Die Zahl der Scheidungen in Deutschland geht zurück. Und die Ehen halten länger. Das klingt gut. Doch die Daten des Statistischen Bundesamts sind nur die halbe Wahrheit.
Seit 2003, als mit 213.975 Ehescheidungen ein neuer Höhepunkt erreicht wurde, gehen die Scheidungszahlen in Deutschland kontinuierlich zurück. 2016 wurden 162.397 Ehen geschieden. Ein deutlicher Rückgang, doch immer noch scheitert rund jede dritte Ehe. Der Blick in die Statistik bestätigt dies: Es ist ein Rückgang auf hohem Niveau. 1978, dem ersten Jahr nach Abschaffung des so genannten Schuldprinzips im Scheidungsrecht, wurden lediglich 32.462 Ehen gerichtlich getrennt – der historische Tiefstand in der Geschichte der Bundesrepublik. Seitdem stieg die Zahl der Scheidungen langsam, aber kontinuierlich an. Erst im Jahr 1993 kletterte sie erstmals über die Marke von 150.000 und wurde seitdem nicht mehr unterschritten. Von einer wirklichen anhaltenden Trendwende kann also keine Rede sein.
Immer mehr Paare ohne Trauschein
Auch ist die Zahl der Paare, die ohne Trauschein zusammenleben, in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Was heute unvorstellbar erscheint: Die Generation unserer Eltern oder – bei jüngeren Lesern die Großeltern – ist noch mit dem Kuppelei-Paragraphen groß geworden. Bis 1970 konnten in der Bundesrepublik Vermieter bestraft werden, die eine Wohnung an Unverheiratete vermieteten. Was selbst bis in die frühen 80er hinein einst als „wilde Ehe“ verpönt wurde, ist heute völlig normal. Im Jahr 2015 lebten laut Statistischem Bundesamt 2,8 Millionen Paare in Deutschland in einer „nichtehelichen Lebensgemeinschaft“. Damit ist die Zahl der Partnerschaften ohne Trauschein allein seit 1996 um etwa eine Million gestiegen. Trennen sich diese, dann gehen sie natürlich nicht in die Statistik ein. Wer nicht verheiratet ist, kann nicht geschieden werden.
Was die Wiesbadener Statistiker zudem nicht erfassen können, sind die Paare, die getrennt leben, sich aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht scheiden lassen. Oder diejenigen, die zwar noch zusammenleben, aber schon längst kein Paar mehr sind, sondern ein gut funktionierendes Kinderbetreuungsteam. „Oft wird den Kindern zuliebe mit der Scheidung gewartet“, erläutert Harald Rost vom Staatsinstitut für Familienforschung der Universität Bamberg. Dies könnte auch der Grund sein, warum die durchschnittliche Ehedauer, die Anfang der 90er Jahre noch bei 11,5 Jahren lag, mittlerweile auf 15 Jahre gestiegen ist. Nicht außer Acht gelassen werden sollte ferner, dass in unserem Land viele Menschen mit einem kulturellen und religiösen Hintergrund leben, in dem eine Trennung auch heute noch unvorstellbar ist – insbesondere, dass eine Frau diesen Schritt geht.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass auch die deutsche Gesellschaft von einer solchen Haltung geprägt war. Bis vor 30 Jahren war die Trennung einer Ehe nur bei Feststellung der Schuld eines Ehepartners oder beider Ehepartner möglich. Wem die alleinige Schuld zugesprochen wurde, der hatte keine Chance, das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder zu erhalten. Schuldhaft geschiedene Frauen konnten auch keinen Unterhalt einfordern. Um einen Schuldspruch zu vermeiden, wurde vor Gericht gelogen, getrickst und verleumdet. Natürlich sind auch heute Rosenkriege leider keine Seltenheit, doch damals waren sie an der Tagesordnung. Denn das vorrangige Bestreben der Trennungswilligen lag darin, eine einseitige Schuldzuweisung zu vermeiden.
Gesellschaftliche Akzeptanz wächst
Inzwischen, da ein Drittel der Ehen scheitern, sind Trennung und Scheidung zur Normalität geworden. Dennoch sind die meisten Verheirateten fest davon überzeugt, dass ihnen diese Erfahrung erspart bleiben wird. Doch wer heute noch glaubt, ihm könne das nicht passieren, kann morgen schon vom Ehepartner mit einem neuen Lebenspartner konfrontiert werden. Alleinerziehende, Patchwork, Lebensgemeinschaften – in Jahrzehnten sind die Familienmodelle vielfältiger geworden. Die gesellschaftliche Akzeptanz dafür wächst, das zeigt die Diskussion um die „Ehe für alle“ oder das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Ehen. Was vor Jahren noch auf erheblichen Widerstand stieß, findet heute selbst in konservativen Kreisen zumindest keine völlige Ablehnung mehr. Eine geschiedene und in zweiter Ehe verheiratete Kanzlerin und ein CSU-Vorsitzender mit einem außerehelich gezeugtem Kind können auch kaum als Vorbilder für ein traditionelles Familienbild dienen. Dementsprechend maßvoll fallen ihre eigenen Äußerungen zum Thema Familie aus.
Wie lächerlich es wirkt, wenn Anspruch und Wirklichkeit nicht übereinstimmen, sieht man hingegen am Führungspersonal der AfD. Wer im Wahlprogramm betont, das „Leitbild der Ehe und traditionellen Familie mit Kindern bewahren und stärken“ zu wollen, aber zwei Parteivorsitzende hat, von denen die eine, nämlich die damals schon vierfache Mutter Frauke Petry, ihren Mann für ihren Parteifreund Pretzell verlassen und mit diesem ein weiteres Kind bekommen hat, und der andere, Jörg Meuthen, nach zwei gescheiterten Ehen, aus denen fünf Kinder hervorgegangen sind, nun eine Beziehung mit einer AfD-Angestellten hat, ist wenig glaubwürdig. Nicht zu vergessen die Spitzenkandidatin Alice Weidel, die in einer lesbischen Partnerschaft lebt und die Kinder ihrer Partnerin mitgroßzieht.
Katholische Kirche hält strikt an der lebenslangen Ehe fest
Streng an der Ehe auf Lebenszeit hält eine viel größere und viel einflussreichere Organisation fest: die katholische Kirche. Weil die kirchliche Ehe ein Sakrament ist und damit als heilig gilt, ist sie nach Überzeugung der Kirche unauflösbar. Daher lehnt die Amtskirche Scheidungen bis heute strikt ab und verweigert Geschiedenen die Eucharistie. Die moralischen Hürden einer Scheidung liegen für Katholiken extrem hoch. Im katholischen Eheversprechen wird ausdrücklich auf eine Forderung Jesus‘ Bezug genommen: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ (Markus 10,9). Das sechste der zehn Gebote Gottes verbietet strikt den Ehebruch. Längst lassen sich aber weder gläubige Christen und manchmal weder katholische Religionslehrer noch Priester vom Katechismus davon abhalten, dem Ruf ihrer Herzen zu folgen. Katholiken lassen sich, das zeigt die Statistik, insgesamt nicht weniger häufig scheiden als Protestanten.
Aufgrund der anhaltend hohen Scheidungszahlen ist es überraschend, dass seit einigen Jahren die Zahl der Eheschließungen wieder zunimmt. Erstmals seit dem Jahr 2000 gaben 2015 wieder über 400.000 Menschen dem Partner das Ja-Wort. Heiraten ist wieder „in“. Es hat sich sogar eine regelrechte Hochzeitsbranche entwickelt, die gut davon lebt. Denn der „Bund fürs Leben“ wird immer aufwändiger zelebriert: In einem Jahr die standesamtliche, im Jahr darauf die kirchliche Hochzeit, vorneweg zuweilen noch die Verlobung, jedes Mal eine romantische Reise, dazwischen minutiöse Planungen für die Feierlichkeiten. Aus dem „Honeymoon“ sind inzwischen jahrelange Inszenierungen des beiderseitigen Glücks geworden, die Schritt für Schritt für Freunde, Bekannte und Öffentlichkeit auf Facebook und Instagram dokumentiert werden. Nach der Traumhochzeit droht aber die „Post-Braut-Depression“. Denn nachdem die Paare jahrelang mit den Planungen beschäftigt waren, fallen sie nicht selten in ein emotionales Loch. Statt Diskussionen über Menu, Hotel, Blumenschmuck und Musik sind sie nun mit dem ernüchternden Alltag konfrontiert.
Lange Zeit hatte Ehe nichts mit Liebe zu tun
Es bleibt die Frage: Warum träumen dennoch so viele vom anhaltenden Eheglück? Und warum scheitert trotz bestem Willen beider Partner jede dritte Ehe? Ist der Mensch für die Monogamie ungeeignet? Oder sind die gegenseitigen Erwartungen zu groß? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Ehe lange mit Liebe nichts zu tun hatte. Erst das aufstrebende Bürgertum entdeckte vor zwei Jahrhunderten allmählich für sich das Ziel, nicht nur verheiratet, sondern auch verliebt zu sein. Heute käme niemand auf die Idee, jemanden zu heiraten, dem er sich nicht eng verbunden fühlt. Doch der Anspruch, die beiden Partner sollen sich das ganze Leben lang lieben, achten und ehren sollen, steht in der modernen Gesellschaft in einem ständigen Spannungsverhältnis zu einem anderen gesellschaftlichen Ideal, nämlich dem der lebenslangen persönlichen Selbstverwirklichung. Als glücklich gilt der, der seine Wünsche verwirklichen kann. Dieser Hedonismus gerät aber leicht in Konflikt mit den Erfordernissen von Beruf, Partner und – falls vorhanden – Kindern. Wir wollen erfolgreich im Job, ein liebevoller Partner und eine gute Mutter bzw. ein guter Vater sein – und im Bett soll es auch noch stimmen, und zwar ein Leben lang. Enttäuschungen sind bei diesen riesigen Erwartungen garantiert. Die Paare, die es schaffen, all diese Hürden zu umschiffen, können stolz sein. Doch auch ihnen bleibt – bei natürlichem Lebenslauf – letztlich das lebenslange Glück verwehrt. Denn am Ende scheidet sie der Tod.
… ooops? Formatierungsfehler, daher …
F.E.: ‚Doch auch ihnen bleibt – bei natürlichem Lebenslauf – letztlich das lebenslange Glück verwehrt. Denn am Ende scheidet sie der Tod.‘
… ja wer sagt das denn? Davon weiß ich nix. Ich meine, dass auch der Tod ein Heiliges Sakrament nicht auflösen kann.
Ohne einen Seitenhieb auf die AfD geht es wohl nicht. Wo bliebt eigentlich Trump?
Nun denn.
Auf einen kleinen Fehler möchte ich doch noch hinweisen:
„Daher lehnt die Amtskirche Scheidungen bis heute strikt ab und verweigert Geschiedenen die Eucharistie. “
Die römisch-katholische Kirche verweigert den Empfang der Hostie standesamtlich wiederverheirateten Geschiedenen. Ausnahmen sind aber möglich (siehe AL), Die Diskussionen darüber sind auf kath.net zu verfolgen.