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War die DDR ein Unrechtsstaat?

Ein Mitdiskutant dieses Blogs hat mich gebeten, die Frage aufzugreifen, ob die DDR ein „Unrechtsstaat“ gewesen sei. Um die Antwort vorwegzunehmen: Klar war sie das. Aber ob ein Streit über Begriffe weiterhilft, ist sehr die Frage.

Sowohl die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (SPD) als auch der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (Linke) haben kürzlich bestritten, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei.

Schwesig meinte (laut NDR): „Die DDR war eine Diktatur. Es fehlte alles, was eine Demokratie ausmacht: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Wahlen, das Recht auf Opposition.“ Der Begriff „Unrechtsstaat“ werde aber von vielen Menschen, die in der DDR gelebt haben, als herabsetzend empfunden. „Er wirkt so, als sei das ganze Leben Unrecht gewesen. Wir brauchen aber mehr Respekt vor ostdeutschen Lebensleistungen.“

Ramelow sagte (laut Spiegel): „Die DDR war eindeutig kein Rechtsstaat. Der Begriff ‚Unrechtsstaat‘ aber ist für mich persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Naziherrschaft und dem mutigen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und seiner Verwendung des Rechtsbegriffs ‚Unrechtsstaat‘ in den Auschwitz-Prozessen verbunden.“

Halten also fest, dass Schwesig und Ramelow klar sagen, die DDR sei kein Rechtsstaat gewesen. In der Sache dürfte es zwischen ihnen und jenen, die den Begriff Unrechtsstaat für die DDR verwenden, kaum Unterschiede geben. Sie sind lediglich – und zwar aus unterschiedlichen Gründen – gegen die Verwendung des Begriffs.

Wie man dem Wikipedia-Artikel zum Begriff „Unrechtsstaat“ entnehmen kann, ist er – auch in der vielleicht besseren Wendung „Unrechtsregime“ – durchaus in juristischen Texten gebräuchlich. Es scheint also wenig zielführend, wenn Politiker nun darüber streiten.

Gegen den Streit um Wörter

Ich persönlich halte einen Streit um Wörter fast immer für völlig unfruchtbar. Wir hatten das etwa beim Begriff „Islamophobie“. Ich will hier darauf nicht eingehen. Entscheidend ist ja nicht der Begriff, sondern die Übereinstimmung darüber, was gemeint ist. Ob etwa der Begriff „Antisemitismus“ optimal ist, kann man mit Fug und Recht fragen, da er ja ein Kampfbegriff moderner Judenfeinde war; wichtiger aber ist die Frage, ob etwa – wie der Bundestag festgestellt hat – die BDS-Bewegung gegen Israel antisemitisch, also judenfeindlich ist.

Wenn die DDR, wie Frau Schwesig sagt, eine Diktatur war, so war sie per se nicht auf dem Recht gegründet, sondern auf dem Unrecht. Der Hinweis auf die „Lebensleistungen“ der DDR-Bürger geht da völlig fehl. Was in Deutschland viel zu wenig gewürdigt wird, zumal im Osten, ist im Gegenteil die Leistung derjenigen, die gegen dieses Unrecht opponierten. Worauf viel zu selten hingewiesen wird, ist die Tatsache, dass man – etwa – nicht Lehrerin sein oder bleiben konnte, wenn das Regime auch nur die leisesten Zweifel an der Zuverlässigkeit hatte. Ich würde nicht so weit gehen wie Adorno, der meinte, es gebe kein richtiges Leben im Falschen, aber es gibt kein Leben in der Diktatur, das von dieser Diktatur unberührt und in gewisser Weise korrumpiert wäre.  Ich empfehle Frau Schwesig die Lektüre von Wolf Biermanns Lebenserinnerungen, die das Ausmaß der alltäglichen Einschüchterung und Korruption selbst in jenen Kreisen dokumentiert, die sich für widerständig hielten, ja widerständig waren.

Andererseits hat Herr Ramelow Recht, wenn er sagt, dass der Begriff Unrechtsstaat von Fritz Bauer explizit auf den NS-Staat (und die stalinistische Sowjetunion) gemünzt war. Bauer war sich nicht einmal sicher, ob er zu Recht auf das faschistische Italien anzuwenden wäre, weil dort die Ausrichtung des Staates auf einen – auszumerzenden – „Feind“ fehlte. Man kann ewig und völlig unfruchtbar darüber streiten, ob Bauer da Recht hatte, und ich werde mich nicht auf solche Wort-Klaubereien einlassen. Denn worauf ich hinaus will, ist: Zweifellos wird von interessierter Seite der Begriff „Unrechtsstaat“ benutzt, um die Unterschiede zwischen den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu verwischen. Die sind aber wesentlich.

Unterschiede zwischen NS-Staat und SED-Staat

Der NS-Staat war ein imperialistisches, die DDR ein koloniales Gebilde. Der NS-Staat unterwarf und versklavte die Völker, die Deutschen in der DDR waren unterworfen. Der NS-Staat war eine Bedrohung für die Nachbarn, die DDR bedrohte niemanden, war allenfalls Aufmarschplatz für die sowjetischen Streitkräfte, die den freien Teil Europas bedrohten.

Demzufolge war der NS-Staat weit beliebter als das DDR-Regime und konnte auf gewisse Weise liberaler sein. War man nicht Jude, „Zigeuner“, schwer behindert oder im aktiven Widerstand, hatte man vom Regime wenig zu fürchten, jedenfalls bis zum Krieg. Die Kommunisten hingegen überzogen das Land mit einem Spitzelnetz, um das Volk auf Schritt und Tritt zu kontrollieren und gleichzeitig durch das Angebot zum Bespitzeln moralisch zu korrumpieren. Natürlich hatten sie dafür auch mehr Zeit; die Pläne der Nazis für die Zeit nach dem „Endsieg“ sahen die Ausschaltung der Kirchen und anderer Organisationen vor und die Errichtung einer Diktatur, die ähnlich totalitär sein sollte wie jene Stalins. Worauf ich hinaus will: die relative Liberalität der Nazi-Diktatur in der Anfangsphase 1933 bis 1940 beruhte auf Stärke, die Härte der SED-Diktatur gerade in der Anfangsphase 1945 bis 1956 auf Schwäche; John F. Kennedy hatte völlig Recht, als er sagte, die Errichtung der Berliner Mauer sei eine Defensivmaßnahme des Regimes, die seine Schwäche offenbare.

Damit soll nichts beschönigt oder klein geredet werden. Nach meiner Auffassung – ich wiederhole es – war das Regime in der sowjetischen Besatzungszone ein Unrechtsregime von Anfang an. Wenn aber diese Bezeichnung benutzt wird, um den Unterschied zwischen dem Regime, das den Zweiten Weltkrieg und den Völkermord an den Slawen, Juden, Sinti und Roma zu verantworten hat, und dem Kolonialregime der Sowjetunion im besiegten Deutschland zu verwischen, dann verliert sie ihre aufklärerische Funktion.

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35 Gedanken zu “War die DDR ein Unrechtsstaat?;”

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    Sehr geehrter Herr Posener,
    im Jahre 5.000 v. Chr. waere so etwas wie die DDR ein Rechtsstaat gewesen. Sokrates haette sich spaeter lobend geaeussert, ja selbst Rom waere erbaut gewesen, bevor es gebaut wurde. Gut, in der Antike wurden Abweichler noch klassisch von Loewen gefressen und nicht an einer Mauer erschossen, dies aber doch nur, weil das Schiesspulver noch nicht erfunden war, … haette Erich Mielke zur Rechtfertigung gesagt.
    Was definiert heute einen Rechtsstaat: Grundrechte, Gewaltenteilung, Rechtssicherheit.
    Fragen Sie einen Anhaenger der Nomenklatura der ehemaligen DDR, war dieses Staatsgebilde fuer den ein Rechtsstaat, weil diese Menschen wie Trump auf der 5th Avenue wahllos haetten meucheln koennen ohne etwas juristisches befuerchten zu muessen. Fragen Sie einen ehemaligen Haeftling aus Bautzen, der fuer einen Witz, eine schlechte Performance bei der woechentlichen Selbstkritik oder aus einer Denunziation heraus einige Jahre seines Lebens eingebuesst hat, faellt das Urteil schon differenzierter aus.
    Der Artikel 1 des Grundgesetzes haette in der DDR den Wortlaut gehabt: Die Wuerde des Menschen ist unantastbar. Das naehere regelt der Gummiknueppel, die Laune des ZK der SED, die Makarow des Postens an der Grenze oder der Humor des Mitarbeiters der Staatssicherheit.
    Folglich gilt: Wenn es schwimmt wie eine Ente, aussieht wie eine Ente und quarkt wie eine Ente, ist und war es auch eine Ente.
    Interessant ist vielmehr die Frage, ob nach 30 Jahren Schleifung der Grund- und Freiheitsrechte wirklich noch so viel Rechtsstaat uebrig ist, wie wir, die wir in einem Rechtsstaat aufgewachsen sind, annehmen? Das macht mir mehr Sorgen als die Frage, ob ein Unrechtsstaat so genannt werden darf (klar muss er das, ohne wenn und aber) oder nicht.

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    Sehr geehrter Herr Posener,

    Sie können oder wollen es offenbar nicht lassen: anstatt auch nur ein einziges meiner Argumente auch nur zu thematisieren, greifen Sie sich eine Information (Marx/Heidegger) heraus und pappen diese an Ihr vorgefertigtes Bild an, das Sie sich ohne reale Grundlage von Ihrem Gegenüber machen – unter „Feind der Demokratie“. „Sympathie für rechte autoritäre und verschwörungstheoretische Ideologien“ oder „Antisemit“ machen Sie es nicht. Sodann beginnen Sie, persönliche Vorwürfe zu formulieren. Dies ist seit eh und je Ihre Methode, wie an anderer Stelle exemplarisch nachgewiesen wurde – auf die übrigens Sie persönlich hier hingewiesen haben … soviel zum Thema „um Aufmerksamkeit buhlen“.

    Nebenbei: Ich bin ebenfalls von Popper beeindruckt, allerdings nicht von dem philosophisch gesehen schwachen Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, sondern von der „Logik der Forschung“ und „Das Elend des Historizismus“.

    Sie hatten in Ihrem Artikel von der „Tatsache, dass man – etwa – nicht Lehrerin sein oder bleiben konnte, wenn das Regime auch nur die leisesten Zweifel an der Zuverlässigkeit hatte“ gesprochen und später behauptet: „Dass die “liberalen” Lehrer oft agents provocateurs der Stasi waren, deren Auftrag es war, die für kritische Einstellungen anfälligen Schüler*innen auszumachen.“ Beide Aussagen sind in dieser Absolutheit unsinnig und falsch. Der nun von Ihnen verlinkte Text belegt sie auch keineswegs, sondern im Gegenteil, behauptet nur eine Banalität, nämlich daß Lehrer in der DDR „linientreu“ gewesen seien. Natürlich waren sie das! Nennen Sie bitte eine einzige Gesellschaft, in der das im Schnitt anders gewesen sein soll! Das beschreibt sogar die gesellschaftliche Aufgabe des Lehrers seit es die ersten paidagogoi gab. Auch in der Bundesrepublik sind die meisten Lehrer linientreu und sie werden durch die Verbeamtung in den meisten Ländern regelrecht dazu verpflichtet.

    Schließlich: Wenn kritische Stimmen sich „trollen“ sollen – weshalb schalten Sie dann Kommentare überhaupt frei? Im Gegensatz zu dem einen oder anderen ungeliebten Kommentator werden Sie mir kaum vorwerfen können, unseriös oder auch nur unhöflich auf Ihre Gedanken reagiert zu haben. Schmerzt Sie ein bißchen sachliche Kritik und begründete Widerrede tatsächlich so sehr? Ist die andere Meinung wirklich so schwer zu ertragen?

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      Ich habe nichts gegen andere Meinungen. lieber Herr Seidel. Ich habe etwas dagegen, dass jemand dieses Blog zur Selbstdarstellung oder für Propagandazwecke missbraucht. Das hatten wir alles schon.
      Zur Sache: Ihre Einlassung zu den DDR-Lehrern bedarf keiner Erwiderung. Die Linientreue der DDR-Pädagogen gleichzusetzen mit der Verpflichtung der staatlich beschäftigten Lehrer*innen hierzulande auf die Werte des Grundgesetzes spricht für sich.

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        Sehr geehrter Herr Posener,

        wir drehen uns im Kreis – ich bin es müde.

        Wenn Sie mir „Selbstdarstellung oder Propagandazwecke“ vorwerfen, dann ist es Ihre verdammte Pflicht, dies konkret zu benennen, so wie ich die Mängel Ihrer Argumentationen ausgiebig – und zwar mit Fakten und Begründungen – mehrfach aufgeführt habe. Wenn Sie keine Lust dazu haben – was ich verstehen könnte – dann lassen Sie die Kommentare am besten unkommentiert stehen.

        Ich habe die „Linientreue der DDR-Pädagogen“ nicht „mit der Verpflichtung der staatlich beschäftigten Lehrer*innen hierzulande“ gleichgesetzt, das steht nicht im Kommentar, das sind Ihre Phantasien, die nach beschriebenem Muster funktionieren. Ich habe darauf hingewiesen, daß die pedagogoi per definitionem die Aufgabe haben – Pädagogik zählt zu den Techniken -, das jeweils herrschende Wertesystem zu vermitteln und also zu stabilisieren und noch kein politisches System hat es sich leisten können in der Masse systemkritische Lehrerschaften zuzulassen. Gerne lerne ich in dieser Frage von Ihnen.

        Aber selbst dies beweist Ihre beiden Kollektivunterstellungen nicht, daß DDR-Lehrer in der Masse „agents provocateurs der Stasi“ gewesen wären und das man „nicht Lehrerin sein oder bleiben konnte, wenn das Regime auch nur die leisesten Zweifel an der Zuverlässigkeit hatte.“ Beide Aussagen zeugen von einer eklatanten Unkenntnis der ostdeutschen Lebenswelt. Wenn Sie mir vorwerfen, ich würde diese verherrlichen – was ich nicht tue, sondern nur versuche, die Dinge so zu sehen, wie sie waren – dann bleibt an Ihnen eine faktisch nicht begründbare Aversion gegen diese Realität kleben.

        Und hiermit verabschiede ich mich und lasse Ihnen das letzte Wort. Die aufmerksamen Leser werden Ihre Taktik – hoffentlich – durchschauen. Sie haben insofern recht, als ich mich an Ihnen schon viel zu lange abgearbeitet habe – übrigens gänzlich unpersönlich. Wäre Ihre Arbeitsweise nicht typisch in dieser oder jener Form, hätten Sie so viel Aufmerksamkeit von mir nicht erhalten.

        Mit freundlichen Grüßen

        Jörg Seidel

      2. avatar

        Herr Seidel, sie haben Probleme mit dem Lesen und dem logischen Denken. Sie reden von meinen „beiden Kollektivunterstellungen, daß DDR-Lehrer in der Masse “agents provocateurs der Stasi” gewesen wären und das man “nicht Lehrerin sein oder bleiben konnte, wenn das Regime auch nur die leisesten Zweifel an der Zuverlässigkeit hatte.”“ Die zweite Feststellung ist keine Unterstellung, sondern Tatsache, und Sie sagen ja selbst an anderer Stelle, „daß die pedagogoi per definitionem die Aufgabe haben – Pädagogik zählt zu den Techniken -, das jeweils herrschende Wertesystem zu vermitteln und also zu stabilisieren“.
        Doch habe ich nie behauptet, „daß DDR-Lehrer in der Masse “agents provocateurs der Stasi” gewesen wären“. Lesen Sie nach. Ich habe gesagt, dass gerade die vermeintlich „liberalen“ oder „kritischen“ Staatsbürgerkunde-Lehrer (auf die Sie anekdotisch verwiesen) oft solche Stasi-Agenten waren.

        Um nun etwas Empirie jenseits Ihrer apologetischen Anekdoten in die Diskussion zu bringen:

        https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13488864.html

        Oder:

        https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/jugend-schreibt/stasi-opfer-von-der-schule-gewiesen-gedemuetigt-und-bespitzelt-15226910.html

        Oder diese Kleinigkeit:
        „Zersetzungsmaßnahmen gab es sehr viele, die aber nur individuell funktionieren. Es gibt aber bei jedem eine Achillesferse. Es wurden auch Familienmitglieder gegeneinander ausgespielt. Die Tochter einer Oppositionellenfamilie zum Beispiel brachte eines Tages nur noch Einsen aus dem Staatsbürgerunterricht mit, wofür man schon sehr opportunistisch sein musste. Mit dem Effekt, dass die Eltern den kritischen Worten ihrer eigenen Tochter am Abendbrottisch nicht mehr glaubten. Was sie nicht wussten: Der Direktor und der Staatsbürgerkunde-Lehrer arbeiteten mit der Stasi zusammen. Das Mädchen konnte machen, was es wollte – es bekam immer eine Eins.“

        https://www.prenzlauerberg-nachrichten.de/2013/09/24/der-stasi-wird-viel-zugeschrieben/

        Sie waren ja als Marxist (damals hatten Sie den NS-Sympathisanten Heidegger noch nicht für sich entdeckt) mit dem System der DDR einverstanden, zu dem ja die Stasi als Schild und Schwert der Partei wesenhaft gehörte. Das werfe ich Ihnen nicht vor. Ich werfe Ihnen einen unselbstkritischen Rückblick vor.

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        Sehr geehrter Herr Posener,

        nun veranlassen Sie mich doch, noch einmal zu reagieren. Ich tue es, weil ich zum einen eine Frage an Sie habe und zum anderen Ihre – erneut ad hominem; sie können auf Kritik offenbar nicht reagieren, ohne Ihren Kritiker persönlich herabzuwürdigen – Beleidigung, ich hätte ein „Probleme mit dem Lesen und dem logischen Denken“ so nicht stehen lassen kann. Nicht, weil es mich treffen würde, sondern weil die beiden Fehlleistungen auf Ihrer Seite liegen. Es wäre zudem zu müßig, Ihre Verdrehungen meiner Rede alle aufzuführen und zu analysieren – das habe ich andernorts oft genug gemacht.

        Die Aussage, man „konnte nicht Lehrerin sein oder bleiben , wenn das Regime auch nur die leisesten Zweifel an der Zuverlässigkeit hatte“ und die Aussage sie seien linientreu gewesen – darum ging es ja, die pedagogoi kommen hier nur rein, weil es gesellschaftsübergreifend konstitutiv ist – haben doch vollkommen gegensätzliche Akteure und können daher nicht miteinander verglichen werden. Im ersten Fall ist „das Regime“ der Akteur, das, wie sie fälschlicherweise verbreiten, flächendeckend dafür gesorgt hätte, auch „den leisesten Zweifel an der Zuverlässigkeit“ restriktiv aufzudecken und zu bekämpfen. Damit lassen Sie den Freiheitsbereich, den DDR-Bürger in der Regel hatten, viel kleiner erscheinen, als er tatsächlich war. In der Tat: wenn man heute mit Schülern spricht, dann haben sie den Eindruck, wir hätten in Gefängnissen geschmachtet, am Hungertuch genagt und hätten uns nur flüsternd unterhalten können. Diese Sicht ist das Ergebnis einer vollkommen vereinseitigten und durch die Siegermentalität verbogenen Geschichtsbetrachtung, die die Medien in Artikel wie den Ihren verbreiten.

        Die Linienförmigkeit – die es natürlich weitflächig gegeben hat – ist nun eine Eigenschaft der Menschen, nicht „des Regimes“. Sie ist äußerst komplex und vielfältig zustande gekommen und reicht in ihren Extremen von physischer Angst bis zu freiwilliger Identifikation, wobei letzteres wesentlich bedeutsamer gewesen sein dürfte als ersteres. Ich kenne z.B. sehr viele Menschen – und ich zählte selbst dazu – die ihr ganzes DDR-Leben lang keinen oder sehr seltenen Kontakt zur Stasi hatten und viele waren sich der Existenz dieses Ministeriums kaum bewußt. Es war eher ein running gag, denn eine akute Bedrückung. Das ist vielleicht in Berliner oder Leipziger Dissidentenkreisen schwer zu verstehen, aber es ist nun mal Tatsache. Auch kann man nicht jeden Stasi-Mitarbeiter oder jedes Parteimitglied über einen Kamm scheren: sehr viele von ihnen waren vollkommen unbescholten und einige sogar widerständig … Kurz und gut: Die DDR war ein eigener Kontinent, man sollte Simplifizierungen meiden. So können angenommene Tatsachen schnell zu Unterstellungen werden. Das Interview mit Herrn Kowlaczuk stützt doch eher diese Sichtweise.

        Aber egal: die Frage ist mir wichtiger. Ich gebe zu, Ihren Satz von den „‚liberalen‘ Lehrern“ erst jetzt verstanden zu haben, er wird erst durch ihre Konkretisierung (Staatsbürgerkundlehrer) verständlich. Sie wollen damit sagen, daß die liberaleren unter den Stabü-Lehrern oft – ich betone: oft – diese Liberalität nur fingierten, um die Schüler zu verfänglichen Aussagen zu verleiten? In diesem Sinne ist auch Ihr Bsp. zu sehen, das wirklich etwas seltsam und unlogisch klingt … aber man kann es nicht ausschließen. Nun würde ich gern wissen, woher Sie diese Information haben, welche Untersuchungen und Statistiken es dazu gibt. Noch mal: es geht konkret um sich (oft) liberal gebende Stabü-Lehrer, die ihre eigenen Schüler (oft) in die Falle locken wollten. Das deckt sich in keiner Weise mit meinen Erfahrungen, aber ich lebte auch nur in einem kleinen sächsischen Städtchen und vielleicht war es ja in der restlichen DDR ganz anders als bei uns?

        Wenn, wie im Artikel in der FAZ gilt: „Die Erziehungsdiktatur zielte darauf ab, eine Individualisierung der Kinder zu verhindern und sie ideologisch gleichzumachen“, dann ist sie grandios gescheitert. Die Jugend der DDR war so vielfältig, wie man sie sich nur vorstellen kann – sicherlich mehr als die heutige.

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        Lieber Herr Seidel, natürlich ist der Sozialismus gescheitert. Jeder Kollektivismus scheitert irgendwann. auch Ihr Nationalkollektivismus wird scheitern. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, welche menschlichen Kosten er verursacht. Dass Sie ganz kommod gelebt haben, weil Sie einverstanden waren, spricht allenfalls gegen Sie, nicht für das System.
        Ich glaube nicht, dass es eine Statistik gibt über kritische klingende StaBü-Lehrer, die ihre Schüler denunzierten, aber Sie müssen nur ein wenig ausdauernd googeln, und Sie finden jede Menge Beispiele.

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    Vielen Dank, dass Sie meine off-topic-Einlassung über „The Boy Wonder“ gebracht haben. Es kann nicht schaden, hin und wieder an hell leuchtende Kerzen zu erinnern. Der Vergleich mit Mozart ist, soweit ich weiß, von mir, denn es passt kein Blatt zwischen beide, was Genie, Lebenshunger und Arbeitsaufwand betrifft.
    Um auf Ihren Vergleich zurückzukommen, ein Beispiel. (Ich bin besser in der Schilderung von Beispielen als in der Theorie):
    Der Mann, von dem ich rede, war acht Jahre, als das passierte: Er spielte an einem Fluss, und dort muss irgend etwas Interessantes gewesen sein, denn die SS, die ihn dort entdeckten, verboten ihm, sich dort aufzuhalten, und damit er sich daran hielt, stopften sie ihn mit dem Kopf voran in ein Rohr. Dann befreiten sie ihn und ließen ihn laufen. Er hatte lebenslang Angst wegen dieses Ereignisses.
    In der damaligen DDR musste er, ein Bürgerssohn, lediglich Spitzennoten bringen, um ein Studium seiner Wahl antreten zu dürfen. Bei einer Flucht über die Mauer später wäre es zwar um sein Leben gegangen, aber ein Ereignis wie das Beschriebene (im Krieg) erlebte er nicht wieder und hatte sogar einen Lehrer und Eltern, die beide Systeme hassten, das erste aber hatten sie gefürchtet.
    Daher muss man schon einen Unterschied machen: Der zweite Staat war ein Unterdrückerstaat mit Unrechtstaten, aber er war kein generell mörderischer Folterstaat. Es ist nur eine ganz kleine Geschichte im Verbund mit viel schlimmeren, aber der Mann hätte sie nicht unbedingt als Kleinigkeit bezeichnet. Kleinigkeiten, wie die Vögel sie hinterlassen, passen gar nicht zu der Zeit damals. Sie war von Gewalt durchtränkt. Ob sie ihm noch etwas taten, als er in der Röhre feststeckte, weiß ich nicht, jedenfalls hatte er lebenslang Probleme beim Stuhlgang wegen einer alten Verletzung des Schließmuskels. Die Nationalsozialisten und die Russen damals heben sich durch generalisierte Brutalität hervor, beide.
    In den romanischen Ländern scheint man mir insgesamt etwas sanfter zu sein. Und wenn man den italienischen mit dem deutschen Faschismus vergleicht, sieht man doch Unterschiede. Auch bei Rot über die Ampel nach rechts abbiegen, kommt in diesen Ländern häufiger vor, und in solchen Zeiten scheint mir solcher Ungehorsam überaus nützlich. Wer in Südfrankreich angekommen war, schaffte es meistens raus.

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    „Ich persönlich halte einen Streit um Wörter fast immer für völlig unfruchtbar.“
    Richtig. In Zusammenhang mit damals einen Ausdruck wie Liberalität zu verwenden, ist jedoch verwegen. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hätte bei einer Gedichtstunde in der Schule etwas von Heine vorgetragen oder geäußert, Jack Offenbach sei sein Lieblingskomponist. Oder Sie hätten zu Hause eine jüdische Familie versteckt, und das wäre aufgeflogen. Wer jemanden versteckte, musste sich vor den Nachbarn hüten, siehe Anne Frank – es war also später nicht auf Deutschland begrenzt. Kein System, das etwas Niedriges oder auch scheinbar höher Angesiedeltes durchsetzen will, muss in irgendeiner Form liberal sein, eine Ideologie jedweder Art, weil es immer auf die denunziatorischen niedrigen Reflexe der Masse bauen kann.
    Der Mensch als Gruppe ist nicht liberal. Aus Eigennutz kann er gegen den Nächsten agieren.
    Im Krieg, den sie auslassen, durfte man nicht BBC hören, „drüben“, heute nebenan, durfte keine Westpresse gelesen/geschaut werden.
    Ich meine, dass der Mensch mit seine überaus primitiven Instinkten, zu denen Denunziation und Verurteilung (Zensur) des Nächsten gehört, nicht zu beleidigt sein sollte, wenn man ihn mit so einem Ausdruck konfrontiert. Ein Paar meiner Bekanntschaft, dem Fluchthilfe geleistet wurde, landete nicht tot an der Mauer, sondern einen Tag vorher im Knast. Als die BRD sie freigekauft hatte, durften sie ohne Kinder ausreisen. Die Kinder kamen erst viel später nach. Sippenhaft, Familientrennung, Einlochen, darin waren beide Gebilde ähnlich. Ist das vielleicht deutsch? Führt die klassische deutsche Rechthaberei im Extremfall hierhin? Ich weiß es nicht. Sie haben jedenfalls nebenan die Leute eingesperrt. Wie Hitler bei Kriegsende. Er sperrte die Ostpreußen ein als Pufferzone. Wenn sie flohen, wurden sie nicht an der Mauer erschossen oder vorher verhaftet, sondern sie brachen im Haff ins Eis ein oder ertranken mit der Wilhelm Gustloff. Volle Pulle von 1914 (Zwangsrekrutierung) bis 1989 gegen das eigene Volk inkl. Juden (eigenes Volk, Deutsche). Fast 80 Jahre gegen das eigene Volk. Das erklärt ausreichend, finde ich, warum viele Deutsche sich immer mehr mit ihrem Bundesland identifizierten denn mit D oder gar Europa, das Misstrauen sitzt tief.

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      Viel Richtiges bei, lieber Oleander, aber um den Preis, dass vieles durcheinander gerät. Ich habe betont, dass mein Urteil über die relative Liberalität des NS-Regimes sich auf die Zeit etwa 1933 bis 1940 beschränkt, und nur auf jene, die das Regime nicht zu Feinden erklärte. Ich habe auch erklärt, dass die Pläne der NS-Größen eine Verschärfung der totalitären Kontrolle nach dem „Endsieg“ vorsahen. Aber ich will eine provokante Behauptung nicht überstrapazieren, und ob das Wort „Liberalität“ angemessen ist, sei dahingestellt; vielleicht ist „Laxheit“ besser. Es dauert ja auch eine Weile – ich verwies auf die längere Dauer des SED-Regimes -, bis ein Spitzelnetz aufgebaut ist.
      Jedenfalls ist die vergleichende Diktaturforschung legitim, ja wichtig; und Begriffe wie „Unrechtsstaat“ und „totalitär“ haben dabei einen eingeschränkten Wert.
      Sehr hilfreich finde ich folgenden Aufsatz:
      http://www.bpb.de/geschichte/n.....diktaturen?

      Evans bemerkt z.B.: „Zwar vermochte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, ähnlich wie die SED, in freien Wahlen keine absolute Mehrheit für sich zu gewinnen. Aber die Bereitschaft der politischen, sozialen und kulturellen Eliten, mit den Nationalsozialisten zu paktieren, war Ausdruck weit reichender ideologischer Gemeinsamkeiten. Auch die vielen Kontinuitäten – persönliche, institutionelle, kulturelle und soziale, die vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in die nationalsozialistische Zeit reichten – verliehen dem NS-Regime eine viel größere Legitimität, eine viel tiefere Verwurzelung im politischen Bewusstsein der Bevölkerung, als es die DDR je erreichen konnte. Selbst alte Sozialdemokraten begeisterten sich laut Berichten der Sopade, der sozialdemokratischen Exilorganisation, für außenpolitische Leistungen wie die Remilitarisierung des Rheinlandes oder den Anschluss Österreichs. Die vielen Kontinuitäten des sozialen Lebens und der sozialen Strukturen, das Fehlen einer sozialen Revolution, zumindest nach sowjetischem Muster wie später in der DDR, schien einer Mehrheit der Bevölkerung zu signalisieren, dass – zumindest bis 1939 – das Alltagsleben weiterging wie zuvor.“ (Meine Hervorhebung)
      Er behauptet sogar: „So war auch die Unterdrückung der persönlichen und bürgerlichen Freiheiten, die das „Dritte Reich“ in Deutschland kennzeichnete, nichts Ungewöhnliches im Europa der Zwischenkriegszeit. Man könnte vielleicht einwenden, dass der Kern des nationalsozialistischen Regimes seine Rassenpolitik war. Aber auch hier, im europäischen Vergleich, ragte das „Dritte Reich“ zumindest bis zum Ausbruch des Krieges nicht so deutlich heraus, wie oft behauptet wird. So war zum Beispiel der Antisemitismus, wie er von den Nationalsozialisten und der deutschen Regierung bis September 1939 propagiert und praktiziert wurde, keine einmalige Erscheinung, vor allem wenn man die antisemitische Politik anderer mittel- und ostmitteleuropäischer Länder in Betracht zieht.“ (Und führt dafür Beispiele an.)

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        Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Den Link werde ich später lesen. Da unsere Zeit mir selbst sprachlich ein wenig starr erscheint und in anderer Hinsicht seit einigen Jahrzehnten zunehmend abgedriftet, wobei ich hier an Harvey Weinstein denke und bezüglich seiner Verteidigung gleichzeitig an ein Opus, das als Antwort auf den Simpson-Prozess entstand, nämlich „The Devil’s Advocate“, will ich an dieser Stelle off topic an Irving Thalberg erinnern, der vor exakt 100 Jahren das Laemmle-Studio in Los Angeles übernahm, den Vorläufer von MGM.
        Thalberg, eine Legende, sicherlich niemals in Verdacht, übergriffig zu sein, war eine Art Mozart der Producer. Allerdings wusste er, dass er sterben würde. Das mag seinen Arbeitshunger erklären, nicht jedoch sein überragendes Genie.
        Er brachte Greta Garbo und viele andere Stars heraus und machte MGM zum einzigen Studio, das während der Depression noch signifikant verdiente. Er überlebte die ärztlichen Prognosen um sieben Jahre und starb im Alter von Mozart. Sam Goldwyn konnte nicht zur Beisetzung gehen, weil er zwei Tage lang unaufhörlich weinte. Eine romantisch verklärte Erinnerung an ihn liegt vor in der Figur von Monroe Stahr in „The Last Tycoon“ von Scott Fitzgerald, der einige Jahre später ebfs. jung starb, brillant verfimt von Elia Kazan mit einem großartigen De Niro in der Titelrolle. 100 Jahre. Es scheint so, als war damals noch alles gut, aber das täuscht, denn Thalbergs Eltern waren aus Deutschland vermutlich über Ellis Island eingewanderte Juden, und die russische Revolution hatte bereits stattgefunden wie auch der erste Weltkrieg.
        Nur zur Erinnerung, weil Thalberg es wert ist und Fitzgerald ebenfalls sowie auch Elia Kazan.

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    Haben Staatsdiener ihren Bürgern in den Rücken geschossen? Die Antwort darauf beantwortet doch die meisten Fragen.
    Eine ganz andere Frage ist doch, ob es ein richtiges Leben im falschen gab. Na klar gab es das und was für eins! Wenn aber die erste Frage mit ja beantwortet wurde, dann hatten die Umstände dieses Lebens keinen Bestand, auch wenn es schön war. Time to move on.

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    Klar war sie das. Aber ob ein Streit über Begriffe weiterhilft, ist sehr die Frage.

    Ernsthaft???

    Es ist kein Streit um Begriffe und ihre Relativierung stellt eine gefährliche Verharmlosung des menschenverachtenden Sozialismus dar, nichts anderes ist dieser.

    Man muss sich mittlerweile die Frage stellen, ob sie jemals in dieser Republik angekommen sind oder nicht doch noch immer dem Marxismus anhängen.

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      Lesen Sie den ganzen Artikel, lieber Ralf Müller. Und vielleicht meine anderen Artikel in Sachen DDR-Diktatur. Dann schreiben Sie vielleicht weniger Unsinn.

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    Hallo Herr Posener,
    Ich kann Ihrer Argumentation im Wesentlichen folgen. Im letzten Absatz sagen Sie das Entscheidende: Die Millionen Toten, die der NS zu verantworten hat durch die Vernichtung der Juden, Sinti und Roma, „Geisteskranken“, Menschen im Widerstand und den von Deutschland begonnenen 2.Weltkrieg heben den NS deutlich von der DDR ab. So deutlich allerdings, dass ich es unangebracht finde, beide Diktaturen in einem Atemzug zu nennen. Das Gerede von den „zwei deutschen Diktaturen“ dient oft genug der Dämonisierung der einen (der DDR) sowie der Verharmlosung der anderen (des NS), im besten Falle zu hetoronomen Zwecken, im schlimmsten Fall, um die NS-Verbrechen zu relativieren. Wer war der schlimmere Verbrecher, Mielke oder Heydrich? Wolf oder Gehlen? Mittag oder Speer? Herrmann oder Goebbels? Hoffmann oder Keitel? Ullbricht/Honecker oder Hitler? Die Reihe ließe sich fortführen.
    Zur Frage, welche Diktatur „liberaler“ war, läßt sich mit Grass sagen, dass beide für all jene, und nur für all jene, die dem „System“ wohlwollend bis neutral (inklusive „innerer Emigration“) gegenüberstanden, „kommode Diktaturen“ waren. Man hatte sein Auskommen ohne viel befürchten zu müssen. Die Zustimmung zum Nationalsozialismus war seinerzeit in der Bevölkerung sicher höher als zur SED-Diktatur.
    Wie Sie allerdings auf das schmale Brett kommen, „d)ass die ‚liberalen‘ Lehrer oft (sic!) agents provocateurs der Stasi waren, deren Auftrag es war, die für kritische Einstellungen anfälligen Schüler *innen auszumachen und der besonderen Bearbeitung zuzuführen, …“, mithin die Lehrerinnen und Lehrer, die in der DDR ihren Schülern kritisches Denken vermitteln wollten, in ihrer Gesamtheit unter Generalverdacht stellen („…oft…“), erschließt sich mir nicht. Ich kenne einige solcher Lehrerinnen und Lehrer, hatte das Glück, von ihnen unterrichtet zu werden. Sie haben mir nicht geschadet – im Gegenteil. Auch dies Argument ist vielleicht anekdotisch – aber Ihres auch.
    Man soll beide Diktaturen vergleichen, zum Zwecke der Herausarbeitung des je Charakteristischen, des Gemeinsamen und der Unterschiede. Dieser Vergleich erbringt, soweit ich sehe, dass der Unrechtsstaat des NS ungleich mehr und schwerere Verbrechen begangen hat als der Unrechtsstaat der DDR. Ihn mit dem „3.Reich“ gleichzusetzen, verbietet sich deshalb. Für mich gilt aber auch: Jetzt die Auffassung, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, in Frage zu stellen, ist ein durchsichtiges Manöver, der Versuch, sich bei den Wählern, mehr im Osten, aber auch im Westen anzubiedern, welche die kriminellen Seiten des DDR-Staates verharmlosen und einer nostalgischen Verklärung das Wort reden. Offenbar scheint es vielen emotional und intellektuell nicht möglich, die DDR-Vergangenheit und die eigene Rolle darin kritisch – nicht komplett verdammend und nicht glorifizierend – zu reflektieren.
    Eine Bemerkung am Rande: Ein Staat wie die Bundesrepublik und „der Westen“, zu dem sie sich zurecht zählt, lebten und leben sehr gut mit „Unrechtsstaaten“ oder mit Kräften, die einen „Unrechtsstaat“ errichten wollen. Auch dies sollte man mitbedenken, wenn man anhand der „westlichen Werte“ die diktatorische Vergangenheit der Kritik unterzieht.

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      Stimme im Wesentlichen zu, lieber Stefan Trute. Was Ihre Schlussbemerkung angeht: Sie stimmt auch. Aber Realpolitik ist unumgänglich. Man kann der Bundesrepublik meines Erachtens nicht vorwerfen, dass sie sich mit Saudi-Arabien und der Türkei arrangiert; was wäre die Alternative? Dazu habe ich in der WELT kürzlich etwas geschrieben:
      https://www.welt.de/debatte/kommentare/article202608678/Syrien-Konflikt-Erdogan-weiss-dass-er-fuer-den-Westen-unerlaesslich-ist.html

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    Lieber Alan Posener, herzlichen Dank für Ihren Artikel. Ich bin, bis auf eine Kleinigkeit, mit Ihnen einverstanden. In der Außenpolitik unterstützte die DDR seit den 60er Jahren diejenigen Staaten, die ideologisch und militärisch Krieg gegen Israel führten. Einige dieser Staaten unterstützte die DDR auch militärisch. Die DDR unterstützte gleichfalls Terroristen, nicht nur solche, die sich im Krieg mit Israel befanden, aber hauptsächlich solche. Dies ist trotzdem nicht mit der imperialen Vernichtungspolitik der Nazis gleichzusetzen, dennoch war so die SED-Diktatur nicht nur gegen die Menschen in der DDR gerichtet. Der Umfang der militärischen Unterstützung der DDR für die Kriege gegen Israel wird breit mit Quellen dokumentiert in: Jeffrey Herf, Unerklärte Kriege gegen Israel, Göttingen, Wallstein Verlag, 2019.

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      Dass Kolonien die Kriege ihrer Herren unterstützen müssen, ist klar. Der gesamte Ostblock war antisemitisch verseucht, und gemessen an der Diskriminierung gegen Juden in Russland und Polen war die Politik der SED nach innen moderat. Das war schon Anfang der 1950er Jahre so, als überall, besonders aber in Russland und der CSSR, Schauprozesse gegen „Zionisten“ stattfanden, aber nicht in der DDR. Ein Rest an Schamgefühl hatten Ulbricht und Co. denn doch. Was nicht heißt, dass es keinen Antisemitismus in der DDR gegeben hätte. Au contraire. Den hat Anetta Kahane dokumentiert. Ich will, wie gesagt, den Unrechtsstaat DDR nicht in Schutz nehmen, aber die Israelpolitik der DDR wurde im Kreml entworfen.

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    Sehr geehrter Herr Posener,

    daß Sie die Frage aufgreifen, ist sehr lobenswert. Allerdings scheint mir Ihre Antwort vor der Realität nicht bestehen zu können und das aus verschiedenen Gründen:

    1. Behaupten Sie, den „Streit der Wörter“ abzulehnen, tun in Ihrem Artikel aber fast nichts anderes, als um den Begriff zu streiten.

    2. Argumentieren Sie aus der historischen Perspektive heraus und begehen damit den Kardinalfehler, ein historisch vergangenes Ereignis aus einer späteren Sicht, vor allem aus einem fremden Moralgefüge heraus zu bewerten. Die DDR hat sich hingegen durchaus als Rechtsstaat begriffen – dort, wo sie es nicht war, verstießen ihre Vertreter in der Regel gegen die eigenen Gesetze (verfassungsrechtlich waren Redefreiheit, Wahlfreiheit, Glaubens und Gewissensfreiheit, Versammlungsfreiheit etc. garantiert). Demokratie wurde in der DDR als demokratischer Zentralismus definiert der sich aus der Herrschaftsform der „Diktatur des Proletariats“ und der „führenden Rolle der Partei“ ergab. Daß dies eine Blendformel war, gemessen an der politischen Realität, tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache.

    3. Ist Ihre Sicht auf die DDR die typische abstrakte Draufsicht, wie sie sich in der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung durchgesetzt hat. Sie verwechseln aber Geschichtsschreibung mit Realgeschichte. Geschichtsschreibung setzt interessegeleitete Schreiber voraus, die ein Bild, eine Interpretation der Realgeschichte kreieren, das in der Regel jenen Herrschaftsverhältnissen dient, in denen sie schreiben. Daher verwundert es nicht, daß Ihr DDR-Bild von zahlreichen Klischees durchsetzt ist, die jedem, der die DDR empirisch erfahren hat, die Haare zu Berge stehen läßt. Das dürfte übrigens auch der Grund sein, weshalb die beiden Ostdeutschen Ramelow (im Westen aufgewachsen) und Schwesig den Begriff ablehnen: sie können es sich vor ihren Wählern nicht leisten, dem tatsächlichen Empfinden einer großen Mehrheit derart deutlich zu widersprechen.

    4. Sie übersehen desweiteren, daß abstrakte Begrifflichkeiten in der Regel keine undurchlässigen Grenzen besitzen, sondern einen Halo, daß sie beweglich sind, verschwimmen, meist weniger ein „das“, sondern ein „mehr oder weniger“ beschreiben. In jedem Staat wird, wie Sie zurecht anmerken, Unrecht begangen, die Frage ist: Wo beginnt das Unrecht konstitutiv oder absolut zu werden. Diese Frage wird man kaum in der Theorie beantworten können, sondern man muß die Menschen fragen, die das Unrecht erlebt haben und zwar im Mittel. Es besteht kein Zweifel darüber, daß bisher die DDR mehr Unrecht zufügte als die Bundesrepublik und der Nationalsozialismus oder der Stalinismus oder der Maoismus mehr Unrecht als die DDR – deutlich mehr! Wo beginnt bei diesen Übergängen der Unrechtsstaat?

    5. Ihre Beispiele sind der beste Beweis für Ihre rein theoretische, hegemonial bestimmte und von der Lebensrealität weit entfernte Aneignung der Geschichte der DDR. Für letzteres können Sie nichts, sie sind nicht in die DDR „geworfen“ worden – immerhin sollte man aus dieser Erfahrungslosigkeit eine gewisse Zurückhaltung in der Wertung erwarten dürfen. Es ist jedenfalls schlicht und einfach nicht wahr, „daß man – etwa – nicht Lehrerin sein oder bleiben konnte, wenn das Regime auch nur die leisesten Zweifel an der Zuverlässigkeit hatte“. Sicher hat es Lehrerinnen und auch Lehrer gegeben, die durch ihre Dissidenz Nachteile erfahren haben, aber die Mehrzahl – auch die Mehrzahl der „unzuverlässigen“ dürften trotzdem Lehrer geblieben sein und sehr viele darunter ohne jede Beeinträchtigung. Wir haben jedenfalls mit sehr staatskritischen Lehrern (sogar Staatsbürgerkunde- und Geschichtslehrern) stundenlang über die Nachteile des Sozialismus oder die „objektiven und antagonistischen Widersprüche“ offen im Unterricht diskutiert. Ich selbst war allein schon durch mein Äußeres „dissident“, habe aber nirgendwo eine Benachteiligung erfahren. Mein Freund trug in der EOS das „Schwerter zu Pflugscharen“-Emblem und wurde daraufhin zum Direktor bestellt, ermahnt … und trug es danach weiter. Nichts geschah, weder wurde er von der Schule geworfen noch wurden ihm Steine in den Weg gelegt etc. Vielleicht gab es eine Akte – es interessierte ihn nicht … Wie gesagt, es gab auch andere Fälle, aber es war nicht die Norm. Es mag stimmen, daß es in der Diktatur kein Leben gibt, das nicht von der Diktatur berührt wird, aber dann gibt es auch in der Nicht-Diktatur kein Leben, das nicht von der Nicht-Diktatur berührt wird. Im Übrigen glaube ich, nein weiß ich, daß es sehr viele ganz normale Leben in der DDR gab, die in keinster Weise direkt von der „Diktatur“ berührt wurden.

    6. Das Beispiel Wolf Biermann ist in diesem Zusammenhang das gänzlich ungeeignetste und daß sie es anführen, läßt fast den Verdacht von unlauteren Absichten aufkommen. Daß jemand, der sich an die vorderste Front der Dissidenz stellt, „alltägliche Einschüchterung und Korruption“ erfuhr, ist doch mehr als logisch. Ihr „selbst“ – „die das Ausmaß der alltäglichen Einschüchterung und Korruption selbst in jenen Kreisen dokumentiert, die sich für widerständig hielten, ja widerständig waren“ – ist, bitte verzeihen Sie, fast schon unanständig und enthält eine linguistische Manipulation, die man einem Manne Ihrer Erfahrung und Bedeutung nicht zutrauen möchte. Wer denn sonst, wenn nicht die „Widerständigen“ erfahren die Restriktionen. Auch heute gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die sich als widerständig verstehen und die die gesamte Wucht der Restriktion erfahren: mediale Negativisierung, Streichung aus Buchlisten, Löschung von Konten auf sozialen Netzwerken, Kündigungen von Bankkonten, Beendigungen von Erwerbsverhältnissen usw. usf. Das Wort „selbst“ hätte nur dann Berechtigung gehabt, wenn sie dort Torsten Müller oder Andreas Schulz oder eben den Ottonormalbürger eingesetzt hätten. „Alltägliche Einschüchterung und Korruption“ hat es ohne Zweifel gegeben und das war ein enormer Fehler, aber sie war statistisch die Ausnahme. Die aktive politische Dissidenz war eine numerisch zu vernachlässigende Größe – vielleicht einige hundert oder tausend … gegenüber 2 Millionen Parteimitgliedern und vielen Millionen mehr an Mitläufern oder einfach Entpolitisierten, nur am Privaten interessierten Menschen.

    7. Verharmlosen Sie den NS-Staat. „Der NS-Staat war ein imperialistisches, die DDR ein koloniales Gebilde. Der NS-Staat unterwarf und versklavte die Völker, die Deutschen in der DDR waren unterworfen.“ „Demzufolge war der NS-Staat weit beliebter als das DDR-Regime und konnte auf gewisse Weise liberaler sein. War man nicht Jude, „Zigeuner“, schwer behindert oder im aktiven Widerstand, hatte man vom Regime wenig zu fürchten, jedenfalls bis zum Krieg. Die Kommunisten hingegen überzogen das Land mit einem Spitzelnetz, um das Volk auf Schritt und tritt zu kontrollieren und gleichzeitig durch das Angebot zum Bespitzeln moralisch zu korrumpieren.“ An diesen Sätzen stimmt fast gar nichts, nicht in dieser Absolutheit. Ich bezweifle vehement, daß man im NS freier sein konnte, weniger Angst hatte, als in der DDR, ganz unabhängig davon, ob man Jude oder „Zigeuner“ war. Auch war das Bespitzeln des Nachbarn im NS viel weiter verbreitet, als in der DDR. Die Literatur ist voller Belege – ich nenne nur „Jugend ohne Gott“ von Ödön von Horvath; aus der DDR-Literatur können sie fast jeden niveauvollen Roman nehmen, z.B: Erik Neutsch: „Zwei leere Stühle“.

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      Lieber Jörg Seidel,

      zunächst einmal verlinke ich hier Ihren „Offenen Brief“ an mich vom 8. Oktober (meinem Geburtstag!), der mir tatsächlich – da ich zum Ego-Googeln nicht neige – bisher entgangen war. Ich hatte Sie ganz und gar vergessen. Tut mir Leid. Also:
      https://seidwalkwordpresscom.wordpress.com/2019/10/08/offener-brief-an-alan-posener/#more-11962

      Ich nehme aber hier nicht weiter dazu Stellung. Wer sich die Mühe macht, den Brief durchzulesen (und es ist mühsam), wird finden, dass er voller Sophisterei ist, deren Zweck vermutlich darin besteht, Ihnen selbst den inhaltlichen Kern Ihrer Aussagen zu verschleiern.

      So auch in diesem Diskussionsbeitrag. Ich finde es schon erstaunlich, dass ein Blogger aus der neurechten Szene die vorgebliche Liberalität des DDR-Systems verteidigt, und zwar rein auf anekdotischer Basis: „Wir haben mit unseren Lehrern diskutiert“; „Ich hatte einen Freund, der einen regimekritischen Aufkleber hatte, und dem ist nichts passiert“ usw. usf.; als Gewährsmann wird ausgerechnet der – zugegeben clevere – SED-Ideologe und -Funktionär Erik Neutsch angeführt.
      Dass die „liberalen“ Lehrer oft agents provocateurs der Stasi waren, deren Auftrag es war, die für kritische Einstellungen anfälligen Schüler*innen auszumachen und der besonderen Bearbeitung zuzuführen, scheint Ihnen ebenso wenig bekannt zu sein, wie Sie sich offenbar nicht fragen, ob es über Ihren Aufnäher-Freund eine Stasi-Akte gab. Ich war 1988 und 1989 im Rahmen eines Jugendaustauschs in der DDR, und ich erlebte die Bestürzung bei der Öffnung der Stasi-Akten.
      Ich denke, Sie sollten mehr von Hubertus Knabe oder meinem Freund (und Ex-Genossen) Jochen Staadt lesen, und weniger von Neutsch, Kant und Konsorten, so „niveauvoll“ das Eine oder Andere gewesen sein mag. („Die Aula“ gefiel mir auch, aber die Sklavensprache, mit der die Spitzel- und Agententätigkeit des „Quasi“ Riek angedeutet wird, spricht Bände.) Ödon von Horváth kannte die DDR nicht, „Jugend ohne Gott“ – obwohl der Titel genau das beschreibt, was die DDR-Führung wollte und dank der Biegsamkeit der meisten Ostdeutschen auch erreicht hat – eignet sich kaum als Beispiel für den Vergleich der Bespitzelung in NS-Deutschland mit jener im SED-Staat.
      Ich halte Ihren Beitrag aber für sehr wertvoll, weil er dokumentiert, wie aus dem Einverständnis mit dem linken Unrechtssystem DDR eine Sympathie für rechte autoritäre und verschwörungstheoretische Ideologien erwachsen kann, offenbar bruchlos. Gemeinsamer Gegner der DDR damals und der Neurechten heute ist die liberale Demokratie und deren publizistische Vertreter wie Posener, der Ihnen zufolge „immer und überall Antisemitismus wittert und zudem mit seinen jüdischen Wurzeln väterlicherseits kokettiert, posiert und hausieren geht“.
      Weil Gegner der Demokratie und des Liberalismus in Deutschland heute u.U. gesellschaftliche Nachteile erleiden (was ein erheblicher Fortschritt ist gegenüber der Weimarer Republik, und selbstverständlich gegenüber der DDR, wo solche Gegnerschaft Voraussetzung jeder gesellschaftlichen und politischen Stellung war), lässt Sie den fundamentalen Unterschied zwischen Freiheit und Diktatur verwischen.
      Gut zu wissen. Denn Leuten, die diesen Unterschied nicht begreifen, muss man den Zugang zu den Hebeln der Macht verwehren.

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        Sehr geehrter Herr Posener,

        das war eine gute Idee, den „Offenen Brief“ hier zu verlinken. Jetzt kann jeder sehen, wie Sie arbeiten und zugleich verstehen, wie Sie mit Kritik umgehen. Es ist eine wunderbare Bestätigung meiner Thesen.

        Auch diesmal verfahren Sie wie in den meisten Fällen: Sie wischen Kritik – die sachlich und mit zahlreichen Argumenten (die man nicht teilen muß und diskutieren könnte) vorgetragen wurde – mit großer Geste beiseite und beginnen den ad-hominem-Angriff … von dem fast nichts stimmt, weil Sie sich – trotz dieser Taktik – für den Gegenüber gar nicht interessieren. Es ist in der Tat wenig fruchtbringend, mit Ihnen zu diskutieren.

        Interessant auch, daß Sie die Erfahrungen eines Jugendaustausches mit 25 Jahren Lebenserfahrung, mit generationellen Erfahrungen vergleichen. Gehen Sie bitte davon aus, daß ich zudem die relevante Literatur zum Thema kenne. (Ich empfehle Ihnen dazu meinen Beitrag „Warum Sachsen? Warum der Osten?“ aus der „Sezession“ Heft 90 – er wird auch irgendwann auf dem Blog erscheinen.) Übrigens sehe ich mich nicht als Vertreter der „Neuen Rechten“, was mich nicht davon abhält, auch in deren Publikationen – wenn ich sie für seriös halte – zu veröffentlichen. Ich bin Marxist, der über Nietzsche und den Postmodernismus zu Heidegger fand und noch immer beweglich denkt.

        Jeder, der Ihre Antwort liest und sie mit meinen Ausführungen vergleicht, kann nun sehen, daß Ihre Gegenrede leer ist. Die lebensweltlichen Beispiele dienen lediglich dazu, Ihre Absolutismen zu widerlegen: Wer von „man“ und „auf Schritt und tritt“, „rein auf Basis“ etc. schreibt, dem muß man nur ein Gegenbeispiel liefern, um ihn zu widerlegen.

        Weder – um nur ein paar Bsp. zu geben – habe ich „auf rein anekdotischer Basis“ argumentiert, noch führe ich Neutsch als SED-Funktionär, sondern als Autor an, auch beschreibt von Horvath das Spitzelsystem des NS und kann daher gut als sich absetzende Folie zur DDR-Realität gelten, noch waren „Lehrer oft agents provocateurs der Stasi“ – obwohl es solche gegeben hat; nennen Sie bitte Fakten: wieviel Prozent waren das? – und vor allem verteidige ich nicht das DDR-System, sondern lege die Schwächen Ihrer Argumentation dar. Aber genau das können Sie nicht vertragen und konnten es noch nie … weshalb man solche toxischen Dialoge besser meiden sollte.

        Mit Ihrem letzten Abschnitt machen Sie Ihre – ich würde sagen antidemokratische – Einstellung mehr als deutlich. Insofern hat sich der Dialog doch gelohnt.

        Daß mein „Offener Brief“ an Ihrem 70. Geburtstag erschien, war Zufall – oder Fügung. Ihr erster Angriff auf mich erschien zufälligerweise auch an meinem Geburtstag.

        PS: Sie sollten auch die Besprechung des Buches von Baños – die leider auch sehr mühsam geworden ist, aber das liegt an Ihnen – zur Kenntnis nehmen. https://seidwalkwordpresscom.wordpress.com/2019/10/17/so-beherrscht-man-die-welt/

        Darin werden Ihre absurden Vorwürfe Stück für Stück und sehr akribisch widerlegt – was Sie vermutlich nicht zur Einsicht bringen wird, aber vielleicht Ihre Leser.

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        „Ich bin Marxist, der über Nietzsche und den Postmodernismus zu Heidegger fand.“ Ein Heidegger’scher Marxist oder ein marxistischer Heideggerianer? Egal. Beide Denker haben zutiefst antidemokratische, antikapitalistische, antiliberale, antiaufklärerische und natürlich auch antisemitische Züge, insofern wirkt die Verbindung nur auf den ersten Blick skurril. Und ja, ich gebe es zu: ich bin Anhänger Karl Poppers. Die Demokratie ist nicht verpflichtet, ihren Verächtern entgegen zu kommen. Damit soll es aber auch gut sein. Sie buhlen hier ja nur um Aufmerksamkeit. Die habe ich Ihnen verschafft. Und nun können Sie sich trollen.
        Ach so, und zu den DDR-Lehrern:
        https://www.news4teachers.de/2013/02/experten-grosteil-der-ddr-lehrer-war-linientreu-auch-nach-der-wende/

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    Ich kenne die Diskussionen zu diesem Begriff nicht. Ich würde aber sagen, dass ein Unrechtsstaat ein Staat ist, der systematisch, d.h. als Staat, Unrecht produziert. Es geht also nicht um das Unrecht von irgendjemandem – z.B. des Tyrannen oder der Regierungspartei – , sondern der Staat selber muss es sein, der über seine Gesetze und Institutionen Unrecht verursacht. Auch spielt es keine Rolle, ob die Gesetze befolgt werden bzw. im Sinne der staatl. Institutionen gehandelt wird oder nicht, d.h. ob de facto Willkür herrscht. Stattdessen geht es darum, ob die Gesetze – wenn man sie befolgen würde (!) – Unrecht produzieren bzw. ob die Institutionen aufgrund ihrer internen Regeln Unrecht produzieren oder eben nicht.
    Natürlich muss man hier eine Kategorie von Recht bzw. Unrecht anlegen, die nicht dem Recht des jeweiligen Staates entspricht, z.B. das Menschenrecht oder meinetwegen auch den Dekalog, wie derblondehans meint. Irgendetwas Außerstaatliches muss es jedenfalls sein, das hinzugezogen werden muss, um das Unrecht eines Unrechtsstaates als Unrecht auszuweisen. Allerdings sollte man hier nicht allzu formalistisch werden, denn ist auch ohne formale Kriterien leicht einzusehen, dass z.B. das Ausrotten bestimmter Menschen oder das systematische Bespitzeln der Bevölkerung über eine staatliche Behörde oder das systematische Verhaften ohne Beweisführung Unrecht ist. Wohlgemerkt: Es geht um Unrecht, dass der Staat als Staat produziert.
    Vielleicht sollte man hinzufügrn, dass Unrecht sowieso geschieht, immer und überall, mehr oder weniger und in den verschiedensten Hinsichten. Hier sollte man sich keine Illusionen machen. Auch in einem Rechtsstaat geschieht Unrecht. Der größte Teil von diesem Unrecht sollte jedoch verfolgt werden, sonst wird es kritisch mit dem Rechtsstaat.
    Wie unterscheiden sich also „normale“ Diktaturen von Unrechtstaaten? Genauso wie ein Unrechtsstaat sich von einem anderen unterscheidet: durch das Ausmaß und die Qualität des produzierten Unrechts. Mir scheint es zum Beispiel völlig klar, dass das genozidale Ausrotten im Nazistaat ein krasseres Unrecht ist als das Bespitzeln der Bevölkerung bzw. Einsperren der Gegner in der DDR (und auch in vielen anderen Diktaturen). Hier liegt m.E. auch die Singularität der Naziverbrechen begründet: Sie sind einfach der bislang tiefste Punkt einer an Tiefpunkten nicht gerade armen Skala. Diese Tatsache bedeutet aber keine Entlastung des Unrechts, das durch den Staat DDR produziert wurde, an der Grenze, in den Gefängnissen und in der Stasizentrale beispiwlsweise: Auch wenn anderes noch schlimmer ist, bleibt Schlimmes genauso schlimm wie es ist.

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      …ein Beispiel für den doch recht abstrakten Gedankengang: Ein Staat, in dem es keine Gleichberechtigung von Frauen und Männern gibt, sondern staatlich vorgeschriebene Rollen, ist nach meiner Auffassung ein Unrechtsstaat. Selbst wenn alle Staatsbürger und auch -bürgerinnen glücklich sind, Geld, Bildung und medizinische Versorgung im Überfluss vorhanden sind und niemand aus dem Staat an dem Recht bzw. Unrecht etwas ändern will, so bleibt es doch ein staatlich produziertes Unrecht und der Staat damit ein Unrechtsstaat. Natürlich wäre das ein Unrechtsstaat, in dem alle Staatsbürger „gut und gerne leben“ wollen, wie es so schön hieß, aber eben doch ein Unrechtsstaat.

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        Lieber Roland Ziegler, sie haben Recht, dass Ihre Äußerungen „recht abstrakt“ sind, aber das kennen wir beide schon. Ich halte mich an den US-Richter Potter Stewart, der, in einem Pornografie-Verfahren nach einer Definition von Oszönität gefragt, sagte: „I know it when I see it.“
        Ihr Beispiel mit den Frauen hat auch den Nachteil, theoretisch zu sein. Nehmen wir lieber eines, das mir als Freund der USA und der konkreten Beispiele näher geht: die Behandlung der Schwarzen in Amerika. Man kann argumentieren dass die Schwarzen in den meisten Südstaaten bis zur Bürgerrechtsbewegung weniger Rechte hatten als die Juden in der Anfangsphase des NS-Regimes, ja dass die Nazis sich an der Rassengesetzgebung in diesen Staaten orientierten, als sie daran gingen, ihre Judengesetzgebung zu entwerfen. (Also in Ihrer Formulierung, daran gingen, ein Unrecht zu formulieren, das vom Staat – ja von der Gesetzgebung selbst – ausging.) Darüber habe ich in einer Besprechung etwas geschrieben: https://www.welt.de/kultur/plus173016096/Hitlers-Vorbild-Als-Amerika-das-fuehrende-rassistische-Rechtssystem-war.html
        Zweifellos könnte man also einen Staat wie Alabama bis Mitte der 1960er Jahre als Unrechtsstaat bezeichnen.
        Freilich boten die Gesetze und Freiheiten der USA selbst die Möglichkeit, die diskriminierenden rassistischen Gesetze durch friedliche Proteste, bundesstaatliches Eingreifen und schließlich das Wahlrecht in den Südstaaten selbst zu ändern. (Wohlgemerkt: die rassistischen Gesetze; nicht den Rassismus an sich, der bis heute nicht nur die Südstaaten plagt.) Die USA selbst also als liberale Demokratie und Rechtsstaat, hatte die Mittel (und hat sie bis heute), diesen Schandfleck aus eigener Kraft zu beseitigen.
        Diese Mittel hatten die Deutschen nach 1933 nicht, in der DDR bis 1989 nicht. Um das Unrecht zu beseitigen, musste das System beseitigt werden.
        Natürlich kann ich verstehen, wenn manche Schwarze, die nie in einer Diktatur gelebt haben, aber den tagtäglichen Rassismus erleiden, den Unterschied zwischen einer Diktatur und der Demokratie nicht sehen, die ihnen ihr Recht nicht gibt und ihnen das Leben schwer macht. Im Kalten Krieg gab es von schwarzer Seite viele Sympathien für die Sowjetunion, Kuba, Nordvietnam usw. Ich verlinke Ihnen hier ein Interview mit dem Ex-Black Panther Eldridge Cleaver, der ins algerische Exil ging und nach einigen Jahren, in denen er auch viele kommunistische Staaten besuchte, reumütig in die USA zurückkehrte:
        https://reason.com/1986/02/01/an-interview-with-eldridge-cle/

        Eine der entscheidenden Passagen: „At the time I didn’t notice it. It’s one thing to study Marxism on paper, living in a capitalistic country where you have individual freedoms and so forth—you don’t really see the relationship between the ideology and the form of government that comes out of that ideology. Now, when I had a chance to go and live in communist countries this individualism came into conflict with the state apparatus, and that’s when I recoiled against it. But when I was here I was looking at Marxism-Leninism as a weapon, as a tool, to fight against the status quo, and you know, it’s just a quality of human beings that when they are trying to tear something down they don’t pay enough attention.“

        Will sagen: Man muss, wie Cleaver, genau hinsehen. Abstrakt kommt man nicht weiter.

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        Die Äußerung des US-Richters zur Pornografie erinnert mich an ein berühmteres Zitat: „Wenn niemand mich fragt, weiß ich es; wenn ich es jemandem auf seine Frage hin erklären will, weiß ich es nicht“, meinte Augustinus zu Zeit. Augustinus bleibt im Gegensatz zu dem Richter aber nicht stehen, er findet diesen Zustand klärungsbedürftig. Und so kommt man dann halt zu abstraktem Denken.
        Man sollte also versuchen zu verstehen, was man erkennt, wenn man es sieht – Pornografie, Zeit, Unrechtsstaat. Aber ich glaube auch, dass man konkret hinsehen muss, d.h. eine Vielzahl von möglichen Aspekten in Betracht kommen, die man außerdem gegen rechtstaatliche Aspekte gewichten muss. Meist sind es ja Mischungen aus Unrecht und Recht, wie auch Ihr Beispiel mit den USA zeigt. Welche Bezeichnung man am Ende für den Staat als Bilanz wählt, mag also dahingestellt sein. Wichtig ist aber, dass die Apartheid in Alabama ein staatlich produziertes Unrecht war (und wohl auch teilweise noch ist, denn der Staat besteht nicht nur aus seinen Gesetzen, sondern auch aus seinen institutionellen Outputs, z.B. den Verhaltensnormen seiner Polizisten).

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        Ja, Augustinus ist ein sehr gutes Beispiel, denn er liebte das abstrakte Denken, schrieb aber über die Naturwissenschaft: „Von da aus geht man weiter, die Geheimnisse der Natur, die außer uns liegt, zu ergründen, was zu wissen nichts nützt und nichts anderes ist als Neugier der Leute.“ (Bekenntnisse, 10. Buch, 35. Kapitel)
        Ich denke, wir können uns dennoch weitgehend einigen: „Welche Bezeichnung man am Ende für den Staat als Bilanz wählt, mag also dahingestellt sein.“ Genau: Streiten wir uns nicht um Begriffe, sondern um die Bilanz.

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    Zunächst einmal vielen Dank, daß Sie die Anregung aufgegriffen haben.
    Was mich an der ganzen Diskussion um das Interview von Schwesig und Ramelow irritiert hat, ist folgendes: Der Begriff des Unrechts beinhaltet – anders als etwa der Begriff der Willkür – eine Anklage. Und in einem Rechtsstaat verlangt man bei einer Anklage zum einen, daß sie in der Sache nachvollziehbar begründet ist, und zum anderen, daß zwei gleiche Sachverhalte auch gleichermaßen behandelt werden, also nicht einmal Anklage erhoben wird und einmal nicht.
    Was in den ganzen Diskussionen auf Twitter oder in den Kommentarspalten der Zeitungen nicht schlüssig herübergebracht wurde, war, warum die DDR ein Unrechtsregime darstellte, während man beispielsweise die ebenso von Unfreiheit, Unterdrückung der Opposition und Bespitzelung der Bürger geprägen Staaten des Systems Metternich gemeinhin als Willkürherrschaft bezeichnet, aber üblicherweise nicht als Unrechtsregime.
    Die Frage ist also ganz generisch, was ein Unrechtsregime von einer „normalen“ Diktatur wie den zahllosen Militärregimes des 20. Jahrhunderts bis heute unterscheidet oder von einer repressiven absolutistischen Monarchie wie in Rußland unter den letzten beiden Zaren bzw. heute in Saudi-Arabien.

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      Lieber Opa Krempel, Sie machen leider genau das, was ich nicht will. Sie wollen eine sprachliche Definition, die Sie fertig anwenden können: Rechtsstaat – Unrechtsstaat, Stempel, fertig. Es ist nicht so leicht. man muss sich schon die konkreten Verhältnisse angucken. Ich jedenfalls habe nicht vor, mich mit der feinen Unterscheidung zwischen Willkürherrschaft und Unrechtsstaat herumzuschlagen. Ich weiß auch gar nicht, was es bringen soll.
      Die „Metternich-Staaten“ waren alle erheblich freier, als es die DDR war, mit der möglichen Ausnahme des zaristischen Russland. Das Habsburger-Reich, damals oft als „Völkergefängnis“ tituliert, war die liberalste Ordnung, die der Balkan bis dahin und danach bis zum Untergang Jugoslawiens erlebt hat. Preußen war weitestgehend ein Rechtsstaat, worauf die Anekdote des Müllers von Sans-Souci verweist. Saudi-Arabien erlaubt immerhin seinen Bürgern (bei den Bürgerinnen ist es schwieriger) die Ausreise. Und so weiter. Wenn Sie mit einem Etikett herumrennen wollen und nach Staaten Ausschau halten, auf die Sie es kleben können, bitte. Aber ohne mich. Wenn Sie Leuten vorwerfen wollen, die DDR als Unrechtsregime zu kritisieren, aber nicht etwa China oder Putins Russland: bitte sehr. Aber was haben Sie davon?
      Wenn Sie hingegen der Ansicht sind, die DDR sei eigentlich ein guter Versuch, jedoch mit einigen Fehlern, haben wir den gemeinsamen Boden verlassen, auf dem wir diskutieren. Die Bundesrepublik ist und war ein Rechtsstaat; die DDR war nie ein Rechtsstaat. Der Unterschied ist fundamental, und alles andere ist Wortklauberei.

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      … Opa, apropos Unrechtsstaat in Deutschland und Ramelow; buuhPrä Steinmeier im Tagesspiegel zur künftigen Regierung in Thüringen; ‚die Linkspartei stand dort offenbar für die meisten Wähler nicht für radikale Veränderungen, sondern hat auch Bewahrendes verkörpert.‘ … jahaa, das ist richtig, Onkel Uhu spricht wahr; denn die deutsche Linke ‚erfüllt eine lange Tradition des Judenhasses‘.

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    … daaaaa bin ich wieder 😉 … der Mitdiskutant ‚Opa Krempel schreibt: ‚ … habe ich viele Meinungen für und wider gehört und keines wirklich überzeugend gefunden … Es wäre interessant zu erfahren, wie die Diskutanten in diesem Forum den Begriff des Unrechtsstaats definieren.‘

    … warum nur wundert es mich nicht, dass ausgerechnet Sie, ‚Opa Krempel‘, keine wirklich überzeugende Def. finden?

    Das Wort ‚Recht‘ entstammt dem indogermanischen ‚aufrichten, gerade richten‘.

    Allein ‚Hoheitlicher Rechtsbruch‘ definiert den Unrechtsstaat. Mehr Def. für Unrechtsstaat braucht es nicht!

    … Unrecht beginnt dort, wo der Mensch sich über den Dekalog stellt. A-Theisten aller Couleur wollen das anders sehen. Darum können sie auch gar nicht den Unrechtsstaat, mit all seinen Erscheinungsformen, von der Abtreibung über ‚Framing – Diktatur‘, der Backpfeife oder Gewalt gegenüber Andersdenkenden, bis zu Raub, Angriffskriegen und Völkermord, definieren. Sie suchen allein für sich selber eine Rechtfertigung.

    Die ‚DDR‘ ist Historie – der Unrechtsstaat in Deutschland nicht. Das Grundgesetz ist – schon mit der Missachtung der Präambel; ‚Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen … ‚ – Makulatur.

    … Unrecht in Deutschland ist – u.a. – erkennbar an der hoheitlichen Missachtung der im Grundgesetz verankerten Gewaltenteilung – Legislative, Exekutive und Judikative. Die drei Gewalten, die sich gegenseitig kontrollieren und staatliche Macht begrenzen sollen. Tatsächlich ist die Staatsanwaltschaft der ‚BRD‘ weisungsgebunden und somit als solche von der Politik instrumentalisierbar. DAHER kann sich die ‚Richtlinienkompetenz‘ einer BKin der ‚BRD‘ auch selber in dieser Welt – straflos – über das Grundgesetz erhöhen. (‚Gottkanzlerin‘) Selbst die Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht durch Politiker, nach Absprache zwischen den politischen Parteien, insbesondere die rotationsmäßige Benennung, ist Chuzpe.

    … möge Fr. Prof. Monika Frommel mich korrigieren … ansonsten gern mehr. … bis dann Prediger 3, 1 ff 😉

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      Nein, Blonderhans, „hoheitlicher Rechtsbruch“ begründet nicht den Unrechtsstaat. Selbstverständlich bricht jede Regierung irgendwann das Recht. Die Frage ist, welche Konsequenzen das hat. Wir sehen in den USA, wie die Legislative versucht, dem Präsidenten einen Rechtsbruch nachzuweisen und daraus die Amtsenthebung abzuleiten. Dort, wo die Regierung gar nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, herrscht das Unrecht, haben wir es mit einem Unrechtsregime zu tun.
      Mit dem Dekalog hat das nichts zu tun. Staaten haben nach dem Völkerrecht unter bestimmten Umständen das Recht zu töten und zu rauben; auch das Lügen und Betrügen ist unter bestimmten Umständen erlaubt, und der einzige Staat, der die Abschaffung der Geheimdiplomatie verkündet hat, war Lenins Diktatur.
      Die Staatsanwaltschaft vertritt nun einmal den Staat. Das heißt, sie wird tätig dort, wo der Staat ein Verfolgungsinteresse sieht. Es wird Sie aber interessieren, dass auch der linke SZ-Redakteur Heribert Prantl die Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte als problematisch erachtet.
      https://www.sueddeutsche.de/politik/justiz-der-staatsanwalt-gelenkt-und-geleitet-1.2487163

      In den USA werden die Staatsanwälte turnusmäßig direkt gewählt. Das ist m.E. eine erheblich schlechtere Lösung, weil es die Staatsanwaltschaft tendenziell der Gefahr des Populismus ausliefert. Aber darüber, wie auch über die Auswahl der Richter beim Bundesverfassungsgericht, kann man diskutieren, ohne der Bundesrepublik den Charakter eines Rechtsstaats abzusprechen.

      Die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin gilt nur gegenüber ihrem Kabinett. Wo da ein Problem liegen soll, erschließt sich mir nicht.
      Die katholische Rechts- und Staatenlehre erkennt seit Augustinus an, dass der Staat nicht an die biblischen Gebote, weder des „Alten“ noch des „Neuen“ Testaments, gebunden sein kann, sonst funktioniert er nicht. Wenn Benedikt XVI vor dem Bundestag sagte, ohne das Recht wäre der Staat nichts als eine „Räuberbande“, meinte er diesen Sachverhalt. Der Staat hat sich tatsächlich aus Räuberbanden entwickelt, die sich dann Gesetze gegeben haben. Wenn diese Gesetze auch für die Regierung gelten und gegen die Regierung geltend gemacht werden können, haben wir es mit einem Rechtsstaat zu tun. Das ist zweifellos in der Bundesrepublik der Fall, und es war zweifellos in der DDR nicht der Fall.

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        … werter APo, der heilige Augustinus, 354 bis 430 n. Chr. [sic!], stimmt mir zu. 😉 ‚… wahre Gerechtigkeit kann erst im Eschaton verwirklicht werden, sie ist, so er sinngemäß, auf Erden unerreichbar. Jeder irdische Staat scheint als relativ ungerecht, ist von der wahren Gerechtigkeit so weit entfernt, dass er nicht anders als eine Räuberbande aussieht.‘

        In seiner Enzyklika ‚Au milieu des sollicitudes‘, 1892, schreibt Papst Leo XIII., u.a.; Achtung gegenüber der Staatsgewalt schließt Opposition gegenüber dem legislatorischen Gebrauch der Gewalt nicht aus. Insbesondere wenn die Staatsgewalt von derartig antichristlichen Gefühlen beseelt ist, dass alle rechtlich denkenden Menschen, und mehr noch die Katholiken, sie aus Gewissensgründen nicht annehmen können.

        Mit Ihrer Bemerkung zum hoheitlichen Rechtsbruch – ‚Selbstverständlich bricht jede Regierung irgendwann das Recht‘ stimmen Sie mir sogar zu. Nur wo ist dann der Rechtstaat ‚BRD‘?

        … das noch, ich bin lieber Amerikaner als ein Prantl.

      2. avatar

        Die von Ihnen zitierte Enzyklika von Leo XIII, lieber blonderhans, ist bemerkenswert, weil die kath. Kirche darin endlich die Republik als legitime Staatsform anerkennt, was sie bis dahin – 1892! – nicht getan hatte. Man muss sich vorstellen, was hier los wäre, wenn die Muslimen die Mehrheit der Bevölkerung darstellten und ihre Imame – einheitlich von, sagen wir, Istanbul aus dirigiert – die Verfassung ablehnen würden. So in etwa war das Verhältnis der kath. Kirche zur Republik 1871ff.
        Leo XIII hatte natürlich darin Recht, dass seit Augustinus die „zwei Reiche“-Auffassung in der Kirche gilt: Jeder Staat ist unvollkommen, Jesu Reich ist „nicht von dieser Welt“. Das heißt, die Loyalität eines Christenmenschen gegenüber dem Staat darf nie so weit gehen, jene Handlungen zu billigen, die Gottes Gesetzen widersprechen. Das war der Grund, weshalb Johannes Paul II die Beteiligung der Kirche an der staatlich verordneten Beratung zum Schwangerschaftsabbruch ablehnte. Für meine Begriffe völlig zu Recht. Ich bin gegen die Kriminalisierung der Abtreibung, aber für die Kirche bleibt sie eine Todsünde, und da kann sie sich nicht an einem Vorgang beteiligen, mit dem dieser – in ihren Augen – Kindesmord legitimiert wird.
        Benedikt sagte im Bundestag, Augustinus zitierend: „Ohne das Recht ist der Staat eine Räuberbande.“ Die SED war in diesem Sinne eine Räuberbande, die sich den Staat unter den Nagel gerissen hat. Wenn Staatsorgane der Bundesrepublik das Recht brechen – ich erinnere an die „Spiegel“-Affäre, die Affäre Kießling, an manche bis heute nicht völlig aufgeklärte Zusammenarbeit der Verfassungsschützer mit der rechtsextremen Szene, bis hin zur mehrheitlichen Unterwanderung der NPD-Führung – , so haben die Bürger*innen Rekurs zu den Gerichten. Das war in der DDR nicht der Fall, jedenfalls nicht dort, wo es dem Staat wichtig war. Niemand konnte den Schießbefehl an der Grenze, das Netz der Spionage, die fehlende Pressefreiheit, die „führende Rolle der Partei“ usw. usf. vor Gericht anfechten. Das wissen Sie ja alles.
        In den USA steht der Präsident für die Dauer seiner Amtszeit tatsächlich über dem Gesetz, kann also nur vom Kongress seines Amtes enthoben werden. Dies mögen Sie gut finden; ich finde es zumindest nachvollziehbar. Die Maßnahmen des Präsidenten aber, sofern nicht vom Kongress bewilligt, sind jederzeit vor Gericht anfechtbar, und die vom Kongress beschlossenen Gesetze selbst vor dem Obersten Gericht.
        Dass freilich ein Staat der Form nach eine Demokratie und ein Rechtsstaat sein kann, dem Inhalt nach aber eine autoritäre Herrschaft, indem etwa die Gerichte mit Parteigängern der Regierung bestückt werden, so dass die Verfassung legal zugunsten einer Partei geändert werden können, das sehen wir in Ungarn und Polen. Ich finde es erstaunlich, dass ausgerechnet die AfD, die behauptet, die Bundesrepublik werde von einem „Parteieinkartell“ beherrscht, die Verhältnisse in Ungarn und Polen loben, wo tatsächlich FiS und Fidesz versuchen, einen Einparteienstaat zu errichten.

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