekt vor diesen Gründen einklagen können. Die größte Respektlosigkeit besteht darin, die Gründe und die Tat als verwerflich, sündhaft oder gar unerklärbar abzustempeln. Das mag für den Abstempelnden gelten.

Aber wir haben kein Recht, anderen Menschen ihre Entscheidungskompetenz und -würde abzusprechen. Natürlich macht es traurig und sprachlos, wenn in unserem Umfeld ein Freitod uns deutlich macht, wie fragil der Lebenswille ist, aber auch der Lebenssinn.

Wenn solche Erlebnisse irgendetwas hinterlassen sollten, dann nicht die Empörung und das nachträgliche Mit-Leiden. Sondern eine verstärkte Sensibilität, ein Hinhören, ein Hinschauen in unser Lebensumfeld, ob die Fassaden des Glücks Wirklichkeit sind oder die schlechte Schauspielkunst des verzweifelten Menschen, bei dem wir die Risse in der Fassade aus Bequemlichkeit übersehen haben.

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14 Gedanken zu “Warum ein Freitod so erschüttert – und doch jeder ein Recht darauf hat;”

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    @Schöpe:

    Um Ihrem Gedächtnis mal auf die Sprünge zu helfen, bei Kusch ging es nicht darum, anderen Menschen den Freitod zuzugestehen sondern um Sterbehilfe, „Sterbevermittlung“, Anmaßung, Kommerzialisierung des Leidens anderer Menschen usw. – Bitte denken Sie das nächste Mal nach, bevor Sie Herrn Friedman wieder die Worte im Munde verdrehen möchten.

  2. avatar

    Sehr geehrter Herr Friedmann,

    ich kann mich noch an eine Sendung erinnern, in der Sie Roger Kusch Gift & Galle entgegenspuckten, weil er es wagte, anderen Menschen den Freitod zuzugestehen. Nun habe ich mit Herrn Kusch nichts am Hut. Was mir aber auffällt, ist die Doppelmoral Ihrer Argumentation. Dass ausgerechnet Sie nun der Meinung sind, es sei jedem Menschen überlassen, zu wählen, wann er die Bühne des Lebens verlassen möchte, wirkt auf mich labil. Oder haben Sie in der Zwischenzeit neue Erfahrungen gemacht, weiter nachgedacht?

    Nicht für ungut.

  3. avatar

    Lieber Herr Friedman,

    ein weitsichtiger und differenzierter Kommentar.
    Traurig ist eigentlich, dass erst das Schicksal
    eines Prominenten eine Krankheit ins Licht rückt –
    vermutlich nur für eine kurze Zeit. Es ist eine
    gesellschaftliche Aufgabe, sich dieser Krankheit
    zu stellen, nicht die Augen vor ihr zu verschließen.
    Und sie nicht abzutun mit den Worten „Nun hab dich
    nicht so … jedem geht es mal schlecht … reiß
    dich zusammen“.
    Es steht niemandem zu, Robert Enke zu veruteilen.
    Nicht dafür, was er seiner Frau, seinem Kind, dem Lokführer „antat“ – den dies in sein Tun „einzuplanen“, war ihm gar nicht möglich.

    Nachdenkliche Grüße,
    Werner Mann

  4. avatar

    Robert Enke ist zu bedauern,und wenn er keinen anderen Weg als den gewählten sah, dann haben wir das nach Friedman wohl zu akzeptieren.

    Gilt das aber auch für die Witwe, den Lokführer und die Ersthelfer vor Ort, die ihr Trauma klaglos zu akzeptieren haben ?

    Gilt das auch für die vielen Menschen mit ähnlichem Krankheitsbild, die sich jeden Tag wieder gegen alle Widerstände für das Leben entscheiden ?

  5. avatar

    Alles klar B. Uduwerella, soweit und sogut wie die Berichterstattungen vorliegen, trafen Sie mit Ihrer rationell, persönlichen Betrachtung das Ziel.

    Nur, was entging dabei Ihrem Blick?:
    Im Fall des Robert Enke, beispielhaft für viele Menschen, handelte es sich eben nicht mehr um eine rationell, denkende und/oder handelnde Person.
    Hätte er diese Kriterien noch erfüllt oder auch nur erfüllen können, dann würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mitten im Leben stehen.
    So aber, gefangen in schwerster Depression, sind diese Menschen offensichtlich nicht mehr in der Lage, in ihr Denken gleichzeitig auch noch die Konsequenzen, für Personen ihres persönlichen Umfeldes, darüber hinaus beispielsweise für einen Lokführer, einzubauen.

    Ich bleibe der Ansicht, jede Wertung der Person sowie auch der Umstände die zu dieser Tat führten, müssen aus der Ferne betrachtet fehl gehen.
    Glaube auch nicht, dass man das je wird messen können.

  6. avatar

    Schon das Wort “Selbst-Mord” beinhaltet eine ungeheuerliche moralische Bewertung. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben. Auf sein Leben. Und jeder Mensch sollte ein Recht haben, sein Leben zu beenden, ohne dass die Gesellschaft ein Recht haben sollte, dies zu bewerten.

    Nicht nur der Begriff „Selbstmord“ beinhaltet eine moralische Wertung, sondern auch der Begriff „Freitod“.
    Menschen sind soziale Wesen und leben nicht für sich allein. Der Einzelne braucht seine Mitmenschen und die Gesellschaft braucht den Einzelnen, daher hat aus meiner Sicht hat das Recht auf Selbstbestimmung dort die Grenze, wo die Rechte und Pflichten anderer beeinträchtigt werden.

    Die Selbsttötung ist eine Flucht aus der Verantwortung, deren Grund/Gründe von Außen stehenden nicht immer verstanden wird/werden, aber sie verursacht immer Rat- u. Hilflosigkeit bei den Hinterbliebenen und nicht selten kommt zu deren seelischer Not auch noch wirtschaftliche Probleme, die nicht immer von der Gesellschaft aufgefangen werden.
    Man sollte auch mal einen Gedanken an die verschwenden, die dann den Toten zu bergen haben, oder wie der Zugführer, am Tod beteiligt waren und durch den Vorfall traumatisiert wurden. Es gibt Menschen, die dadurch ihren Beruf nie wieder ausüben können.
    Im Überlebensfall bürdet diese Person seinen Angehörigen eine kaum tragbare Last auf, weil das Überleben dann oft nur mit erheblichen Behinderungen möglich und wirtschaftlichen Kosten verbunden ist, die dann von Angehörigen und/oder von der Gesellschaft zu tragen sind.
    Durch den Tod lassen sie Angehörige ratlos und oft mit Schuldgefühlen zurück.

  7. avatar

    Die sprachliche Bewertung des Wortes „Selbst – mord“ ist ganz eindeutig, wenn man nur mal in das Herkunftswörterbuch (Duden, Nr.7) schaut. Danach ist das (Selbst) töten, Freitod, heutzutage, wo jeder Ausdruck politisch korrekt zu sein hat, die mildere Form, um das Geschehene auszudrücken. Die „ungeheure moralische Bewertung“ des Wortes Selbstmord wäre mir nicht aufgefallen, hätte Friedmann sie nicht hineininterpretiert. Mal davon abgesehen, ist das Bestrafen der Umwelt und vor allem des Lokführers eine Art, um auf das Leiden der Person aufmerksam zu machen, die unangenehmste Form den Freitod zu wählen, gefolgt vom Schuß in den Mund. Ich will das nicht weiter vertiefen, aber es gibt andere, die Mitwelt nicht belastende Verfahren, um aus dem Leben zu scheiden. Daß Enke nicht gesund war, konnte man sehen, wenn man die Porträts der letzten drei Jahre vergleicht, ich dachte zunächst, daß er unter Chemotherapie stände. Also: Die Krankheit, bzw. die Gründe Enkes bewerte ich nicht, jedoch die Art unjd die Auswirkungen auf die Mitmenschen.

  8. avatar

    Es ist schlicht und einfach eine bodenlose Geistesverwirrung gerade bei einem Sportler, – die Schuldfrage mag nicht zu lösen sein,- für den Freitod zu werben, denn anders ist der Artikel von Friedmann nicht zu werten. Welche Gefahr für viele andere jugendlichen in diesen Aussagen stecken ist unübersehbar.
    Die Redaktion ist deshalb für mich gewissenlos!
    Mit dem Leid der Familie von Enke hat das nichts mehr zu tun.

  9. avatar

    Ich möchte hier die schwierige Frage Selbstmord-Freitod nicht beantworten. Für wenige Zeilen in einem Blog scheint sie mir zu vielschichtig.

    Aber ich möchte einmal das Augenmerk darauf richten, was der Todesfall Enke hinterlässt:

    1. eine Ehefrau, die – wie Enke selbst – vor drei Jahren die Tochter verloren hat und nur zudem ihren Ehemann. Hier fällt es schwer, aus diesem Blickwinkel die Handlung Enkes zu verstehen.

    2. einen Lokführer, der für den Rest seiner Tage mit dem Tod Enkes befasst bleibt. Ich habe – als praktizierender Rechtsanwalt – vor einiger Zeit einen Lokführer vertreten, dem das selbe Schicksal widerfuhr und glaube aus eigener Anschauung zu wissen, was dieser für ihn únausweichliche Augenblick für den Lokführer bedeutet. Warum muss die Tat Enkes und anderer Unbeteiligte derart mit sich ziehen?

  10. avatar

    Ich stimme dem zu, wenn Herr Friedman sagt, es stünde jedem Menschen zu, frei über sein Leben zu entscheiden.Jeder sollte sich der Sinnlosigkeit des Lebens entziehen können. Ob man das dann Selbst- Mord nennt oder Freitod dürfte für den Betreffenden wohl keine Rolle spielen, nicht davor und nicht danach. Eine solche Entscheidung trifft man nicht leichtfertig und schon überhaupt nicht nach „moralischen“ Gesichtspunkten, denke ich.
    Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen, die zwischen Trauer, Wut und Schuldgefühlen hin- und hergerissen sind.

    Depressionen sind ja nun eigentlich nichts Neues, aber wen stört es schon, wenn Hinz und Kunz sich erfolgreich zum Freitod entschlossen haben(abgesehen von den Angehörigen, sofern welche vorhanden sind).

    Hier geht’s doch in erster Linie darum, dass sich jemand mit einem gewissen Bekanntheitsgrad das Leben genommen hat. Meine Güte, laßt ihn doch in Frieden ruhen, wie all die anderen Namenlosen, um die sich ja auch niemand schert.

  11. avatar

    Ausnahmsweise ist diesesmal, jeder weitere Kommentar, über das von Friedmann bereits erwähnte hinaus, unangemessen.
    Es sei denn, jemand wäre Angehörige/r oder Freund von Robert Enke.
    Diese Menschen haben heute mein Mitgefühl.

  12. avatar

    Herr Friedman hat Recht mit der Behauptung, daß der Begriff „Selbstmord“ nicht gerechtfertigt ist. Suizid oder Selbsttötung ist die eigentlich richtige Bezeichnung.
    Zum letzten Absatz möchte ich bemerken, daß eine Wettbewerbs- und Mediengesellschaft immer zur Oberflächlichkeit erzieht, weil eben der schöne Schein, der Auftritt, Eindruck macht.
    Es ist ja auch so, daß wir in einer Event-Gesellschaft leben – und je mehr Events, desto besser.
    Auch die Egozentrik und der Egoismus, die vom Karriere- bzw. Leistungsdenken kommen und die einem
    solidarisches Miteinander zuwiderlaufen, haben die gleiche Konsequenz.
    Apropos Spitzenfußball: Sebastian Deisler hat ja wegen Depressionen seine Karriere beendet.

  13. avatar

    Lieber Herr Friedman,
    in der Tat eine schwierige und nicht eindeutig zu behandelnde Materie. Ich bin vollkommen bei Ihnen, dass es niemandem zusteht, sich anzumaßen, zu verurteilen, wenn jemand diesen Schritt geht. Die Beweggründe mögen so mannigfaltig sein, wie die Persönlichkeitsstrukturen der Menschen selbst.
    In der Tat habe ich im engsten Bekanntenkreis mittlerweile drei Menschen, die diesen Weg gegangen sind. Und es waren alles keine labilen Persönlichkeiten – so schien es immer nach Außen. Die Zurückgebliebenen fragen sich zu Recht, was hätten sie eher sehen können und sollen? Ich wage mal die These – wo ein solcher Schritt klappt, da konnte man es vorher meist nicht oder nur sehr, sehr schwer erahnen. In den anderen Fällen, wo es nicht klappt, sind es oftmals letzte Hilferufe.
    Als Fazit kann ich nur sagen, dass Depressionen wohl eine der heimtückischten und gefährlichsten Krankheiten zu sein scheint, der man als Verbliebener nur oftmals fassungslos gegenübersteht.

    In Gedenken an Herrn Enke und in Mitgefühl für die Hinterbliebenen.
    Ihr
    Sven Jan Arndt

  14. avatar

    Kling ja gut, allerdings sollte man sich für einen Freitod nicht vor einen Zug werfen, denkt hier niemand an den Lockführer? Der muss jetzt damit leben, nachts davon träumen, abends daran denken wie ihm ein Mann vor den Zug gelaufen ist, aber natürlich – Jeder Mensch hat das Recht sich vor einen Zug zu stürzen….

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