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Scheitern eines Orientierungslosen

Es ist ein Novum in der Geschichte der V. Republik Frankreichs: Zum ersten Mal verzichtet ein amtierender Präsident bei Ende seiner Amtszeit auf eine Wiederwahl. Francois Hollande hat eingesehen, dass eine erneute Kandidatur um das höchste Staatsamt in  einem Fiasko enden würde, und deshalb das Handtuch geworfen. Zugegeben: Das Erbe, das er im Jahre 2012 antrat, war alles andere als rosig. Nicolas Sarkozy – ähnlich orientierungslos wie Hollande –  hatte ihm einen hoch verschuldeten Staat hinterlassen, eine Wirtschaft, die nicht mehr wuchs, eine hohe Arbeitslosigkeit und ein nicht mehr finanzierbares  Sozialsystem. Hauptursache für die Malaise war die geringe Produktivität in der Wirtschaft, die mehrere Gründe  hatte: die 35-Stundenwoche, die kein anderes Industrieland aufweist; eine viel zu hohe Staatsquote mit einem unbeweglichen Beamtenapparat;  eine hohe Regulierungsdichte mit einem betonierten Arbeitsmarkt; hohe Löhne und Sozialabgaben und ein viel zu niedriges Renteneintrittsalter. Kein Wunder, dass die De-Industralisierung Frankreichs immer weiter fortschritt und selbst ehemalige Säulen des Industriestaats, die Auto- und Elektroindustrie, der internationalen Konkurrenz immer weniger  Paroli bieten konnten. Statt nun das Ruder entschlossen herumzureißen und die Rahmenbedingungen für die Industrie zu verbessern, erhöhte Hollande zuerst einmal die Einkommenssteuer auf den abenteuerlichen Spitzensatz von 75%, was in Frankreich als eine Kampfansage an die Industrie und die Leistungsträger empfunden wurde. Dass dieses verheerende Signal den Exodus der Unternehmen ins Ausland noch beschleunigen musste, gehört zum kleinen Einmaleins der Betriebswirtschaft. Auch die Zahl der Firmenpleiten nahm noch weiter zu. Doch Hollande verteidigte seine linke Agenda als  „französisches Sozialmodell“, das nicht zur Disposition stehe. Alle Franzosen, die den Blick auf das erfolgreiche Deutschland warfen, wurden als unpatriotisch und zu deutschfreundlich gescholten. Wie in der Schule ist es auch in der Politik unangenehm, am Klassenprimus gemessen zu werden.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass die deutschen Sozialdemokraten vom Wahlsieg Hollands völlig elektrisiert waren. Die damalige Troika – Gabriel, Steinmeier und Steinbrück – pilgerte nach Paris wie die Christen nach Jerusalem, um von dem neuen Guru der europäischen Linken die durchschlagenden Erkenntnisse und höheren sozialistischen Weihen zu empfangen. Kurz danach verlor Steinbrück den Kampf um das Kanzleramt und die SPD fand sich erneut in der Großen Koalition  wieder. Zu ihrem Glück, könnte man sagen. So blieb sie von ökonomischen und   fiskalischen  Abenteuern verschont und konnte ihre Agenda erfolgreich  abarbeiten (Mindestlohn, Frauenquote, Regulierung der Zeitarbeit, Rente mit 63 etc.), ohne der Wirtschaft Schaden zuzufügen.

Als Hollande merkte, dass die traditionell-sozialistische Rezeptur nicht fruchtete, riss er das Ruder herum und  outete sich öffentlich als Sozialdemokrat. Er senkte die Steuern, setzte kleine Lockerungen auf dem  Arbeitsmarkt durch und umschmeichelte dieselben Wirtschaftsunternehmen, die er vorher noch der Ausbeutung bezichtigt hatte. Im Straßenverkehr nennt man eine solche Volte eine Geisterfahrt. Es nimmt nicht wunder, dass ihm die Franzosen mehr und mehr das Vertrauen entzogen. Und die sozialistische Partei begann, sich selbst zu zerlegen: in traditionalistische Hardliner, in reformorientierte Pragmatiker und in eitle Einzelkämpfer. Das Resultat  ist jetzt zu besichtigen: Ein halbes Dutzend Bewerber wird die Linke in das Rennen um die Präsidentschaft schicken: den  Schickeria-Paradiesvogel Emmanuel Macron, den ehrgeizigen Premier Manuel Valls, den Vorsitzenden der Linkspartei  Jean-Luc Mélanchon,  den ehemaligen Wirtschaftsminister  Arnault Montebourg und noch Bewerber der neu gegründeten Antikapitalistischen Partei, der Linken Radikalen und des Arbeiterkampfes.  Dass kein einziger von ihnen eine Chance besitzt, in die Entscheidung um das höchste Amt  einzugreifen,  gilt unter den Demoskopen als ausgemachte Sache.

Neben der  ökonomischen Orientierungslosigkeit leistete sich Hollande noch persönliche Eskapaden, die eines Präsidenten nicht würdig sind. In seinem Skandal-Buch „Ein Präsident darf so etwas nicht sagen“ hat er Interna der Macht ausgeplaudert, als wäre er selbst ein Klatschreporter. Wie er seine Lebenspartnerin Trierweiler abserviert hat, ließ jede Menschlichkeit vermissen. Die nächtlichen Vespa-Fahrten zu seiner  neuen Flamme, der Schauspielerin Julie Gayet, erinnerten an eine Seifenoper im Vorabendprogramm. Man stelle sich Angela Merkel auf einer nächtlichen Liebestour durch Berlin  auf einem Moped vor! Dass derselbe unernste und unpräsidiale   Präsident dann noch im Monatstakt eine Trauerfeier für die zahlreichen Terroropfer zelebrieren musste, machte die Sache nicht besser.

Kurzum: Dieser Präsident ist auf ganzer Linie gescheitert. Er wurde gewogen und als zu leicht befunden. Den französischen Sozialisten ist zu wünschen, dass sie dieses grandiose Scheitern  nutzen, um endlich die Erneuerung zu vollbringen, die  einzig Erfolg verspricht. Sie müssen sich bedingungslos zur Sozialdemokratie mausern. Dazu gehört ein wirtschaftsfreundlicher Kurs, der die Unternehmen nicht in klassenkämpferischer Manier als Feinde betrachtet, sondern als die Quellen des Reichtums. Den erwirtschafteten Ertrag kann die Regierung dann durch  Umverteilung den  ärmeren Schichten des Volkes zu gute kommen lassen. „Die Kuh, die man melken will, darf man nicht schlachten!“ – Dieses Bonmot des früheren Wirtschaftsministers Karl Schiller (SPD) sollte  den französischen Sozialisten als Motto dienen. Und ab und zu über den Rhein gen Osten zu schielen, könnte dabei  sicher nicht schaden. Jetzt wäre die brüderliche Hilfe der deutschen Sozialdemokratie angebracht.

 

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8 Gedanken zu “Scheitern eines Orientierungslosen;”

  1. avatar

    Ich erzähle Ihnen mal eine Anekdote. Ich habe ziemlich viele Anekdoten aus Frankraisch, weil ich die Franzosen mag, und die Franzosen mich. Zum Beispiel, wenn die Polizei mich anhält, ist es immer entspannt. Ich weiß genau, was ich gemacht habe (roulé trop vite, zu schnell gefahren). Es ist wahnsinnig ätzend, auf dieser Strecke Karlsruhe-Paris, auf der alles leer ist, 130 kmh fahren zu müssen, sinnlos, eine Vergeudung menschlicher und motorisierter Effizienz.
    Wenn die Polizei mich anhält, sage ich zuerst Bonjour, wie geht’s? Das ist ein Viertel der Miete. Und dann: Was habe ich falsch gemacht. Das ist die halbe Miete, weil sie erleichtert sind, dass man französisch spricht, denn sie hassen es, englisch sprechen zu müssen.

    Aber die Anekdote hat damit nichts zu tun. Also, ich lese wiederholt in den Zeitungen damals, dass Sarkozy die Roma mit Bussen zurückfährt ud sie ein Paar Tage später wieder da sind. Sarkozy ist ein phantastischer Redner und Lügner, aber was er machte, war vollkommen ineffizient. Die Roma haben dort im Zentrum ein blühendes Business aufgebaut. Wir sehen vor dem Musée d’Orsay diese alte Frau, die an einem Stock geht, völlig verkrüppelt, in der Taille fast rechtwinklig abgeknickt vor Rheuma. Wir hatten wirklich etwas Mitleid, aber Eile und nahmen uns vor, ihr nach dem Museumsbesuch etwas zukommen zu lassen. Zwei Stunden später verlassen wir das Museum, und sie geht gerade nach Hause, quietschvergnügt und aufrecht wie eine junge Birke.
    Sarkozy hat es nicht geschafft, diese Betrüger aus Paris zu entfernen. Man kann nicht von Kärcher faseln und dann nichts tun, sondern man muss irgend etwas in der Mitte finden, eine Sprache ohne Kärcher und eine konsequentere Aktion.
    Sarkozy ist ein großer Redner vor dem Herrn. Er wäre die absolute Garantie für Marine gewesen, denn die Franzosen trauen ihm nicht mehr.
    Mit diesen Betrügereien sind sie übrigens reicher bestückt als wir, und unser Unmut hier sollte andeuten, warum die Franzosen keine „Flüchtlinge“ mehr haben wollen.
    Ihr Hauptproblem ist jedoch das Erbe von Algerien. Es wäre gar kein Thema, wenn Algerien nicht islamistisch geworden wäre, denn dann wären einige zurückgegangen, weil Algerien schön sein soll. Zudem haben sie schon sehr lange ein afrikanisches Problem, nicht etwa schwarze Studenten an der Sorbonne, nein Leute, die vier Frauen und 15 Kinder mitbringen und Sozialhilfe kriegen. Das kann man nicht machen. Irgendwer muss das mal beenden, und ich bin gespannt, ob Marine das im Wahlkampf thematisiert und was Fillon dazu sagt.
    In den Kolonien werden sie auch maßlos ausgenutzt, vor allem in Französich Guyana. Jaja, man wollte das alles haben und jetzt hängt es wie ein Klotz am Bein, und man kann nicht immer kontrollieren, ob der Hatatitla von dem Chukupezki-Stamm* wirklich zwanzig Kinder hat.
    Fazit: Wir werden ausgenutzt. Schade für die Ehrlichen und für die mit einem echten Asylgrund. Deswegen auch muss sich das alles ändern.
    *Bezeichnungen erfunden. Hatatitla war das Ross von Old Shatterhand.

  2. avatar

    Mit Fillon, Valls und LePen treten drei rechte Hardliner an. Also der nächste President wird die linke Merkel auf jeden Fall abwatschen.

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    … tja, Arbeit, Brot, Menschenwürde … gegen Hollande und Genossen, waren Marie Antoinette und ihr Gatte, Ludwig XVI., geradezu verantwortungsbewusst. Oder? Muss ja mal gesagt/geschrieben werden.

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    Hollande war eine Null, ein ungeheure Enttäuschung für die Franzosen und ein Sargnagel für die Sozialisten. Das Gute daran ist, dass kein Nachfolger mehr ohne Kampf den Vizekanzler geben wird.
    Wenn sie wissen wollen, warum Angela Merkel nie mit einem Moped durch Berlin fährt, müssen Sie Silvio Berlusconi fragen.
    Was die Wirtschaft angeht, wird jeder Nachfolger unweigerlich scheitern, der Frankreich nicht aus dem Euro führt. Auch Fillon mit seinem Sparprogramm. Wenn Frankreich anfängt zu sparen, geht es den griechischen und den italienischen Weg. Ein Land im Euro-Korsett, einem Äquivalent des Gold-Standards, kann sich nicht aus der Krise sparen, sondern begeht ökonomischen Selbstmord.
    Die Eurozone hatte lange eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz, Ungleichgewichte nur im Innern. Seit der Rosskur für Südeuropa im deutschen Stil rutscht sie als Ganzes in Überschüsse hinein, ohne dass es irgendetwas nützt. Künftig dürfte das aber Ärger mit Trump geben, der keine Exportüberschüsse dulden und mit Zöllen beantworten will. Wenn Frankreich anfängt zu sparen, wird alles noch schlimmer. Spätestens dann wird es entweder zu einem Volksaufstand kommen oder zu einer Konfrontation der Regierung Fillon (die auch sonst erhebliche Konflikte mit Deutschland in der Einwanderungs- und der Russlandfrage haben dürfte) mit Deutschland.

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    An Oleander:
    Vor Ihren profunden Kenntnissen der französischen Haltungen zu den Frauen muss ich passen! Herzlichen Dank für den informativen Kommentar.

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      Ja, danke, ich kann Ihnen noch ein Dessert servieren: Fillon hat eine Ivanka. Sie heißt Marie. Da er ein sehr diskreter Mann ist, sahen die Franzosen sie kürzlich zum ersten Mal bei einer Sendung. Sie waren hingerissen. Er hat eine brünette Ivanka.
      Ob wir das aus hinkriegen würden mit vd Leyen (Posener verdreht jetzt die Augen), weiß ich nicht. Aber ich wette, dass sie auch einen guten Fundus hat.
      Fillon dürfte somit der Albtraum von Marine sein. Es wäre sogar möglich, dass Marine ihn schätzt.

  6. avatar

    Übrigens halte ich die angeführten Punkte für richtig außer der Sache mit dem Motorrad. Die Franzosen lieben sowas – es ist der Stoff der Liebe. Und Julie ist wunderschön. Darüber kann man unbefagen reden und chatten. Sie sind das gewohnt spätestens seit den Bourbonen. Ohne die Franzosen wären schon viel früher keine Kinder mehr gezeugt worden. Sie haben den Flirt erfunden, den Seitensprung und die Romantik im Eros. Es ist kein Wunder, dass Jacques Offenbach und Heinrich Heine, der leider an den Folgen verstarb, dort lebten.
    Und Hollandes Journalistin konnten sie nicht ausstehen, weil sie sie für eine Wichtigtuerin hielten und Ségolène nachtrauerten. Die Franzosen haben in puncto Frauen einen unfehlbaren Geschmack. Eine ihrer besten kam ihnen schon eine Generation zuvor abhanden: Jacqueline Bouvier. Audrey Hepburn hätten sie sofort adoptiert. Wer keine abkriegt, wird im dritten Arrondissement versorgt. Sie hätten halbwegs geschlossen für Strauss-Kahn gewählt, obwohl sie wussten, dass er ein Sünder ist. Aber sein Charme und seine attraktive Frau, jetzt Ex, hätten das wettgemacht.
    Bei ihren Malern hinterließ das alles Spuren, wenn man an Utrillo denkt oder auch an Renoir. Der eingewanderte Picasso war auch kein Kostverächter. Wenn die Franzosen das nicht mehr haben, hat Frankreich fertig, denn Frankreich ist ein Land des Genusses, ein erotisches Land.
    Einmal verließ ich leider die verstopfte Périphérie im Norden und fuhr durch St. Dénis, das Zwanzigste und das Achtzehnte in die Mitte. Es war dort auf der Straße fast alles schwarz, und ich musterte den Benzinstand, bloß nicht aussteigen müssen. Von wegen bunt. Bunt ist die französische Liebe und Geschichte. Und die Küche und der Wein.
    Fahren Sie mal dort durch, dann wissen Sie, warum Frankreich verarmt.

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    Also der Vergleich mit dem Moped passt gar nicht. Von Schröder könnte man sich das eher vorstellen oder auch von Joschka.

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