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Der Ostausschuss und seine nützlichen Idioten

Zuweilen wird unterstellt, der Assoziierungsvertrag zwischen der Europäischen Union und der Ukraine sei Ausdruck der imperialen Interessen westlicher Kapitalisten. Mein Freund und Sparringpartner Henryk M. Broder bringt es sogar fertig, einerseits diese Sicht der Dinge zu unterstellen, andererseits die Assoziierung abzulehnen, weil sich die EU damit einen Versorgungsempfänger aufbürden würde:

„Europa (ist) ein multinationales Unternehmen, das auf Expansion setzt. Wie VW, Unilever und Nestlé. Die europäische Perspektive der Ukraine besteht im Wechsel des Versorgers: EU statt SU.“

Tatsächlich ist die Frage des wirtschaftlichen Nutzens einer Assoziierung oder gar Mitgliedschaft der Ukraine in der EU höchst umstritten. Unstrittig hingegen ist der Nutzen der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland: Das Land ist Deutschlands wichtigster Lieferant für Öl und Gas, ein bedeutender Absatzmarkt für deutsche Industrieprodukte – beispielsweise der viertgrößte Abnehmer deutscher Maschinen nach China, den USA und Frankreich – und ein hochinteressantes Ziel für deutsche Kapitalexporte. Über 6.200 deutsche Unternehmen sind nach Auskunft der Bundesregierung in Russland aktiv, bis Ende 2012 hatten sie 23 Milliarden Euro dort investiert.
Kein Wunder also, dass die deutsche Industrie Russlands Aggression gegen die Ukraine, die bis jetzt zur Annexion der Krim, zum Abschuss eines zivilen Linienjets und zu über 3000 Toten im unerklärten Krieg in der Ostukraine geführt hat, lieber herunterspielen will. Der Cheflobbyist des Russlandgeschäfts, Eckard Cordes, Vorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, warnt ständig vor Sanktionen gegen Russland. Bislang vergeblich.

So hat man nun zum Mittel eines „Aufrufs“ gegriffen, in dem man unterstellt, „Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf (einen Krieg) zu, wenn sie der unheilvollen Spirale von Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten.“ Sprich, wenn das von den USA, Kanada, der EU und anderen westlichen Mächten gegen Russland verhängte Sanktionsregime nicht aufgehoben wird.

Unterschrieben ist der Aufruf von 60 „Persönlichkeiten“, darunter der Schauspieler Mario Adorf, die Luther-Botschafterin Margot Käßmann, der Medien-Pater Anselm Grün und die frühere Muse einiger Rolling Stones Verena Gräfin von Lehndorff, denen man nicht zu nahe tritt, wenn man unterstellt, dass sie politisch eher unbedarft sind. Ganz und gar nicht unbedarft jedoch sind die wichtigsten Initiatoren und Unterzeichner des Aufrufs: Eckard Cordes vom „Ostausschuss“; der Ex-Bundeskanzler und heutige Gazprom-Lobbyist Gerhard Schröder und sein früherer Innenminister Otto Schily; der Rechtsanwalt, Stasi-Informant, letzter Ministerpräsident der DDR und heutige Vorsitzende des „Lenkungsausschusses“ des deutsch-russischen „Petersburger Dialogs“ Lothar de Maizière; der frühere Kohl-Berater, Bertelsmann- und BMW-Manager und Boeing-Lobbyist Horst Teltschik.

Zum „peinlichen“ Geschichtsbild der Aufruf-Autoren hat mein Freund und Ex-Genosse Karl Schlögel, der nun wirklich einiges von russischer und deutscher Geschichte versteht (und dessen Lebensgefährtin Sonja Margolina zuweilen hier auf Starke Meinungen publiziert), Wichtiges geschrieben.

Dem will ich nur einige kleinere Anmerkungen anfügen:
– „Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden.“ So die Autoren des Aufrufs. Warum aber sollten die Russen „Furcht haben“, da – was die Autoren mit Absicht verschweigen – die NATO diesen Vorstoß des damaligen US-Präsidenten Georg W. Bush ablehnte? Jeder außenpolitisch versierte Journalist weiß, dass dieser Vorschlag eine Reaktion auf die russische Aggression gegen Georgien und die Besetzung zweier georgischer Provinzen darstellte. Jeder außenpolitisch versierte Journalist weiß, dass es heute keinen Krieg im Osten der Ukraine gäbe, wenn die Ukraine damals Mitglied der NATO geworden wäre.
– Jeder außenpolitisch versierte Journalist weiß außerdem, dass sich im Budapester Memorandum von 1994 die USA, Großbritannien und Russland (!) verpflichteten, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit, die Souveränität und die bestehenden Grenzen (!) der Ukraine, Weißrusslands und Kasachstans zu respektieren. Im Gegenzug wurden alle Atomwaffen, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Besitz dieser drei Länder befanden, an Russland übergeben. Jeder außenpolitisch versierte Journalist weiß, dass UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon Russlands Annexion der Krim als Bruch dieses Memorandums wertet. Jeder außenpolitisch versierte Journalist weiß, dass die faktische Hinnahme der Annexion der Krim es im Grunde genommen unmöglich macht, andere Atommächte – man denke an den Iran – zur Aufgabe ihrer Waffen oder Produktionskapazitäten zu veranlassen. Was ist das Wort einer Atommacht wert, wenn sie – wie Russland – ausgerechnet jenes Land überfällt, dessen territoriale Integrität sie garantieren sollte?
– „Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.“ So die Autoren des Aufrufs. Wollen sie allen Ernstes die Sanktionspolitk des Westens mit der Unterwerfungspolitik Hitlers vergleichen? Und was, bitte sehr, sind „Gestaltungsmächte des Kontinents“? Gibt es Länder, die – notfalls gewaltsam – „gestalten“ dürfen, während andere „gestaltet“ werden? Ist, wer sich einer solchen sicht der Dinge widersetzt und das Recht aller Länder im „europäischen Haus“ verteidigt, ihre Zukunft selbst zu gestalten – ist so ein Mensch schon ein Faschist? Und was soll der Hinweis auf das „blutige Scheitern“? Will man jene einschüchtern, die sich der eigenwilligen Doktrin widersetzen, Großmächte hätten ein größeres Gestaltungrecht als kleine Länder? Nun, die NATO wurde genau deshalb gegründet, um dieser Doktrin in Europa entgegenzutreten. Und – wie jeder außenpolitisch versierte Journalist weiß – in der Konfrontation mit dem großrussischen Imperium hat die NATO obsiegt.
– Am Ende ihres „Aufrufs“ zitieren Cordes und Co. den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker aus dem Jahre 1990: „Der Kalte Krieg ist überwunden. Freiheit und Demokratie haben sich bald in allen Staaten durchgesetzt. … Nun können sie ihre Beziehungen so verdichten und institutionell absichern, dass daraus erstmals eine gemeinsame Lebens- und Friedensordnung werden kann. Für die Völker Europas beginnt damit ein grundlegend neues Kapitel in ihrer Geschichte. Sein Ziel ist eine gesamteuropäische Einigung. Es ist ein gewaltiges Ziel. Wir können es erreichen, aber wir können es auch verfehlen. Wir stehen vor der klaren Alternative, Europa zu einigen oder gemäß leidvollen historischen Beispielen wieder in nationalistische Gegensätze zurückzufallen.“ Große, bewegende Worte. Worte, die sich kaum dafür verwenden lassen, die heutige Politik der Bundesregierung und der EU gegenüber Russland zu kritisieren. Hören wir genau hin, was von Weizsäcker gesagt hat: „Freiheit und Demokratie haben sich bald in allen Staaten durchgesetzt. … Nun können sie ihre Beziehungen so verdichten und institutionell absichern, dass daraus erstmals eine gemeinsame Lebens- und Friedensordnung werden kann.“ Genau. Weil sich Freiheit und Demokratie nach Ansicht des damaligen Bundespräsidenten „bald in allen Staaten“ durchsetzen würden, konnte man an eine „gemeinsame Friedensordnung“ glauben. Das ist der alte Kant’sche Traum vom „ewigen Frieden“, der nur zu garantieren sei durch ein europäisches Bündnis demokratischer Staaten. Es ist anders gekommen. Aus Russland ist keine Demokratie geworden, sondern eine „Demokratur“. Und weil dem so ist, hat sich anstelle der Vision des früheren Bundespräsidenten, der von der Ausdehnung der Europäischen Union bis nach Wladiwostock träumte, eine Politik der „nationalistischen Gegensätze“ durchgesetzt, in der eine „Gestaltungsmacht“ ihren Willen und ihre Vision einer „Eurasischen Union“ mit Gewalt anderen Ländern aufzwingt.

Es ist beschämend, wenn Teile der deutschen Industrie ihre Geschäftsinteressen über internationales Recht und europäische Solidarität stellen. Es ist empörend, dass Teile der deutschen Industrie mit der Kriegsangst der Bevölkerung spielen, um diese Geschäftsinteressen durchzusetzen. Es ist infam und verlogen, die Utopie einer Demokratisierung des Kontinents für diese Geschäftsinteressen zu missbrauchen.

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64 Gedanken zu “Der Ostausschuss und seine nützlichen Idioten;”

  1. avatar

    Lieber „Dr. A. Holberg“,
    vielleicht haben die westlichen Militärinterventionen auch schlimmeres verhindert? Jetzt ist der Irak „nur“ etwas explodiert und vor allem implodiert.
    „um Jahrzente zurückgeworfen“ wurden die Iraker auch nicht, das BIP ist nach dem Sturz Saddam Husseins stark gestiegen:
    http://de.kushnirs.org/makrook....._iraq.html
    Die Pest des Islamischen Staats betrifft zudem vor allem Minderheiten. Auch für die hat sich die Lage aber, so zynisch das klingen mag, wohl mehrheitlich (Schiiten, Kommunisten, etc.) nach dem Sturz Saddam Husseins gebessert.

    Auch hier passt die Frage, die ich Uvo unter dem anderen Artikel gestellt habe: Wie hätte der Westen überhaupt anders auf die Barbarei Saddam Husseins reagieren können?

    Haben sie zur Zunahme von Suiziden in Libyen Quellen?

    Lieber Moritz Berger,
    noch etwas interessantes zur Geschichte der Krim.

  2. avatar

    @ Lucas
    Falsche Antwort, denn es war eine Riesenkakerlake.
    Übrigens gab es sichtlich einen Juden in dem Film. Der hatte einen niedlichen kleinen Alien im Schädel, Kategorie ET, viel Charme. Der Film hatte versteckten Humor in vieler Hinsicht.

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