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Ein Putsch des Parlaments

 

Immerhin erregt die Frage, wer nun Präsident der Europäischen Kommission wird, die europäische Öffentlichkeit.  Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: Die Befürworter engerer europäischer Integration haben es geschafft, die Frage so hinzustellen, als handele es sich nicht darum, wer am besten geeignet wäre, den Brüsseler Beamtenapparat zu leiten, sondern darum, die europäische Demokratie zu retten, indem sich der Rat dem Votum des Europäischen Parlaments unterwirft.

Darum geht es aber nicht.

Noch die  Ernennung José Manuel Barrosos wurde allein unter den Staatschefs ausgehandelt. Angela Merkel konnte dabei ihren Wunschkandidaten durchsetzen. Sie habe Jacques Chirac den liberalen Freund der USA und Großbritanniens schmackhaft gemacht, indem sie ihm sagte, mit dem Portugiesen Barroso könne er Französisch sprechen, erzählte sie damals in kleinerer Runde mit einem schelmischen Lächeln.

Barroso sollte, so dachten es sich Merkel und ihr damaliger Hauptverbündeter in Europa, Tony Blair, die Bemühungen zur Reform der Europäischen Union koordinieren. Mehr Markt – zum Beispiel bei den Dienstleistungen – und weniger Subventionen – vor allem in der Landwirtschaft – sollte diese Kommission durchsetzen. Ihr Programm war die so genannte „Lissabon-Agenda“ der Europäischen Union, der zufolge sich die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ entwickeln sollte.

Nun, das Ziel wurde verfehlt, wofür Barroso am wenigsten verantwortlich zu machen ist. Erst kam die Weltfinanzkrise, aus der dann in der Eurozone eine Banken- und Staatsschuldenkrise wurde. Mitten in dieser Krise verabschiedete der Europäische Rat auf Vorschlag der Barroso-Kommission den Plan „Europa 2020“, der als „Fortschreibung“ der Lissabon-Agenda verkauft und vermutlich genau so scheitern wird:

http://de.wikipedia.org/wiki/Europa_2020

 

An diesen ambitionierten Zielen freilich muss man den Mann oder die Frau messen, der oder die an der Spitze der Europäischen Kommission stehen soll; vor dem Hintergrund dieser Ziele muss man auch den versuchten Putsch des Europäischen Parlaments gegen den Europäischen Rat beurteilen.

Diese Agenda 2020 legt zum Beispiel nicht fest, dass Europa politische oder institutionelle Fortschritte in Richtung eines föderalen Staates machen soll. Eine solche Entwicklung mag sich für die Eurozone als unumgänglich erweisen, auch wenn die meisten Bürger der Eurozone das nicht wollen. Aber für Europa insgesamt steht sie ausweislich „Europa 2020“ nicht auf der Tagesordnung. Es geht vor allem um die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, damit die Beschäftigungsquote erhöht und die Armutsquote gesenkt werden können; um die Verbesserung der Qualität von Schule und Ausbildung; und um eine ambitionierte Energiewende hin zu erneuerbaren Quellen.

 

Dem Europäischen Parlament geht es aber einzig und allein darum, dass ein vom Parlament bestimmter Kandidat Kommissionspräsident wird. Wofür der steht, ist zweitrangig. Für das Parlament steht die eigene Macht im Vordergrund, nicht das Wohlergehen der Mitgliedsstaaten und der Bürger der Union.

 

Ich zitiere zur Veranschaulichung aus der Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“. Am 27. Mai, also am Dienstag nach der Europawahl, schien es noch so, als könnte sich die Fraktion der „Sozialisten und Demokraten“ (S&D)  im Parlament weigern, Jean-claude Juncker zu unterstützen, den Kandidaten der „Europäischen Volkspartei“ (EVP), also des Zusammenschlusses der meisten Mitte-Rechts-Parteien. SPD-Chef Sigmar Gabriel „appellierte an die EVP, ihr Verhältnis zur rechtskonservativen Fidesz-Partei aus Ungarn und der italienischen Forza Italia von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi zu überprüfen. (…) Eine Mehrheit dürfe nicht an den Stimmen von Rechtspopulisten hängen.“

Gabriels Kalkül: eine Spaltung der EVP hätte womöglich dem unterlegenen sozialdemokratischen Kandidaten Martin Schulz eine Chance beschert, als Kandidat des Europäischen Parlaments zu gelten.

Drei Tage später sah es schon ganz anders aus: „Die SPD warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) davor, einen anderen Kandidaten auszuwählen als den Luxemburger Jean-Claude Juncker“, konnte man am 30. Mai in der „SZ“ lesen. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi warnte Merkel nun davor, „das Geklüngel auf Spitzenebene fortzusetzen“. 

Inzwischen hatte die SPD ja auch Gelegenheit zur „Geklüngel auf Spitzenebene“ gehabt und festgestellt, dass Schulz chancenlos war.

 „Das Europäische Parlament hatte sich bereits vor der Wahl darauf festgelegt, dass einer der Spitzenkandidaten den Chefposten der Kommission übernehmen sollte – und die Abstimmung dadurch zu einer Art Direktwahl des Kommissionspräsidenten erklärt“, so die „SZ“ weiter.

Halten wir mal inne.

– Erst stellen – nach „Geklüngel auf Spitzenebene“ – EVP und S&D je einen „Spitzenkandidaten“ für das Amt des Kommissionspräsidenten auf, obwohl das Parlament  gar nicht befugt ist, den Kommissionspräsidenten  zu wählen und obwohl nirgends steht, dass der Kommissionspräsident aus den Reihen des Parlaments kommen muss.

– Dann „erklären“ EVP und S&D nach „Geklüngel auf Spitzenebene“ die Parlamentswahl wider besseres Wissen und gegen Text und Geist des Gesetzes „zu einer Art Direktwahl des Kommissionspräsidenten“.

– Und dann legen sie in „Geklüngel auf Spitzenebene“ fest, dass – egal, wie die Wahl ausgeht – einer dieser beiden Kandidaten „den Chefposten der Kommission übernehmen“ soll. Das heißt, die Sozialdemokraten werden auch dann den konservativen „Spitzenkandidaten“ Juncker unterstützen, wenn der Rat der Regierungschefs etwa einen anderen Sozialisten als Martin Schulz  vorschlägt, und sei er noch so geeignet; und wenn die S&D-Fraktion die größte im europäischen Parlament geworden wäre, hätten die Konservativen den Sozialisten Schulz auch dann unterstützt, wenn der Rat einen Konservativen vorgeschlagen hätte.

Mit anderen Worten: Lechts und Rinks sind austauschbar. Juncker will einen einheitlichen Mindestlohn in Europa, Schulz will einheitliche Steuersätze. Beides spielt der deutschen Dominanz in die Hände, denn hohe Steuern und einen hohen Mindestlohn kann sich nur Deutschland leisten. Und egal wie Europas Wähler entscheiden, sie bekommen einen Kommissionspräsidenten, der auf alle Probleme Europas vor allem eine Antwort weiß: „Mehr Europa“, sprich mehr Macht und mehr Kompetenzen für die Zentrale. Und das nach einer Wahl, die einhellig begriffen worden ist als eine Ohrfeige für genau diese Art von Politik. Wie sagte weiland der scheidende König von Sachsen: „Scheene Demokraten seid ihr!“

 

Der Vertrag von Lissabon regelt die Wahl des Kommissionspräsidenten:

http://dejure.org/gesetze/EU/17.html

 

Die entscheidende Passage lautet: „Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder.“

 

Die Passage lautet nicht: „Das Europäische Parlament wählt aus seinen Reihen einen Kommissionspräsidenten, den der Europäische Rat zu bestätigen hat.“

Der Vertrag gibt dem Parlament nicht einmal ein Vorschlagsrecht, geschweige denn das Recht, „Spitzenkandidaten“ zu ernennen und dem europäischen Wahlvolk vorzugaukeln, es könne den Kommissionspräsidenten wählen.

Aber Kommentatoren aus allen politischen Lagern in Deutschland tun so, als ob der Rat verpflichtet wäre, Jean-Claude Juncker dem Europäischen Parlament vorzuschlagen; sonst wäre „die europäische Demokratie beschädigt“ oder „der europäische Gedanke im Herzen getroffen“ und was des Unsinns mehr ist.

 

Um es klar zu sagen:

 

Die europäische Demokratie und der europäische Gedanke  haben gerade dadurch Schaden genommen, dass Geist und Buchstabe von Verträgen mit Verfassungsrang einfach außer Kraft gesetzt werden, wenn sie den Mächtigen in Europa oder dem Ziel der „immer engeren Union“ widersprechen. Erinnern wir uns an den Vertrag von Maastricht: Verschuldungsgrenzen? No-bailout-Klausel? Von Gerhard Schröder und Angela Merkel auf den Misthaufen der Geschichte befördert – weil Schröder mehr Schulden machen und Merkel die deutschen Banken vor Verlusten bei einem Austritt Griechenlands retten wollte.

 

Erinnern wir uns an die Referenden zur Europäischen Verfassung: Nachdem Franzosen und Holländer sie abgelehnt haben, wurde der Text umbenannt, das Wort „Verfassung“ fiel weg, und die gewünschten Maßnahmen (darunter die Regelung zur Wahl des Kommissionspräsidenten) wurden als „Vertrag von Lissabon“ eben ohne Volksbefragung durchgesetzt. Wo das nicht möglich war, etwa in Irland, musste das Volk so lange abstimmen, bis es so stimmte, wie die Befürworter der „immer engeren Union“ das wollten.

 

Nun soll das im Vertrag von Lissabon festgelegte Verfahren, bei dem der Rat der gewählten Regierungschefs einen Kandidaten „unter Berücksichtigung“ der Parlamentswahlen bestimmt, ausgerechnet im Namen der Demokratie auf kaltem Wege durch ein anderes Verfahren ersetzt werden. Eine solche Selbstermächtigung nennt man einen Putsch, und das bleibt ein Putsch, auch wenn hier keine Generäle putschen, sondern ein Parlament. Hier müssen die Staatschefs widerstehen, sonst ist auch der Vertrag von Lissabon, wie der von Maastricht, nicht das Papier wert, auf dem es geschrieben ist. Dann ist im Namen der Demokratie die Rechtsstaatlichkeit ausgehoben worden.

 

Wenn der Rat  wirklich „die Ergebnisse der Parlamentswahlen berücksichtigen“ will, muss er dem Parlament eine Persönlichkeit vorschlagen, die in der Lage ist, Europa zu reformieren, also erstens die Ziele von „Europa 2020“ zu verwirklichen oder wenigstens voran zu bringen; und zweitens zu begreifen, dass die Zeit des „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ der europäischen Integration mit dieser Wahl und dem Aufstieg der Anti-Establishment-Parteien abgelaufen ist.

Weder Jean-Claude Juncker noch Martin Schulz sind solche Persönlichkeiten; im Gegenteil. Sie vertreten das Europa von gestern. Der Rat sollte zeigen, dass er die Botschaft der Wahlen verstanden hat; er sollte eine unabhängige Persönlichkeit als Kommissionspräsident nominieren;  er darf nicht zulassen, dass Buchstabe und Geist des Vertrags von Lissabon verletzt werden;  er darf dem Konflikt mit dem Parlament nicht aus dem Weg gehen. 

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67 Gedanken zu “Ein Putsch des Parlaments;”

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    Junker ist m.E schon im Vorfeld von den Medien verheizt worden. Wenn das Theater noch länger geht, bevor evtl. die Briten austreten, kommt eine Engelsgestalt Namens ?, die dann den Streit schlichtet und sich vorzeitig vom Acker schleicht um den Posten selber einzunehmen. Wer das ist, überlasse ich Ihnen.
    Die ganze Diskuussion um den Posten ist schon mehr als oberpeinlich! Das Europaparlament ist m.E zum reinen Abnickverein verkommen( vgl. Dt. Bundestag). Solange Gesetzesbrüche( No bail out. . .) zum Alltag werden, solange kann ich die da OBEN nicht ernst nehmen.

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    Für die, die es noch nicht gemerkt haben: Rechts & links sind vor allem Markenzeichen für einen Mehrwert, der doch gar nicht existiert, ein Versprechen, daß nicht gehalten wird, werden kann (die Agenda 2010, den ersten Nachkriegs-Krieg haben SPD/Grüne zu verantworten).
    Kinderkram zur Orientierung und Identitätsfindung: In meinem Jahrgang war man SPD/CDU,
    1.FC/Mönchengladbach, BMW/Mercedes, Pelikan/Geha usw. usf.).
    Erwachsene wissen was sie wollen, haben derartige ‚Identitäten‘ nicht mehr so nötig, denken selber (woraus sich das „Spielerische“ ergibt) – sie sind Großbürger wie Schirrmacher.
    Linke und Rechte sind hingegen spießig, geistige Kleingärtner, angstbesetzt, aber stets stolz auf das erreichte, bräsig
    konservativ
    halt.

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    @EJ

    Das war der (wohl mißglückte) Versuch, einen Putin-Nicht-Versteher zu verstehen.

    Was mir imponiert hat, ist Ihre Entschlossenheit, die Sie von den vielen Verzagten und Zauderern abhebt. Mich würde interessieren, welche konkreten politischen und militärischen Aktionen Ihnen vorschweben, an denen Putin ersticken würde.

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    @ Lyoner: Putin mag – bei seinen Nicht-Verstehern – der größte Dämon seit den diversen Hitlern, wo auch immer sie wesen, sein,

    Ne Nummer kleiner haben Sie’s gerade nicht. Oder?

    ich denke jedoch, der Kerl ist rational genug

    … eben, um die Dummheit und Schwäche des Westens mit Erfolg für sich zu nutzen. Wie wir sehen.

  5. avatar

    @ EJ

    „Weil wir – souveränitätsversessen – nicht in der Lage sind, Putin klar zu machen: Überschreitest Du die – die eine! Es gibt nur eine! – europäische Grenze, musst Du einen Brocken schlucken, an dem Du erstickst.“

    Mit Verlaub, Sie bramarbassieren wie weiland Wilhelm, der den Chinesen auch so das Maul stopfen wollten, dass sie ihn nicht mehr scheel ansehen. Werden Sie mal konkret: wie wollen Sie, ja Sie!, das machen? Was stellen Sie sich vor?

    Putin mag – bei seinen Nicht-Verstehern – der größte Dämon seit den diversen Hitlern, wo auch immer sie wesen, sein, ich denke jedoch, der Kerl ist rational genug, um nicht zu wissen, dass er an den Esten, Letten, Litauern, Polen, Ukrainern erstickt, sollte er sie „einverleiben“.

  6. avatar

    EJ: … ‚Ich habe keine Vorstellung davon, warum Sie das wollen. Aber ich sehe die Folgen. Dass z.B. Putin den Molli mit uns machen kann. Und warum kann er das? Weil wir – noch immer und noch immer nahezu ausschließlich – in den Kategorien nationaler Souveränität denken und handeln! …‘

    … Wir haben Schiss vor Putin und – präsentieren dem Appetit Putins, mit Lettland und mit Polen und mit welchem, ach, so souveränen Staat auch immer, die mundgerechten Häppchen.

    wir haben Schiss vor Putin? … ich habe kein Schiss. Nicht einmal vor Obamas Telepromter und der Ex ihrer dämlichen Politik.

    Putin hat bis dato noch jeden Vertrag mit Deutschland erfüllt.

    Übrigens, es sind die Russen die aus Deutschland vertragsgemäß abgezogen sind. Aber, so Gorbatschow: ‚Bei den Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands im Februar 1990 hatte die Nato versprochen, sich nicht nach Osten zu erweitern. Seit dieser Zeit sind zehn europäische Länder, darunter die baltischen Ex-Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen, in das nordatlantische Verteidigungsbündnis aufgenommen worden.‘

    Wie viel Vertrags- und ‚Verfassungs’brüche hat die Ex samt EU begangen? …wie oft ihren Amtseid gebrochen? … und wann gehen die Amerikaner nach Hause? … machen ‚wir‘ doch einen Vertrag für deren Heimflug. In Freundschaft und mit lieben Grüßen, von Ihnen, wenn Sie wollen.

    Meine Freunde bestimme ich selber. Wäre ja noch schöner. Ts, ts, ts …

  7. avatar

    ot:
    @Moritz Berger
    Was bedeutet im Zusammenhang mit High Frequency Trading Instabilität? Kurssprünge, Blasen oder was ist damit gemeint?

  8. avatar

    Euro(pa)-Skeptiker zu sein, heißt noch lange nicht, gegen ein vereintes Europa zu sein, sondern im Wortsinne (σκέφτομαι) darüber (nachzu)denken und darf man doch noch, oder? Jedem halbwegs denkenden Menschen sollte klar sein, daß kein Wege an der Europa-Einigung vorbeigeht, sondern es geht darum, wie: Solange männliche und weibliche Polit-Figuren aufgrund von dämlichen Platitüden

    http://www.youtube.com/watch?v=ndRKvi998Jk

    ins EU-Parlament geschickt werden und sich in der Folge nur noch mit Nebensächlichkeiten von Gender-Heulsusen beschäftigen (ich glaube die korrekte wissenschaftliche Bezeichnung dafür ist Sozialgedöne), weil ihnen die tatsächlich anliegenden Probleme wie Arbeitslosigkeit und Verteidigung der Freiheit am Ar.. vorbeigehen, bzw. die absolute Hilflosigkeit angesichts der Wirtschaftsflaute (und vielem, so vielem anderen) bei jedem Beschluss fadenscheinig hervortritt

    http://www.handelsblatt.com/fi.....99918.html

    fällt es sehr schwer, sich mit diesem real existieren Affentheater weiter zu identifizieren.

    Es erscheint nicht nur mir äußert hilflos, wenn sogenannten Europa-Befürwortern nur noch einfällt, den Ist-Zustand in Brüssel und Strassburg und die sog. Wahl mit Frieden (wie lange noch?) und den ‚Kampf gegen rechts‘ zu rechtfertigen. Diese Schulterklopferei ist wahrer bräsiger Konservativismus.

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    @ Alan Posener

    Um sich in Ihrem Legalismus/ Formalismus nicht fangen zu lassen, anders gesagt: um Ihnen nicht völlig auf den Leim zu gehen, ein Nachtrag:

    Intergouvernementalismus hat zwei Enden. Das eine Ende lässt sich so umschreiben: ‚Nö, macht mal schön, aber ich bleibe souverän.‘ Am anderen Ende wäre (bei entsprechender europäischer Zusammenarbeit) unter voller Wahrung des deutschen Veto-Rechts der deutsche Außenminister zugunsten der Hohen Vertreterin/ des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik verzichtbar. So ungefähr.

    Auf beiden Enden des Intergouvernementalismus würden wir uns noch innerhalb der Verfassungskonformität bewegen. Und wenn wir uns mal überlegen, wo innerhalb der möglichen Bandbreite wir uns tatsächlich aufhalten bzw. bewegen und welchen Spielraum auf der einen oder anderen Seite wir noch haben, wird völlig unverständlich – oder eben nur allzu verständlich, warum Sie (die Kanzlerin) sogleich mit der Verfassungsfrage kommen (lassen). Sie wollen blockieren. Wie schon mit der Berufung auf die Dissidenten (denen man gerecht werden müsse (und das anscheinend mehr als der gewählten Mehrheit)) wollen Sie blockieren.

    Ich habe keine Vorstellung davon, warum Sie das wollen. Aber ich sehe die Folgen. Dass z.B. Putin den Molli mit uns machen kann. Und warum kann er das? Weil wir – noch immer und noch immer nahezu ausschließlich – in den Kategorien nationaler Souveränität denken und handeln!

    Wir stationieren zur Abwehr Putins 100 Soldaten – wo? In Lettland! Und wir stationieren zur Abwehr Putins weitere 100 Soldaten – wo? In Polen! Und wir geben zur Abwehr Putins auch noch zwei Flugzeuge dazu – wohin? Nach Lettland! Und zur Beruhigung kommt auch noch der amerikanische Präsident – wohin? Nach Polen!

    Und die Polen und die Letten haben trotzdem Angst, dass Putin einmarschieren könnte – wohin? Nach Polen und nach Lettland! Usw. usf.

    Was heißt das? Was machen wir da? Wir haben Schiss vor Putin und – präsentieren dem Appetit Putins, mit Lettland und mit Polen und mit welchem, ach, so souveränen Staat auch immer, die mundgerechten Häppchen. Und warum tun wir das? Weil wir – souveränitätsversessen – nicht in der Lage sind, Putin klar zu machen: Überschreitest Du die – die eine! Es gibt nur eine! – europäische Grenze, musst Du einen Brocken schlucken, an dem Du erstickst.

    Dazu sind wir nicht in der Lage, obwohl ein entsprechend eingerichtetes Europa irgendwelche von der Verfassung gesetzten Grenzen überhaupt nicht berühren würde. Weil wir – politisch dumm und missgünstig, kleinlich auf den nächstliegenden nationalen Vorteil bedacht – nicht in europäischen Kategorien denken wollen, sollen und – können.

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    @ Alan Posener

    OK. Den evtl. missverständlichen Teil des „Hätschelns“ nehme ich gern zurück. (Tatsächlich habe ich Ihre AfD-Artikel immer mit großem Vergnügen gelesen. Und Geert Wilders und LePen usw. … eh klar. Da ist Ihnen, wie wohl jeder weiß, nichts vorzuwerfen. Das Gegenteil ist der Fall.)

    Das „Hätscheln“ bezieht sich auf Ihre Argumentation oben, im Blog-Post, in dem Sie sich so drängend darum bemühen, dem (allerdings relativ starken) Abschneiden der Euro-Dissidenten bei der Europa-Wahl europa-politisch scheinbar gerecht zu werden. Angesichts der tatsächlich ausschlaggebenden Mehrheitsverhältnisse (die Sie weit weniger interessieren) ist schon einigermaßen verwunderlich.

    Aber gut. Statt in diesem Zusammenhang von „hätscheln“ zu sprechen, sollte ich vielleicht sagen: Sie blasen die Europa Dissidenten zu einer gewissen Größe auf und schieben sie vor. So präpariert, passen Sie Ihnen als Bremsklotz (wenn nicht gar Wegsperre) gut in den Kram und erfüllen sie ihren/ Ihren Zweck.

    Was, ansonsten, Ihre (jetzt angespielte) Unterscheidung von „Vertiefung“ und „Gemeinsamkeit“ in der EU-Außenpolitik betrifft, halte ich sie nur für eine Fortsetzung der (legalistischen) Spitzfindigkeiten Ihres Blog-Posts. – Sie formulieren/ interpretieren damit (für die Kanzlerin) eine Verweigerungsposition, die sich auf die entscheidende europa-politische, Europa politisch (weiter) konstituierende und affirmierende Dimension einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik nicht einlassen will.

    Faktisch läuft Ihre legalistische Argumentation darauf hinaus, dass Sie den innereuropäisch praktizierten Intergouvernementalismus nicht von dem etwa in der OSZE oder in der UNO praktizierten Intergouvernementalismus unterscheiden können und wollen. Juristisch mag das OK sein. Intergouvernementalismus ist juristisch Intergouvernementalismus. An der entscheidenden europa-politischen</i< Dimensionen einer gemeinsamen EU-Außen- und Sicherheitspolitik gehen Sie damit aber völlig vorbei. Und genau das wollen sie wohl auch.

    Es mag sein, dass Sie Europa dennoch nicht auf das Niveau einer ebenso intergouvernemental wie chaotisch machtlos agierenden Ansammlung souveräner Staaten à la OSZE oder UNO herabdrücken wollen. Ohne politische Einigungsperspektive, ohne europäischen Einigungswillen, ohne das Ziel europäischer Vertiefung, mit einem Europa als bloße Versammlung souveräner Staaten (mit einem bloßen Freihandels-Überbau (und wenn’s nach GB geht, den auch noch ohne Arbeitnehmerfreizügigkeit)) wird es, und das vielleicht sogar nur im günstigsten Fall, auf Dauer aber genau darauf hinaus laufen.

    Bitte, worüber reden wir? Über die Europawahl! Die Ansätze sind unübersehbar. Schauen Sie auf die Dissidenten! Die Ansätze sind nicht nur unübersehbar, sie sind Programm! – Vertiefung! Oder Rückfall in das alte europäische Chaos „souverän interagierender“ Staaten.

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