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Norman Finkelstein und die Freiheit der Wissenschaft

Worin besteht die Wissenschaftsfreiheit? Genauer: Bedeutet die Freiheit von Forschung und Lehre einen Freibrief für Propaganda? Diese Frage ist aufgeworfen worden durch Veranstaltungen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim und am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle. In beiden Fällen wurde seitens der Hochschulleitung die Durchführung von Veranstaltungen mit einer parteilichen antizionistisch-antisemitischen Tendenz von der Hochschulleitung bzw. der Direktorin verteidigt, indem sie sich auf die „Wissenschaftsfreiheit“ beriefen.Zum Sachverhalt in beiden Fällen habe ich mich geäußert, deshalb wiederhole ich das jetzt nicht, sondern verweise auf die entsprechenden Artikel.

Zu Hildesheim:

https://www.welt.de/politik/deutschland/article157518886/Wenn-Israel-Hass-Lernziel-an-einer-Hochschule-wird.html

Und:

https://starke-meinungen.de/blog/2016/08/08/hildesheimer-kuschelecke-von-juden-bedroht/

Zu Halle:

https://www.welt.de/politik/deutschland/article161430779/Max-Planck-Institut-bietet-Israel-Hasser-ein-Podium.html

Wer die Artikel liest, wird feststellen, dass ich immer wieder das Recht betone, Israel zu kritisieren – auch mit antizionistischen, ja antisemitischen Parolen. Wirtshäuser und öffentliche Plätze, auch angemietete Säle in Universitäten stehen in unserem Land dafür zur Verfügung, und so sehr mir das zuwider ist – es muss und soll geduldet werden. (Nun ja, unter uns Betschwestern: man kann ja auch Go-ins und Gegendemonstrationen veranstalten. Das ist ja auch erlaubt.)

Nicht also die Meinungsfreiheit steht zur Diskussion, sondern die Wissenschaftsfreiheit. Kann sich ein Seminar (wie in Hildesheim), das vom eigenen Selbstverständnis her eine Propagandaveranstaltung für den „Befreiungskampf“ gegen Israel ist, auf die Wissenschaftsfreiheit berufen? Kann sich ein „Workshop“, bei dem ein selbsterklärter Feind Israels, der den jüdischen Staat als „Monster“ bezeichnet, das „Martyrium“ Gazas erläutert, auf die Wissenschaftsfreiheit – genauer: die Freiheit von Forschung und Lehre gemäß Artikel 5 GG berufen?

Was ist denn Wissenschaftsfreiheit?

Nein. Wissenschaft ist nach einer Definition des BVerfG „jede Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch der Wahrheitsermittlung anzusehen ist“. Notwendig ist nach Meinung der Richter sowohl das Aufbauen auf einen bestimmten Kenntnisstand als auch das Ersuchen um Kenntniserweiterung mit einer gezielten Arbeitsweise. Lehre in diesem Sinne die wissenschaftliche Lehre, die in Verknüpfung mit der Forschung des Lehrenden entspringt. Dabei zeichnet sich die wissenschaftliche Lehre auch dadurch aus, dass fremde Forschungen weitergegeben werden. Keine Lehre ist etwa der Unterricht an Schulen.

In diesem Sinne konnte sich die Hildesheimer Dozentin, die keine eigenen Forschungen vorzuweisen hatte, nicht auf die Freiheit von Forschung und Lehre berufen. Das Gutachten des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung hat festgestellt, dass dabei wissenschaftliche Mindeststandards nicht beachtet wurden.

Aber auch Norman Finkelstein, der am Max-Planck-Institut in Halle ein der Öffentlichkeit nicht zugängliches „Workshop“ über sein neues Buch „Gaza: an Inquest into its Martyrdom“ abhielt, ging es nicht um einen „ernsthaften Versuch der Wahrheitssuche“, sondern um eine Anklage: „Gaza“ sei „verraten“ worden von den internationalen Medien und der internationalen Gemeinschaft. Im Gespräch beziehungsweise Briefwechsel mit mir und dem Bundestagsabgeordneten Volker Beck haben die Verantwortlichen auch zugegeben, dass Begriffe wie „Martyrium“ und „Verrat“ nicht zum Vokabular der Wissenschaft gehören, von „Monster“ gänzlich abgesehen.

Um zu retten, was nicht mehr zu retten war, verfiel die Institutsdirektorin Marie-Claire Foblets auf eine leider nicht sehr originelle Verteidigungsstrategie: Die „Scientific Community“ sei sich bewusst, dass Finkelstein „seine Thesen durchaus provokant formuliert“, schrieb sie an den Bundestagsabgeordneten Volker Beck, der die Veranstaltung entschieden kritisiert hatte. Der Workshop mit Finkelstein sei ja nur „Teil einer Reihe“ von Seminaren, „in der die unterschiedlichsten Positionen zu diesem sicher sehr schwierigen Thema beleuchtet werden sollen“. Sagen wir es so: bis zu diesem Brief wusste niemand, vermutlich auch nicht Frau Foblets, von der Existenz einer solchen „Reihe“, für die bislang auch keine Dozenten benannt wurden.

Gegen falsche Äquidistanz

Würde aber eine solche Reihe mit „unterschiedlichsten Positionen“ dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit entgehen? Dazu hat interessanterweise Dr. Stefanie Schüler-Springorum vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung in ihrem Gutachten zum Fall HAWK Hildesheim Stellung genommen, hatte man sich ja in Hildesheim, nachdem der antisemitische Charakter des Seminars nicht mehr zu leugnen war, auf eine ähnliche Argumentation berufen. Die Ausführungen von Frau Schüler-Springorum zu diesem Argument sind so wichtig, dass ich sie in voller Länge wiedergebe:

„Zugleich sollte jedoch betont werden, dass man der Dozentin zwar Unwissenschaftlichkeit, Defizite in der Darstellung der internen Diversität der palästinensischen Gesellschaft und eventuell auch mangelnde Kritikfähigkeit vorwerfen kann, nicht jedoch die einseitig pro-palästinensische Ausrichtung ihres Seminars. Diese war Teil des ursprünglichen curricularen Kontextes, der den Besuch zweier konträrer Lehrveranstaltungen empfahl (eine „palästinensische“ und eine „israelisch/jüdische“), ihn allerdings erst im Sommersemester 2016 verpflichtend machte. Ziel dieses Doppelangebots war es, den Studierenden extrem gegensätzliche Positionen des Nahostkonflikts nahezubringen, und zwar durch Lehrbeauftragte, die „qua Herkunft“, nicht jedoch qua Ausbildung dazu qualifiziert waren. Dieses, aus meiner Sicht hochproblematische setting impliziert zweierlei: Zum einen, dass es jeweils nur eine, „ethnisch“ begründete Position im Nahostkonflikt gäbe („die“ Israelis und „die“ Palästinenser) und dass es zum anderen folglich „neutrale“ Personen braucht, in diesem Fall die deutschen Studierenden, die diese einseitigen Positionen „objektiv“ zusammenführen, diskutieren und einordnen sollten. Da dieses Konzept also indirekt eurozentristisch argumentiert, jedwede interne Heterogenität beider Bevölkerungsgruppen leugnet und zudem ethnisch markierte „Betroffenheit“ mit Unwissenschaftlichkeit, deutsche „Neutralität“ dagegen mit Wissenschaftlichkeit konnotiert, desavouiert es sich im Grunde von selbst: Die Studierenden wurden mit problematischen Homogenisierungen konfrontiert und lernten in erster Linie, dass „betroffene“ Frauen hochemotional reagieren und daher „Wissenschaft“ weder betreiben noch vermitteln können.“

Nicht alle Argumente treffen auf den Fall Finkelstein in Halle und die angekündigte „Reihe“ zu. Aber die Haltung ist doch ähnlich. Da gibt es die 2unterschiedlichsten Positionen“; man lässt sie sich vorführen, auch wenn sie „provokant formuliert“ würden, und bildet sich dann ein – vermutlich ausgewogenes – Urteil, irgendwo in der Mitte zwischen Finkelstein und Netanjahu, Hamas und Likud. Dass damit von vornherein eine Äquivalenz  suggeriert und Äquidistanz nahegelegt wird, was mit „Wahrheitssuche“ wenig, mit innerem Wohlfühlen hingegen viel, muss nicht extra betont werden.

Bei keinem anderen Thema würde man so verfahren. Ginge es um den Nationalsozialismus, würde man keinen überzeugten Nationalsozialisten einladen, seine Rassentheorien vorzutragen, um dann einen Kommunisten, einen Zentrumspolitiker usw. – also „die unterschiedlichsten Positionen“ zu Wort kommen zu lassen. (Es sei denn, das Thema des Workshops wäre etwa „rhetorische Strategien in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus“, bei dem die Referenten nicht Subjekt, sondern Objekt des wissenschaftlichen Interesses wären.) oder, um ein Thema zu nehmen, das weniger belastet ist: Um die Frage des Mindestlohns wissenschaftlich zu untersuchen, würde man nicht zuerst einen Unternehmervertreter und dann einen Gewerkschafter einladen. Man würde zuerst eine Fragestellung entwickeln, etwa: Trägt der Mindestlohn zu einem Abbau von Jobs bei?“ Dann würde man festlegen, mit welchen Materialien oder Forschungsinstrumenten die Frage – wenn überhaupt – zu beantworten sei. Allenfalls flankierend würde man dann die Konfliktparteien bitten, ihre Sicht der Dinge darzustellen.

Wissenschaftlich arbeiten lernt man von Wissenschaftlern, und indem man selbst wissenschaftlich arbeitet. Man lernt es nicht von Demagogen. Das weiß natürlich Marie-Claire Foblets, wie es auch Christiane Dienel weiß, die über die Affäre an der HAWK ihren Job als Hochschulpräsidentin verlor. Es sind ja beide ausgewiesene Wissenschaftlerinnen. Das Argument, das sie nie verwenden würden, um etwa ein Workshop mit Björn Höcke über deutsche Gedächtniskultur zu rechtfertigen, wird nur benutzt, um das Ziel zu kaschieren: die Hetze gegen Israel akademisch akzeptabel zu machen.

Sie dürfen damit nicht durchkommen. Im Interesse der Freiheit wissenschaftlicher Forschung und Lehre, die hier missbräuchlich in Anspruch genommen und dadurch entwertet wird.

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26 Gedanken zu “Norman Finkelstein und die Freiheit der Wissenschaft;”

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    Als Rechtszionistin würde ich Hr. Posener Recht geben. Aber ich bin halt keine.

    Rechtszionisten haben traditionell Probleme mit dem Artikel 3 und 5 des Grundgesetzes. Und N.Finkelstein ist wie Ilan Pappe, Moshe Zuckermann, … bei denen in Ungnade gefallen, weil diese Wissenschafter über Mißstände in Israel erforschen u publizieren (ethnische Säuberungen, Apartheid, Diskriminierung von Nichtjuden, Rassismus in Israel, …)

    Deswegen muß ein zionistischer Maulkorb her.

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      Artikel 3 GG:
      (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
      (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
      (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

      Im gesamten nahem und mittleren osten gibt es nur einen Staat, in dem dieser Artikel gilt: Israel.

      Artikel 5 GG:
      (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. 
      (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. 
      (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. 

      Niemand will Finkelstein, Pappe, Zuckermann (letzterer ein Freund von mir) einen Maulkorb verpassen. Ich selbst habe Interviews mit Finkelstein und Zuckermann geführt, und sie wurden in der WELT veröffentlicht.
      Es geht einzig allein um die Frage wissenschaftlicher Kriterien. Was Sie wüssten, wenn Sie den Artikel gelesen hätten. Aber wozu lesen? Sie haben Ihre Vorurteile.

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    … ich sehe das ähnlich, wie AP, Ideologie und Wissenschaft – das geht gar nicht.

    @Hadrian

    … Ihr Nickname, auf diesen muss man erst mal kommen. Oder?

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    Was ist Äquidistanz? „Objektivität“ ist ein (transzendentales) Ziel, das man zwar anstrebt, aber nicht erreichen kann (allenfalls annäherungsweise). „Äquidistanz“ ist also sicher nicht Objektivität. Es ist eine Haltung, die pragmatische Positionen ermöglicht und die versucht, beide (oder alle) Seiten zu verstehen, bevor man ein – vorläufiges – Urteil fällt. Eigentlich muss Wissenschaft so vorgehen. Tut sie das nicht, ist entweder Macht (zu kurze Wege zur Finanzierung) oder Inkompetenz oder ein stark wirkender Zeitgeist (die für richtig gehaltenen ideologien) am Werke. Historisch gesehen war das immer schwer erreichbar und zurzeit erleben wir sogar Rückschritte.

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      Sie irren, liebe Monika Frommel. Äquidistanz ist die „gleich weite Entfernung“ von zwei Positionen. Wenn ich Äquidistanz anstrebe, dann wird die radikal formulierte Position gegenüber der gemäßigten immer gewinnen. Zwischen „Israel ist ein demokratisch legitimierter Staat, der zuweilen im Verfolg seiner Sicherheitsinteressen übers Ziel hinausschießt“ und „Israel ist ein Monster“ (Finkelstein) stellt die Mitte nicht unbedingt eine objektive oder wissenschaftlich fundierte Aussage dar.

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      Die falsche Äquidistanz besteht in der fehlerhaften Beschreibung der zu untersuchenden Dinge. Zum Beispiel stellt man hier einen Staat, der bestimmte Merkmale erfüllt, einer Organisation gegenüber, die auch bestimmte Merkmale erfüllt. Nur die Gegenüberstellung durch Äquidistanz lässt diese Merkmale unter den Tisch fallen und geht davon aus, dass, obwohl sie ganz andere Merkmale erfüllen, beide Handelnde mit den selben Kriterien zu beschreiben sind, oder anders gesagt, man vergleicht Äpfel mit Birnen und kommt zum Schluss, das irgendwie beide am Baum hängen, deswegen ja beide berechtigte Anliegen haben. Das ist keine Äquidistanz, das ist schlicht falsch. Der Vergleich hinkt, zugegeben, jetzt vergleiche ich Äpfel und Birnen, aber würde hier jemand Reichsbürger und die Bundesrepublik in einer Äquidistanz beschreiben? Ich glaube nicht.

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    Stevanovic:
    Wissenschaft- vorausgesetzt es ist eine- darf nicht alles, man darf nur alles sagen, zB nicht an Menschen/Embryonen forschen, Tiere mutwillig quälen etc

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    Wenn Wissenschaft ein „ernsthafter planmäßiger Versuch der Wahrheitsermittlung“ ist und nur insofern – gegenüber der Meinungsfreiheit, die sich Grenzen (die Grundrechte anderer) gefallen lassen muss – institutionelle Freiheit genießt, dann sind diese Grenezen eben auch durchzusetzen; denn ansonsten werden solche Einrichtungen zu „Quatsch-Buden“ („Trump“-Universitäten). Leider waren die Geisteswissenschaften – bei den empirischen Wissenschaften ist das etwas klarer zu beurteilen – und insbesondere die deutschen belasteten Professoren nach 1945 und noch in den 1950er Jahren alles andere als ernsthaft bemührt, die Wahrheit heraus zu finden. Aber mittlerweile haben wir so ein dichtes Wissen, dass Ideologen klar erkennbar sind. Eine andere Frage ist es, ob wir ein gutes System haben, den Disput darzustellen, da wird leider eine polemische Meinung und eine wissenschaftliche Studie „gleich“ behandelt. So viel „Unfug“ wird in den UNIversitäten übrigens nicht verzapft. Das Problem ist eher eine leisetreterische Langeweile.

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    Auch ich finde, dass das keine wissenschafltichen Veranstaltungen sind. Allerdings liegt das doch nicht an zu viel, sondern zu wenig Äquidistanz? Herrn Finkelstein kann man ja nicht Aquidistanz bescheinigen, wenn er Israel als „Monster“ bezeichnet. Da hat er doch schon Schaum vor dem Mund. Parteiischer geht es nicht. Äquidistanz bedeutet (zumindest der Wortbedeutung nach): Wir gucken uns so unvoreingenommen wie möglich an, was die jeweiligen Vertreter der so endlos und heillos zerstrittenen Parteien zu sagen haben, und vergleichen das mit den Fakten, soweit wir sie kennen. Danach bilden wir uns ein Urteil. Was ist gegen ein solches neutral-distanziertes, d.h. äquidistanziertes Vorgehen – das nicht das Vorgehen dieser Veranstaltungen ist – einzuwenden?

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      Zur Diskussion der freien Wissenschaft: Wissenschaft sollte frei und wissenschaftlich sein. Sie muss von der Gesellschaft finanziert werden (und darf sich nicht zu fein sein, Transparenz zu zeigen und Rechnung abzulegen). Wenn man sich unfrei fühlt, weil man zahlen muss, ist das undankbar, denn man wird durch die Wissenschaft ständig befreit. Andernfalls müsste man fast alle Geistes- und Sozialwissenschaften einstampfen. Das würden viele gerne tun und haben keine Ahnung, was sie diesen Wissenschaften verdanken. Ähnliches gilt für den kutlurellen Bereich. In einem Land, in dem nur noch Helene Fischer singt, weil sie als einzige sich „rechnet“, möchte ich nicht leben. Es erschiene mir viel unfreier als ein Land, in dem ich gezwungen bin, solange ich Geld verdiene, auch für die schrägsten Schrulligkeiten ein bisschen was zu zahlen.

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      Lieber Roland Ziegler, „Äquidistanz“ ist nicht Objektivität. Die beiden Begriffe werden oft verwechselt.

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    Wenn Wissenschaft alles darf, Meinung vollkommen offen ist und alles möglich ist, dann gibt es keinen Unterschied zwischen Wissenschaft/Meinung/Polemik/Esoterik und dann macht es auch keinen Sinn, solche Begriffe zu verwenden, was mich eher an Schamanismus als Wissenschaft erinnern würde. Es macht Sinn sich Finkelsteins Thesen auseinanderzusetzen, das wurde ja auch ausgiebig getan und er wurde, soweit ich weiß, widerlegt. So, wie die Veranstaltung wohl geplant war (politische Standpunkte unplugged), nennt man es eine Plattform. Und wenn Finkelstein auftreten kann, würde ich mir als nächsten Erich von Däniken wünschen.

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      Wissenschaft darf alles. Sie *ist* aber nicht alles.
      Wissenschaft bedeutet die Aufstellung von falsifizierbaren Thesen.

      Wenn Sie argumentieren wollen, dass der allergrößte Teil der sog. „Geisteswissenschaften“ diesem Anspruch nicht gerecht wird, Esoterik ist und auf den Müll gehört, will ich nicht widersprechen.

      Aber es macht keinen Sinn sich mit diesem Vorwurf auf Finkelstein zu beschränken.

      You gonna need a bigger boat.

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        Oh, das tue ich nicht, aber wir reden gerade über ihn. Ob der allergrößte Teil der Geisteswissenschaften auf den Müll gehört, weiß ich (ehrlich) nicht. Zumindest habe ich Dinge gehört, die durchaus mit falsifizierbaren Thesen und auch mit empirischen Untersuchungen arbeiten, ich würde die Geisteswissenschaften nicht per se abschreiben. Sozialwissenschaften sind durchaus spannend. Es gibt ja durchaus Gründe warum wir heute anders als unsere Großeltern ticken (oder warum manchmal eben nicht). Aber klar, man neigt gerne zu Geschwätz, liegt aber eher am unkritischem Publikum.

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        Wir haben auch deshalb ein Problem, Stevanovic, weil Poppers berühmtes Kriterium nur für „science“ gelten sollte (und übrigens dort auch nicht immer gilt, aber ein andermal mehr davon), was ja „Naturwissenschaften“ bedeutet. „Geisteswissenschaften“ gibt es nur im Deutschen, im Englischen sind das die „Humanities“. Dass die Falsifizierbarkeit im Bereich der Geisteswissenschaften gelten soll, wäre mir neu. Hier müssen vor allem methodologische Kriterien zum Tragen kommen; Fragen der akademischen Qualifikation und Reputation, der Fülle des untersuchten Materials, der Methodik bei der Auswertung und dergleichen mehr. Ob zum Beispiel Norbert Elias‘ Theorie über den Prozess der Zivilisation falsifizierbar ist, weiß ich nicht. Zweifellos ist sie fruchtbar. Und wenn man nicht dogmatisch ein bei Popper aufgeschnapptes Schlagwort verabsolutiert, auch wissenschaftlich. Die Falsifikation kann ja, wenn man Poppers Aufsätze liest, auch darin bestehen, dass eine Theorie keine neuen Impulse liefert zur Lösung anstehender Fragestellungen, wie etwa der Marxismus.

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    (0) Das – sehr geehrter Alan Posener – würde zweifellos jedermann gut anstehen.
    Wer den Absolutheits-Anspruch von Gedanken-Freiheit als „Phrasen-Dreschen“ abtut, kann für sich dabei jedoch keinen Vorbild-Charakter beanspruchen.

    (1) Es ein Missverständnis anzunehmen es ginge darum *die Wissenschaft* durch Privatisierung freier zu machen (auch wenn es dafür gute Argumente gibt) – es geht darum, dass eine GESELLSCHAFT freier ist, wen deren Bürger nicht gezwungen werden einen akademischen Betrieb zu finanzieren, der ihnen gegenüber keine Rechenschaft ablegen muss.

    Korruption liegt in der Natur der Dinge und ohne Korrektiv kann keine ‚creative destruction‘ erfolgen.

    (2) [Trump U] Was das anführen einer Anekdote belegen soll, kann ich nicht nachvollziehen. Besonders, da es sich hier um ein Institut der Lehre und nicht der Forschung handelt(e?).
    Harvard, MIT & Yale dagegen erzielen übrigens (nach meinem Verständnis) ganz passable Ergebnisse – auf beiden Feldern.
    Und sobald das nicht mehr der Fall ist, haben Alumni und Studenten die Freiheit sich dagegen zu entscheiden, weitere Gelder zur Verfügung zu stellen.

    (3) Ohne staatliche Forschung gäbe es was bitte nicht? Diese *Spekulationen* zeigen nur einen Mangel an Vorstellungskraft und dass Sie die Innovationsfeindlichkeit der Planwirtschaften des Ostblocks vergessen haben.[*]

    Es gibt die Parabel von einer Welt in der der Staat und nicht die Privatwirtschaft für die Herstellung von Schuhen zuständig ist. In dieser Welt gibt es auch einen Alan Posener der sagt:
    „Denkt an all die verschiedenen Schuhgrößen & Einsatzzwecke für die Schuhe gebraucht werden! – Wer glaubt das ginge ohne Staat.“

    Glauben Sie mir, es geht – und zwar weit besser als in Systemen in denen Forscher Markt oder Mäzenen keine Rechenschaft ablegen müssen (a.k.a. Planwirtschaft).

    (4) Man kann gleichzeitig Meinungsfreiheits-Absolutist sein und – anders als Ayn Rand – die Notwendigkeit eines (freilich so weit wie möglich beschränkten) Staates anerkennen.[**]

    (5) [Alter] Sie nehmen falsch an und aufgrund dieses Ad Hominem nehme -ich- an, dass Sie zumindest den Verdacht haben die Sach-Argumente nicht auf Ihrer Seite zu haben. Der Verdacht ist begründet.

    +++
    [*] -Zu jung- um sich daran zu erinnern sind Sie wohl nicht.
    [**] Falls Sie es genau wissen wollen, Head tips an: Adam Smith / John Stuart Mill / George Orwell

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      Lieber Hadrian, erst werfen Sie mir vor, die Freiheit der Wissenschaft nicht zu beachten, dann kritisieren Sie eine Gesellschaft, „deren Bürger gezwungen werden einen akademischen Betrieb zu finanzieren, der ihnen gegenüber keine Rechenschaft ablegen muss“. Nun, ich habe gerade als finanzierender Bürger Rechenschaft gefordert.
      Im übrigen wird niemand „gezwungen“, den akademischen Betrieb zu finanzieren. Sie können eine Partei wählen oder gründen, die dagegen opponiert. Das nennt man „Demokratie“
      Ihr Beispiel mit den Schuhen schließlich ist Unsinn. jeder weiß, dass das Internet ein Produkt des militärisch-industriellen Komplexes ist, dass das WWW bei CERN entwickelt wurde. Es gibt weitere Beispiele, da verweise ich auf Maria Mazzucatos Buch, „Das Kapital des Staates“.
      Und wenn Sie schon glauben, mir gegenüber mit John Stuart Mill zu kommen – sie wissen ja vermutlich, dass er Anhänger einer Art Sozialismus war: „The form of association, however, which if mankind continue to improve, must be expected in the end to predominate, is not that which can exist between a capitalist as chief, and work-people without a voice in the management, but the association of the labourers themselves on terms of equality, collectively owning the capital with which they carry on their operations, and working under managers elected and removable by themselves.“

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        Lieber Alan Posener:

        (i) Nein. Ich kritisiere (eigentlich verurteile), dass Sie -aus welchem Grund auch immer- bereit sind ein Stück Gedankenfreiheit unwiederbringlich zu opfern. [*]

        Gleichzeitig sage ich (in einem Postskriptum), dass ich das Einfordern von Rechenschaft nachvollziehen kann und biete einen alternativen Weg an, das zu bewerkstelligen – i.e. Privatisierung.

        (ii) Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie während des Mohammed-Karikaturen Streits auf der Seite derjenigen, die eine Einschränkung der Kunstfreiheit ablehnten.
        Auch die marodierenden Muslime damals haben „Rechenschaft“ gefordert. Wie unterscheidet sich Ihre jetzige Forderung zu Finkelstein von dem ‚Heckler’s Veto‘, das wir damals beide ablehnten?

        (iii) Dabei macht es keinen Unterschied ob die Diskriminierung der unliebsamen Meinung/Kunst durch Verbot oder Förderung *aller anderen*, außer dieser einen geschieht. Das Resultat ist schließlich das gleiche.

        ++++
        [*] Die unantastbar ist (sein sollte), weil nur Gedankenfreiheit alle anderen Freiheiten schützen kann.

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        Lieber Hadrian, wenn Sie den Unterschied nicht verstehen zwischen der Freiheit der Rede, der Freiheit der Kunst und der Freiheit der Wissenschaft, dann kann ich Ihnen nicht helfen. Vielleicht lesen Sie den Beitrag, in dem ich versuche, diesen Unterschied zu erklären. Die Unterstellung, ich wollte Finkelstein das Wort verbieten, ist bizarr. Ich wehre mich nur gegen die Argumentation, die Etablierung von Israelhass als Teil des akademischen Curriculums könne sich auf die Freiheit von Forschung und Lehre beziehen. Selbstverständlich könnte – etwa – der AStA in Halle das Audimax anmieten und Finkelstein einladen, dort zu reden. Ich würde auch dort auf der Seite der Protestierenden sein, würde aber nie sagen, er habe nicht das Recht zu reden. Ich bin bekanntlich auch gegen die Kriminalisierung der Holocaustleugnung. Weder Sie noch ich haben einen Erkenntnisgewinn, wenn Sie gegen Windmühlen kämpfen.
        Dass die Privatisierung der Wissenschaft dieses Problem lösen würde, glaube ich kaum. Dazu empfehle ich etwa Philip Roths Roman „The Human Stain“. Die Frage der Wissenschaftsfreiheit ist nur inhaltlich, nicht organisatorisch zu klären.

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        (iii) Selbstverständlich wird jedes Individuum „gezwungen“ die Gesetze einzuhalten und Steuern zu zahlen.

        Das Argument ‚man könne ja einen Partei gründen und 51% der Wählerstimmen auf sich vereinigen‘ zeugt von einem so bizarren Unverständnis von individueller Freiheit, dass ich nur meinen Vorwurf aus dem Ur-Post wiederholen kann.
        Sie tun ja gerade so als sei „Demokratie“ etwas gutes – Natürlich nicht!
        Sie ist – Gruss an Churchill – nur das kleinste Übel.

        (3) Wenn Sie die Schuh-Parabel zu „Unsinn“ erklären und mit dem WWW eine weitere Anekdote anführen, werde ich Sie nicht überzeugen können.
        Wie bei allen Counter-Factuals bleibt mir nichts außer dem erneuten Verweis auf einen Mangel an Vorstellungsvermögen.

        (4) [JS Mill] Sapperlot. Offenbar konnte der arme Mann die Zukunft nicht 150 Jahre exakt vorhersehen. Was für eine Pfeife, mit der ich Ihnen da „gekommen bin“.

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    ‚Israelis‘ gegen ‚Palestinenser‘ in einer Arena vor deutschen Studenten als Schiedsrichter antreten zu lassen, worauf dieses Uni-Szenarium letztlich hinausläuft, das ist nicht nur arroganter Eurozentrismus, sondern schlichtweg geschmacklos (auch übrigens den Arabern gegenüber, die unter den palestinensischen Eliten (!) leiden). Daß der Nimbus der ‚Wissenschaftlichkeit‘ auch bei diesem Thema dem politischem Impetus dient, ist mir schon seit längerem nichts Neues (z.B. http://www.ipk-bonn.de/).
    Es muss eben m.E. immer zwischen wissenschaftlicher und politischer Auseinandersetzung unterschieden werden: Bei Letzterer mögen (und sollen) kollektiv akzeptierte Auffassungen und Glaubenssätze und vor allem Interessen aufeinander treffen, z.B. im Wahlkampf; bei ersteren sollten die Auffassungen und Thesen nicht nur individuell logisch nachvollziehbar sein und keinem (demokratischen, nicht wahr?) Interessenausgleich dienen, sondern einem Erkenntnisgewinn für beide Seiten. Ich finde Propaganda legitim – nicht legitim ist es, Propaganda als authentische Quelle zu inszenieren – oder, wenn die (hier israelische) Gegenseite überhaupt zu Wort kommt, das Ganze noch als ‚fairen‘ Schlagabtausch – oder sollte ich vielleicht treffender schreiben – den Studenten als ‚anthropologische Studie‘ mit ‚unabhängigem Beobachter‘ zu verkaufen. Ich versuche es einfacher auszudrücken: Interessenkämpfe gehören in das Land, das es mit allen Folgen betrifft und nicht an eine deutsche Hochschule. Es ist schlichtweg keine deutsche Angelegenheit. (Und ich kann mir den Hinweis nicht verkneifen: Das gilt auch für das Land USA).

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    Nein, die Frage nach dem was Wissenschaftsfreiheit dürfe ist – mit Sicherheit – nicht erst vorgestern mit Finkelstein’s Vortrag aufgeworfen worden.
    Und die Antwort ist, für jeden der Freiheit versteht, selbstverständlich und eindeutig: Nein.

    Entweder man hat (Wissenschafts-, Meinungs-, Presse-) Freiheit oder nicht.

    Diejenigen, die Freiheit nicht wollen wünschen sich ein MiniTru / Wahrheits-Ministerium oder einen der vielen Alan Poseners dieser Welt das/der meint – für uns Bürger – entscheiden zu dürfen, was Propaganda sei und was nicht.

    Nein Danke.

    Wir haben unseren eigenen Verstand und es gibt keine Anzeichen, dass Ihrer (oder gar der von Bürokraten in staatlichen Behörden [Schauder]) zuverlässiger wäre.
    Im Gegenteil!

    PS. Falls Posener kritisieren will, dass unglaublich viel Unfug (inkl. Finkelstein) an den Universitäten mit Steuergeldern finanziert wird, ergäbe das schon eher Sinn.

    Doch dann ist das tatsächliche Problem, dass der Staat überhaupt im Wissenschaftsbetrieb mitmischt. Und die einzige – mit Freiheit zu vereinbarende – Lösung ist die Privatisierung der Wissenschaft und nicht staatlich-verordnete Wahrheiten!

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      Hadrian, es würde Ihnen gut anstehen, sich mit meinen Argumenten auseinandersetzen, statt Phrasen zu dreschen. Und ob eine privatisierte Wissenschaft freier wäre als jene, die an staatlichen Unis betrieben wird? Fragen Sie die Absolventen der „Trump University“. Und: Ohne staatlich finanzierte Forschung gäbe es vermutlich weder das Internet noch das World Wide Web noch die Touchschreens, mit denen wir mittels „WWW“ im Netz navigieren. Ich nehme an, dass Sie sehr jung sind, da neigt man zu einfachen Lösungen nach dem Motto one size fits all. Früher Marxismus, heute Ayn Randismus Das ändert sich.

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