Im Folgenden – hier ein bisschen gekürzten und zugegebenermaßen flapsig wiedergegebenen – Brief (Original als PDF) haben die mächtigsten Ökonomen des Vereinigten Königreichs Ende Juli an Königin Elisabeth II geschrieben:
Majestät,
bei unserem Zusammentreffen im vergangenen November haben Sie gefragt, warum niemand die Krise vorhergesehen hat. Nun, wir haben am 17. Juni eine Konferenz dazu abgehalten. Mit diesem Schreiben übermitteln wir Ihnen die Ergebnisse.
Ehrlich gesagt, viele haben die Krise kommen sehen. Wir wussten halt nur nicht, wann genau sie kommt und wie heftig sie ausfällt. Es reicht aber nicht, eine Krise kommen zu sehen. Das „wann“ ist entscheidend bei der Vorhersage. Gewarnt haben viele, darunter auch die britische Notenbank. Das Risikomanagement wurde immer wichtiger. Es wurden sogar in vielen Bereichen noch extra Risikomanager eingestellt. Wir haben übersehen, dass man auch jemanden braucht, der die Summe aller Risiken einschätzt.
Dazu kamen die globalen Ungleichgewichte. Der Aufstieg Chinas und Indiens und das Anhäufen von Sparguthaben in den aufstrebenden Nationen machte unseren Import billiger. Und er sorgte dafür, dass ihr Leistungsbilanzüberschuss billige Zinsen und nur mäßige Ertragsaussichten auf mittel- und langfristige Anlagen eröffnete. Man suchte höhere Renditen – und damit höhere Risiken. Das war der Kern des Immobilienbooms in den USA und in England.
Auch hier haben viele gewarnt. Aber gegen die Mahner standen die vielen, die glaubten, dass die Banken schon wissen, was sie tun. Die herrschende Meinung war, dass die Besten der Besten im Finanzgewerbe versammelt waren, und dass die sich wohl kaum kollektiv irren könnten.
Viele haben geglaubt, dass sich die Finanzmärkte in ihrem Charakter geändert haben – und da ja auch außerhalb des Finanzsektors alle profitierten, Politiker, Haushalte, Konsumenten – war es leicht zu glauben, man sei nun in einer neuen, modernen, wachsenden Welt angekommen.
Diejenigen, die es hätten besser wissen müssen, haben nichts getan. Sie haben es nicht gewagt, die Bowleschüssel vom Tisch zu räumen, als die Party in vollem Gang war. Alle fanden, dass Blasen sich besser managen lassen, wenn sie platzen, anstatt sie in ihrem Entstehen zu behindern.
Was also war das Problem? Jeder hat nur seinen Job gemacht.
Die Ursache der Krise war die geballte Einbildungskraft einer Menge kluger Leute im In- und Ausland. Jetzt wollen wir dafür sorgen, dass Sie uns eine solche Frage nie wieder stellen müssen. Dazu werden wir eine „Nie-wieder-Konferenz“ abhalten. Wir werden Ihrer Majestät das Protokoll zustellen.
In Demut und Gehorsam verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen
Bei allem Erstaunen fragt man sich zweierlei:
1. Warum haben die deutschen Spitzenökonomen noch keinen Brief an die Nation geschrieben?
2. Warum brauchen Wissenschaftler immer Konferenzen (und Geld für mehr Konferenzen) als Vorbedingung für die Bereitschaft, überhaupt gemeinsam nachzudenken?
(Zuerst erschienen auf www.carta.info)